Einunddreissigstes Kapitel
Im Krankenhaus
Minas Gesicht war fahl und eingefallen. Ihr Kopf lag tief versunken in dem schneeweißen Krankenhauskissen und war kaum zu erkennen. Sie hatte sich etwas aufgerichtet und das Krankenbett zu einer Sitzposition hochgefahren. Ihre Augen waren geschlossen, als der Besuch eintrat.
Arndt legte den Finger auf die Lippen und trat vorsichtig an ihr Bett. Margot und das Spiegelbild blieben in der Nähe der Tür stehen. Es war ein großes Zimmer, in Weiß gehalten, mit mehreren Fenstern, die das Sonnenlicht hereinließen. Davor hingen weiße, fast durchsichtige Gardinen. Minas Bett stand am Fenster, das zweite Bett war nicht belegt.
»Arndt«, Mina öffnete die Augen und lächelte schwach. »Wie schön.« Ihr aufmerksamer Blick wanderte durch das Zimmer und blieb an Ludmillas Spiegelbild hängen. »Und du hast es mitgebracht. Es sieht ordentlich aus.« Sie nickte zufrieden.
Ludmillas Spiegelbild starrte die alte Frau scheu an.
»Wann kommt meine Tochter?« Sie richtete sich etwas auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Doch dann nahm sie Margot wahr und erstarrte. »Wer ist das, Arndt? Das ist doch nicht etwa …«
Bevor Arndt reagieren konnte, trat Margot an Minas Bett und nahm ihre Hand. »Mina«, sagte sie sanft. »So lange ist es her. Wir haben uns aus den Augen verloren, dabei teilen wir dasselbe Schicksal. Wir hätten uns stützen müssen. Unsere Schicksale sind doch miteinander verbunden.«
Mina zog die Hand weg. »Arndt.« Ihr Ton war scharf. »Was macht Margot Dena hier?«
»Sie ist in Not, Mina. Ich musste ihr helfen.« Er trat hinzu und schob Margot sanft zur Seite. »Sie ist aufgeflogen.« Als Mina nicht reagierte, fügte er hinzu: »Wusstest du, dass ihre Familie sie ihr Leben lang in dem Haus eingesperrt hatte?«
»Nein, wusste ich nicht«, murrte Mina. »Allerdings weiß ich so einiges über diese feine Dame und ihren ach so feinen Spiegelwächter.«
Pixi ließ sich quietschend von der Decke herabfallen. »Was denn? Noch mehr Geheimnisse, Mina?«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
»Das sind keine Geheimnisse, Pixi«, entgegnete Mina ruhig. »Das war in Eldrid bekannt. Margot tat alles für ihren Spiegelwächter. Alles. Auch andere ausspionieren und verraten. Ob es am Ende ihr oder ihrem Spiegelwächter diente«, sie zuckte mit den Schultern, »wer weiß das schon.«
Arndt drehte sich stirnrunzelnd zu Margot um. »Was meint sie damit?«
Margot hatte sich bis zur Tür zurückgezogen und schüttelte blass den Kopf. »Das ist lange her, Mina. Sehr lange, und ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe.«
Mina legte eine Hand an ihr Ohr. »Wie bitte? Margot? Ich kann dich nicht hören. Deine Lügengeschichten musst du schon lauter aussprechen, auch wenn sie heute kein Gehör mehr finden werden.« Ihr Atem ging schnell, und sie legte eine Hand auf den Wundverband auf ihrer Brust.
»Das reicht«, unterbrach sie Arndt. »Margot, warte bitte draußen. Wir müssen das später klären. Mir war nicht klar, dass deine Anwesenheit sie so aufregen würde.« Er schob sie sanft, aber bestimmt aus dem Zimmer.
