W enn sie als Kind ihre Gebete gemurmelt hatte, hatte sich Polyxena nie Mut gewünscht. Es hätte überhaupt keinen Sinn gehabt. Ihre Stadt war belagert, und sie hatte nur noch verschwommene Kindheitserinnerungen an eine Zeit, in der das anders gewesen war. Mut war also nichts Besonderes, das man sich wünschte. Er war etwas ganz Alltägliches, was das Leben von allen abverlangte.
Polyxena hatte die Angst um die Menschen, die sie liebte, immer gekannt: um ihre Brüder, die morgens aus den Stadttoren schritten, um ihre Schwestern, wenn in der Stadt das Essen knapp wurde. Sie hatte Angst um ihre Mutter, deren Schultern immer mehr nach vorne sackten, wie bei einer alten Frau. Und um ihren Vater, der auf den hohen Stadtmauern stand und zusah, wie seine Söhne mit den Männern kämpften, die fest entschlossen waren, seine Stadt zu erobern. Jeder Tote war ein Grund für persönliche Trauer und bürgerliche Angst: Der Verlust eines Ehemannes, eines Sohnes, eines Vaters bedeutete immer auch, dass es nun einen Verteidiger weniger gab, der am nächsten Tag um die Stadt kämpfen konnte.
Aber Angst war nicht gleichbedeutend mit fehlendem Mut. Es war leicht, mutig zu sein, wenn man keine Angst hatte. In Troja munkelte man, dass das auf Achill zutraf, dass genau das der Grund war, warum er so todbringend war. Er zog auf seinem Streitwagen in die Schlacht, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob er überleben oder sterben würde. Nicht einen einzigen. Er sorgte sich ausschließlich um die Sicherheit seines Freundes Patroklos. Solange sich die Trojaner von ihm fernhielten, mähte Achill scheinbar wahllos durch ihre Reihen. Es dauerte viele Monate, vielleicht Jahre, bis die Trojaner erkannten, dass es geschickter war, eine kleine Gruppe auf Patroklos anzusetzen, um Achill an dessen Seite zu bringen. Natürlich starben diese Männer jedes Mal. Sie losten aus, wer diesen aussichtslosen Kampf antreten würde, um seine Kameraden zu beschützen.
Polyxena hatte diesen Männern zugesehen, wie sie sich von ihren Frauen verabschiedeten und die letzten Minuten mit ihren Söhnen erlebten. Sie wirkten ruhig und gelassen, während alle anderen um sie herumwuselten, ihre Rüstungen festschnallten und ihre Waffen schärften. Die Männer wussten, dass sie sterben würden, also war die Zeit der Angst vorbei. Das Einzige, was ihnen noch blieb, war die Möglichkeit, mutig zu sterben, und Achill so lange vom Schlachtfeld fernzuhalten, dass ihre Kameraden anderswo Fortschritte machen und die Griechen in Richtung ihrer Schiffe zurückdrängen konnten. Damals hatte Polyxena gedacht, dass diese Männer vor Kummer und Sorge den Verstand verloren hatten. Wie sonst konnten sie dem Tod so ruhig entgegengehen? Jetzt wünschte sie sich, sie wäre sich ihres Schicksals genauso sicher. Sie hätte viel dafür gegeben, zu wissen, was ihr bevorstand.
Die Griechen sprachen ihre Sprache sehr schnell, und Polyxena verstand ihren starken Akzent oder Dialekt nicht. Sie waren aber nicht so anzüglich, wie man Polyxena immer hatte glauben machen. Einer von ihnen grabschte zwar nach ihr, unter dem Vorwand, sie auf dem unebenen Boden stützen zu müssen. Aber Menelaos rief irgendetwas, und der Mann nahm seine Hände weg. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an einen Hund, den man dabei erwischt hatte, wie er Milch aus einem Krug stahl.
