Samstag, 7. Juni 2014 18:25 Uhr
In der Bar des Rainsford House Hotels Rainsford, County Meath, Irland

Liegt es an mir, oder sind die Barhocker hier inzwischen niedriger? Vielleicht bin ich auch geschrumpft. Das kann einem passieren, wenn man vierundachtzig Jahre alt ist, das und haarige Ohren.

Wie spät ist es jetzt in den Staaten, mein Junge? Eins? Zwei? Ich vermute, du klebst wieder an deinem Laptop und hämmerst in deinem klimatisierten Büro auf die Tastatur ein. Natürlich könntest du auch zu Hause sein, auf der Veranda, in dem Lehnstuhl mit der wackeligen Lehne, und deinen jüngsten Artikel in diesem Blatt lesen, für das du arbeitest, wie heißt es noch …? Gott, jetzt fällt es mir nicht ein. Aber ich sehe dich vor mir mit deinen Sorgenfalten, während Adam und Caitríona wild tobend versuchen, deine Aufmerksamkeit zu erlangen.

Hier ist es ganz ruhig. Keine Menschenseele. Nur ich ganz allein, mit mir selbst redend, in Vorfreude auf den ersten Schluck mit den Fingern auf den Tresen trommelnd, als hinge mein Leben davon ab. Wenn ich hier denn mal einen Drink serviert bekomme. Hab ich dir je erzählt, Kevin, dass mein Vater ein großer Fingertrommler war? Trommelte auf der Tischplatte herum, auf meiner Schulter, auf allem, was sein Zeigefinger erreichen konnte, um seine Meinung zu unterstreichen und die verdiente Aufmerksamkeit zu erlangen. Mein eigener Finger scheint nicht so

Soll wohl daran liegen, dass sie heute alle Hände voll zu tun haben mit der Verleihung der County Sports Awards, die dieses Jahr hier im Hotel stattfindet, drüben im Saal. Ein ziemlicher Coup für so ein Kaff wie Rainsford, diesen Rummel aus Duncashel mit seinen beiden Hotels hierherzulocken. Emily hat das eingefädelt, die Geschäftsführerin – oder Hotelbesitzerin, sollte ich wohl besser sagen, eine Frau, die in der Lage ist, jedem die Vorzüge dieses Ortes überzeugend nahezubringen. Nicht dass ich selbst allzu viel davon in all den Jahren mitbekommen hätte.

Aber trotzdem sitze ich hier. Ich habe meine Gründe, mein Junge, ich habe meine Gründe.

Du solltest mal diesen gigantischen Spiegel hier vor mir sehen. Mächtiges Teil. Ist so breit wie der ganze Tresen, über der Reihe mit den Schnapsflaschen. Keine Ahnung, ob der aus dem ursprünglichen Haus stammt. Zehn Männer muss es gebraucht haben, um den hier aufzuhängen. Zeigt die Sofas und Stühle hinter mir, die so begierig auf all die Ärsche sind, die sich in diesem Moment in ihre schicke Kleidung quetschen. Und dann bin da noch ich, in der Ecke, wie der bekloppte Idiot, der seinen Kopf nicht rechtzeitig außer Schussweite kriegt. Und was für einen Kopf. In letzter Zeit gucke ich nicht allzu oft in den Spiegel. Als deine Mutter noch lebte, habe ich mir wohl noch ein bisschen Mühe gegeben, aber was soll das jetzt noch bringen? Es fällt mir schwer, mich anzusehen. Kann das nicht ertragen – diese immer höher werdende Stirn –

Immerhin: sauberes, weißes Hemd, steifer Kragen, blaue Krawatte, ordentlich gebunden. Der grüne Pullover, den mir deine Mutter zu dem Weihnachten vor ihrem Tod geschenkt hat, Anzug, meine Schuhe auf Hochglanz geputzt. Putzen die Leute ihre Schuhe überhaupt noch, oder bin ich der Letzte, der diese Kunst praktiziert? Sadie wäre stolz auf mich. Ein gut geratenes Exemplar von einem Mann. Vierundachtzig und ich kann immer noch mit einem Schopf Haaren und Stoppeln am Kinn dienen. Fühlt sich allerdings rau an – sehr rau. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt noch die Mühe mache, mich jeden Morgen zu rasieren, wenn es mittags schon wieder eine Drahtbürste ist.

Ich weiß, ich war zu meiner Zeit nicht gerade das, was man gut aussehend nennt, aber alles, was überhaupt für mich gesprochen hat, hat sich schon seit langem verdünnisiert. Meine Haut sieht so aus, als befände sie sich auf einem Marathonlauf in Richtung Süden. Aber weißt du, was? Meine Stimme ist immer noch die alte.

«Maurice», hat deine Großmutter immer gesagt, «mit deiner Stimme könntest du Eisberge zum Schmelzen bringen.»

Bis zum heutigen Tage klingt sie wie ein Cello – tief und weich. Macht die Leute auf mich aufmerksam. Ein Ruf zu der da vorn an der Rezeption, die so beschäftigt tut, und sie würde mir ganz schnell mein Glas einschenken. Aber ich sollte nicht für mehr Aufsehen sorgen, als unbedingt nötig ist. Ich muss später noch was erledigen, und vor mir liegt eine lange Nacht.

