86
Berlin,
Treptowers, BKA-Einheit »Extremdelikte«, Büro Dr. Fred Abel,
Samstag, 2. August, 16:52 Uhr
N
achdem Sabine Yao, Abel und Moewig in den Treptowers eingetroffen und direkt in den im Sektionstrakt gelegenen Computertomografieraum gegangen waren, hatte Abel das CT hochgefahren und die Plastiktüte geröntgt. Es befand sich ausweislich der CT-Aufnahmen ein 15 × 10 × 5 cm messendes, in Plastikfolie eingeschweißtes Päckchen darin, das eine homogene, pulvrige Substanz enthielt.
Die Dichtemessung des pulvrigen Inhaltes hatte ergeben, dass es sich definitiv nicht um irgendeinen Explosivstoff, sondern um Kokain von hohem Reinheitsgrad handelte.
Abel hatte dann an einem der PCs im Vorraum des Sektionssaales ein kurzes Protokoll zu den Umständen der Auffindung des Päckchens und dem CT-Ergebnis geschrieben, es ausgedruckt, und Sabine Yao und er hatten es unterschrieben. Dann hatte er die immer noch ungeöffnete schwarze Plastiktüte und das Protokoll in einem Asservatenbeutel verstaut, in der Asservatenkammer neben dem Sektionstrakt deponiert und im Asservatenbuch eingetragen.
Abel war klar, dass die von ihm getroffene Entscheidung, zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Polizei einzuschalten, für ihn als BKA-Beamten nicht nur sehr gewagt, sondern auch gesetzwidrig war und er mit seinem eigenmächtigen Vorpreschen zudem zahlreiche
Dienstvergehen beging. Er wollte aber unbedingt Zeit gewinnen, ehe die große Ermittlungsmaschinerie anlief und zu viel Staub aufwirbelte. Um jedoch mit seinem Verhalten nicht völlig in die Illegalität abzudriften, hatte er, quasi als Rückversicherung, das Protokoll zu ihrem Drogenfund geschrieben und das Drogenpäckchen ordnungsgemäß im Asservatenbuch eingetragen. Gegen den möglichen Vorwurf der Verdeckung einer Straftat oder des Beiseiteschaffens und der Unterdrückung von Beweismaterial war er so zwar nicht gefeit, aber wenigstens in einer etwas besseren Ausgangssituation.
Sabine Yao hatte schließlich doch zugestimmt, noch maximal achtundvierzig Stunden bis zur Einschaltung der Polizei zu warten.
»Wir werden mit Markwitz sprechen, aber lass uns die Zeit bis dahin nutzen«, sagte Abel.
»Ich fahre zu Mailin in die Klinik. Wenn sie doch nur sprechen würde! Dann würden wir erfahren, ob sie etwas von den Männern in der Wand weiß, ob möglicherweise alles mit ihrem Wissen geschah. «
Moewig erhob sich und bot ihr an, sie in die Karl-Bonhoeffer-Klinik zu fahren.
»Bitte, sag zu! Als er das letzte Mal hier war, saß er halb nackt in Henrys Labor«, sagte Abel mit gespielt flehender Stimme, sodass Sabine Yao an diesem Tag das erste Mal lächelte.
☠ ☠ ☠
Nachdem die beiden aufgebrochen waren, rief Abel bei Sara Wittstock an und berichtete ihr von dem geheimen Drogenversteck in Mailin Zhous Wohnung.
»Und ich habe auch noch eine konkrete Bitte: Ich brauche aus der Videoaufzeichnung ein paar Detailaufnahmen der Hände von Abdelkarim Saad und dem zweiten Kerl. Die Streckseiten der Finger – die interessieren mich«, erklärte er.
»Kriegen wir hin! Aber wenn du nur schauen willst, ob sie vergeben sind und Ringe tragen – dann bitte nicht meinetwegen. Ich habe kein Interesse mehr an irgendwelchen männlichen Wesen. Ich sehe nachher meinen Ex, wenn wir uns Rizgar am Zoo übergeben. Also, ich wäre dafür, dass sich Erzeuger grundsätzlich nach der Geburt in Luft auflösen. Dann brauchte man auch kein Umgangsrecht. Ich schicke dir die Bilder nachher, okay?«
Abel musste schmunzeln. »Ja, und keine Sorge – ich will dich nicht verkuppeln. Aber Ring
ist schon das richtige Stichwort.«
Dann beendeten sie das Gespräch, und Abel lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er spürte, dass er der Wahrheit immer näher kam. Gefährlich nahe.
☠ ☠ ☠