Prolog
S ie würden alles tun, um ihn zu finden, denn er hatte sich genommen, was ihnen gehörte. Und das würden sie ihm nicht durchgehen lassen. So viel war sicher.
Jetzt musste er schnell sein. Alles erledigen. Sonst war sein Leben in höchster Gefahr.
Er drückte die schwere Stahltür von innen ins Schloss. So leise wie möglich. An der Außenseite der stählernen Tür war nur ein Knauf angebracht, das würde ihm Zeit verschaffen, falls sie ihm folgten.
Aber mir ist niemand gefolgt!, versuchte er sich selbst zu beruhigen.
Er ging in der Dunkelheit der Halle ein paar unsichere Schritte nach vorn. Im Sommer war der Geruch hier drinnen noch unerträglicher als sonst: abgestandene, stickige Luft. Eine Mischung aus getrocknetem Schweiß, altem Leder, Metall und Gummi, die man nahezu schmecken konnte.
Nervös tasteten seine Finger die raue Wand ab. Hier muss doch der verdammte Lichtschalter sein? Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Kein Licht! Es würde nur auf mich aufmerksam machen.
Er griff in seine Hosentasche, holte sein Handy heraus und schaltete die Taschenlampe des Gerätes ein.
Dann bahnte er sich in dem bleichen, fahlen Lichtkegel einen Weg nach hinten, zu dem Raum mit den Schränken. Dort hatte er alles sicher verstaut. Es war lange Zeit das perfekte Versteck gewesen. Aber jetzt hatte sich die Situation grundlegend geändert. Sie waren hinter ihm her und hetzten ihn. Hetzten ihre Beute.
Aber ich werde euch entkommen.
Der Lichtschein der Handytaschenlampe hüpfte mit jedem seiner Schritte über den abgenutzten Holzfußboden.
Zum Schrank. Die Ware holen. Dann nichts wie raus aus Berlin. Untertauchen, frei sein – endlich! Die ganze Scheiße hinter mir lassen. Meinem alten Herrn wird das gefallen.
Dann hörte er das Geräusch. Ein Rütteln, dann ein Schaben.
Was ist das?
Ein Kratzen, das immer lauter wurde, und dann ein Knacken. Metall bog sich. Wieder ein Knirschen. Jemand brach die Tür auf! Dann ein lautes Krachen. Ein Lichtschein fiel durch die sich langsam öffnende Stahltür in das Innere der Halle.
Noch war er in der Dunkelheit im hinteren Teil verborgen. Hastig wollte er die Handytaschenlampe ausschalten, doch das Gerät rutschte ihm aus der schweißnassen Hand, fiel krachend zu Boden.
Scheiße. Großer Fehler!
Aber wie hatten sie ihn so schnell hier gefunden?
Er hörte Schritte, suchte mit hämmerndem Herzen nach einem Versteck.
Da sprangen schon surrend die Neonröhren an der Decke an. Grelles Licht erhellte jeden Winkel der Halle.
Drei Männer starrten ihn wütend an.
»Du denkst wirklich, es wäre so leicht, uns abzuschütteln?«, rief eine tiefe Stimme zu ihm herüber.
Er kannte die Stimme. Die Familie war da. Plötzlich bereute er, ihre Macht so unterschätzt zu haben.
Die drei Männer kamen auf ihn zu. Langsamen Schrittes, ganz ohne Eile. Wie auch das unabwendbare Schicksal keine Eile hat. Nach hinten gibt es keinen Ausgang, ich sitze in der Falle. Jetzt schlau sein. Rausreden. Abstreiten. Egal, was kommt.
Doch die Männer wollten nicht mit ihm reden.
Der erste Schlag traf ihn im Gesicht. Er hörte sein Jochbein brechen, ein Krachen wie morsches Holz. Dann der nächste Schlag. Er zwang sich, nicht zu schreien. Es fiel ihm unendlich schwer.
»Wo ist es? Sag es uns, mach schon!«, forderte die Stimme, als er schon gekrümmt am Boden lag.
Er sagte nichts, schluckte den Schmerz herunter.
Dann folgten die Tritte. In seine Flanken, von oben auf seinen Brustkorb, gegen seinen Kopf, um den er schützend die Arme gelegt hatte.
Ihm wurde schwindelig, der Boden schien nach unten wegzubrechen, als wollte er ihn in die Hölle auskippen. Wenn er das hier überlebte, wenn er hier lebend rauskam, würde er Schluss machen. Aufhören. Der Vergangenheit den Rücken zukehren, ganz neu anfangen. Das schwor er sich.
Dann schleiften sie ihn brutal über den Boden. Durchhalten. Atmen. Nichts sagen .
Das Blut lief in seine Augen, ein roter Schleier verdeckte sein Blickfeld.
Sie rissen an seiner Kleidung. Sie zerfetzten sein T-Shirt. Die Schuhe, die Hose – alles rissen sie ihm vom Körper. Er versuchte, sich das Blut aus seinen Augen zu wischen. Vergeblich.
Sie hatten ihn bis auf die Unterhose entkleidet. Er konnte nicht mehr und begann zu wimmern. »Bitte! Bitte …«, flehte er.
Als würde das etwas ändern.
Ein eiserner Griff im Nacken drückte seinen Kopf auf seine Brust, zwei Hände rissen brutal seine Fußknöchel nach oben, zogen die Füße in die Luft. Die nackte Haut seines Rückens scheuerte über den harten Holzboden. Er stöhnte.
Seine Wirbelsäule schien zu bersten, als die Knie gegen sein Gesicht schlugen. Ein verzweifelter Schmerzensschrei entfuhr ihm, und er presste die Zähne fest aufeinander, dass sie zu brechen drohten.
Der Schrei trieb seine Peiniger nur an.
Sie hoben ihn hoch, stopften ihn in ein stinkendes, dunkles Etwas. Wie Fleischabfälle in einen Müllsack. Ledergeruch. Schmerzhafte Enge. Er keuchte, das Atmen fiel ihm schwer.
»Zunähen!«, befahl die tiefe Stimme.
Und der letzte Lichtstrahl verschwand.
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