Da ist wieder dieser Geruch. Ich wünschte, du wärst hier und könntest ihn auch riechen: Meister Proper. Weißt du

Schließlich kommt doch jemand aus der Tür hinter der Bar, um mich von meinem durstigen Elend zu erlösen.

«Na, da sind Sie ja endlich», sage ich zu Emily, dem Inbegriff von Schönheit und Effizienz. «Sind Sie gekommen, um mir die Peinlichkeit zu ersparen, mir selbst einen Drink einzugießen? Ich habe sogar schon überlegt, ob ich Miss Hilfsbereit da draußen bitten soll.»

«Dann bin ich ja gerade noch mal rechtzeitig gekommen, Mr. Hannigan», sagt sie mit der Andeutung eines Lächelns, legt einen Stapel Unterlagen auf den Tresen und schaut auf ihr Handy, das obendrauf liegt. «Wir wollen doch nicht, dass Sie die Mitarbeiter mit Ihrem besonderen Charme aufschrecken.» Sie hebt den Kopf, schaut mich an, und da ist für einen Moment ein Funkeln in ihren Augen, bevor sie wieder auf das Display schaut.

«Das ist ja reizend. Da kommt man her, um in Ruhe etwas zu trinken, und kriegt so etwas zur Antwort.»

«Swetlana ist gleich da. Wir hatten nur noch eine kurze Besprechung wegen heute Abend.»

«Na, Sie sind ja wieder großzügig wie die Ryanair.»

«Ich sehe, Sie sind bester Laune», sagt sie, baut sich direkt vor mir auf und schenkt mir jetzt ihre volle

«Ich rufe doch nicht jedes Mal vorher an.»

«Nein, aber es wäre vielleicht eine gute Idee. Dann kann ich die Mitarbeiter in Alarmbereitschaft versetzen.»

Da ist es wieder – dieses Lächeln, dieses Lippenkräuseln, so köstlich wie ein großer Schlag Sahne auf einem warmen Apfeltörtchen. Und diese vor Neugier funkelnden Augen.

«Einen Bushmills?», fragt sie und greift nach einem Whiskyglas.

«Lieber erstmal eine Flasche Stout für den Anfang. Aber nicht aus dem Kühlschrank.»

«Für den Anfang?»

Ich beachte die Sorge, die in ihrer Stimme mitklingt, einfach nicht.

«Würden Sie nachher eins mittrinken?», frage ich stattdessen.

Sie hält inne und wirft mir einen langen Blick zu.

«Ist alles in Ordnung?»

«Nur ein Drink, Emily, das ist alles.»

«Sie wissen aber schon, dass ich die County Awards an der Backe habe?», sagt sie, die Hand auf der Hüfte. «Ganz zu schweigen von einem mysteriösen VIP, der sich entschlossen hat, heute Nacht hier zu logieren. Muss alles perfekt sein. Ich habe zu viel Arbeit reingesteckt, als dass dies jetzt –»

«Emily, Emily. Heute Abend wird’s keine Überraschungen geben. Ich möchte bloß hier sitzen und ein Bier mit Ihnen trinken. Diesmal keine Bekenntnisse, ich verspreche es.»

Ich schiebe die Hand über den Tresen, als Geste, dass sie sich auf mich verlassen kann. Kann ihr das Misstrauen allerdings nicht verdenken, bei allem, was gewesen ist. Ich

«Ich bezweifle, dass ich Zeit dafür habe», sagt Emily, jetzt wieder vor mir stehend und mich immer noch misstrauisch musternd, «aber ich werde versuchen, noch mal zu Ihnen zu stoßen.»

Sie bückt sich leicht und holt mit ihrem erfahrenen Griff eine Flasche Guinness aus dem vollen Regal unten – man kann diese makellose Ordnung der Flaschen nur bewundern, deren Etiketten mit der Harfe alle stolz nach außen gedreht sind. Emilys Werk. Sie sorgt für einen gut geordneten Auftritt.

Durch die Tür schlüpft ein junges Ding und gesellt sich zu ihr.

«Wunderbar», sagt Emily zu ihr. «Jetzt gehört die Bar ganz Ihnen. Hier, geben Sie das mal Mr Hannigan dort drüben, bevor er ohnmächtig wird. Und Sie», fährt sie fort und zeigt mit einem ihrer langen, wunderbaren Fingernägel auf mich, «seien Sie nett zu ihr. Swetlana ist neu hier.» Mit dieser Mahnung packt sie ihren Stapel Unterlagen und verschwindet.

Swetlana nimmt die Flasche und findet den Öffner mit ein wenig Unterstützung durch meinen Zeigefinger unter dem Tresen, stellt die Flasche und ein Glas vor mir ab und eilt dann ans entfernte Ende des Tresens. Ich gieße mir ein bisschen was ein, bis die schaumige Krone die Kante des gewölbten Glases erreicht, und dann warte ich, dass der Schaum sich setzt. Ich sehe mich um und bedenke diesen Tag, dieses Jahr, die zwei Jahre in der Tat, ohne deine Mutter, und ich bin müde, und ehrlich gesagt habe ich auch Angst. Ich streiche mir über die Stoppeln an meinem Kinn,

Durch die großen Fenster zu meiner Linken, die bis zum Boden reichen, sehe ich die Wagen vorbeifahren. Ein paar erkenne ich: Der Audi A8, das ist Brennan aus Duncashel, dem die Zementfabrik gehört; der Škoda Octavia mit der fehlenden linken Radkappe ist von Mick Moran. Da ist Lavins Schrottkiste, die direkt vor seinem Zeitungsgeschäft parkt. Ein alter, roter Ford Fiesta. Macht mir mächtig Spaß, dort zu parken, wann immer ich den Platz leer vorfinde.

