W enn er mir noch einmal sagt, dass ich singen soll, dann beiße ich ihn vielleicht. Es ist doch wirklich bemerkenswert, was diese Männer sich anmaßen. Glaubt er denn, ich habe nichts Besseres zu tun, als seine Muse zu sein? Seine. Wann haben die Dichter vergessen, dass sie den Musen dienen und nicht umgekehrt? Und wenn er sich vor Publikum die neuen Verse merken kann, warum vergisst er dann ständig, Bitte und Danke zu sagen?
Müssen denn immer alle sterben, fragt er, wie ein quengelndes Kind. Vielleicht dachte er, er schreibe über einen der anderen Kriege. Verwüstung ist nun mal das, was im Krieg passiert: Das liegt in der Natur der Sache. Ich murmele ihm manchmal in seinen Träumen etwas zu (natürlich habe ich eigentlich andere Dinge zu tun, aber ich mag, wie er aussieht, wenn er schläft): Du wusstest, dass Achill sterben würde. Du wusstest, dass Hektor vor ihm sterben würde. Du wusstest, dass Patroklos sterben würde. Du hast ihre Geschichten bereits erzählt. Wenn du nicht daran denken willst, dass Männer in der Schlacht fallen, warum verfasst du dann epische Dichtungen?
Ah, aber nun weiß ich, was das Problem ist. Es ist nicht ihr Tod, der ihm etwas ausmacht. Er weiß vielmehr, was noch kommt, und befürchtet, dass es eher eine Tragödie als ein Epos wird. Ich beobachte, wie sich seine Brust hebt und senkt, während er unruhig schläft. Der Tod der Männer ist episch, der der Frauen tragisch: Ist es das? Er hat die grundlegende Natur des Konfliktes missverstanden. Episch sind unzählige Tragödien, die miteinander verwoben sind. Helden werden nicht ohne ein Blutbad zu Helden, und solche Blutbäder haben sowohl Ursachen als auch Folgen. Und die beginnen weder auf dem Schlachtfeld, noch enden sie dort.
Wenn er wirklich die Beschaffenheit der epischen Geschichte, die ich ihn schreiben lasse, verstehen will, dann muss er akzeptieren, dass die Opfer eines Krieges nicht nur diejenigen sind, die sterben. Und dass ein Tod abseits des Schlachtfeldes ehrenhafter sein kann (oder heldenhafter, wenn er es lieber so nennen möchte) als einer mitten im Kampfesgeschehen. Aber es tut weh, sagte er, wenn Krëusa stirbt. Ihm hätte es besser gefallen, wenn ihre Geschichte einfach verloschen wäre, wie ein Funke, der auf feuchtem Zunder nichts ausrichten kann. Ja, es tut weh, habe ich geflüstert. Es soll wehtun. Sie ist keine Fußnote, sie ist ein Mensch. Und an sie – und alle anderen Frauen von Troja – sollte man sich genauso erinnern wie an jeden anderen Menschen. Genau wie an ihre griechischen Geschlechtsgenossinnen. Ein Krieg ist kein Sport, den man in einem kurzen Kampf um einen Streifen Land entscheidet. Krieg ist ein Netz, das sich bis in die entferntesten Winkel der Welt erstreckt und in dem sich alle verfangen.
Das werde ich ihm beibringen, bevor er meinen Tempel verlässt. Oder er bekommt überhaupt kein Gedicht.