Freitagseuphorien
Am nächsten Morgen wache ich in Federicos Armen auf und blinzele auf meinen Radiowecker, der in wenigen Minuten sein Alarmsignal senden wird. Vorsichtig löse ich mich aus der liebevollen Umklammerung und stelle das kleine elektronische Teil ab, damit Federico noch etwas schlafen kann und nicht in aller Herrgottsfrühe aus seinen Träumen gerissen wird. Doch ehe ich mich versehe, schlägt er ebenfalls die Augen auf und lächelt mich an.
„Ist die Nacht schon vorbei? Schade!“, murmelt er und atmet einmal tief ein.
„Ja, leider“, gebe ich leise zurück und hauche einen Kuss auf seine Stirn. „Ich muss langsam aufstehen und mich für die Arbeit fertigmachen. Bleib ruhig liegen und schlaf dich aus. Heute ist Freitag, da bin ich gegen vierzehn Uhr wieder zu Hause.“
„Nee, jetzt bin ich wach. Geh du duschen, ich mach für uns Kaffee. Hinlegen kann ich mich immer noch, wenn du weg bist. Also, sofern ich es wirklich darf.“
„Du darfst alles!“, erkläre ich Federico. „Fühl dich einfach so, als wäre es deine eigene Bleibe. Und gegen das Kaffeekochen habe ich überhaupt nichts. Bin dann mal im Bad, bis gleich.“
Rasch drücke ich meine Lippen auf die seinen und krieche anschließend aus dem Bett. Ich beeile mich ein wenig mit meinem allmorgendlichen Pflegeritual, damit ich noch ein bisschen mehr Zeit mit Federico verbringen kann, bevor ich mich auf den Weg ins Büro machen muss. Als ich fertig bin und mich in Richtung Küche begebe, steigt mir bereits frischer Kaffeeduft in die Nase, was mich augenblicklich gut gelaunt stimmt, obwohl ich mich beherrschen muss, nicht sofort schwach zu werden, da Federico komplett nackt für den koffeinhaltigen Wachmacher gesorgt hat.
„Ui, das nenne ich mal einen heißen Anblick“, raune ich heiser und spüre, wie mein Herz zu klopfen beginnt.
„Gefällt dir, was du siehst?“, kontert er frech und grinst mich breit an.
„Und wie! Wenn ich nicht gleich losmüsste, würde ich dich glatt an Ort und Stelle vernaschen.“
„Schön zu hören! Vielleicht erwarte ich dich ja nachher in der gleichen Aufmachung, also heute Nachmittag.“
„Keine schlechte Idee. Eine solche Vorfreude stimmt mich ziemlich euphorisch. Oh man, jetzt werde ich mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren können.“
Federico zuckt mit den Schultern, lächelt abermals und reicht mir einen Becher des schwarzen Heißgetränks.
„Genieß ihn. Er ist mit Liebe zubereitet.“
„Danke! Aber sag mal, hättest du nachher Lust, mit mir gemeinsam zu meiner Mutter zu fahren? Dann könnten wir uns dort noch einmal über die gestrigen Geschehnisse unterhalten. Also, falls du das möchtest.“
„Zu deiner Mutter? Gern! Also nachdem wir uns hier ausgiebig begrüßt haben, falls du verstehst, was ich meine. Ob ich allerdings über meine Familie sprechen will, weiß ich nicht genau. Es verschafft mir kein gutes Gefühl, obwohl mir ja klar ist, dass ich mich dem Problem stellen muss. Aber glaub mir bitte, dass die letzte Nacht für mich wirklich unbeschwert und etwas ganz Besonderes war. Es waren Stunden, in denen es meine Familie eigentlich gar nicht gab. Endlich kann ich der sein, der ich bin, und muss mich nicht in meinem Zimmer als Sohn eines italienischen Restaurantbesitzers, der kein eigenes Leben haben darf, verstecken. Daher ist es sogar vielleicht richtig, dass ich da raus bin. Früher oder später hätte das eh nicht mehr funktioniert. Also letztendlich ist es gut, dass alles genauso passiert ist. Ich trauere dem Leben dort momentan nicht nach und bin dir so unendlich dankbar, dass du mich hier vorübergehend aufgenommen hast.“
„Vorübergehend? Du kannst bleiben, solange du willst. Ich bin froh, dass du hier bist. Also. Und dein Kaffee schmeckt hervorragend. Wie hast du das Aroma hinbekommen? Hast du irgendeine andere Einstellung an dem Gerät vorgenommen oder heimlich die Bohnen getauscht? Was hast du gemacht? Erzähl!“
„Habe ich doch schon gesagt, ist mit Liebe gekocht!“
Nachdem ich meinen Kaffeepott geleert habe, greife ich nach meinen Sachen, schnappe mir den Wagenschlüssel, weil ich mit dem Auto fahren muss, da ich sonst eventuell nicht mehr pünktlich auf der Arbeit erscheinen würde, verabschiede mich mit langen, heißen Kuss von Federico und haste nach draußen. In meinem Inneren tobt ein wahres Feuerwerk an Glückshormonen, ich fühle mich dermaßen unbeschwert und leicht, dass ich beinahe schreien möchte, was ich logischerweise unterlasse, um nicht in der Psychiatrie zu landen.