Mina lächelte schwach und bitter. »Dieses verlogene Miststück. Ich habe kein Mitleid mit ihr. Was will sie hier? Was will sie von dir, Arndt?«
»Eigentlich wollte sie etwas von dir, Mina«, murmelte er. »Sie braucht unsere Hilfe, und die können wir ihr nicht verwehren«, seine Stimme klang nun stark und fest. »Nicht jetzt. Es geht um den Dena-Spiegel und darum, dass sie auch keinen Schatten mehr hat.«
»Das interessiert mich nicht«, unterbrach ihn Mina barsch. »Hast du sie nicht gefragt, warum sie sich nicht an Hedda gewandt hat?«
Arndt sah sie irritiert an. »Doch wollte ich, aber…«
»Sie kann sich gar nicht an sie wenden, weil Hedda tot ist.«
Er wurde blass. »Was? Nein!«
»Doch! Sie hat sich umgebracht. Weiß der Himmel, warum. Erst vor kurzem habe ich zufällig die Todesanzeige in der Zeitung entdeckt.«
»Und was ist mit dem Ardis-Spiegel? Wer bewacht ihn?«
»Was weiß ich denn?« Wieder griff sie sich an die Brust. »Die Spiegel interessieren mich nicht. Ich will nur meine Enkeltochter heil und unbeschadet und vor allem mit Schatten zurück in dieser Welt wissen.« Sie schluckte hart, und ihr Blick wanderte zu Ludmillas Spiegelbild. »Arndt, meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?«
Er folgte ihrem Blick und nickte langsam. »Ich sehe ehrlich gesagt keinen anderen Ausweg.«
»Ich bin hier«, plärrte das Spiegelbild. »Und ich kann euch hören. Ihr habt mein Wort, schon vergessen?«
»Da stellt sich nur die Frage, wie viel das Wort eines Spiegelbildes wert ist«, zischte Pixi von dem Bettgestell aus, auf dem sie sich niedergelassen hatte.
In diesem Moment klopfte es an der Zimmertür. »Das wird sie sein«, flüsterte Arndt.
Mina verscheuchte Pixi mit einer Handbewegung und legte den Finger warnend auf die Lippen. »Bitte, Pixi, nur auf mein Zeichen. Ansonsten hältst du dich zurück.«
Die Fee baumelte prompt kopfüber von der Deckenleuchte.
»Herein«, rief Mina mit belegter Stimme.
Die Tür öffnete sich sehr langsam, und herein stöckelte Ludmillas Mutter Alexa. Auf hohen Stiletto-Absätzen, mit schwarzem Hosenanzug und die Haare zu einem strengen Dutt zusammengebunden. Sie war blass, hatte Schatten unter den Augen und presste die Lippen aufeinander. Als sie die vermeintliche Ludmilla erblickte, lächelte sie kurz, streckte eine Hand nach ihrem Arm aus, um sie dann sofort wieder sinken zu lassen.
»Hallo, Ludmilla«, sagte sie stattdessen und ging auf das Krankenbett ihrer Mutter zu. »Mutter, was machst du nur für Sachen!«
Plötzlich war ihre Stimme ganz sanft, und sie setze sich auf die Bettkante. Sie nahm Minas Hand und hauchte ihr einen Kuss darauf.
Mina lächelte schwach. »Alexa, wie schön, dass du gekommen bist.«
»Wie geht es dir? Hast du die Operation gut überstanden? Gott sei Dank waren Sie bei ihr und haben gleich einen Krankenwagen gerufen«, wandte sich Alexa an Arndt. »Sie müssen Arndt Solas sein.«
Sie erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. Arndt nickte stumm. Mina warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Ja«, stammelte er. »Der bin ich. Ich kenne Ihre Frau Mutter schon seit meiner Jugend. Wir haben uns nie gänzlich aus den Augen verloren und haben seit ein paar Tagen wieder mehr Kontakt.«
Mina stöhnte auf und schüttelte den Kopf.
Alexa wandte sich zu ihr um. »Hast du Schmerzen, Mutter?«
Mina hasste es, wenn sie sie »Mutter« nannte, aber zu mehr Gefühlen ließ sich ihre Tochter selten hinreißen.
