Die ebenfalls aus ärmlichen Verhältnissen stammende »schwedische Nachtigall« Jenny Lind (1820–1887) mit ihrer kometenhaften Karriere ist, unter anderem auch als unerwiderte, unglückliche Liebe des dänischen Dichters Hans Christian Andersen (1805–1875), bis heute unvergessen. Ihre um sieben Jahre jüngere kongeniale Kollegin Agnes Schebest dagegen schon – trotz ihres »engelsgleichen Gesangs« und trotz ihrer kurzen, unglücklichen Ehe mit dem schwäbischen Schriftsteller, Theologen und Philosophen David Friedrich Strauß (1808–1874).
Als Agnese Šebesta ist sie am 15. Februar 1813 in Wien auf die Welt gekommen. Ihr Vater, ein böhmischer Müllersbub (»der nicht zwei Worte deutsch sprechen konnte«), war Sprengmeister bei der Kaiserlich und Königlichen österreich-ungarischen Armee und hatte ein deutsches Mädle aus der Nähe von Leitmeritz geheiratet. Und wurde, mit Weib und Kindern nach Alessandria in Piemont (Geburtsstadt des Bestsellerautors Umberto Eco) versetzt, schwer verletzt bei der Sprengung der dortigen Festung und ist 1815 in einem Prager Spital gestorben. Und dann hat die Witwe eine magere Pension und freie Logis erhalten in der (später zu trauriger Berühmtheit gelangten) Festung Theresienstadt und dort mit ihren beiden Töchtern ein ärmliches Leben geführt und sich mit ein wenig Landwirtschaft und Näherei über Wasser gehalten. Dort hatten die Österreicher auch den griechischen Freiheitskämpfer Alexander Fürst Ypsilanti (1792–1828) interniert, und eines schönen Sonntags nach der Kirch ist die Agnes mal in ihrem schönen Kleidle mit ihren neun Jahren dem »großen, wunderschönen Herrn mit feingeprägtem Kopf« über den Weg gelaufen, und der hat dafür gesorgt, dass der Schulmeister das freundliche und schöne Mädle mit seiner schönen Stimme am Christtag in der Kirche singen lässt.
Und der »himmlische Gesang« hat dem Fürsten so gut gefallen, dass er meinte, »das Kind sollte zur Sängerin ausgebildet werden.« Und der Lehrer hat die Agnes zu seinem Schwager, dem Chordirektor Johann Aloys Micksch (1765–1845) nach Dresden geschickt, und von dem hat sie umsonst Gesangsunterricht erhalten. Und sie ist jetzt mit der Zeit eine berühmte, hoch dotierte Opernsängerin geworden an der Dresdner Hofbühne und konnte endlich ihre arme Mutter samt Schwester verhalten. Anno 1832 erhielt sie dann einen Vierjahresvertrag an der Oper in (Buda-)Pest. Und jetzt haben sich »die führenden deutschen Opernhäuser« um sie gerissen, und »so zog sie von Stadt zu Stadt, allerorts große Triumphe feiernd.« Unter anderem in Berlin, Bologna, Breslau, Danzig, Göttingen, Graz, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Königsberg (da durfte sie bei der Krönung vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. singen), Lemberg, Mailand (der Cavaliere Nicolo von Karajan hat sie dort vergebens an die Opera La Fenice in Venedig verpflichten wollen), München (dort zahlen sie doppelt so viel wie in Stuttgart), Nürnberg, Paris, Riga, Schwerin, Straßburg, Stuttgart (»Die Naivetät des schwäbischen Dialekts heimelte mich unbeschreiblich an«), Triest, Venedig, Warschau, Weimar und Zürich.
Und die Kritiker sind begeistert und überschlagen sich in ihren Lobeshymnen. Und die Verehrer stehen Schlange, und sie kann sich vor Heiratsanträgen kaum retten, aber sie lässt alle abblitzen. Bis auf einen, unsern Landsmann D.F. Strauß, weil der ihr so »enthusiastische Gedichte« geschrieben hat. Und anno 1842 Ende Juli hängt sie in Karlsruhe ihre glanzvolle Karriere von heute auf morgen an den Nagel, und Ende August heiraten die beiden in Horkheim und ziehen in das Deutschordensschlössle in Sontheim. Und anno 43 bringt sie ein Mädle auf die Welt, und dann verstreiten sie sich vor lauter Eifersucht, er zieht noch im gleichen Jahr nach Heilbronn, und dann vertragen sie sich scheints doch wieder für eine Weile: anno 45 kommt nämlich ein Büble dazu, und dann geht das Gehändel erst richtig los, und sie gehen endgültig auseinander. Sie will sich aber nicht scheiden lassen, und er kriegt zu ihrem großen Kummer die Kinder zugesprochen.
Nach dieser Katastrophenehe zieht sie ins Nesenbachtal und schlägt sich voll mit Gesangs- und Schauspielunterricht durchs Leben, bringt dort anno 57 beim Verlag Ebner & Seubert ihre Memoiren heraus »Aus dem Leben einer Künstlerin« – »meinen geliebten Kindern Georgine und Fritz Strauß herzlichst gewidmet.« Und am 22. Dezember 1869 ist sie dann in Stuttgart gestorben und auf dem Hoppenlaufriedhof begraben worden. Und er ist dann anno 74 auf den Alten Stadtfriedhof in Ludwigsburg gelegt worden und hatte seiner Lebtag lang die Nase voll von den Weibsbildern. Wenn er mitbekam, dass zwei heiraten wollen, hat er immer gemeint: »Schon wieder einer, so kommt für jeden die Stunde, da der Wahnsinn über ihn fällt!«