Polyxena hoffte mehr als alles andere, dass Menelaos ihre Mutter nicht angelogen hatte, und dass er sie wirklich nicht für sich selbst wollte. Kein Schicksal könnte schlimmer sein, als seine Sklavin zu werden. Sie wollte nicht ihre Heimat verlassen müssen, um zu Helenas Zofe zu werden, der Frau zu dienen, die an allem Schuld war. Na ja, vielleicht nicht sie allein. Polyxena wusste, dass ihre Mutter Paris immer verhätschelt hatte. Ihr Bruder Hektor hatte diesen Fehler nicht gemacht. Er war der Erste gewesen, der Paris für sein Verhalten tadelte, und Polyxena hatte gewusst, dass er damit Recht hatte. Und trotzdem wollte sie nicht, dass Helena sie zum Wasserholen schickte, oder ihr befahl, für sie Mehl zu mahlen. Selbst wenn sie eine Dienstmagd aus ihr machten, wurde ihr schlecht bei dem Gedanken, ihrer ehemaligen Schwägerin die Haare zu flechten, ihr jeden Morgen beim Ankleiden zu helfen, oder wegzuschauen, wenn heimliche Liebhaber in ihrer Kammer auftauchten (Polyxena war sich sicher, dass Helenas Charakter sich nicht verändern würde, nur weil sie wieder in Sparta war).
Plötzlich war sie unheimlich wütend – wütend auf Paris, auf Priamos, auf Hektor, auf sie alle. Auf all die Männer, die sie eigentlich hätten beschützen sollen, sie aber stattdessen verlassen hatten. Und diese Wut mischte sich mit Eifersucht. Denn diese Männer waren jetzt tot, während sie versklavt werden würde. Männer hätten darum gewetteifert, sie als Ehefrau zu gewinnen, und jetzt würde ihr Besitzer sie schwängern, oder ein anderer Sklave, und es gab nichts, was sie tun könnte, das zu verhindern. Ihre Nachkommen hätten königlichen Rang haben sollen. Nun würden sie stattdessen der niedrigsten gesellschaftlichen Schicht überhaupt angehören: in Knechtschaft geboren. Und die Scham musste Polyxena ganz alleine tragen.
Sie wusste, dass ihre Mutter, ihre Schwester, Andromache und die anderen trojanischen Frauen ihr Schicksal teilten, aber keine von ihnen würde bei ihr sein und sie trösten können, genauso wenig wie sie den anderen tröstende Worte schenken konnte. Diese Grausamkeit war typisch für die Griechen. Wenn der Krieg umgekehrt verlaufen und die Trojaner über das Meer gefahren wären, um eine hellenische Stadt zu belagern, hätten ihre Verwandten die Griechen genauso behandelt wie die Griechen die Trojaner. Auch sie hätten die Männer umgebracht und Frauen und Kinder versklavt. So war das eben, wenn man einen Krieg gewann. Aber, auch wenn diese Frauen und Kinder ihre Freiheit verloren hätten, so wären sie zumindest zusammengeblieben. Sie hätten einander Trost spenden können. Die Griechen dagegen kamen aus so vielen Städten und von so vielen Inseln, dass jede einzelne trojanische Frau aus den Überresten ihrer Familie gerissen werden würde. Im Stillen rief Polyxena einen Fluch auf die Griechen herab und wandte sich dann an Menelaos, der schweigend neben ihr ging und auf dem unebenen Sand auf einem Bein ein wenig hinkte.
»Zu welchem Griechen bringt Ihr mich?«, fragte sie. Ihr Griechisch klang gestelzt, sehr förmlich. Menelaos sagte nichts, und einen Moment lang dachte sie, er hätte sie nicht gehört, oder sie hätte sich nicht verständlich genug ausgedrückt.
»Ich habe gefragt, wohin Ihr mich bringt«, wiederholte sie.
»Ich schulde einer Sklavin keine Antwort«, gab er zurück. Sie spürte, wie sich ihre Wangen röteten, blieb aber ruhig.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr zu feige seid, einer machtlosen Sklavin zu sagen, was ihre Zukunft bringen wird«, sagte sie. »Mein Bruder Hektor hat gut von Euch gesprochen. Er sagte, Ihr wärt ein mutiger Mann.«
Sie lächelte nicht, als sie sah, wie er sich aufrichtete und den Kopf ein wenig höher trug. Als ob Hektor je etwas dergleichen gesagt hätte. Alle – Griechen und Trojaner – wussten, dass Menelaos ein Trampel war, ein Mann, der keinen Weinkrug wegstellen konnte, ohne ihn vorher bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken zu haben. Der seinen Wein jeden Abend bis spät in die Nacht hinein mit zu wenig Wasser trank, und der sich laut fragte, warum seine Frau ihn verlassen hatte, während seine Freunde die Antwort hinter vorgehaltener Hand flüsterten. Sein Bruder Agamemnon war weniger bemitleidenswert, dafür aber launischer, hatten die Trojaner gesagt. Keiner der beiden war nach trojanischen Maßstäben ein guter König, aber die Griechen waren vermutlich weniger anspruchsvoll.