«Du kannst hier nicht parken, Hannigan», keift er dann und beugt sich aus dem Fahrerfenster, sobald er von da, wo er gewesen ist, wieder zurückkehrt. «Wie soll ich so meine Lieferungen einladen, hm?» Sein Kopf mit diesem wilden Haarschopf wackelt dabei wie verrückt, der Wagen steht in der zweiten Reihe und hält den ganzen Verkehr auf. «Hast du nicht das Schild gesehen? Parken verboten, Tag und Nacht.»

Ich lehne an seiner Mauer und lese die Zeitung.

«Jetzt bleib mal auf dem Teppich, Lavin», sage ich dann und raschele ordentlich mit der Zeitung. «Es war ein Notfall.»

«Ist das jetzt schon ein Notfall, wenn man sich morgens die Zeitung holt?»

«Ich kann meine Besorgungen auch woanders erledigen.»

«Oh ja, das kannst du natürlich, Hannigan. Das kannst du.»

«Der Zeitungsladen in Duncashel hat jetzt auch eine Kaffeemaschine, hab ich gehört.»

«Dann kannst du deinen Scheißjeep auf dem Weg dahin ja wegfahren.»

Es sind die kleinen Freuden, mein Junge, die das Leben versüßen.

Ein weiterer Arbeitstag ist vorüber. Hände winken, Hupen dröhnen. Autofenster sind runtergelassen, die Ellbogen ragen heraus, und alle plaudern noch mal miteinander, bevor es mit Bleifuß nach Hause geht für einen Abend vor der Glotze. Ein paar werden später natürlich wieder auftauchen, in etwas Glänzendes verwandelt. Die neue Kleidung und den neuen Haarschnitt vorführen.

Ich hebe das Glas und gieße nach, bis es voll ist und die Flüssigkeit sich setzen kann. Meine Finger mit ihren dunklen, verkrusteten Schrunden klopfen an das Glas, um die Sache ein bisschen zu beschleunigen. Ich werfe noch mal einen Blick in den Spiegel und proste mir selbst zu, bevor ich den ersten, gesegneten Schluck nehme.

Die cremige Dichte eines Glases Stout ist einfach unschlagbar. Gibt dem Körper Halt und massiert die Stimmbänder auf dem Weg nach unten. Das ist noch so etwas im Zusammenhang mit meiner Stimme: Sie lässt mich jünger erscheinen. Oh ja, am Telefon verrät sie nicht, dass ich hundert verhärmte Falten habe und dritte Zähne, die gern mal tun, was sie wollen. Sie erweckt den Eindruck, als wäre ich total auf der Höhe, distinguiert und gut aussehend. Ein Mann, mit dem man rechnen muss. Wobei Letzteres ja auch stimmt. Weiß gar nicht, wo ich das herhabe – bin der Einzige in der Familie, der mit dieser Gabe gesegnet ist. Damit habe ich auch diese ganzen Immobilienmakler eingewickelt; nicht dass sie allzu viel Überredung gebraucht hätten, reichte schon, dass unsere Farm auf der Schokoladenseite der Bezirksgrenze zwischen Meath und Dublin liegt, allseits beneidet in der Gegend.

Im Verlauf des letzten Jahres habe ich Zimmer für Zimmer ausgeräumt und den Inhalt verpackt. Jeden Tag ein bisschen. Ich habe auf jede Kiste einen Namen geschrieben, damit du weißt, was zu wem gehört: Maurice, Sadie, Kevin, Noreen, Molly – ihre war die kleinste. All das Einpacken und Herumschleppen hat mich allerdings beinahe umgebracht. Ohne die jungen Männer, die Anthony mir vorbeigeschickt hat, hätte ich es nie geschafft. Ihre Namen wollen mir jetzt nicht einfallen, Derek oder Des … aber was soll’s, oder? Meist habe ich nur so getan, als würde ich

Ich habe die lebensnotwendigen Dinge aufgehoben, bis heute Morgen, als Anthony dann die letzte Kiste in seinen Wagen geladen hat. Es hat sich komisch angefühlt, Kevin, alles ziehen zu lassen. Wie klein diese letzte Kiste auf seinem Beifahrersitz war, das hat mich richtig mitgenommen. Nicht, dass da irgendetwas Wertvolles drin gewesen wäre, nur der Wasserkessel, das Radio, meine paar Kleidungsstücke, Rasierzeug, was man eben so braucht. Den ganzen Rest habe ich in den Müllcontainer geschmissen, den ich angemietet hatte. Die Meath Chronicles wurden als Letztes weggeworfen. Nie ohne die Meath Chronicles wegen der lokalen Wirtschaftsseiten und der Sportergebnisse, obwohl ich die Spiele am Sonntag immer schon gesehen hatte. Am meisten haben mich immer die lokalen Spiele und die in der Bezirksliga interessiert. Ich muss die Ausgaben von sechs Monaten neben mir auf dem Sofa gestapelt haben, am Ende in einem einzigen, lawinenartigen Chaos. Wenn Sadie noch da gewesen wäre, hätte ich mir das natürlich niemals erlauben können. Aber wenn ich den Stapel richtig ausbalanciert hatte, stand mein Tee immer genau auf der richtigen Höhe. Falls es keine plötzlichen Bewegungen gab, aber das war auch nicht der Fall, so flink komme ich in letzter Zeit nicht mehr vom Sofa hoch.

