Herders »Herzensweib«

Caroline Flachsland (1750–1809)

In dem seit 1324 und damals noch eine Weile württembergischen Städtchen Reichenweiher im Elsass (Riquewihr) kam direkt neben dem Schloss (»Geburtstätte Herzog Ulrichs 1487«) am 28. Januar 1750 die jüngste Tochter des »Hochfürstl. wirtemb. Amts- und Kirchenschaffners« Johann Friedrich Flachsland zur Welt und wurde nach dem damaligen Landesvater Carl Eugen auf den Namen Caroline getauft. Und schon mit fünf Jahren hat sie den Vater verloren, und glücklicherweise hatte ihre ältere Schwester Ernestine Rosine eine Anstellung als Mätresse beim Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, dem Gegenschwieger der Zarin Katharina der Großen und Goethes Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar, gefunden und konnte so zum Lebensunterhalt der verarmten Familie im Elsass beitragen.

Als auch noch die Mutter stirbt, geht Caroline mit ihren achtzehn Jahren ebenfalls nach Darmstadt, wo eine andere Schwester, Friederike Katharina, sehr unglücklich mit einem hessischen Bürokraten verheiratet ist, und leidet mit ihr unter dessen »Dummheit und beständiger Schulmeisterei«. Aber jetzt kommt der Johann Gottfried Herder. Der ist ein Schulmeisterbub aus Mohrungen in Ostpreußen, Jahrgang 1744, und hat mit achtzehn seine ersten Gedichte drucken lassen, und statt Chirurg in Königsberg, war er ein beliebter Domprediger in Riga geworden

Dann darf er den Erbprinzen von Holstein-Gottorp auf seiner Kavalierstour nach Italien begleiten und kommt auch nach Darmstadt und predigt am 19. August 1770 in der Schlosskirche, und die Caroline hört und sieht ihn auf der Kanzel und verliebt sich auf der Stelle in den schon ein wenig berühmten Dichter und schreibt ihm. Und er schreibt lieb zurück, und muss doch wieder weiterfahren. Und fast drei Jahre lang wechseln sie heimlich die allerliebsten Briefle: »Ich danke Gott mit Thränen, dass er mir eine so schöne Seele wie die Ihrige gezeigt hat …«

Aber er macht ihr partout keinen Heiratsantrag, obwohl er, mittlerweile zum Konsistorialrat und Hofprediger bei den Schaumburg-Lippes in Bückeburg berufen, jetzt ein Weib verhalten könnte. Erst als Herders Bewunderer Goethe dem »kleinen, göttlichen Mädchen«, der Freundin seiner Schwester Cornelia, auch schöne Augen und schöne Verse macht, schafft sie es doch noch mit einem deutlichen Schreiben, dass am 2. Mai 1773 in Darmstadt der Herder endlich (in Goethes Gegenwart) sein »Herzensweib« heiratet.

Und sie ist als »liebe Haushälterin« mit nach Bückeburg gegangen, und im Jahr darauf kam ihr erstes Kind zur Welt, der Gottfried, der später »Hofmedicus« in Weimar wurde und sich dabei schon mit 31 Jahren den Tod geholt hat. Und anno 1776 erneut ein Bub, der August, bei dem der Matthias Claudius und der Goethe der Döte gewesen, und der trotzdem als Student ein rechter Tagdieb geworden ist und seinen armen Vater vor der Zeit ins Grab gebracht hat.

Im Herbst 1776 ging Herder statt an die Universität Göttingen auf Wunsch und Empfehlung Goethes und Wielands als »Generalsuperintendent« nach Weimar, wo ihm dann sein »Engelsweib« weitere sechs Kinder schenkt. Aber während Freund Goethe als »Favorit des Herzogs« und Multifunktionär Karriere macht und den großen Macker raushängen kann, lässt der Herzog Carl August den Herder, der halt nun mal kein Bücklingsmacher, Fürstenschleimer und Hofschranze gewesen ist, links liegen.

Und schon bei der Hochzeit ist Herder mit zwei Jahresgehältern verschuldet gewesen, und seine Caroline, die ja auch kein Sach mitbrachte, weiß oft nicht, wie sie die Haufen Mäuler satt bekommen soll, und, so wie vorher ihre Liebesbriefe, schreibt sie jetzt einen Bettelbrief um den andern, und sie machen weiter Schulden über Schulden, und oft auch aus lauter Gutmütigkeit.

 

image

Als Herder erneut einen Ruf nach Göttingen erhält, verspricht ihm Goethe das Blaue vom Himmel, auf dass er doch in Weimar bliebe. Und hält sich dann nicht an seine Versprechungen, und jetzt verkrachen sich die Herders endgültig mit dem »treulosen Freund«. Er hält ihn für »eine kalte Leiche ohne Herz«, und auch sie meint: »Goethe ist für mich tot.«

Aber der wird steinalt, und Herder muss schon am 18. Dezember 1803 sterben. Keine sechs Jahre später folgt ihm seine »graciöse geliebte Gemahlin« ins Grab, und sie gilt heute als »eine der herausragendsten Frauengestalten der Weimarer Klassik.« Auf ihrem Grabstein steht mit falschem Geburtsdatum: »Dem Sieger die Krone. Hier ruht Frau Marie Carol. v. Herder gebohr. Flachsland. Ehegattin des weiland Hern Oberconsistorial Präsidenten und General Superintendenten von Herder alhier * 25. Febr.1751 † 15. Sept.1809«.