VOR ZWEI JAHREN

B ailey, dein Kleid ist toll«, sagte ich.

Wir waren in Los Angeles und aßen im Felix zu Abend, in Venice. Ich arbeitete für eine Kundin an ihrem Haus in den Venice Canals, und Owen war der Meinung, es wäre die perfekte Gelegenheit, dass Bailey und ich ein bisschen Zeit zusammen verbringen. Es war schätzungsweise unsere achte Begegnung, und bis dahin hatte sie alles vermieden, was über die gemeinsamen Mahlzeiten hinausging. Normalerweise verbrachten wir kein ganzes Wochenende zu dritt. Wir hatten sie mit in die Hollywood Bowl genommen, wo wir uns Dudamel anhörten, den sie toll fand. Und jetzt saßen wir zusammen im besten italienischen Restaurant von Los Angeles, was sie ebenfalls genoss. Das Einzige, was ihr nicht gefiel? Dass ich die ganze Zeit dabei war.

»Dieser Blauton steht dir so gut«, sagte ich.

Sie konnte sich zu keiner Antwort durchringen, nicht mal zu einem routinierten Schulterzucken. Sie ignorierte mich völlig und trank einen Schluck von ihrem italienischen Mineralwasser.

»Ich gehe kurz zur Toilette«, erklärte sie, ehe Owen etwas sagen konnte.

Owen sah ihr hinterher. Als sie um die Ecke verschwand, wandte er sich mir wieder zu.

»Eigentlich wollte ich dich überraschen«, sagte er. »Aber vielleicht ist jetzt der richtige Moment, um dir zu sagen, dass ich dich nächstes Wochenende nach Big Sur einladen möchte.«

Ich wollte den Rest der Woche in Los Angeles verbringen, um das Projekt in den Canals abzuschließen und dann am Freitag nach Sausalito zurückzufliegen. Wir hatten darüber gesprochen, die Küste hinunterzufahren und Verwandte von Owen zu besuchen. Angeblich wohnten seine Vettern in Carmel-by-the-Sea, einem kleinen, touristisch geprägten Ort am Ende der Halbinsel.

»Du hast da nicht wirklich Vettern, oder?«, fragte ich.

»Ich vielleicht nicht, aber jemand anders ganz sicher.«

Ich lachte.

»Das ist einer meiner Vorzüge: Ich habe nirgendwo Vettern. Bailey ist alles, was ich an Familie habe.«

»Und sie ist ein echter Volltreffer«, sagte ich.

Er lächelte mich an. »Das meinst du ernst, stimmt’s?«

»Natürlich.« Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: »Auch wenn das Gefühl nicht auf Gegenseitigkeit beruht.«

»Das kommt noch.«

Er trank einen Schluck und schob mir sein Glas herüber.

»Hast du schon mal einen Good Luck Charm probiert?«, fragte er. »Ich trinke ihn nur zu speziellen Anlässen. Das ist ein Cocktail aus Bourbon, Limonensaft und Pfefferminze. Und er funktioniert. Er bringt Glück.«

»Wozu sollte ich Glück brauchen?«

»Ich will dich etwas fragen, von dem du mir sagen wirst, dass ich die Frage zu früh stelle«, sagte er. »Ist das okay?«

»War das schon die Frage?«

»Die Frage kommt jetzt. Aber nicht sofort, nicht, wenn meine Tochter auf der Toilette ist. Du kannst also ruhig wieder atmen …«

Er hatte recht. Ich hatte die Luft angehalten, weil ich Angst hatte, er würde mir tatsächlich einen Heiratsantrag machen. Ich hatte Angst, dass ich, wenn er es wirklich tun würde, nicht würde Ja sagen können. Und nicht würde Nein sagen können.

»Vielleicht frage ich dich in Big Sur. Wir übernachten oben auf den Klippen, inmitten von Eichen. Schönere Bäume kannst du dir gar nicht vorstellen. Du wirst unter ihnen schlafen, in einer der Jurten, von denen du hoch in die Bäume und raus auf den Ozean schauen kannst.«

»Ich habe noch nie in einer Jurte geschlafen«, erklärte ich.