Alexa setzte sich wieder auf die Bettkante. »Was kann ich für dich tun? Selbstverständlich kommt Ludmilla zu uns nach Hause, solange du im Krankenhaus bist. Ich habe den nächsten Flug genommen und bin, so schnell es ging, gekommen. Nun muss ich noch ein paar Dinge im Büro klären, so dass ich mehr zu Hause bin, solange du im Krankenhaus bist und Ludmilla bei uns.«
»Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr«, entfuhr es dem Spiegelbild.
»Jetzt rede ich mit deiner Großmutter«, schoss Alexa zurück, ohne sich umzublicken.
Arndt hob beschwichtigend die Hände. »Das wird nicht nötig sein, Frau Scathan.«
Mina stöhnte erneut, aber dieses Mal ließ er sich nicht von ihr beirren. Er ging um das Bett herum, so dass er Alexa ins Gesicht schauen konnte.
»Die Sache ist die«, stammelte er. »Ludmilla kann im Haus ihrer Großmutter bleiben. Ich werde mich um sie kümmern.«
Alexa sah ihn erstaunt an und runzelte die Stirn. »Das ist wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Solas«, begann sie.
Arndt wiegelte ab. »Lassen Sie mich bitte ausreden.«
Sie schluckte und blickte ihre Mutter fragend an. Mina hob die Hand und ließ sie resigniert wieder sinken. »Hör ihm einfach zu, Alexa. Bitte.«
Alexa nickte und sah Arndt auffordernd an. »Ich höre.«
Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Das ist eine längere Geschichte, und sie betrifft ihre Frau Mutter, mich und noch drei weitere Familien, die hier in der Stadt ihr Anwesen haben.«
Als Alexa anhob, ihn zu unterbrechen, drückte Mina ihre Hand und warf ihr einen Blick zu. Ihre Tochter seufzte, schlug die Beine übereinander und wippte dabei mit dem Fuß. Arndt ließ sich davon nicht beirren.
»Sie kennen wahrscheinlich das verschlossene Zimmer im Haus Ihrer Frau Mutter?«
Sie schnaufte ungeduldig, nickte aber.
»Darin befindet sich ein Spiegel«, fuhr er fort. Dann erzählte Arndt die Geschichte von den fünf Spiegelfamilien, den fünf Spiegeln, Eldrid und den Pakt, den die Spiegelfamilien eingegangen waren. Alexas Miene blieb regungslos. Ihr Blick klebte an Arndt, während er versuchte, so strukturiert wie möglich die Geschehnisse rund um Ludmillas Reise wiederzugeben. Dabei ließ er Uris Besuch bei Mina bewusst aus. Er betonte, dass Mina das Spiegelzimmer stets verschlossen gehalten und dass sich Ludmilla über das Verbot, das Zimmer zu betreten, hinweggesetzt hatte und nach Eldrid gereist war.
»Mina hat das Spiegelzimmer stets kontrolliert. Wir können es uns bis heute nicht erklären, wie Ludmilla den Spiegel entdeckt hat«, erklärte er. Die Bedrohung von Eldrid und Ludmillas Aufgabe verschwieg er. »Ludmilla ist immer noch in Eldrid, und wir haben keine Ahnung, wann sie zurückkommt«, schloss er schließlich.
Mina und er hatten sich im Vorfeld darauf geeinigt, Alexa vorerst nichts von dem Verlust ihres Schattens zu erzählen, um sie nicht zu ängstigen und zu verwirren. Es sollten nicht zu viele Informationen sein, und allein die Tatsache, dass sich ihre Tochter in einer magischen Parallelwelt aufhielt und dies hier vor ihr nur ihr Spiegelbild sein sollte, waren Neuigkeiten genug. Da das Spiegelbild Minas Haus nicht dauerhaft verlassen durfte, für den Fall, dass Ludmilla zurückkam, sahen sie keinen anderen Ausweg, als ihr die Wahrheit zu sagen. Das war zumindest der Plan.
