Buon Natale – Plötzlich Amore
Die Zeit rennt wie verrückt, der Herbst ist inzwischen wie im Flug vergangen und Federico und ich verstehen uns von Tag zu Tag besser. Ich bin richtig glücklich mit ihm und kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Offensichtlich scheint es Federico genauso zu ergehen, zumindest bestätigt er es mir gern und oft.
Heute ist der Erste Weihnachtstag und wir sind, einschließlich meiner Eltern, bei den Rossis im großen Saal zum Essen eingeladen. Es war der ausdrückliche Wunsch des Patriarchen, der komischerweise in den letzten Wochen gar nicht mehr so bestimmend wirkte, wie ich vom Hörensagen weiß. Federico hat mir in letzter Zeit sehr häufig berichtet, wie freundlich sein Vater ihn während des Dienstes doch wieder behandelt hat. Rossi senior muss tatsächlich über sein Verhalten nachgedacht haben und zu der Entscheidung gekommen sein, seinen Sohn so zu akzeptieren, wie er ist — schwul und für alle sichtbar in mich verliebt. So, wie ich in ihn.
Gähnend stehe ich nun vor dem Waschbecken, schaue in den Spiegel und trage etwas Rasierschaum auf, um für glatte Gesichtshaut zu sorgen. Ehrlich gesagt, sehe ich heute Morgen etwas zerzaust aus, weil die letzte Nacht sehr kurz war. Federico und ich konnten wieder mal die Finger nicht voneinander lassen und haben unser Bett eher dazu genutzt, uns gegenseitig zu verwöhnen anstatt zu schlafen. Doch diese Stunden waren einfach genial und ziemlich heiß, daher entdecke ich trotz meiner Müdigkeit ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen.
Während ich die letzten Bartspuren von meinem Kinn entferne, bemerke ich, dass Federico sich zu mir ins Bad gesellt, sich hinter mich stellt, mich in den Arm nimmt und gemeinsam mit mir in den Spiegel schaut. Er sieht mich so verliebt an, dass ich Mühe habe, diese Situation trockenen Auges zu überstehen, der eine oder andere Seufzer entflieht mir jedoch.
„Ich hätte niemals geglaubt, dass wir beide jemals ein solches Weihnachten erleben können. Deine Eltern gemeinsam mit uns und meinen Eltern nebst Nonna an einem Tisch, der wahrscheinlich dazu noch festlich geschmückt ist. Und das alles in Eintracht. Das ist so herrlich. Und weißt du, wem ich das zu verdanken habe?“, flüstert Federico an mein Kinn, während er seins auf meiner Schulter platziert hat.
Ich nicke, aber zucke zugleich mit den Schultern, weil ich jetzt nicht genau aus seiner Aussage erkennen kann, ob er nun mich oder meine Mutter damit meint.
„Ich sage es dir, Andrea!“, flüstert er weiter und haucht mir meinen Namen mal wieder mit rollendem R in die Ohrmuschel, was mir, wie jedes Mal, eine Gänsehaut beschert. „Dir und deiner Mutter! Ihr habt mich befreit aus einer Art Familiengefängnis, ihr habt den Bann gebrochen, durch eure Beständigkeit und Liebe dafür gesorgt, dass alte Geheimnisse gelüftet wurden, und meinen Vater zur Besinnung gebracht. Dafür bin ich euch auf ewig dankbar. Danke, dass du mich liebst und nicht hast fallenlassen. Außerdem weiß ich mittlerweile, warum du deine Mutter als Goldstück bezeichnet hattest. Ein besserer Ausdruck würde mir auch nicht einfallen.“
„Wie könnte ich dich jemals im Stich lassen?“, antworte ich fragend und nun kann ich es wirklich nicht mehr verhindern, dass mir ein paar Tränen über die Wangen laufen. „Du warst vom ersten Augenblick an genau der Mensch, den ich wollte. Egal, was auch jemals passiert wäre, ich hätte immer an deiner Seite gestanden. So wie jetzt und wahrscheinlich noch in fünfzig Jahren. Es war halt Plötzlich Amore , mein Schatz. Dagegen ist man machtlos.“
„Plötzlich Amore!“, wiederholt Federico heiser und grinst in den Spiegel, während er nach wie vor seine Arme fest um mich geschlungen hat. „Das gefällt mir. Ich liebe dich, Andrea! Und nun ist es wohl besser, wenn wir uns beeilen. Nonna mag keine Unpünktlichkeit.“
„Oh!“, entfährt es mir. „Dann sollten wir wirklich Gas geben, mit der Frau möchte ich keinen Ärger.“
„Im Grunde ihres Herzens ist sie aber gutmütig und liebevoll, nur wenn sie böse wird, ist mit ihr nicht zu spaßen.“
Grinsend schnappt sich Federico ebenfalls seinen Rasierapparat, um den kleinen Bart, den ich so sehr liebe, sorgfältig zu stutzen, bevor er unter die Dusche springt, etwas, das ich bereits vorher erledigt habe.