»Den Satz wirst du nächste Woche nicht mehr sagen können.«

Er nahm seinen Drink zurück und trank einen kräftigen Schluck.

»Vielleicht greife ich jetzt vor, aber du weißt wahrscheinlich sowieso, dass ich es nicht abwarten kann, dein Ehemann zu werden. Nur fürs Protokoll.«

»Ich gebe jetzt nichts zu Protokoll. Aber mir geht es genauso.«

In diesem Moment kam Bailey zurück an den Tisch. Sie setzte sich und machte sich über ihre Pasta her, eine köstliche süditalienische Cacio-e-pepe-Variante, eine dekadente Mischung aus Käse, scharfem Pfeffer und salzigem Olivenöl.

Owen beugte sich vor und schnappte sich einen großen Bissen direkt von ihrem Teller.

»Dad!«, rief sie lachend.

»Teilen macht Freude«, sagte er mit vollem Mund. »Willst du etwas Cooles hören?«

»Klar«, sagte sie und grinste ihn an.

»Hannah hat für uns alle Tickets für die Wiederaufnahme von Barfuß im Park morgen Abend im Geffen besorgt. Neil Simon ist auch einer ihrer Lieblingsautoren. Klingt das nicht toll?«

»Wir treffen Hannah morgen schon wieder?« Die Frage kam spontan, bevor sie sich bremsen konnte.

»Bailey …« Owen schüttelte den Kopf.

Dann warf er mir einen entschuldigenden Blick zu. Es tut mir leid, dass sie sich so benimmt.

Ich zuckte die Achseln. Schon gut, das muss sie selbst entscheiden.

Und das meinte ich auch so. Für mich war es in Ordnung. Sie war ein Teenager und hatte die meiste Zeit ihres Lebens ohne Mutter verbracht. Ihr Vater war ihr Ein und Alles. Ich konnte nicht erwarten, dass sie sich auf die Aussicht freute, ihn mit jemandem zu teilen. Und ich dachte, das sollte auch niemand sonst von ihr erwarten.

Sie senkte beschämt den Blick. »Tut mir leid, ich hab nur … eine Menge Hausaufgaben zu erledigen.«

»Nein, bitte, ist schon in Ordnung«, sagte ich. »Ich hab selbst Arbeit ohne Ende. Warum schaut ihr beide euch das Stück nicht allein an? Nur du und dein Dad. Vielleicht treffen wir uns später im Hotel, wenn du mit deiner Arbeit fertig bist?«

Sie schaute mich an und wartete auf den Haken. Es gab keinen. Mir war wichtig, dass sie das begriff. Unabhängig davon, was ich in ihren Augen richtig oder falsch machte (und so wie es bisher gelaufen war, wusste ich, dass sie noch eine Menge als falsch betrachten würde), würde es von meiner Seite niemals einen Haken geben. Das konnte ich ihr versprechen. Was mich betraf, musste sie nicht nett sein. Sie musste nicht so tun als ob. Sie konnte einfach sie selbst sein.

»Ernsthaft, Bailey. Es gibt keinen Druck …«, sagte ich.

Owen nahm meine Hand. »Ich fände es wirklich schön, wenn wir alle zusammen gingen«, sagte er.

»Nächstes Mal«, schlug ich vor. »Das machen wir beim nächsten Mal.«

Bailey blickte auf. Und bevor sie ihre Mimik unter Kontrolle bringen konnte, nahm ich etwas wahr. Ich las es in ihren Augen, wie ein Geheimnis, an dem sie mich nicht teilhaben lassen wollte – ihre Dankbarkeit dafür, dass ich sie verstanden hatte. Ich sah, wie sehr sie es brauchte, von jemandem verstanden zu werden, über ihren Vater hinaus. Ich sah, dass sie zumindest eine Sekunde lang glaubte, ich könne diejenige sein.

»Ja«, sagte sie. »Nächstes Mal.«

Und zum ersten Mal lächelte sie mich an.