»Ich bin kein Feigling«, antwortete er. »Ich habe den kürzesten Strohhalm gezogen und meine Pflicht getan, so, wie es der Rat der Griechen gestern Abend beschlossen hat. Ich habe dich von deiner Familie geholt, und werde dich jetzt zu Neoptolemos bringen.«
Polyxena unterdrückte ein Schaudern. In Troja hatte man Achill als den großen Krieger gefürchtet, der er war: schneller und tödlicher als ein Berglöwe. Aber auch seine bösartige Natur war die eines Löwen. Er hegte keinen Groll gegen die Trojaner oder die anderen Opfer, die er alle wie Weizenhalme niedermähte, jedenfalls war das so gewesen, bevor Hektor Patroklos getötet hatte. Sie waren einfach wie Beute für ihn, und er schlachtete sie ab, weil er dazu geboren war. Dasselbe konnte man von seinem Sohn nicht behaupten.
Neoptolemos war bei Trojanern und Griechen gleichermaßen gefürchtet. Er war unberechenbar und mürrisch. Er trug die Last eines Mannes, der wusste, dass er nie so bedeutend wie sein Vater werden würde. Es war Neoptolemos gewesen, der Polyxenas Vater, Priamos, niedergestreckt hatte, während der sich am Altar im Tempel des Zeus festgeklammert hatte. Was war das für ein Mann, der den König der Götter so wenig fürchtete, dass er sein Heiligtum nicht würdigte? Das Einzige, was Polyxena sicher wusste, war, dass Neoptolemos für diese Gotteslästerung bestraft werden würde. Thetis selbst wäre nicht in der Lage, ihren Enkelsohn vor Zeus’ Zorn zu schützen, wenn es so weit war.
»Ihr fürchtet ihn mit Recht«, sagte Menelaos. »Aber Neoptolemos wird Euch nicht lange behalten. Ihr seid ein Geschenk für seinen Vater.«
»Sein Vater ist tot«, sagte sie. Und dann verstand sie, was mit ihr passieren würde. Sie sandte ein stilles Dankgebet an Artemis. Unzählige Male hatte sie sich gesagt, dass sie lieber sterben würde, anstatt als Sklavin zu leben. Und ihr Gebet war erhört worden. Sie fügte ihrem Gebet die Hoffnung hinzu, dass ihre Mutter nie erfahren möge, dass ihre jüngste Tochter – die letzte, die noch alle Sinne beisammenhatte – bald das Schicksal ihres jüngsten Sohnes teilen würde. Ein Kind war der Geldgier der Griechen zum Opfer gefallen, das andere der Gier nach Blut.
Wobei sie ihre Mutter vielleicht falsch einschätzte. Hekabe war eine stolze Frau, die das Joch der Sklaverei schon für sich selbst verabscheute, und erst recht für ihre Kinder. Vielleicht wäre sie erleichtert, wenn sie wüsste, dass Polyxena tot war statt versklavt, froh, dass die Schande sie allein betraf und nicht weiter durch Generationen von Priamos’ Kindern sickern würde. Und sicher würde ihre Mutter weniger trauern, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter bereitwillig in den Tod gegangen war. Polyxena lief weiter vor den Soldaten her, neben Menelaos. Niemand würde sie feige nennen.
