EPILOG
Zwei Jahre später
Anna hatte einen Kuchen gebacken, einen katalonischen Pfirsichkuchen nach Naias Rezept. Er stand auf dem Tisch in der gemütlichen Wohnküche, sie löste ihn gerade aus der Backform und stellte ihn auf eine Kuchenplatte. Gewürze hingen griffbereit über dem Herd, im Regal standen Einmachgläser mit Nudeln und getrockneten Tomaten. Anna hatte nicht weiter in Inez’ ehemaliger Wohnung leben wollen und Pablo hatte das gut verstanden. Sie hatten ein Häuschen in der Nähe vom Meer gefunden, südlich von Barcelona, ganz nah an Sitges, dem Ort, in dem Mara wohnte. Anna hatte ein Fernstudium zur Werbetexterin begonnen, nachdem Pablo sie darin sehr bestärkt hatte. Auch in ihrem Alter konnte man noch einmal neu durchstarten, sich weiterbilden, ein neues Leben anfangen. Ihre frühere Agentur in München wollte ihr ab und zu Aufträge zukommen lassen, man würde sehen, ob ihr Chef Wort hielt. Carina, die dort wieder als Textchefin arbeitete, aber nur dreißig Stunden die Woche, wollte sich dafür einsetzen. Um so lange selbst etwas zu verdienen, half Anna halbtags in einem kleinen Gemüseladen im Ort aus, lieh ihr Ohr den alten Leuten aus
dem Dorf und machte sie damit glücklich. Von Rafael dagegen hörte sie selten.
Anna sah nachdenklich aus dem Küchenfenster. In ihrem kleinen Garten hatte sie ein Kräuterbeet angelegt und Tomaten gepflanzt, außerdem einen Pfirsichbaum, der gerade in voller Blüte stand. Anna hatte eine Idee, nahm den Kuchen, den sie mit eingemachten Pfirsichen gebacken hatte, ging durch die geöffnete Terrassentür hinaus auf die Terrasse, die mit Weinreben überdacht war. Dort stellte sie den Kuchen auf den Tisch, den sie bereits liebevoll für vier Personen gedeckt hatte. Dann ging sie weiter in den Garten. Die roséfarbenen Pfirsichblüten leuchteten vor strahlend blauem Himmel. Anna trat zum Baum, pflückte vier Blüten ab, hielt sie andächtig in der Hand. Mit ihnen verband sie so viel. Sie sah auf die Uhr, ging wieder zum Tisch auf der Terrasse, legte je eine Pfirsichblüte auf die weißen Teller, sah ihr Werk, den festlich gedeckten Tisch, an. Sie überlegte, was fehlte. Servietten. Sie holte roséfarbene Servietten mit weißen Punkten, die sie extra gekauft hatte, aus der Küche. Sie trat wieder auf die Terrasse und legte die Servietten zu den vier Tellern.
Es klingelte. Voll Vorfreude eilte Anna durchs Haus zur Tür, öffnete und dort standen Mara und ihre Freundin Carina aus München, mit der zweijährigen Lori auf dem Arm. Anna und Carina juchzten auf, sich endlich wiederzusehen, die Freundinnen nahmen sich überglücklich in den Arm, natürlich darauf bedacht, die kleine Lori nicht zu erdrücken. Die lachte nur. Anna hatte sich gefreut, als Carina sie gefragt hatte, was sie davon halten würde, ihr Baby Lori zu nennen, und Anna war überglücklich gewesen. Jetzt lebte Lori doppelt, was gab es Schöneres? Mara hatte die beiden vom Flughafen abgeholt, weil sie in Barcelona studierte. »Mein Gott, bist du groß geworden«, entfuhr es Anna und sie sah Lori an. Sie hatte sie schon ein
halbes Jahr nicht mehr gesehen. »Ja, sie wird bestimmt so groß wie der Papa«, lachte Carina.
»So große Füße«, sagte Lori mit ihrer niedlichen Stimme. Carina lachte und erklärte den beiden, dass Fynn so große Füße habe, dass Lori immer spielte, sie fahre in seinen Schuhen Boot.
Die Stimmung war ausgelassen wie immer, wenn sich die drei Frauen trafen. Anna bat die beiden anderen herein, führte sie auf die Terrasse, servierte Café con leche und Pfirsichkuchen und genoss das Geschnatter ihrer besten Freundin und ihrer Tochter, die sich mit Carina auch bestens verstand. Mara war mittlerweile eine Art Freundin geworden. Mehr als das. Anna liebte sie über alles, war für sie da, gab ihr Ratschläge, wenn sie welche benötigte, und manchmal trafen sie sich sogar in Annas Garten, um zusammen für ihr jeweiliges Studium zu lernen. Pablo ließ sie dann immer in Ruhe, bekochte sie oder verwöhnte sie mit einem Pfirsichkonfitürenbrot, wenn sie sich über den Lernstoff aufregten. Anna und Mara verstanden sich sehr gut, auch wenn Mara viel aufbrausender war als Anna.
Ein Streichholz entflammte. Anna zündete eine Kerze an. Lori saß jetzt auf Maras Schoß, sah die Kerze mit großen Augen an und pustete in die Luft. Mara lachte, flüsterte ihr ins Ohr, dass sie jetzt ganz, ganz doll pusten solle. Anna betrachtete die beiden überglücklich und mit einem Tränchen in den Augen. Lori pustete erneut und Mara half ihr heimlich. So gern hätte sie Mara als Kleinkind auf ihrem Schoß gehabt. Aber sie wollte nicht in die Vergangenheit sehen, sondern in der Gegenwart leben, jeden Tag, jede Sekunde und diese mit ihren Liebsten genießen.