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Berlin-Mitte,
Innenministerium, 4. Etage, Besprechungsraum,
Mittwoch, 30. Juli, 15:30 Uhr
D
ie Sitzung schien kein Ende zu nehmen. Lisa Suttner schaute auf ihre Rolex, ein Geschenk von Fred, das mit dem Versprechen verbunden war, die gemeinsame Zeit nicht nur im Blick zu haben, sondern sie auch zu genießen. Aber solange es Verbrechen gab, die sich an keine Arbeitszeiten hielten, war es schwer für Fred, dieses Versprechen einzuhalten. Aber auch Lisa war in den vergangenen Monaten mit Arbeit überschüttet worden.
Und nun die neue Situation, die Tatsache, dass sie schwanger war. Die sich immer wieder aufdrängende Frage, wie sich Kind und Karriere überhaupt vereinbaren ließen, oder ob sie in absehbarer Zeit ihren Job an den Nagel hängen müsste. Ob sie sich völlig aus dem Berufsleben verabschieden oder einfach nur einen ruhigen Posten in ihrer Behörde antreten würde. Auf dem Abstellgleis?
Die Delegation der Bundesanwaltschaft mühte sich seit über einer Stunde mit einer Power-Point-Präsentation in einem der Besprechungsräume ab. Die Referenten des Innenministers machten sich unentwegt Notizen und wechselten an neuralgischen Stellen vielsagende Blicke.
Der Vortragende Martin Rosner war ein Kollege aus Karlsruhe, der die Gruppe der Bundesanwälte leitete, die sich mit islamistischer Gefährdung beschäftigte. Er sprach ruhig und besonnen, ließ immer wieder eine neue Folie erscheinen, die seine Worte noch einmal
grafisch verdeutlichte. »Und so kommen wir zu dem Schluss, dass die Ergebnisse der Kollegen vom Verfassungsschutz insgesamt vier Moscheen im Bundesgebiet ausgemacht haben, die als salafistische Hotspots bezeichnet werden können. Orte, wo mögliche Anschläge geplant werden. Zwei davon befinden sich hier in der Hauptstadt, die genauen Lagebilder stellen wir zur Verfügung. Die beiden anderen liegen in Nordrhein-Westfalen.«
Ein Referent des Innenministers, ein junger Mann, der im Anzug geboren worden zu sein schien, meldete sich zu Wort, er hob den Stift, als sei er in der Schule. »Wir sollten bitte in diesem Zusammenhang das Thema Geldströme vorziehen.«
»Wir haben diverse Quellen identifiziert und versuchen zunächst, über die steuerliche Rechtslage eine Handhabe zu bekommen. Auch in Berlin sind es Gruppierungen, die in familienähnlichen Strukturen leben und die Teile ihres Geldes diesen Moscheen zukommen lassen«, schaltete sich Lisa mit ruhiger und fester Stimme ein. Das war ihr Terrain. Sie kannte alle Akten und wusste, dass sie auf diesem Gebiet selbstsicher auftreten konnte.
Der junge Mann im Anzug nickte, wirkte aber nicht wirklich zufrieden. »Es geht dem Innenministerium darum, dass wir mögliche Terror-Finanziers aus dem In- und Ausland frühzeitig ausmachen. Auch wenn potenzielle Attentäter vielleicht nicht unmittelbar in den Moscheen mandatiert werden, so sind die extremistischen Glaubenszentren der ideelle Nährboden. Da hat uns unter anderem der Fall Anis Amri ja eine bittere Lehre erteilt.«
In dem Moment war es an ihr, den Ball gänzlich aufzunehmen. Die Untersuchung und Aufarbeitung der polizeilichen Ermittlungsarbeit, die den Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche betrafen, war ihr damals persönlich vom Generalbundesanwalt übertragen worden. Lisa war auf eine Verkettung von Ermittlungspannen der Berliner Behörden gestoßen,
aus denen inzwischen alle ihre Lehren gezogen hatten. Oder es zumindest versuchten. Auch wenn das wahre Ausmaß der Ermittlungsversäumnisse und der immer noch offenen Fragen der Öffentlichkeit nicht einmal annähernd bekannt war.
»Ich kenne die gesamte Aktenlage zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz«, sagte sie mit fester Stimme in die Runde. »Wir haben das gleiche Interesse. Die Zusammenarbeit mit den Berliner Behörden ist auf einer nächsten Stufe, auch was den Kontakt mit Karlsruhe angeht, und gerade für die Hauptstadt können wir sagen, dass uns die Finanziers der hiesigen Moscheen zu großen Teilen bekannt sind«, fuhr sie fort und schaute den Referenten herausfordernd an. »Wir haben übrigens heute Morgen die aktuelle Information erhalten, dass vom LKA Berlin Ermittlungen gegen einen Berliner Gastronomen, einen Bassam Darzi, aufgenommen wurden. Er wäscht für eine libanesische Familie Geld und transferiert es zu gewissen Teilen an eine vom Verfassungsschutz beobachtete Moschee. Wenn die steuerlichen Ermittlungen abgeschlossen sind, werden wir uns auch dieser Familie widmen.«
Dem Referenten des Innenministers schien diese Antwort zu genügen. Und er machte sich demonstrativ Notizen als Zeichen dafür, dass er mit der Information etwas anfangen konnte.
Fast unmerklich nickte Martin Rosner Lisa anerkennend zu und fuhr mit seinen Ausführungen fort. »Ein weiterer Aspekt der Arbeit der Bundesanwaltschaft sind die gesamten Kommunikationskanäle islamistischer Gruppierungen. Im Folgenden werde ich unsere Erkenntnisse hierzu durchgehen …«
Lisa holte tief Luft. Denn während Rosner weitersprach, überkam sie wieder einmal ein kleiner Anflug von Übelkeit, den die Anwesenden auf keinen Fall bemerken sollten. Lisa atmete tief aus.
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