Der Johann Friedrich Flattich ist am 3. Oktober 1713 in Beihingen am Neckar auf die Welt gekommen, sein Vater Johann Wilhelm Flattich (1678–1729) hatte sich vom Mesner, Organisten und Schulmeister über den Gerichtsschreiber bis zum Amtmann der Ortsherrschaft, der Freiherrn Schertlin von Burtenbach, heraufgeschafft, und seine Mutter Maria Veronika (1680–1756) war die Tochter des Stiftsverwalters Johann Melchior von Kapff im vormals altbadischen Städtchen Backnang, also edelste Ehrbarkeit Altwirtembergs.
Und ist ein außergewöhnlich schönes und kluges Bürschle gewesen und durfte natürlich auf die Lateinschule. Und schon mit zwölf Jahren musste er in aller Herrgottsfrühe mutterseelenallein die anderthalb Stunden nach Ludwigsburg laufen, ob Regen, Eis oder Sonnenschein, und abends den ganzen Weg wieder heim. Und als er fünfzehn war, ist ihm der Vater weggestorben und hat der Familie keine Ersparnisse hinterlassen, aber glücklicherweise hatte er seinem Sohn soviel Gescheitheit vererbt, dass er das berühmte Landexamen bestanden hat und darum umsonst die Klosterschule in Denkendorf besuchen durfte. Und da ist der »achtungswürdigste, vortrefflichste, hochgeehrteste und hochgelehrteste Herr Johann Albrecht Bengel«, der »Schwabenvater« sein Lehrer gewesen. Und bei diesem, »seinem bis ins Grab hochzuverehrenden Gönner«, wäre er am liebsten lebenslang geblieben als »dessen gehorsamster Schüler«. Aber nach zwei Jahren hat er, wie üblich, für noch mal zwei Jahre auf die Maulbronner Klosterschule wechseln müssen.
Und dann ist er nach Tübingen aufs Stift gekommen und hat Theologie, Philosophie und Mathematik studiert. Und statt Vollsaufen oder Stocherkahnfahren oder mit Menschle rumpoussieren, hat er in seiner Freizeit Nachhilfe gegeben, den Reichen für Geld, den Armen für umsonst.
Wiederum zwei Jahre später hat er schon den Magister gemacht, nach weiteren zwei Jahren das Staatsexamen, der Herr Kurzzeitstudent. Hätte aber gar nicht so pressieren brauchen, weil er jetzt ja doch keine Stelle gekriegt hat. Deswegen hat er solang bei seinem Onkel Kapff in Hoheneck »zum Vergnügen der Gemeinde« als Vikar geschafft.
Mit neunundzwanzig erhält er endlich sein erstes Amt, Garnisonsprediger auf dem Asperg. Und jetzt hat er auch ein Weib verhalten können und heiraten, anno 1742 seine Christina Margaretha Groß, eine Pfarrerstochter aus Murr an der Murr, acht Jahre jünger und ohne Vermögen und Mitgift. Er hätte mit seinem guten Aussehen, seinem witzigen Wesen und seiner freundlichen Art ja gewiss auch eine Reiche haben können, aber »wenn ich mich behelfen und mit einer Wassersuppe vorlieb nehmen will, geht es niemand etwas an.« Und sie hatten sich so sehr lieb und vierzehn Kinder miteinander, von denen sind aber nur zwei Buben und vier Mädchen groß geworden, und seine Beata Regina hat später den Witwer Philipp Matthäus Hahn in Kornwestheim, dieses schwäbische Genie geheiratet.
Nach drei Jahren auf dem Asperg ist er versetzt worden in das armselige und verlotterte Dorf Metterzimmern, wo die Leut zu faul zum Schaffen gewesen sind und lieber ihre Kinder zum Betteln geschickt haben. Und mit Rat und Tat und mit seinem guten Beispiel hat er den Flecken in Schuss gebracht, und die haben ihm das bis auf den heutigen Tag noch nicht vergessen. Eines schönen (Sonn-)Tages kommt der Landesvater, der Herzog Carl Eugen, auf der Jagd durch das Nest, geht inkognito in die Kirch und hört den Flattich predigen und ist ganz hingerissen und verspricht: »Hör Er, der erste gute Dienst, der aufgeht, ist Sein.«
Und tatsächlich hat er bald darauf anno 1760 die reiche Pfarrei Münchingen im reichen Strohgäu bekommen und ist dort noch siebenunddreißig Jahre bis zu seinem Tod ein Segen gewesen. Und dort hat er nun noch mehr Gutes tun können an den Armen, er selber ist ja ganz bescheiden, einfach und sparsam gewesen und ist fast wie ein Bettler dahergekommen mit abgeschabten Kleidern und ausgedappten Schuhen. Denn seine guten Schuhe und Kleider hat er ja immer verschenkt.
Und weil er so ein guter Redner und ein schlagfertiger, witziger und gescheiter Kerle gewesen ist, hat ihn der Carl Eugen oft auf die Solitude eingeladen, und wenn er dahergekommen ist wie ein Handwerksbursch, und der »Carlherzich« geschimpft hat, weil er seine Perücke nicht gepudert hatte, hat der Flattich halt gemeint: »Durchlaucht, I brauch mei Mehl für d’Knöpfle« (Spätzle).
Nein, der Flattich ist kein so ein Fürstenschleimer gewesen und hat vor den hohen Herren nicht gebuckelt., der hat sein Maul aufgemacht und dem Herzog frisch seine Meinung gesagt. Andere wären für seine Sprüche auf den Asperg gekommen, er aber ist ja früher schon mal drauf gewesen, auf »Württembergs höchstem Berg«: in zehn Minuten oben, in zehn Jahren wieder unten.
Von den vielen Dutzend schöner Anekdoten über ihn, hier bloß eine: So ein eingebildeter Schnellschwätzer und Wichtigtuer vom großen Vaterland, ein Herr von Osten, hat sich über die Bibel lustig gemacht und den Pfarrer spöttisch gefragt, wie denn der Noah überhaupt alle die vielen Viecher in seine Arche reingekriegt habe. Ganz einfach, sagt der pfiffige und fromme Flattich, als die Arche fertig gezimmert war, hat sich der Noah auf das Dach gestellt und nacheinander in die vier Himmelsrichtungen gerufen: »Komm her, du Löwe von Süden, du Bär von Norden, du Schaf von Westen, und komm her, du Esel von Osten!«
Wenn es doch nur mehr solche philosophischen, pädagogischen, psychologischen Genies gäbe, gerade heutzutage. Man hätte dieses Original unbedingt tausendfach klonen sollen. Aber zu spät, dieser »gottfröhliche, leutselige Menschenfreund, der Johann Friedrich Flattich hieß«, »ein begnadeter Seelsorger und genialer Erzieher«, »der schwäbische Salomo« (alles Buchtitel) hat sich am 1. Juni 1797 »zu Münchingen im Strohgäu aus dieser Welt verabschiedet, um zu schauen, was er geglaubt.«