Anthony wird die Kisten irgendwo in der Nähe seines Büros lagern. Unsere Leben in Dublin verwahrt – kaum zu glauben. Die entscheidenden Überbleibsel habe ich bei mir. In meiner Innentasche habe ich mein Portemonnaie, einen Kugelschreiber und etwas Papier für ein paar Notizen, da ich immer vergesslicher werde. In den anderen Taschen habe ich den Hotelzimmerschlüssel, schwer und griffig; die braun-schwarze Pfeife meines Vaters, die ich

Du wirst dich fragen, was mit Gearstick, dem Hund, ist. Bess, die Putzfrau, hat ihn genommen. Adam und Caitríona wären vielleicht ein wenig sauer darüber. Ich weiß, wie gern sie mit ihm gespielt haben, wenn sie hier waren. Sie mit ihren Hundeleinen und er, der in seinem ganzen Leben noch nie auch nur in die Nähe einer Leine gekommen war. Dennoch nahm er es würdevoll und ließ sich die ganze Woche lang von ihnen führen, wenn ihr da wart. Eine sanftere Seele findest du nirgends, das sage ich dir.

Weißt du noch, was deine Mutter gesagt hat, als ich ihn frisch bekommen habe? Nein, da warst du natürlich schon lange fort. Sie sagte die ganze Zeit: «Du kannst den kleinen Kerl doch nicht Gearstick nennen», obwohl er doch auf dem Nachhauseweg im Auto die ganze Zeit an der Gangschaltung herumgekaut hat. Und ich sagte: «Aber klar doch, das stört den doch nicht.»

An dem Tag ist er das erste und einzige Mal im Haus gewesen. In den letzten Monaten habe ich die Hintertür offen gelassen und versucht, ihn hereinzulocken. Widerstrebend trat er über die Schwelle in die Diele hinten und steckte den Kopf in die Küchentür, aber bloß, um mich wissen zu lassen, dass er da war. Keuchend und erwartungsvoll stand er da, rechnete mit einem Ausflug oder so etwas. Kein noch so intensives Locken mit einer von Carols

Am Tag, an dem Bess kam, um ihn abzuholen, brachte sie die ganze Familie mit, ihren Mann und die drei Kinder. Alle standen herum und lächelten einander an, und ich bemühte mich, den allerbesten Eindruck abzugeben. Wir nickten und taten so, als verstünden wir, was der andere sagte. Sie kommen von den Philippinen, glaube ich zumindest, irgendwo da draußen jedenfalls. Die Kinder sprangen eine Weile lang mit Gearstick im Garten herum. Er gehorchte gut und spielte mit ihnen.

«Was isst er?», fragte Bess.

«Alles, was Sie übrig haben.»

«Übrig haben?»

«Vom Abendessen.»

«Sie geben ihm das Abendessen?»

«Die Reste, wissen Sie. Ein Stück Brot tut es auch, in Milch eingelegt.»

Sie sah mich an und runzelte die Stirn, als hätte ich gerade gefurzt. Ich merkte, wie mir allmählich die Willenskraft abhandenkam.

«Der isst alles. Geben Sie ihm irgendwas.» Ich hatte genug. Ich streichelte Gearsticks Ohr und sah das letzte Mal zu, wie er den Kopf neigte und die Augen schloss.

«Guter Junge. Und jetzt geh», sagte ich und schob ihn auf

Ich habe nie gefragt, wo sie wohnen. Ich weiß bloß, dass es irgendwo in der Stadt ist. Vielleicht in einem Reihenhaus mit Handtuchgarten oder, noch schlimmer, in einer Wohnung. Ich bin mir nicht sicher, ob Bess weiß, worauf sie sich eingelassen hat mit einem Hund wie diesem, der bloß

Ich weiß schon. Das ist das erste Mal, dass du von all dem hörst – dem Verkauf des Hauses, des Grundstücks, des Lands. Aber ich konnte, tja … ich konnte es einfach nicht riskieren, dass du mich dabei aufhältst. Ich konnte das nicht zulassen, mein Sohn.

Swetlana inspiziert die Bar. Schaut sich eine Flasche nach der anderen an, guckt in die Kühlschränke, berührt mit dem Finger die Etiketten, während sie mit der Hand über jede Flasche streicht. Sie nickt mit dem Kopf, und ihre Lippen formen lautlos die Namen der Getränke, während sie sie sich einprägt. Hin und wieder sieht sie mich an, während ihre Blicke durch den Raum schweifen. Sie lächelt mich mit zusammengekniffenen Lippen an, und ich hebe mein Glas ein wenig in ihre Richtung. Dann kommt sie mit einem Tuch in der Hand hinter dem Tresen hervor, marschiert zu jedem Tisch und staubt ihn noch mal ordentlich ab. Kann sie den Meister Proper nicht riechen? Im Spiegel sehe ich die kreisenden Bewegungen ihrer Hände, die das polieren, was schon poliert ist. Sie rückt die Barstühle einen Zentimeter ab, dann wieder zurück. Eine echte Arbeitsbiene.