Unter Lachen und Necken kleiden wir uns anschließend an und machen uns auf den Weg zum Restaurant, vor dessen Tür wir pünktlich stehen und mit einem Klopfen auf uns aufmerksam machen, denn an diesem Tag ist das Lokal geschlossen, wie ein Schild am Eingang besagt.
„Habe ich dir eigentlich erzählt, dass das tatsächlich eine Premiere ist?“, flüstert Federico mir zu. „Das Restaurant war an einem Feiertag bisher noch nie zu, es scheint ihm wirklich unglaublich wichtig zu sein, dass wir heute alle zusammen feiern.“
„Nun, ich denke, DU bist ihm wichtig, wie könnte er da anders handeln, immerhin sieht es so aus, als würde er dich doch lieben. Das hat er sicher von jeher getan, er konnte wohl bloß nicht aus seiner Haut heraus. Mir jedenfalls gefällt es, dass jetzt Frieden herrscht, denn obwohl es sicher ohne ihn geht, zusammen mit der Familie ist es eben doch schöner, meinst du nicht?“
„Kommt ihr nun endlich rein oder wollt ihr draußen essen?“, ertönt plötzlich die Stimme von Federicos Mutter neben uns. „Hinten ist doch offen, ihr hättet …“
„Nein, Mama, hätten wir nicht ohne Aufforderung“, unterbricht Federico seine Mutter, die sich ziemlich verändert hat. Sie wirkt deutlich gelöster als noch im Sommer und auch ihre Haltung scheint um einiges selbstbewusster zu sein als früher. Ob das alles nur an der Standpauke Nonnas gelegen hat? Egal, wir folgen der Hausherrin und betreten gleich darauf den Saal, in dem bereits alle anwesend sind, inklusive meiner Eltern. Zunächst begrüßen wir jeden einzeln, wobei sogar Rossi senior seinen Sohn in die Arme zieht, was sich dieser überrascht gefallen lässt. Ich mustere Federico verstohlen und entdecke, dass er dermaßen locker wirkt, wie ich ihn bisher selten gesehen habe. Obwohl er es stets abgestritten hat, das Zerwürfnis mit seinem Vater hat ihn offensichtlich doch belastet, von daher bin ich deutlich erleichtert, dass das nun beigelegt ist und nicht nur der Weihnachtsfriede einkehrt, sondern auch die väterliche Liebe wieder die Oberhand gewonnen hat.
Kaum, dass wir alle am Tisch Platz genommen haben, erhebt sich Giovanni, klopft an sein Glas und schaut aufmerksam in die Runde.
„Keine Sorge, ich bin kein großer Redner“, beginnt er und räuspert sich, man kann erkennen, dass es diesem stolzen Mann nicht leichtfällt, das über die Lippen zu bekommen, was er zu sagen hat. „Liebe Familie, liebe Gäste und vor allem, geliebter Sohn. Ich kann gar nicht mit Worten ausdrücken, wie froh ich bin, dass wir heute hier alle zusammensitzen können. Ich weiß, ich habe Fehler gemacht und mächtig darunter gelitten, habe anderen Menschen unnötig das Leben schwer gemacht und erst das Machtwort meiner Mutter hat mich aus diesem Trott gerissen. Ich verspreche hiermit, und das unter Zeugen, dass ich daraus gelernt habe und unglaublich stolz und zufrieden bin, meinen Sohn so glücklich zu sehen, wie er meines Wissens vorher noch nie war. Und das verdanke ich nicht zuletzt dir, Andrea.“
Auch Federicos Vater rollt das R, logisch, aber es klingt trotzdem ganz anders, als wenn mein Schatz das tut.
„Und deswegen, lieber Andrea, bitte ich dich, nenn mich ab sofort Giovanni, denn ich habe begriffen, dass es wunderbar sein wird, wenn ich irgendwann hoffentlich einen Sohn hinzugewinne. Magst du das tun?“
Mit fast flehendem Blick sieht Giovanni mich an. Ich erhebe mich, nehme mein Getränk mit und gehe ein paar Schritte, bis ich vor ihm stehe.
„Auf eine glückliche Zukunft, Giovanni, und darauf, dass Liebe immer gewinnt, weil Liebe niemals fragt, sondern einfach ist“, erwidere ich und hebe ihm mein Glas entgegen, um darauf anzustoßen.
Giovanni schaut mich an und ich entdecke Feuchtigkeit in seinen Augen, bevor er mich ohne Umschweife in die Arme zieht. Über seine Schulter hinweg sehe ich meine Mutter lächeln, Rosalia schniefen und Nonna — ja, die nickt befriedigt und schaut mit weichem Blick zu Federico, dem die Tränen über die Wangen kullern. Es ist wahr, Liebe ist alles und wenn das dann noch am Fest der Liebe so richtig klar wird, kann das Leben wirklich nur schön sein. Und ganz plötzlich klopft mein Herz einen Namen — Fe-de-ri-co, Fe-de-ri-co, Fe-de-ri-co. Für immer und einen Tag.