DER TEUFEL STECKT IM DETAIL

I m Auto, auf dem Weg zurück in sein Büro, wo Bailey auf mich wartet, sagt Grady etwas, das ich mein Leben lang nicht vergessen werde.

Draußen geht über dem Lady Bird Lake die Sonne auf. Als wir auf den Highway biegen, dreht Grady sich zu mir um und sieht mich an – als würde ich sonst nicht merken, wie unzufrieden er mit meiner Entscheidung ist.

Dann sagt er die Sätze, die ich nicht vergessen werde: »Sie werden sich an Owen rächen, auf die eine oder andere Art. Das muss Ihnen klar sein.«

Ich halte seinem Blick stand. Ich will mich nicht von ihm einschüchtern lassen.

»Nicholas ist nicht der Mann, der etwas vergisst. Sie werden manipuliert.«

»Das glaube ich nicht«, entgegne ich.

»Und wenn Sie sich täuschen? Was haben Sie eigentlich vor? In ein Flugzeug steigen, nach Hause fliegen und hoffen, dass Ihnen beiden nichts passiert? Sie sind nicht sicher, so funktioniert es einfach nicht.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Zum Beispiel durch fünfzehn Jahre Berufserfahrung.«

»Nicholas hat kein Problem mit mir«, sage ich. »Ich bin ohne eigenes Zutun in diese ganze Sache reingeraten.«

»Das weiß ich, und Sie wissen es. Aber Nicholas kann sich letztlich nicht sicher sein. Und solche Risiken geht er nicht ein.«

»Ich denke, die Umstände sind außergewöhnlich.«

»Warum?«

»Ich bin sicher, dass er seine Enkelin kennenlernen will«, sage ich. »Das ist ihm wichtiger, als Owen zu bestrafen.«

Er hält inne. Ich sehe, wie er darüber nachdenkt. Und dass er zu demselben Schluss kommt wie ich: dass es – vielleicht – wahr sein könnte.

»Aber selbst wenn Sie recht haben, werden Sie Owen auf diese Weise niemals wiedersehen.«

Das ist der Punkt, der mir die ganze Zeit durch den Kopf geht, der mir das Herz bricht. Nicholas hat es ausgesprochen, und nun Grady. Als wüsste ich es nicht selbst. Ich weiß es, und ich spüre das Gewicht dieser Erkenntnis in jeder Faser meines Körpers.

Ich gebe Owen auf. Ich gebe die Chance auf, dass Owen und ich am Ende der Geschichte – falls sie denn ein Ende hat – wieder zusammenkommen. Dass wir irgendwann wieder zusammenkommen. Bisher war ich unsicher, ob Owen wieder nach Hause kommt, jetzt bin ich sicher, dass er es nicht tun wird.

Grady fährt an den Straßenrand, Lkws rauschen an uns vorbei, der Fahrtwind rüttelt unseren Wagen durch.

»Es ist noch nicht zu spät. Scheißen Sie auf Nicholas. Und auf die Vereinbarung, die er mit Ihnen zu haben glaubt«, sagt Owen. »Sie hätten gar nichts vereinbaren dürfen. Sie hätten an Bailey denken müssen.«

»Ich denke die ganze Zeit an Bailey. Daran, was das Beste für sie ist. Was Owen für das Beste halten würde.«

»Glauben Sie ernsthaft, er würde für eine Lösung sein, bei der er Bailey niemals wiedersieht? Bei der er keinerlei Kontakt zu ihr hat?«

»Sagen Sie es mir, Grady. Sie kennen Owen viel länger als ich. Was hat er von mir erwartet, als er verschwunden ist?«

»Ich glaube, er wollte, dass Sie die Füße stillhalten, bis ich Ihnen helfe, eine Lösung zu finden. Im günstigen Fall eine Lösung, bei der Sie alle drei Ihre Identitäten behalten können. Und wenn nötig, eine, bei der Sie woanders neu anfangen würden. Alle zusammen.«

»An der Stelle steige ich aus«, sage ich. »Jedes Mal, wenn Sie davon anfangen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wie würden die Chancen stehen, Grady? Wie wahrscheinlich wäre es, dass diese Leute uns trotzdem aufspüren?«