Nachdem Anthony heute Morgen weggefahren war,

«Ist er da?», fragte ich die Frau am Empfang, als ich in seiner Kanzlei eintraf. Sie ist eine Heaney. Du kennst sie; du warst immer mit ihrem Bruder Donal unterwegs.

«Er kommt gleich. Sie können dort schon mal Platz nehmen.»

Ich sah auf die Reihe schwarz gepolsterter Stühle, die direkt am Fenster stand, mit Blick auf die Hauptstraße.

«Damit die ganze Welt weiß, dass ich hier zu tun habe? Nein, danke. Ich warte in seinem Büro auf ihn.» Und schon war ich auf der Treppe.

«Das geht nicht, Mr Hannigan!», sagte sie und folgte mir. Eine schmale Treppe, kein Platz zum Überholen, ich stieg die Stufen mit gleichmäßigen, ruhigen Schritten hoch.

«Es ist abgeschlossen», fügte sie ziemlich blasiert hinzu, als wir oben waren.

«Kein Problem.» Ich langte mit der Hand oben über den Türrahmen, fand den Schlüssel und zeigte ihn ihr. «Alles geregelt», sagte ich.

Ihr entrüstetes Gesicht verschwand langsam aus meinem Blickfeld, als ich die Tür schloss, wobei ich ihr noch ein breites Lächeln schenkte.

«Sehr gut», antwortete ich, schon von Roberts Sessel aus, «ich habe sowieso noch was mit Higgins zu besprechen, da schlagen wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.»

Als sie nichts mehr hinzuzufügen hatte, ließ ich meinen Kopf nach hinten sinken und verfiel in einen willkommenen Halbschlaf, während ich darauf lauschte, wie sie die Treppe hinuntertrampelte.

«Freut mich, dass du es dir schon mal bequem gemacht hast, Maurice», sagte Robert, als er keine fünf Minuten später durch die Tür kam und grinsend nach meiner Hand griff. «Natürlich werd ich jetzt den ganzen Tag brauchen, um Linda wieder zu beruhigen.»

Ich bin sicher, die kleine Linda sitzt in diesem Moment zu Hause beim Abendessen und erzählt ihrem Vater die ganze Geschichte. Und ihrem alten Herrn wird es einen Heidenspaß machen, wie sie sich über mich das Maul zerreißt.

«Robert, schön, dich zu sehen!»

Ich erhob mich und begann, den Tisch zu umrunden, um zu dem nicht ganz so bequemen Besucherstuhl zu gelangen.

«Nein, bleib sitzen, bleib sitzen», sagte Robert und nahm selbst die billigere Ausführung. «Du hältst eisern dein Wort, was? Keinen Tag zu spät. Ich hab den Schlüssel, hier.»

Er legte seine Aktentasche auf den Tisch, öffnete sie und reichte mir einen altmodischen, schweren Schlüssel, den ich mir in die Tasche steckte.

«Wissen sie, dass ich es bin, der das Zimmer möchte?»

«Ein VIP, hab ich gesagt – der akzeptiert nichts als die Hochzeits-Suite», sagte er lachend. «Emily hat alles versucht, um es aus mir rauszukriegen.»

Du wirst mir verzeihen, mein Junge, dass ich dich da mit reingezogen habe.

«Was?», fragte Robert, und seine Stimme erreichte eine Höhe, die ich gerade noch hören konnte. «Und wann ist das alles passiert?»

«Kevin hat es vorgeschlagen, als er das letzte Mal hier gewesen ist. Ich habe mir nichts dabei gedacht, bin davon ausgegangen, dass er das Ganze eh wieder vergisst, sobald er wieder drüben ist, aber dann, vor sechs Monaten so ungefähr, ruft er mich an und sagt, er habe einen Käufer gefunden. Irgendein Yankee, der ein bisschen Heimaterde schnuppern möchte. Und da bin ich nun, das Bankkonto platzt aus allen Nähten, und meine Koffer sind gepackt. Ich bin eigentlich überrascht, dass er dich nicht angerufen hat. Er hat gesagt, das würde er tun; aber gut, er hat bis über beide Ohren in der Zeitung gesteckt, irgendwas mit Obamacare. Aber er meldet sich bestimmt noch.»

«Tja, nun», antwortete Robert, der mich etwas verärgert anblickte, weil wir ihn nicht mit ins Boot geholt hatten. «Geht mich dann wohl nichts mehr an, schätze ich, wenn alles unterschrieben und einwandfrei ist und niemand dich übers Ohr gehauen hat.»

«Richtig. Es ist alles unter Dach und Fach.»

«Ich hab dich nie für einen Mann fürs Altersheim gehalten, Maurice», sagte er. So schnell ließ er mich nicht vom Haken.

«Bin ich auch nicht. Konnte bloß Kevins Gezeter nicht

«Natürlich, natürlich. Das ist bestimmt nicht leicht, Maurice. Wie lang ist sie, äh, jetzt schon nicht mehr?»

«Auf den Tag genau seit zwei Jahren.»