Alexa drehte sich langsam zu Ludmillas Spiegelbild um. Es stand neben der Zimmertür und warf ihr einen möglichst unschuldigen Blick zu. Dann wandte sich sie wieder Arndt und ihrer Mutter zu. Sie blickte beide im Wechsel an und lächelte verkrampft.
»Das ist doch ein Scherz. Ihr müsst ganz schön verzweifelt sein, wenn ihr euch so etwas ausdenkt. Was für ein Märchen.« Sie lachte hysterisch auf. »Mutter, bitte, sag mir sofort, was das alles hier soll. Wäre es so schlimm, wenn Ludmilla eine Weile wieder zu Hause wohnen würde?«
Erneut wandte sie sich zu ihrer vermeintlichen Tochter zu. »So eine Geschichte tischt ihr mir auf, damit du nicht nach Hause musst? Das enttäuscht mich jetzt. Konntet ihr euch nichts Besseres einfallen lassen.« Ruckartig stand sie auf. »Ich fasse es nicht. Das ist wirklich lächerlich.«
Minas Augen weiteten sich vor Schreck, und sie packte ihre Tochter an der Hand. »Doch, Alexa, es ist wahr. Das haben wir uns nicht ausgedacht. Eldrid existiert, und deine Tochter befindet sich gerade dort. Es tut mir so leid.«
Alexas Stimme wurde schrill und laut. »Du willst also ernsthaft behaupten, dass das da das Spiegelbild meiner Tochter ist?« Ihr ausgestreckter Finger zitterte leicht.
»Bitte, Alexa, wir sind in einem Krankenhaus, nicht so laut, bitte!«
»Ja, das stimmt. Zum Glück sind wir in einem Krankenhaus, sonst würde ich jetzt noch viel lauter und viel deutlicher werden.« Alexas Stimme überschlug sich.
Arndt schüttelte panisch den Kopf, stand auf und ging um das Krankenbett herum. »Nein, Sie müssen uns glauben. Das ist nicht Ludmilla. Das ist ihr Spiegelbild, und Ludmilla befindet sich in Eldrid.«
Er hielt kurz inne. Sein Gesicht war inzwischen so rot angelaufen und er fing an zu schwitzen. »Gibt es ein besonderes Merkmal an ihrer Tochter, an dem Sie feststellen können, ob es spiegelverkehrt ist?«
»Auf solche Spielchen lasse ich mich gar nicht erst ein.« Alexa machte ein paar Schritte auf Ludmillas Spiegelbild zu, das noch weiter zur Tür zurückwich. »Komm, Ludmilla, wir gehen. Leider habt ihr damit genau das Gegenteil bei mir bewirkt. Ludmilla kommt mit mir nach Hause. Ich dulde keine weitere Diskussion.«
Das Spiegelbild schüttelte heftig den Kopf.
Mina richtete sich auf. »Alexa, bitte. Es ist die Wahrheit.« Ihre Stimme wurde schrill, und sie sah sich verzweifelt um. Dann blickte sie an die Decke und flüsterte. »Also gut, dann müssen wir es dir beweisen. Pixi, komm bitte da runter!«
Die kleine Fee schoss wie ein Pfeil von der Decke. Sie schwebte vor Alexas Gesicht und blieb dort in der Luft hängen, bis sie sie entdeckte. Alexa entfuhr ein Schrei, und sie stolperte rückwärts.
»Was ist das für ein Viech? Weg! Es soll weg. Weg von mir!« Sie wedelte hysterisch mit den Händen.
Pixi fing lauthals an zu lachen. »Eigentlich finden mich alle Menschen süß. Als ›Viech‹ wurde ich noch nie bezeichnet.«
Alexa schlug sich die Hand vor den Mund. »Wer spricht da? Diese Kreatur bestimmt nicht. Das ist ein ganz übler Trick.«
Sie wich immer weiter zurück, während Pixi sie verfolgte.