Es waren weniger Soldaten da, als sie erwartet hatte. In ihrer Vorstellung hatte sie sich ein hohes Podium ausgemalt, eine Horde Priester in zeremonieller Kleidung, eine riesige Schar an Griechen, die alle darauf warteten, dass die Opferung schnell abgeschlossen war, damit sie essen und trinken und sich auf die morgige Abreise vorbereiten konnten. Aber als sie im Lager der Myrmidonen ankam, war es dort viel verlassener als sie gedacht hatte. Sie sah ein paar kleine Zelte, zusammengeflickt und salzverkrustet. Hatte Briseis hier geschlafen? Die Frau, die die ganze griechische Armee aufgehalten hatte, weil Achill sich geweigert hatte, zu kämpfen, bis sie zurückgebracht worden war. War sie noch hier, jetzt, wo Achill tot war? Hatte er sie an seinen Sohn vererbt oder einem seiner Leutnants geschenkt? Ihre Neugier überraschte Polyxena. Es war seltsam, sich für das Schicksal einer Frau zu interessieren, wenn das eigene bald so ein abruptes Ende finden würde. Doch sie merkte, dass sie sich für diese Frau interessierte, auch wenn sie ihr nie begegnet war. Sie ertappte sich dabei, wie ihr Blick von Gesicht zu Gesicht huschte, auf der Suche nach dem Antlitz einer Frau, die den Verlauf eines Krieges beeinflussen konnte. Aber keine der Frauen, die sie sah – weder Marketenderinnen noch Sklavinnen – hatte derartige Gesichtszüge. Polyxena war sehr enttäuscht, ohne recht zu wissen, warum. Und dann wurde ihr klar, dass sie an Briseis’ Stelle auch nicht dabei zusehen könnte, wie ein Mädchen wie eine Färse geopfert wurde. Auch sie hätte sich versteckt.
Menelaos rief etwas, das sie nicht verstand und ein junger Mann trat aus seinem Zelt ins gleißende Nachmittagslicht. Er kniff die Augen zusammen und sah dadurch noch mürrischer aus als zuvor. Polyxena hatte gehört, dass Achill schön war: goldenes Haar und lange, goldene Gliedmaße. Doch dieser Mann hatte ein Wirrwarr aus hellbraunen Locken auf dem Kopf, die sich mädchenhaft um sein weiches Gesicht ringelten. Er hatte ein schwaches Kinn, und seine blauen Augen waren zu blass und zu klein. Er hätte trotzdem noch schön sein können – seine Haut sah aus wie Elfenbein –, wenn seine Gesichtszüge nicht so grausam gewesen wären. Sein Mund war verdrossen zusammengekniffen und seine Stirn verriet schon jetzt, dass er sie viel zu oft missbilligend runzelte. Polyxena sah sofort, warum er so rücksichtslos war: Selbst jetzt, wo er umringt von seinen Männern vor seinem Zelt stand, sah er aus wie ein kleiner Junge, der die Kleider seines Vaters trug. Aber dieser Junge war der Mann, der ihren Vater niedergemetzelt hatte, als er im Tempel des Zeus kniete.
»Ist sie das?«, fragte Neoptolemos.
»Wer soll es sonst sein?«, gab Menelaos zurück. Polyxena konnte seine Abneigung gegenüber dem Jungen deutlich hören, aber falls Neoptolemos es bemerkte, sagte er nichts dazu.
»Ich dachte, sie würde mehr Eindruck machen. Sie soll ein Geschenk für meinen Vater sein, der sein Leben in Eurem Krieg gegeben hat.«
»Sie ist eine Prinzessin Trojas«, sagte Menelaos. »Sie sind alle voll Salz und Ruß: Wir haben ihre Stadt niedergebrannt und sie am Ufer zurückgelassen.«
»Wasch dich«, sagte Neoptolemos, ohne Polyxena anzusehen. »Nehmt sie mit und gebt ihr etwas zum Anziehen, das nicht zerlumpt ist.« Zwei unscheinbare Frauen traten von ihren Soldaten weg und kamen langsam auf sie zu. Sie nickte ihnen zu – sie würde nicht schreien oder sich wehren – und folgte ihnen in eines der Zelte.
