Im damals nur noch eine Weile vorderösterreichischen Oberland, in Saulgau, ist der Michael Jung an Michaelis, am 29. September 1781 auf die Welt gekommen und hat dort in der Werkstatt seines Vaters das ehrsame Schneiderhandwerk erlernt. Weil aber »seiner Gesundheit das Sitzen nicht gut tat«, geht er mit fünfzehn auf die Lateinschule in Überlingen, mit zwanzig auf die Universität Salzburg, besteht an der Universität Freiburg sein Examen und wird nach seiner Zeit auf dem Priesterseminar in Meersburg mit fünfundzwanzig zum Priester geweiht und Vikar in Erolzheim.
Anno 1812 erhält er dann die Pfarrstelle im Nachbardorf Kirchdorf an der Iller (jetzt Liebherrville). Und dort hat er sich bei einer Typhusepidemie so tapfer und vorbildlich verhalten, dass ihn der dicke König Friedrich, sein neuer Landesherr, anno 1814 zum »Ritter des Königl. Württemberg. Civilverdienst Ordens« geschlagen hat, und er sich fortan ganz vornehm »Ritter Michael von Jung« schreiben darf. Und voller Stolz, so wird berichtet, habe er den Orden werktags wie sonntags auf seinem selbst geschneiderten Pfarrersrock getragen, und er habe nach dem Gottesdienst immer auf der Orgel einen Marsch spielen lassen und dabei, »durch die Kirche marschierend, im Takt links und rechts das Weihwasser ausgeteilt.«
»Unser Ritter war eine originell angelegte Persönlichkeit, stets heiter und voller Witz, freisinnig und wohlwollend gegen jedermann, beliebt bei Jung und Alt, ein ächter Typus eines braven ›alten Herrn‹ aus guter alter Zeit.«
Berühmt geworden ist er aber hauptsächlich, weil er, anstatt langweilige Leichenpredigten zu halten, lieber lange Grablieder auf Volksliedmelodien gedichtet und diese wie ein Bänkelsänger mit seiner Gitarre bei der Beerdigung vorgetragen hat. Das kam natürlich bei den Leuten gut an, aber halt nicht bei der geistlichen Obrigkeit in Rottenburg.
Und als er anno 1837 seine gesammelten Werke veröffentlichen will und um die Druckerlaubnis nachfragt, erhält er vom Bischöflichen Ordinariat den Bescheid: »Wir haben mit Bedauern gefunden, daß die Lieder im Ganzen nicht eben viel religiösen und moralischen Gehalt und noch viel weniger poetischen Werth haben, zudem viel Unpassendes und auch einzelne Verstöße gegen die reine Lehre enthalten und insbesondere die Darstellung häufig unwürdig ist und zuweilen ins Triviale fällt« und dass er die Sängerei am Grabe »in Zukunft zu unterlassen habe.«
Gottlob hat er als »ein der Aufklärung verpflichteter Theologe« seine Lieder trotzdem und grad mit Fleiß anno 1839 im Selbstverlag herausgebracht: »Melpomene oder Grablieder. Zwei Baendchen, jedes hundert Grablieder enthaltend, mit zwanzig Melodien.« Und jetzt kann sie jeder nachlesen, die gottesglatten Verse: »Bei dem Grabe eines: Mannes, der in Betrunkenheit erfror« oder »Mädchens, das sich zutod tanzte« oder »Mannes, der mit einem Regenschirm erstochen wurde« oder » Kindes, das in einen siedenden Kessel fiel« oder« Schullehrers und seiner Frau, die als Giftmischer enthauptet wurden« oder »Mannes, der von einem Kirchturm herab zutod fiel« oder einer »vortrefflichen Sängerin, die an der Kolera starb« undgradsoweiter.
Und ganz gscheite Leut haben diese urkomischen geistlichen Gesänge noch hundert und mehr Jahre danach nochmals herausgegeben. So unter anderem der (seinerzeit mit Schreibverbot belegte) Sebastian Blau alias Prof. Dr. Josef Eberle anno 1939 in Zürich und 1953 nochmals in Tübingen bei Rainer Wunderlich: »Fröhliche Himmelfahrt oder die höchst merkwürdigen Grablieder des Ritters Michael von Jung weiland Pfarrer zu Kirchdorf in Schwaben« oder der berühmte evangelische Theologieprofessor Helmut Thielicke: »Fröhliche Grablieder zur Laute« im katholischen Herderverlag 1976 in Freiburg. Und vor genau fünfzig Jahren hat der junge Oliver Storz seinen Gedenkartikel zum 100. Todestag überschrieben: »Der Don Quichotte in der Soutane«. Und wer kennt nicht den wunderschönen Fernsehschwank vom Alfred Weitnauer »Sing nicht Vogel!« – der wurde mit dem Dieter Borsche als Domkapitular gedreht und mit dem Willy Reichert in der Hauptrolle zu dessen 70. Geburtstag.
Anno 1849 wurde der »geistliche Bänkelsänger und himmlische Komiker« nach Tettnang strafversetzt auf »einen seinem gebrechlichen Alter angemessenen Posten« als Kaplan. Und dort ist er dann »an St. Jakobs Abend«, am 24. Juli 1858 gestorben. Und sein Grab auf dem Tettnanger Kirchhof haben sie nach dem Ersten Weltkrieg einfach abgeräumt. Wenn sich aber ein/e Stifter/in findet, bekommt er sofort wieder einen schönen Grabstein.