»Jetzt beruhige dich doch mal«, flötete sie. »So habe ich mir das nicht vorgestellt«, wandte sie sich kurz an Mina. »Ich dachte, sie würde es besser aufnehmen.« Dann schwebte sie dicht vor Alexas Nasenspitze hin und her und flötete: »Alexa, meine Liebe. Ich bin eine Fee, und jetzt beruhige dich.«
Alexa hatte sich die Hand aufs Dekolletee gelegt und rang nach Luft.
»Ich bekomme keine Luft«, japste sie.
»Sie bekommt keine Luft«, tönte Pixi amüsiert. »Na, wenigstens habe ich irgendeine Wirkung auf sie.«
Arndt ging auf sie zu und legte Alexa die Hand auf den Arm. »Atmen, Frau Scathan. Atmen. Langsam atmen.«
Sie riss ihm ihren Arm aus der Hand und rang verzweifelt nach Luft.
In diesem Moment ging die Tür auf und eine Krankenschwester schob ihren Kopf hinein.
»Was ist denn hier los?«
Sie betrachtete kurz das Szenario, das sich ihr bot. Mina hatte sich im Bett aufgesetzt und blickte ihre Tochter besorgt an. Diese stand ein paar Schritte von der Tür entfernt an der Wand und starrte wie paralysiert ins Leere, während sie nach Luft rang und der alte Mann versuchte, sie zu beruhigen. Der Teenager stand so nah bei der Tür, als würde er sofort die Flucht ergreifen, und irgendein Tier mit Flügeln schwirrte durch die Luft an die Decke. Wie eine Libelle.
»Ich glaube, das ist genug Besuch für heute«, erklärte die Krankenschwester streng. »Ich möchte Sie jetzt bitten, alle zu gehen. Sie können Ihr Treffen woanders abhalten, denn die Patientin benötigt dringend Ruhe, und ich habe nicht den Eindruck, dass ihr der Besuch guttut.« Sie nickte in die Runde. »Bitte verabschieden Sie sich nun und verlassen Sie das Krankenzimmer.«
Festen Schrittes durchquerte sie das Zimmer und öffnete ein Fenster. »Was ist das für ein Tier?«, schimpfte sie weiter.
»Welches Tier«, fragte Mina so unschuldig wie möglich, und Arndt schob Alexa und das Spiegelbild sanft zur Tür hinaus.
»Wir gehen ja schon«, versuchte er die Schwester abzulenken. »Schauen Sie, wir sind schon draußen. Mina, wir telefonieren, gute Besserung.«
»Es gibt noch einiges zu klären, Mutter«, japste Alexa, bevor Arndt langsam die Tür schloss.
Die Krankenschwester kam sofort hinterher und warf einen prüfenden Blick auf Alexa, die sich neben Margot Dena auf einen Stuhl im Flur fallen ließ.
»Was ist passiert«, wollte die alte Dame wissen.
Alexa fuhr herum. »Was geht Sie das an, und wer sind Sie überhaupt?«.
Arndt ging beschwichtigend dazwischen. »Darf ich vorstellen? Das ist Margot Dena, und sie gehört einer der Spiegelfamilien an. Der Dena-Familie. Ihnen gehört ebenfalls ein Spiegel, und Margot ist zur gleichen Zeit wie Ihre Frau Mutter durch den Spiegel nach Eldrid gereist.«
»Eine Unbeteiligte zieht ihr auch noch mit rein«, stieß Alexa hervor. »Das ist ja ungeheuerlich.« Mühsam erhob sie sich, aber ihr Atem hatte sich langsam wieder beruhigt. »Ludmilla, wir gehen.«
Das Spiegelbild riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Mit der gehe ich nicht mit, Arndt. Lass dir was einfallen, wie du sie überzeugen kannst. Ich bleibe in Minas Haus. Egal, ob Ludmilla zurückkommt oder nicht.«
»Was soll das denn schon wieder heißen? Ob sie zurückkommt oder nicht? Warum sollte sie denn nicht zurückkommen? Ach, Herrgott. Ihr verwirrt mich vollkommen. Du bist doch hier, Ludmilla. Lass dir von diesen Menschen nicht einreden, dass du ein Spiegelbild bist. Das ist doch krank.«
Alexas Stimme war wieder schrill geworden. Schrill und laut. Die Krankenschwester schob ihren Kopf aus dem Stationszimmer auf den Gang und warf ihnen einen wütenden Blick zu.