«Tatsächlich?», sagte er und sah tief betroffen aus. «So lang kam mir das gar nicht vor.»

«Mir kommt es vor wie ein ganzes Leben.»

Sein Blick wandte sich von mir ab, als er seinen Laptop hochfuhr.

«Ich dagegen bin natürlich genau der Typ für Altersheime», sagte er. «Melde mich doch schon mal an, hab ich zu Yvonne gesagt. Wirklich, ich kann’s gar nicht erwarten, rundum betreut zu werden.»

Mit vierzig kann ein Mann das sagen, wenn er zu Hause eine Frau und zwei Kinder hat.

«Dann ist diese Hochzeits-Suite wohl dein endgültiger Abschied von Rainsford, stimmt’s?»

«So könnte man das sagen», antwortete ich und warf einen Blick auf das Hotel, das auf der anderen Straßenseite in all seinem sonnenbeschienenen Glanz stand.

 

Weißt du, Kevin, ich bin 1940 das erste Mal hierhergekommen, um zu arbeiten, bevor auch nur die Rede davon war, dass das ein Hotel werden könnte. Damals war es noch das Haus der Dollards. Dafür, dass es als Herrenhaus galt, sah es sehr merkwürdig aus. Die Eingangstür führte direkt auf die Hauptstraße des Dorfes, so wie man es vielleicht an einem Platz in Dublin sehen kann. Den ursprünglichen Besitzern muss die Vorstellung gefallen haben, dass direkt vor ihrer Türschwelle ein ganzes Dorf buchstäblich auf ihre

Ich war gerade erst zehn geworden, als ich anfing, auf dem Gut als Landarbeiter zu arbeiten. Unser Land, also, das Land meines Vaters, so klein es damals war, grenzte an ihres. Meine Zeit als ihr Angestellter war nicht gerade die glücklichste in meinem Leben. Genau genommen war sie so unglücklich, dass ich mir, als ich sechs Jahre später ging, schwor, nie wieder einen Schatten auf ihre Tür zu werfen, und ich hätte das auch nicht getan, wäret du und Rosaleen nicht so entschlossen gewesen, eure Hochzeit hier zu feiern. Habe eure Obsession nie verstanden, auch nicht die von Sadie in dieser Sache. Sadie war ja noch schlimmer, kriegte sich gar nicht mehr ein darüber, wie prächtig das Hotel doch sei und wie luxuriös die Zimmer. Sie brachte mich zum Wahnsinn mit ihrer Schwärmerei für die Hochzeits-Suite. Und bei dieser Hochzeitsmesse damals fürchtete ich ernstlich, sie könnte eine Herzattacke kriegen. Aber vielleicht war das alles auch Schauspielerei, als Gegengewicht zu meinem mangelnden Enthusiasmus. Ich bin nun mal keiner, der anderen etwas vormachen kann.

«Dies war vor dem Umbau das Schlafzimmer der Eigentümer, Amelia und Hugh Dollard», sagte der

An dem Punkt habe ich mich ausgeklinkt und bin direkt in die Bar gegangen. Saß genau an derselben Stelle wie jetzt und kippte einen Whisky, um ihren Untergang zu feiern. Ich weiß nicht mehr, wer mich damals bedient hat, dieses junge Ding allerdings bestimmt nicht – da kommt sie gerade hereingewankt mit einem ganzen Turm von Gläsern, weiß der Himmel, wo sie die alle hinstellen will, ist doch überall unter dem Tresen schon alles bis oben hin voll. In meinem ganzen Leben habe ich nie wieder so tief ins Glas geschaut wie an jenem Tag. Mein Kopf dachte, ich hätte mir den Hals gebrochen, weil ich mich weigerte aufzusehen und diesen Ort zur Kenntnis zu nehmen oder irgendeinen von denen, hätte sich einer gezeigt. An jeder Wand hingen Fotos, in den Korridoren und in allen Zimmern, und quälten diesen Berg von einem Mann mit ihrer Geschichte.

Als ihr euch schließlich zu mir geselltet, habe ich eine Runde spendiert oder eher ein paar Runden und hörte euch zu, wie ihr von den Kronleuchtern im Bankettsaal und dem Blick aus der Hochzeits-Suite schwärmtet.

«Du meinst, den Blick auf mein Land?», unterbrach ich Sadie an dem Punkt.

Damals gehörte mir schon so ziemlich jedes Feld rund um das Hotel.

«Und ist nicht gerade deshalb dieser Ort hier einfach perfekt? Man blickt auf deine prachtvolle Farm. Auf deine wundervolle, grüne Hügellandschaft, Maurice», sagte Sadie und legte ihre Hand auf meine. Ich fürchte, sie war schon ein bisschen beschwipst.

Die Besichtigung dauerte, so kam es mir jedenfalls vor, noch Stunden. Und die ganze Zeit schwenkte ich meinen

Ich war dann ziemlich überrascht, dass ich eure Hochzeit, als sie schließlich gefeiert wurde, so genossen habe. Ich denke, es lag daran, dass ich gesehen habe, wie glücklich ihr wart, du und auch Sadie. Ich war stolz, als ich sah, wie du mit Rosaleen den Hochzeitswalzer tanztest. Und als wir alle einfielen, ich mit Rosaleens Mutter und Sadie mit dem Vater, habe ich deine Mutter lächeln gesehen und ihr Lachen gehört, als sie vorbeischwebte. Später am Abend hat sie mich sogar dazu gekriegt, noch mal einen Blick in jene Hochzeits-Suite zu werfen.

