In Thaddäus Trolls Ferienhaus in Hinterrohrbach, wo der »schwäbische Tucholsky« unter anderem seinen Klassiker »Deutschland deine Schwaben« geschrieben hat, hingen nur zwei Künstler an der Wand, der HAP Grieshaber mit seinen Holzschnitten und der Karl Hurm mit seinen Ölbildern. Und diesen Karl Hurm hat er den »schwäbischen Rousseau« genannt, und der ist anno 1930 im damals noch preußischen Hohenzollern, in Weildorf bei Haigerloch, auf die Welt gekommen, und dort wohnt der originelle Hauptkerle bis heute und ist doch mit seiner Kunst weit auf dieser Welt herumgekommen.
Sein Vater hat auch Karl geheißen und hat mit Obst und Gemüse und auch mit Vieh gehandelt, und seine Mutter, die Sophie Gaus, ist das Kronenwirtstöchterle von Empfingen gewesen. Und von ihren acht Kindern ist der Karle das siebte gewesen. Und schon als junger Bub fing er an zu malen, und für das Porträt eines Soldaten hat er als Honorar ein paar Bratwürste gekriegt. Mit sechzehn hat er dann eine Malerlehre angefangen, ist aber schließlich doch kein Lackierer und Anstreicher geworden, sondern hat mit neunzehn das Geschäft des Vaters übernommen.
Und ist jetzt zwanzig Jahre lang fast jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe mit seinem Lastwagen auf den alten schmalen Postkutschensträßchen durch all die Dörfer hindurch nach Stuttgart auf den Großmarkt gefahren, und wenn es die Zeit erlaubte, hat er immer wieder in die Staatsgalerie hineingeschaut und Führungen mitgemacht, und hat sich auch viele Kunstbücher gekauft, und seine Lieblingsmaler sind der Gauguin, der Klee, der Chagall und hauptsächlich der Picasso geworden.
Und mit fünfundzwanzig hat er geheiratet, seine Anni Huber, ein Weildorfer Bauernmädle, das Industriekauffrau gelernt hatte, und sie haben drei Töchter mitnander und einen Buben, und aus dem ist sogar ein leibhaftiger Professor geworden. Und das viele Gschäft Tag und Nacht hat ihn aufgerieben und hat ihm auf das Herz geschlagen, und der Doktor hat gemeint, wenn er so weitermacht, dann macht er’s nicht mehr lang. Und anno 70 hat er sein Geschäft seiner Gesundheit zuliebe aufgegeben und ist daheim geblieben und – seinerzeit noch ganz avantgardistisch – Hausmann geworden. Und wenn der Haushalt und die Kinder versorgt gewesen sind, hat er sich an seine Staffelei gesetzt und in jeder freien Minute gemalt.
Und hat dann an so Amateurmalerwettbewerben im Ländle teilgenommen, und im Feuerwehrhaus in Ebingen hat er das erste Mal seine Sachen zeigen dürfen. Und wie dann die schwäbische Weltfirma Eisenmann in Böblingen ihre Ausstellungen für »Sonntagsmaler« veranstaltet, hat der Karl Hurm unter über tausend Teilnehmern anno 72 den ersten Preis bekommen. Und das haben dann die Zeitungen, die Kunstkritiker, die Galeristen mitgekriegt, und er wird über Nacht ein bißle berühmt, und darf mit der Zeit in der ganzen halben Welt in mittlerweile über 200 Ausstellungen seine schönen Bilder präsentieren. Wie ein Stein, den man ins Wasser schmeißt: Erst in Haigerloch, dann in Württemberg (selbst in der Staatsgalerie und im Landesmuseum), in der Schweiz, in Österreich, in Holland, in Frankreich, in England, in Italien, auf Zypern, in Polen, in Russland, in Japan, in der Dominikanischen Republik und in den USA (unter anderem im Museum of Contemporary Art in Chicago).
Und in Haigerloch in seinem hohenzollerischen Vaterland kriegt er anno 1998 sogar ein eigenes Museum in der alten Ölmühle neben dem Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker ihrem Atomkeller. Und seine Bilder sind so farbenfroh und skurril, so gottesglatt und originell, so poetisch und tiefsinnig, so phantasievoll und präzise, dass die Kunstkritiker voll des Lobes sind über seinen »poetisch-erzählenden Realismus«.
Die einen vergleichen ihn mit seinem Landsmann Reinhold Nägele, andere heißen ihn den »schwäbischen Rousseau«, viele sagen, er sei »ein malendes Genie«. Und wie der Thaddäus Troll kurz vor seinem Tod noch eine Ausstellung in Bald Waldsee eröffnet, da sieht er den Karl Hurm als »liebs Herrgöttle von Haigerloch am dritten Schöpfungstage« und er meint: »Seine Bilder bestehen aus Spaziergängen für den Blick. Sie sind im ursprünglichen naiven Sinn des Wortes eine Augenweide.«
Und trotz allem Lobpreis und Erfolg ist der durch und durch sympathische Künstler ganz schwäbisch bescheiden geblieben, ein »Stiller im Lande«, und er sieht mit seinem knitzen Gesicht aus wie so ein Prophet aus dem Alten Testament, und mit etwas Glück kann man ihn sogar höchstpersönlich in seinem Museum antreffen. Und wenn sie im Werbefernsehen wieder einmal Reklame machen für das Bundesland Baden-Württemberg, dann sollen sie doch den Karl Hurm zeigen in seinem Haus, das vom Keller bis unters Dach voll hängt mit seinen zauberhaften Ölgemälden, so dass man kaum noch die Tapete sieht.
Zu welcher Weltberühmtheit hätte es dieser »meisterhafte Autodidakt«, der »König der naiven Malerei in Deutschland« wohl gebracht, wenn er nicht in der schwäbischen Provinz, sondern in Paris, London oder New York leben würde! Immerhin, einen Ehrenplatz in der württembergischen Walhalla, wahrlich den hat er sich schon zu Lebzeiten verdient. Unter dem Buchstaben H direkt neben Hahn, Hegel, Hesse, Heuss und Hölderlin.