Arndt nickte ihr zu und lächelte. »Wir sind im Begriff zu gehen«, flüsterte er ihr zu und schob Alexa und das Spiegelbild den Gang hinunter, aber Alexa schüttelte die Hand ab.
»Fassen Sie mich nicht an«, fauchte sie und packte das Spiegelbild am Arm. »Ich glaube kein Wort von dieser abenteuerlichen Geschichte, und alles nur, damit du nicht nach Hause kommst? Das ist wirklich lächerlich.«
In diesem Moment schob sich Margot Dena an ihr vorbei. »Lächerlich? Sie glauben nicht an Eldrid?«, flüsterte sie so leise, dass Alexa für einen Augenblick den Atem anhielt. Die Alte kam ganz nah an sie heran und deutete dann mit ihrem knochigen Finger auf den Boden. »Und wie erklären Sie sich dann das hier?«
Alexa starrte auf den Boden und dann Margot an. Sie zuckte mit den Schultern.
»Was soll ich erklären?« Ihre Stimme war plötzlich etwas leiser, dann riss sie die Augen auf und hielt die Luft an.
»Sie haben es doch längst erkannt«, zischte Margot.
Ludmillas Mutter stand auf dem Gang, umringt von zwei alten Menschen und ihrer Tochter oder deren Spiegelbild, und wagte es kaum, sich zu bewegen. Natürlich hatte sie es gesehen, jedoch konnte sie es nicht begreifen. Diese Schlussfolgerung ließ sie nicht zu. Ein Mensch ohne Schatten. Das gab es nicht. Das war ausgeschlossen. Und dieses kleine fliegende sprechende Ding, das sich selbst als Fee bezeichnete? Das musste alles ein ganz übler Trick sein.
Alexa schüttelte unentwegt den Kopf. »Das ist mir alles zu viel. Erst hat meine Mutter einen Herzinfarkt und liegt im Krankenhaus, und dann wird mir hier so eine Schmierenkomödie vorgespielt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, aber ihr habt gewonnen. Ich muss erst einmal meine Gedanken sortieren. Denkt ja nicht, dass das hier vorbei ist. Noch habe ich keine Entscheidung getroffen. Ich glaube, ich bekomme Migräne. Ich muss mich hinlegen.«
Mit diesen Worten fing sie an, sich die Schläfen zu massieren, während sie die drei für einen kurzen Moment im Wechsel anschaute. Im nächsten Augenblick schnaufte sie auf, schob Arndt und Margot beiseite und stürmte durch den Flur in Richtung Ausgang.
»Ich melde mich!«, rief sie noch mit schriller Stimme, die den Gang entlang hallte. »Das ist noch nicht vorbei. Freut euch nicht zu früh.«
Dann war Alexa verschwunden. Ludmillas Spiegelbild blickte Arndt fragend an. »Und jetzt?«
Er hob nur die Schultern. »Jetzt haben wir uns Zeit verschafft. Wie viel weiß ich nicht, aber immerhin etwas Zeit. Wir müssen uns eine neue Strategie ausdenken. Alexa darf dich auf keinen Fall mitnehmen. Das müssen wir verhindern. Ich weiß nur noch nicht wie. Sie ist ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Mina hat nicht untertrieben, als sie sie mir beschrieben hat.«
Das Spiegelbild konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während sie ebenfalls zum Ausgang gingen.