Ein paar Stunden später stelle ich fest, dass ich so glücklich durch den Tag geschwebt bin, dass selbst Fee überrascht war. Obwohl Federicos Lage sicher nicht übermäßig prickelnd ist, so ist er trotzdem bei mir und ich freue mich seit dem Abschied am Morgen darauf, ihn am Nachmittag wiederzusehen. Du bist echt verrückt, Andreas Dahlmann, komplett gaga! Verliebt wie ein Teenager, aber so what, ich liebe und werde geliebt, das ist alles, was für mich gerade zählt, die übrigen Dinge biegen wir schon irgendwie hin.
Kaum bin ich wieder zu Hause angekommen, da stelle ich fest, dass Federico sein Versprechen prompt in die Tat umgesetzt hat und mich tatsächlich im Adamskostüm begrüßt, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt, sodass wir erst gegen sechzehn Uhr zu meiner Mutter aufbrechen können. Dort habe ich uns bereits vormittags telefonisch angemeldet, vor allem wollte ich sie auch darüber informieren, dass Federico nun zunächst bei mir bleiben wird, was meine Ma allerdings nicht sonderlich zu überraschen schien.
„Hier bist du also aufgewachsen“, stellt Federico anerkennend fest, als wir den Wagen abgestellt haben und auf das Haus meiner Eltern zugehen. „Ein tolles Anwesen, sehr einladend.“
Noch ehe ich darauf antworten oder gar meinen Schlüssel zücken kann, öffnet sich die Haustür und meine Mutter erwartet uns mit einem strahlenden Lächeln.
„Da seid ihr ja, kommt schnell rein, der Grill ist schon an.“
„Ist Papa etwa auch da?“, erkundige ich mich überrascht, was meine Mutter mit einem Kopfschütteln verneint.
„Nee, aber ich kann das genauso, mein Junge. Und du bist also der Federico. Schön, dich kennenzulernen, obwohl wir uns ja bereits einmal im Restaurant gesehen haben. Ich darf doch Federico sagen?“
„Natürlich, Frau Dahlmann“, stimmt der so Angesprochene sofort zu, was zur Folge hat, dass meine Mutter einmal kurz das Gesicht verzieht und nochmals den Kopf schüttelt.
„Hör bloß auf mit Frau Dahlmann, ich heiße Marita. Und nun seht zu, dass ihr auf die Terrasse geht, ich hole nur schnell ein paar Getränke aus der Küche. Ich denke, bei dem wunderbaren Wetter dürfen es bestimmt kalte sein, oder? Und alkoholfrei ist sicher auch besser.“
„Alles gut, Mum“, unterbreche ich meine Mutter lachend und schiebe Federico einfach durch Flur und Wohnzimmer nach draußen, wo über dem Grill inzwischen leichte Rauchwolken zu erkennen sind. Die Kohle scheint also durchgeglüht zu sein.
„Wow, das kommt mir alles ganz schön groß vor“, flüstert Federico an meinem Ohr. Er scheint aus irgendeinem Grund beeindruckt zu sein, obwohl sein Elternhaus sich hinter meinem garantiert nicht zu verstecken braucht.
„Kann sein, Führung machen wir dann später, also wenn du willst“, gebe ich zur Antwort und sehe meiner Mutter entgegen, die in diesem Moment zu uns tritt und uns eisgekühlte Getränke reicht.
„Nun, Federico, ich hoffe, du fühlst dich in Andreas’ Wohnung einigermaßen wohl, sonst kannst du auch gern hier einziehen. Platz haben wir genug.“
„Vielen lieben Dank, Andreas hatte mir gestern Abend schon von diesem großzügigen Angebot erzählt. Wirklich sehr lieb, aber Sie kennen mich doch gar nicht.“
„Jetzt lass doch mal dieses blöde Sie weg, ich fühle mich sonst echt verflucht alt. Und ich muss dich nicht kennen, mein Sohn kennt dich und es sieht so aus, als würde er dich von Herzen mögen, das reicht mir und meinem Mann vollkommen. Aber mal im Ernst, ich weiß zwar von Andreas, dass du eigentlich nicht darüber reden willst. Doch eine Frage möchte ich dir trotzdem stellen. Wenn du partout nicht willst, brauchst du sie natürlich nicht zu beantworten. Kann man deinen Vater wirklich nicht davon überzeugen, dass es absolut egal ist, wen man liebt, Hauptsache, man ist überhaupt dazu in der Lage?“
Mit gesenktem Blick schüttelt Federico den Kopf.
„Ist schon okay. Schweigen bringt eh nichts. Ich hatte heute Vormittag genug Zeit zum Nachdenken. Meinetwegen können wir ruhig darüber sprechen. Ich fürchte, dass mein Vater seine Meinung sicher nicht ändern wird. Dafür ist er zu traditionell, ganz der stolze Italiener. Der Name darf nicht aussterben, der Laden muss weitervererbt werden, bla, bla, bla!“
„Dann sollte ihm mal ganz schnell jemand erklären, dass der Name sogar von zwei Männern weitergegeben werden kann. Ebenso wie jeder auf Wunsch auch seinen eigenen bei einer Hochzeit weiterführen darf, es homosexuellen Eheleuten erlaubt ist, ein Kind zu adoptieren und so weiter. Ja, ich denke, es ist Zeit für ein wenig Aufklärungsarbeit. Und deshalb schlage ich vor, wir essen erst mal was, genießen noch ein wenig die Sonne und danach statten wir dem Restaurant in der Steinstraße mal einen Besuch ab. Wäre doch gelacht, wenn es uns nicht gelingen sollte, den sturen Herrn zu bekehren. Einverstanden?“