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Ich dachte, wir wären Gefährten.

Sophie blieb im Garten zurück, nachdem Ephraim davongestürmt war. Die Wahrheit seiner Worte hallte durch sie, erschütterte sie bis ins Knochenmark.

„Fuck!“, fluchte sie und presste ihre Fingerknöchel gegen die Zähne.

Das konnte nicht passieren. Sie konnte keinen Gefährten haben, nicht jetzt… nicht ihn. Vor sechs Monaten hatte sie aktiv nach einem Lebenspartner gesucht und war Tagträumen über das Leben mit einem Gefährten und von Hochzeitsglocken nachgehangen. Sie wünschte sich eine große Hochzeit im Stil der Menschen, zusätzlich zu einer Wiccan-Zeremonie und was auch immer die Traditionen ihres Gefährten sein mochten.

Und Ephraim entsprach ihrem bevorzugten Typ Mann bis in die Haarspitzen. Seine große, feingeschliffene Gestalt, glatten dunklen Haare und leuchtenden gelb-grünen Augen entzündeten jedes Nervenende in ihrem gesamten Körper. Zur Hölle, vor sechs Monaten wäre Sophie direkt auf ihn zugegangen und hätte ihn gebeten, sie augenblicklich ins Bett zu bringen.

Doch die Sophie von vor sechs Monaten hatte nicht den Verlust erleiden müssen, mit dem die gegenwärtige Sophie zu kämpfen hatte. Und keine noch so große Freude konnte die Probleme aus der Welt schaffen, die in ihrer momentanen Lage präsent waren.

Probleme, wie beispielsweise: was passiert, wenn dein Gefährte auch dein Sklave ist?

Sophie glaubte, sie würde tatsächlich in Ohnmacht fallen. Sie lief zu dem hohen Holzzaun, der den Garten des Herrenhauses umgab und setzte sich, wobei sie sich gegen den Zaun lehnte, während sie ihr Gesicht in den Armen vergrub.

Zum ersten Mal, seit sie Papa Aguiels Namen erfahren hatte, überwältigte sie das schiere Ausmaß ihrer Aufgabe und ein Schluchzen entriss sich ihrer Kehle.

Was zum Geier hatte sie getan, um das zu verdienen? Zuerst wurde Lily aus ihrem Leben gerissen, jetzt wurde ihr ein Gefährte gegeben, den sie niemals haben konnte? Denn wenn Sophie sich erst einmal genommen hatte, was sie von ihm wollte, würde sie tot sein oder zumindest so von dunkler Magie verdorben, dass sie nie wieder in dieses Reich zurückkehren und im Licht leben konnte.

Sie schnappte mehrmals nach Luft und versuchte, rational zu denken.

Es gab mehr als eine Art von Schicksal, oder nicht? Vielleicht war er ja vom Schicksal zu ihr geführt worden, damit er ihr half Papa Aguiel zu vernichten. Vielleicht war es Sophie einfach nicht bestimmt, einen romantischen Gefährten zu haben. Stattdessen hatte das Schicksal ihr den Mann geschickt, den sie am meisten brauchte, und ihn an sie gebunden, um ihr die Mission zu erleichtern.

Wenn Ephraim sich heftig und schnell verliebte, so wie er es gemäß den Geschichten über Schicksalsgefährten tun sollte, dann würde er immerhin tun, worum sie ihn bat… ganz gleich, was sie von ihm verlangte. Vielleicht würde er sie nicht einmal anzweifeln und ihr einfach den Weg frei räumen, damit sie ihr Ziel erreichen konnte.

Ihre Schwester rächen, die Welt retten.

Ein kaltes Lachen sprudelte über ihre Lippen.

Ist das alles?, fragte sie sich. Bloß die Rettung der Menschheit, keine große Sache.

Ihre Hand in die Jackentasche schiebend, kramte sie die Schlüssel hervor, die Ephraims gesamtes Leben diktierten. Sie wurden in ihren Händen erneut warm, was ihr einen Schauder über das Rückgrat jagte.

Was wird nur aus dir?, fragte eine kleine Stimme, aber Sophie konnte, würde nicht auf sie hören. Sie stopfte die Schlüssel zurück in die Tasche ihrer Lederjacke und stand auf. Währenddessen ignorierte sie das hartnäckige Wispern.

Falsch, falsch, falsch.

Sie schob ihren linken Ärmel zurück und betrachtete abermals ihr Tattoo, dessen Linien so hell waren, dass sie im Mondlicht fast silbern wirkten. Sie holte tief Luft und suchte ihre innere Mitte.

Ein Gefährte konnte warten, aber Lilys Seele hing in der Schwebe. Ganz zu schweigen davon, dass Papa Aguiel allem Anschein nach, die Erde in Blut tränken würde… und das war nur der Anfang.

„Du tust das Richtige“, flüsterte sie bei sich und ignorierte die brennende Taubheit in ihren Lippen. „Du tust das Einzige, das du tun kannst.“

Mit diesen Worten wischte sie über ihre feuchten Wangen und richtete ihre Haare. Dann stieß sie geräuschvoll Luft aus, als ihr bewusst wurde, dass sie sich zurecht machte. Für ihn.