«Ist das nicht prächtig, Maurice? Was hätte ich dafür gegeben, als wir geheiratet haben! Stell dir uns mal vor, Graf und Gräfin Koks!»

Ich tanzte mit ihr durch das Schlafzimmer, krachte dabei beinahe in den Frisiertisch und fiel mit ihr aufs Bett. Der Alkohol war uns zu Kopf gestiegen. Aber mein Kuss war von ehrsamster Nüchternheit. Von all der Liebe erfüllt, die sie in mir entfache, in all den Jahren, die wir gemeinsam hatten, immer wieder aufs Neue. Dabei waren wir durchaus nicht das perfekte Ehepaar. Aber wir waren ein gutes Team, weißt du. Solide und ausdauernd. Zumindest hat es sich für mich so angefühlt. Ich habe sie allerdings nie gefragt.

«Ich werde sie uns mal mieten. Eines Tages, das verspreche ich dir, werden wir die Hochzeits-Suite ganz für uns haben», sagte ich und sah sie an. Ich habe meinen Worten absoluten Glauben geschenkt. Und ich frage mich, ob sie das wohl auch getan hat. Jetzt steh ich hier, zwei beschissene Jahre zu spät.

An jenem Morgen war ich in der Küche, und das Radio lief, und ich hatte mich schon rasiert, bevor mir auffiel, dass ich das Schlurfen ihrer Pantoffeln oder ihr übliches Summen noch gar nicht gehört hatte. Als ich den Kessel aufgesetzt und sie immer noch nicht erblickt hatte, wusste ich, dass irgendetwas passiert sein musste. Und so ließ ich die Stimme des Nachrichtensprechers hinter mir herwehen, während ich wieder durch den Flur zurückging. Mick Wallace und seine Steuerflucht. Das Bild von dem weißen, dünnen Haar und dem rosa Hemd dieses Mannes fror regelrecht in meinem Hirn ein, als ich an unserer Schlafzimmertür stand und begriff, dass sie immer noch dort im Bett lag, wo ich sie zurückgelassen hatte.

Verfluchter Mick Wallace.

Ich berührte ihr Gesicht und spürte die Kälte ihres Todes.

Ich habe dich natürlich angerufen. Zumindest hast du mir das so erzählt, als ich Monate später zugeben musste, dass ich mich nicht daran erinnern konnte. Ich war wohl auch einigermaßen beieinander, als du und Rosaleen und die Kinder gekommen seid, um euch von ihr zu verabschieden. Ich weiß noch, dass ich sah, wie sich deine Arme hoben, um mich zu umarmen, als ich in der Eingangstür stand, und wie sie zurück an deine Seiten sanken, als du mein Gesicht sahst. Du hast mir stattdessen deine Hand gegeben. Du hast meine Hand fest gepackt, und meine Blicke konzentrierten sich dann darauf, wie die beiden Hände ineinander verschränkt waren, bis du sie wieder losgelassen hast. Da hast du mir auf die Schulter geklopft, als du an mir

Und was noch dazukommt, ich hätte dich nicht wieder zurück nach New Jersey fahren lassen dürfen, so voller Sorge um mich. Aber ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen, konnte mich beinahe gar nicht mehr aufraffen. Wenn es mir überhaupt mal gelang, aus dem Bett zu kommen, dann kam ich auch nur bis zu meinem Sessel im Wohnzimmer. Da saß ich dann mit Sadie und spazierte durch unser gemeinsames Leben, bis eine Tasse Tee vor mir erschien und mich wieder in mein ungewolltes Witwerdasein zurückholte. Und ich weiß, du wärst nicht so bald wieder in die Staaten zurückgekehrt, wenn Robert nicht gewesen wäre, der dich davon überzeugte, dass er regelmäßig bei mir vorbeischauen und dich beim ersten Anzeichen zur Sorge sofort anrufen würde.

Zum nächsten Weihnachtsfest kamt ihr alle wieder nach Hause. Wir sollten zu deinen Schwiegereltern, Rosaleens Familie, zum Abendessen kommen. Gute Leute, um die ich mich in all den Jahren allerdings nicht allzu sehr bemüht hatte. Im letzten Moment weigerte ich mich mitzugehen.

«Hab zu viel zu tun», sagte ich.

Ich weiß, dass sie nur eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt wohnten, aber ich konnte Sadie nicht allein lassen, nicht am ersten Weihnachtsfest danach, das fühlte sich nicht richtig an. Also schicktest du Rosaleen und die Kinder dorthin und bliebst bei mir. Ich weiß nicht einmal mehr, was wir

Damals fand das erste Gespräch über das Altersheim statt. Na ja, wenn ich das so sage, meine ich, es war das erste Mal, dass es in meiner Gegenwart angesprochen wurde. Sicher ist das Thema schon in vielen Gesprächen erörtert worden, bevor es mein Ohr erreichte. Natürlich wusste ich, dass das kommen würde. Welcher arme Witwer, welche arme Witwe, die irgendwo da draußen allein lebt, fürchtet nicht den Moment, in dem das Thema aufkommt?

