Loriot est mort! Vive Loriot!

Vicco von Bülow (1923–2011)

Wiewohl dem mecklenburgischen Uradel (urk.1154) entstammend und 1923 im (vormals urschwäbischen) Brandenburg an der Havel geboren, hat Bernhard Victor Christoph-Carl (»Vicco«) von Bülows Biographie im (vormals altbadischen) Stuttgart so manche wichtige Weichenstellung erfahren:

Loriot und Stuttgart:

Erstens: Viccos Vater, der Polizeimajor Johann-Albrecht von Bülow (1899–1972), wird 1938 in die Heimat seiner ersten Frau Charlotte, geborene von Roeder (1899–1929), versetzt und bezieht mit den beiden Söhnen eine Wohnung im Haus Kanonenweg (nachmals Haußmannstraße) 1 am Eugensplatz.

Zweitens: Die Buben besuchen das altehrwürdige Eberhard-Ludwigs-Gymnasium (urk. 1686). Er besteht 1941 das Notabitur und ist dieser Schule und ihren Lehrern, allen voran dem späteren Rektor Rudolf Griesinger, sein langes Leben lang von Herzen dankbar. Sein in der Festschrift zur 325-Jahrfeier abgedrucktes Grußwort lässt bereits den nahen Tod erahnen.

Drittens: Als Schüler verdient er sein erstes Geld als Statist an hiesiger Staatsoper und benachbartem Schauspielhaus.

Viertens: Seine erste Filmrolle, ein Page am Hofe Herzog Carl Eugens, erhält er 1940 in dem im noch nicht von Kriegsbomben und Wiederaufbau zerstörten alten Stuttgart gedrehten Film »Friedrich Schiller. Triumph eines Genies.«

Fünftens: Der von der Ostfront als Oberleutnant gottlob unversehrt heimgekehrte, mittlerweile sehr erfolgreiche Zeichner und Buchautor zieht nach Ammerland am Starnberger See. Seine freundliche Nachbarin ist die gebürtige Stuttgarterin Christine Freifrau von Laßberg, Mitstifterin beim Kauf des Nibelungenlieds und Stifterin der Stauferstele von Meersburg.

Sechstens: Der 1927 in Hamburg geborene, jetzt im Sillenbucher Augustinum lebende nachmalige Fernsehdirektor in Bremen und Baden-Baden Dieter Ertel vom innovationsfreudigen Süddeutschen Rundfunk entdeckt Loriot für das Fernsehen. 1967 bis 1972 entsteht die sauglatte und hochintelligente Fernsehserie »Cartoon« – und als das Filbingerregiment das Ludwigsburger Schloss als Drehort verweigert, bittet der königwilhelmstreue Thaddäus Troll den Herzog Philipp Albrecht von Württemberg mit Erfolg um dessen Schloss Monrepos. Ertel geht 1974 nach Bremen, nimmt Loriot mit und lässt ihn dort jene supergenialen, noch viele Generationen beglückenden Kabinettsstücke schaffen.

Siebtens: Anno 1986 kehrt Loriot vorübergehend nach Stuttgart zurück und inszeniert die Oper »Martha« und zwei Jahre drauf den »Freischütz« bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen.

Loriot und Degerloch:

Erstens: Der dem Filderbauernuradel (urk. 1373) entstammende Autor des Bestsellers »Herr, schmeiß Hirn ra!« (1985) verfasst ein von dem Stuttgarter Typografenpapst Professor Hansjörg Stulle (wunderschön & omesonst) gestaltetes »Programm der Feierlichkeiten aus Anlaß der Vollendung des 66,6. Lebensjahres von Herrn Bernhard Victor Carl-Christoph von Bülow – vulgo Vicco – alias Loriot – am 13. Juli 1990« – welch selbiges vom Jubilar als »kongenial« empfunden wird.

Zweitens: 1995 erscheint bei der (damals noch in Stuttgart ansässigen autochthonen) Deutschen Verlags-Anstalt der von Loriot illustrierte Nachfolgebestseller »Mehr Hirn!«. Dieses Buch samt den dazugehörigen Benefizveranstaltungen hat der von diesem initiierten Rettungsaktion für den vom Einsturz gefährdeten Dom in seiner Vaterstadt Brandenburg laut (allerdings vorbestraftem) Schatzmeister Otto Graf Lambsdorff »über 1,25 Millionen DM« und dem Verf. ein (nadierlich sofort weiterverschenktes) Bundesverdienstkreuz eingebracht.

Drittens: Zu Weihnachten 1996 schreibt Loriot nach Degerloch: »Lieber, verehrter Herr Dr. Raff, dieses Jahr darf nicht zu Ende gehen, ohne daß ich Ihnen noch einmal von Herzen gedankt habe. Nicht zuletzt durch Ihre Hilfe war es möglich, das Geld zusammen zu bekommen, um den Brandenburger Dom fürs Erste abzusichern. Ich muß Ihnen an dieser Stelle auch sagen, daß ich keinen Menschen kenne, der wie Sie sein Können und seine Mittel so bedingungslos dort einsetzt, wo Hilfe gebraucht wird. Das ist eine Eigenschaft, die heute selten geworden, auf die aber unser öffentliches Leben mehr denn je angewiesen ist.«

Und dabei hatte Loriot doch einen so großen Bekanntenkreis …

Viertens: Anno 2003 will der Verf. dem »vielleicht bedeutendsten deutschen Denker im Europa des 20. Jahrhunderts« zum 80. Geburtstag eine Gedenktafel am Haus am Eugensplatz stiften – wie dies bereits für Richard von Weizsäcker an dessen Geburtshaus am Neuen Schloss anno 2000 geschehen war. Der bescheidene Jubilar möchte aber diese Ehrenbezeugung »erst nach m(s)einem Ableben« verwirklicht sehen.

Fünftens: Einen besonders schönen Gruß zu seinem »Senilitätsgedenktag« erhält der Verf. anno 2006 aus Ammerland: Ein von Degerloch träumendes Loriot-Männchen mit dem dann tatsächlich in Erfüllung gegangenen Wunsch: »Der Dr. Raff von Degerloch, er lebe lang und dreimal hoch!«

Sechstens: Loriot, am 22. August 2011 in Ammerland verstorben und in Berlin im Friedhof Heerstraße beigesetzt, erhält als Anlass seines 90. Geburtstages eine von Dr. Volker und Christa Merz gestiftete ionische Gedenksäule am Eugensplatz errichtet, direkt vor der Haustür an einer Stelle, die er täglich auf dem Weg in das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium mit seinem noch in den letzten Kriegstagen bei Gorgast im Oderbruch gefallenen Bruder Johann Albrecht Sigismund von Bülow (1924–1945) überquert hat.

Siebtens: »Lieber Loriot, auf Wiedersehen!«