Polyxena wartete, während die Frauen in einem großen, offenen Kessel Wasser erhitzten. Von der kleineren der beiden nahm sie ein Tuch entgegen und versuchte, sich zu bedanken. Aber wo immer sie auch gefangen war, dort wurde nicht derselbe Dialekt gesprochen wie in Troja. Polyxena konnte nur nicken oder den Kopf schütteln, um sich verständlich zu machen. Sie tauchte den Lappen in warmes Wasser und fuhr sich damit über ihre Haut. Es war eine Erleichterung, den fettigen Ruß loszuwerden. Das Bad dauerte länger als jedes andere, das sie zuvor genommen hatte. Die Frauen warteten geduldig, schauten aber ab und zu ängstlich zum Zelteingang, als warteten sie auf einen plötzlichen Wutanfall von Neoptolemos. Als diese Blicke immer häufiger wurden, beeilte sich Polyxena, den geschwärzten Lappen schneller auszuwaschen.
Schließlich stand sie sauber da, und eine der Frauen hielt ihr ein Fläschchen Öl hin. Sie nahm es dankbar an und rieb sich damit ein. Dann öffnete die größere Frau eine Truhe und faltete ein weißes Kleid auseinander, das mit roten und goldenen Stickereien verziert war. Es war so paradox, dass Polyxena fast auflachte: wie eine perfekte Blume in einem Meer aus Schlamm. Sie hob die Arme, und die Frauen halfen ihr in das Festgewand. Es war das letzte Mal, dass sie ein neues Kleidungsstück anziehen würde, und sie hatte Frauen, die ihr dabei halfen, genau wie in Troja. Wieder sandte sie ein Dankgebet zu Artemis, weil sie sie vor dem entwürdigenden Dasein als Sklavin bewahrte. Es war besser zu sterben, als so zu leben wie diese Frauen, die bei jedem Windstoß zusammenzuckten.
Sie bedeutete den Frauen, ihr dabei zu helfen, ihr Haar zu lösen. Keine der beiden bot ihr einen Kamm an, also fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar. Es würde über ihre Schultern und an ihrem Rücken hinabfließen. Seine dunkle Farbe auf dem weißen Kleid würde sie auffällig schön machen. Sie hatte keinen Schmuck, aber die Stickereien glichen das aus. Sie nahm das schmale Lederband, das sie sich an ihrem letzten Morgen in Troja ins Haar gebunden hatte, und legte es zur Seite. Sie knüpfte ihre Sandalen auf und legte sie daneben. Sie hatte keine Verwendung mehr für diese letzten Dinge, die sie noch mit ihrem alten Leben verbanden. Es war angebracht, sie zurückzulassen.
Sie nickte den Frauen zu, um zu zeigen, dass sie bereit war, und sie beeilten sich, den Zeltvorhang zu öffnen. Dann traten sie zurück und hielten den häufig geflickten Stoff zur Seite, damit er Polyxenas Kleid nicht berührte. Sie trat hinaus ins gleißende Licht, das ihr aber keine Tränen in die Augen trieb. Ein Soldat sah sie und murmelte seinem Kameraden etwas zu, der sich umdrehte und mit einem anderen Myrmidonen sprach. Während sie zusah, stellten sie sich in einer Reihe auf. Der, der ihr am nächsten stand, gab ihr einen Wink, und sie machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu. Er nickte und machte ein beruhigendes Schnalzgeräusch mit seiner Zunge, als wäre sie ein Tier. Als sie ihn erreichte, trat er zurück und nickte unablässig, damit sie ihm folgen würde. Sie konnte den Blick nicht von seinen dunklen Augen abwenden, und die Geräusche des Lagers, der Anblick der anderen Soldaten, die sie anstarrten, und sogar deren säuerlicher Geruch schienen vor ihr zurückzuweichen. Sie konzentrierte sich ganz auf seine Ochsenaugen.
Er kam langsam zum Stehen und hob die Hand, damit auch sie stehenblieb. Die Männer hinter ihr hatten die Reihe aufgelöst und bildeten nun einen engen Halbkreis. Aber das bemerkte sie nicht. Genauso wenig fiel ihr auf, dass der Rest der Myrmidonen den Kreis vor ihr vervollständigt hatte. Sie sah nur die Augen des Mannes, und als er ihr ein letztes Mal sanft zunickte und beiseitetrat, sah sie nur noch rotes Haar und eine funkelnde Klinge.