«Das kannst du vergessen», habe ich dir gesagt. «Ich würde doch wie ein Vollidiot aussehen, wenn ich TV-Bingo mit einem Haufen alter Omas in Strickjacken spiele, statt draußen zu sein und das Vieh zu versorgen.»

Fairerweise muss ich sagen, dass du gelacht hast. Dieses laute, zuversichtliche Lachen – vielleicht hast du ja doch etwas von meiner Stimmgewalt geerbt.

«Na gut, Dad», sagtest du und legtest deine Hand auf mein Knie, «wir dachten bloß, du wärest da sicherer.»

«Sicherer? Was meinst du mit sicherer

«Na ja, man hört ja heutzutage alle möglichen Geschichten über Leute, du weißt schon, die fremde Grundstücke betreten und –»

«Klar, und hab ich nicht genau dafür dieses Prachtstück?», sagte ich und legte die Hand auf meine treue Winchester.

Du sahst verwirrt aus. Aber ich wollte mein Leben nicht aufgeben; erst, wenn ich so weit war.

So hart sich das vielleicht anhören mag, in gewisser

Vielleicht ist es nur ein kleiner Trost, aber ich hoffe, wenn du nach Hause kommst, siehst du, dass ich zumindest sauber bin. Was das anbelangt, so komme ich absolut klar. Ich stinke nicht, nicht wie einige andere, da könnte ich ein paar Namen nennen. Alter ist keine Entschuldigung dafür, dass man zum Himmel stinkt. Ich funkele regelrecht, wasche mich jeden Morgen mit dem Waschlappen, und natürlich bade ich einmal in der Woche. Ungefähr vor fünf Jahren habe ich so einen Badewannengriff anbringen lassen, und jetzt komme ich so leicht rein und wieder raus, wie ich das erste Pint heben kann. Ich stehe nicht so aufs Duschen, hab dem noch nie was abgewinnen können. Immer wenn ich eine Dusche sehe, fange ich an zu frieren, deshalb habe ich auch keine einbauen lassen, trotz der Proteste deiner Mutter.

Meine größte Entdeckung in letzter Zeit ist die Wäscherei drüben in Duncashel, die meine Wäsche abholt und drei Tage später wieder zurückbringt. Nicht wie die hier am Ort, die bringt etwas so Hilfreiches nicht annähernd zustande. Jede Woche kriegt Pristine Pete’s meine Sachen und schickt mir meine Hemden wieder zurück, frischer und sauberer, als Sadie sie je hätte hinkriegen können, wie blasphemisch das auch klingen mag.

Und dann gibt es da ja auch noch Bess, die das Haus putzt. Zweimal die Woche, ohne Ausnahme. Poliert und schrubbt es, bis es wieder blitzblank ist. Ich glaube, deine Mutter hätte sie gemocht.

Sie kocht sogar. Lässt mir gleich für die ganze Woche ein paar Eintöpfe da. Wohlgemerkt, sie schmecken überhaupt nicht wie die von Sadie; ich könnte dir gar nicht sagen, was da genau drin ist. Ich habe eine Weile gebraucht, um mich an sie zu gewöhnen. Eine Menge Knoblauch anscheinend. Aber es hat mich selbst überrascht, als ich begann, mich auf sie zu freuen, besonders auf den mit Hühnchen. Die ganze Zeit mit Bess, die mich aufrechterhielt, kriegte sich Robert gar nicht mehr ein, erzählte mir, dass ich das Geld für die Putzfrau von der Gesundheitsbehörde wiederkriegen könnte und obendrauf auch noch Essen auf Rädern.

«Bist du wahnsinnig?», sagte ich. «Ich habe in meinem ganzen Leben keine Almosen angenommen, und werde ganz gewiss nicht jetzt damit anfangen.»

Swetlana ist herbeigeschlendert. Hat ihre Kontrollgänge, das Putzen und Gläserstapeln beendet. In den letzten Minuten ist sie hinter der Bar hin- und hergetigert, wartet wohl darauf, dass die Gästehorden hereinbrechen.

«Sie essen später hier auch zu Abend, ja?»

Ich mag ihren Namen. Swetlana. Der ist geradeheraus, messerscharf, hat aber auch etwas Schönes an sich. Ich frage mich, wie ich auf sie wirke. Bekloppt, nehme ich an. Wie ich hier sitze, gedankenverloren, ab und zu etwas vor mich hin murmele. Sie beugt sich auf dem Tresen vor, will, dass endlich etwas passiert, selbst ein lahmes Gespräch mit dem alten Knacker an der Bar scheint noch besser als gar nichts.

«Nein, mach ich nicht», sage ich, und normalerweise

«Zweiter. Gestern Abend arbeite ich auch.»

Ich nicke, schwenke den letzten Tropfen am Boden meines Glases hin und her, bevor ich ihn herunterkippe. Bereit, den ersten der fünf Toasts auszubringen: fünf Trinksprüche, fünf Leute, fünf Erinnerungen. Ich schiebe meine leere Flasche zurück über den Tresen zu Swetlana. Und während sie sie ergreift und sich abwendet, glücklich darüber, etwas zu tun zu haben, sage ich leise: «Ich bin hier, um mich zu erinnern – an alles, was ich gewesen bin, und an alles, was ich nie wieder sein werde.»