»Unwahrscheinlich.«

»Was heißt das im Klartext? Fünf Prozent? Zehn Prozent? Beim letzten Mal ist etwas durchgesickert. War das damals nicht auch unwahrscheinlich? Passiert ist es jedenfalls. Owen und Bailey sind unter Ihrem Schutz in Gefahr geraten. Das würde Owen nicht noch einmal riskieren. Wenn es um Baileys Sicherheit geht, würde er nicht einfach hoffen, diesmal Glück zu haben.«

»Ich lasse nicht zu, dass Bailey etwas passiert …«

»Wenn diese Männer uns aufspüren würden, würden sie jede Möglichkeit nutzen, um an Owen heranzukommen, stimmt’s? Sie würden keinen Wert auf Etikette legen und sich nicht darum scheren, ob Bailey in die Schusslinie gerät. Oder irre ich mich?«

Er antwortet nicht. Aus guten Gründen.

»Unterm Strich können Sie für nichts garantieren. So war es damals, und so wäre es jetzt auch. Deswegen hat er sie mir anvertraut. Deswegen ist er verschwunden, statt sich gleich an Sie zu wenden.«

»Ich glaube, Sie liegen falsch.«

»Und ich glaube, mein Mann weiß, wen er geheiratet hat.«

Grady lacht. »Wenn Sie eine Sache aus alldem gelernt haben, dann doch wohl, dass niemand den Menschen kennt, den er heiratet.«

»Einspruch«, sage ich. »Wenn Owen gewollt hätte, dass ich herumsitze und alles Ihnen überlasse, hätte er das gesagt.«

»Wie erklären Sie sich dann, dass er mir die E-Mails hat zukommen lassen? Dank dieser Mails wird Avett auf jeden Fall für seine Verbrechen bestraft. Das FBI arbeitet schon an einem Deal, der Avett im Gegenzug für ein Schuldeingeständnis für zwanzig Jahre hinter Gitter bringt … Wie erklären Sie sich, dass Ihr Mann das getan hat? Wie erklären Sie sich, dass er alle Voraussetzungen geschaffen hat, um ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden?«

»Ich glaube, er hat etwas anderes bezweckt.«

»Nämlich? Seinen guten Ruf zu schützen?«

»Nicht seinen«, sage ich. »Er wollte Bailey nicht damit belasten.«

Er grinst, und beinahe kann ich all die Dinge hören, die er mir am liebsten erzählen möchte. All das, was er über Owen weiß. All das, was auch Nicholas weiß, nur in einem anderen Licht betrachtet. Vielleicht fragt Grady sich, ob er mich auf seine Seite ziehen könnte, wenn er mir ein paar Geheimnisse erzählt. Aber ich habe mich längst für eine Seite entschieden. Für die von Bailey. Und mir selbst.

»Lassen Sie es mich so einfach ausdrücken, wie ich kann«, sagt er. »Nicholas ist ein Drecksack. Er wird Ihnen eines Tages etwas antun. Bailey mag in Sicherheit sein, aber wenn er dadurch an Owen herankommt, wird er keine Skrupel haben, sich an Ihnen zu vergreifen. In seinen Augen sind Sie völlig entbehrlich, Sie interessieren ihn nicht.«

»Das sehe ich auch so.«

»Dann muss Ihnen doch wohl klar sein, wie riskant es ist, wenn Sie Ihr altes Leben einfach wieder aufnehmen. Ich kann Sie nur beschützen, wenn Sie mich lassen.«

Ich antworte nicht, denn es ist klar, was er hören will: Ja, er soll mich beschützen. Ja, er soll uns beschützen. Und das werde ich nicht sagen. Weil ich weiß, dass er das nicht kann.

Wenn Nicholas es wirklich will, wird er uns trotz allem finden, diese Lektion habe ich inzwischen gelernt. So oder so, die Vergangenheit kehrt zurück. Genau das ist schließlich gerade passiert. Also kann ich wenigstens versuchen, das Beste für Bailey zu erreichen. Und dafür zu sorgen, dass Bailey sie selbst bleiben kann.

Diese Wahl hat sie bisher nie gehabt. Sie verliert bei alldem sowieso schon so viel. Wenigstens diese Wahl kann ich ihr bieten.

Grady lässt den Motor wieder an und fädelt sich in den Verkehr ein. »Sie können ihm nicht vertrauen. Es wäre verrückt, das zu glauben. Sie können keinen Deal mit dem Teufel machen und einfach hoffen, dass alles gut geht.«

Ich wende mich ab, schaue aus dem Fenster. »Genau das habe ich gerade getan.«