Denjenigen, der nicht dazu bestimmt war, ihr romantischer Gefährte zu sein, wie sie gerade erst beschlossen hatte.

Verflixt, Mädel. Reiß dich zusammen.

Sie stählte sich und ging zurück in das Haus, wo sie feststellte, dass Ephraim nicht weit gegangen war. Er stand in der Küche, seine Miene dunkel und verschlossen, und starrte nachdenklich in eine Kaffeetasse.

„Du musst eines verstehen“, sagte sie, die Nettigkeiten überspringend.

Ephraim bedachte sie mit einem neugierigen Blick, sprach jedoch nicht. Emotionen huschten wild über sein Gesicht, doch ohne ihn besser zu kennen, konnte Sophie nicht einmal hoffen, ein paar von ihnen zu erraten.

„Ich werde Papa Aguiel vernichten. Alles andere interessiert mich nicht und ich werde nicht eher aufhören, bis er tot ist… oder ich.“ Sie warf ihm die Worte hin wie einen Fehdehandschuh und forderte Ephraim stumm heraus, auch nur ein Wort gegen ihre Überzeugungen einzuwenden.

Er musterte sie einen Augenblick, in dem er ihre Worte zu überdenken schien. Dann: „Dich auf die Wächter einzulassen, ganz zu schweigen davon, zu versuchen, es mit einem Loa von Papa Aguiels Kaliber aufzunehmen… Das ist mehr als ein Risiko. Das ist ein Todeswunsch.“

Ein hässliches Lächeln verzog Sophies Lippen.

„Das habe ich schon mal gehört“, erwiderte sie.

Eine weitere lange Pause von Ephraim.

„Du weißt, was ich bin, offensichtlich“, sagte er und neigte den Kopf zur Seite. „Du könntest mich um alles bitten. Ich würde dich überall hinbringen. Wenn wir Schicksalsgefährten sind, wie wir, denke ich, beide vermuten… Bist du nicht in Versuchung, mich einfach darum zu bitten, dich von all dem wegzubringen? Das läge mehr als im Möglichen meiner Kräfte.“

Für den kürzesten aller Momente verkrampfte sich Sophies Herz so fest, dass sie kaum atmen konnte. Versuchung, beschrieb es nicht einmal annähernd.

„Ich kann nicht“, stammelte sie. „Es gibt nur eine Sache, für die ich bestimmt bin, und das ist die Vernichtung Papa Aguiels. Ich habe weder Zeit noch Raum für irgendetwas anderes in meinem Leben.“

„Warum du?“, fragte er, während seine umwerfenden Augen suchend über ihr Gesicht glitten. „Ich nehme mal an, es ist etwas Persönliches?“

Bevor sie antworten konnte, platzte Rhys in den Raum.

„Der Schleier wurde zerrissen“, schnaufte der Schotte außer Atem. „Wir fahren zum Ort des Verbrechens. Ephraim, wir hätten gern, dass du uns begleitest. Nur du, fürs Erste.“

Rhys bedachte Sophie mit einem entschuldigenden Schulterzucken und ging.

„Warte – “ Sophie versuchte, dem Wächter zu folgen, als er in Richtung Garten verschwand, stolperte stattdessen jedoch lediglich über ihre eigenen Füße. Erschöpfung siegte über Koordination und sie landete beinahe auf der Nase.

Allerdings passierte das nicht. Stattdessen wurde ihr Sturz abrupt von Ephraims kräftigen Händen an ihrer Taille gestoppt, die sie dicht an seinen Körper zogen, während er sie stützte.

„Ich hab dich“, sagte er und drückte ihre Rippen sacht, als sie seine Arme packte, um ihr Gleichgewicht zu finden.

Plötzlich war Sophie an ihn gepresst und starrte direkt in diese liebreizenden Augen. Etwas Dunkles und Tödliches lauerte unter deren Oberfläche, kaum verborgen. Aber auch noch etwas anderes. Etwas…

Sophie leckte über ihre Lippen, während ihre Augen auf seinen Mund sanken und sie musste sich mit aller Kraft davon zurückhalten, nicht näher an ihn heranzurücken und seinen männlichen Duft tief einzusaugen.

„Warum wir?“, wunderte sie sich laut und begegnete abermals seinem Blick.

Ephraim zuckte zusammen, jeder Zentimeter seines beeindruckenden Körpers versteifte sich und er ließ sie los, als wäre sie ein glühendes Kohlestück in seinen bloßen Händen. Das Misstrauen, das ihm ins Gesicht geschrieben stand, war keine Überraschung, aber es verletzte Sophie mehr, als es sollte.

Was hast du erwartet?, schalt sie sich, während sie beobachtete, wie sich Ephraim abwandte und Rhys‘ Weg aus dem Raum folgte.

Sie hatte sich einem dunklen Pfad verschrieben. Jetzt lebte sie diese Wahrheit und es gab nichts anderes zu tun, als weiterzumachen.