Und doch, wie in den besten Familien vorkommend, stehen die Wirtemberger in der unter dem Begriff »Investiturstreit« weltgeschichtsbuchbekannten unseligen Auseinandersetzung zwischen Reich und Rom, zwischen Kaiser und Papst nicht auf der Seite des kaiserlichen Vetters.

Die erste erhaltene Urkunde, in der ein Wirtemberger erwähnt wird, entstand am 2. Mai 1092 anlässlich einer Versammlung von Anhängern der päpstlichen Partei in Ulm, die dort Herzog Berthold II. von Zähringen (Ehemann der Tochter des um Leben und Schwurhand gekommenen Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden) zum Gegenherzog gegen den Staufer Herzog Friedrich I. von Schwaben (Schwiegersohn des Canossa-Kaisers Heinrichs IV. und Großvater Friedrich Barbarossas) erhob.

Und mitten unter den ultramontanen Verschwörern ein »Conradus de Wirtinisberk« alias Konrad von Beutelsbach, der sich inzwischen und fortan nach der von ihm erbauten Burg im Neckartal nennt, deren Bau am 7. Februar 1083 mit der Weihe der Burgkapelle abgeschlossen war. Der dieses Ereignis überliefernde Weihestein hat den von König Wilhelm I. befohlenen Abbruch der Stammburg im Jahre 1819 zur Errichtung der Grabkapelle für die so jung verstorbene Königin Katharina überstanden und ist allda auch als wirkungsloses Mahnmal für eine bessere Beachtung des Landesdenkmalschutzgesetzes noch immer zu besichtigen.

Anderthalb Jahrhunderte später findet sich der Wirtemberger wiederum auf der Seite des Papstes. Als Kaiser Friedrich II. anno 1245 auf dem Konzil von Lyon von Papst Innozenz IV. gebannt und abgesetzt und in Deutschland Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen, zum Gegenkönig gewählt wird, geht Wirtembergs Graf Ulrich I. der Stifter stiften. Gegen immense Bestechungsgelder – von der »Banco di San Spirito« aus Roma an die »Banco Centrale« in Stoccarda überwiesen – und wertvolle Immobilien aus staufischem Besitz läuft er, der Bannerträger König Konrads IV. am Morgen der Schlacht von Frankfurt am 5. August 1246 mit eingerollter Reichssturmfahne und zwei Dritteln des Heeres zum »Pfaffenkönig« Heinrich Raspe über.

Manche Badener, immerhin ist ihr junger Markgraf Friedrich anno 1268 mit Konrads IV. sechzehnjährigem Sohn Konradin in Neapel aufs Schafott gestiegen, beschimpfen die Wirtemberger als »Totengräber und Erbschleicher der Hohenstaufen« und behaupten »Der Verrat des württembergischen Stammvaters trug wesentlich zum Untergang der Hohenstaufen bei.« Und übersehen dabei geflissentlich, wie Ulrichs welfisch gesinnter Großvater mütterlicherseits einstens von der Stauferpartei um sein reiches Sach in Südtirol gebracht worden war.

Und wissen anscheinend nicht, dass Ulrich der Stifter zum Zeitpunkt des Verrats wohl schon mit Mathilde, der Tochter des Stuttgarter Stadtgründers, Markgraf Hermanns V. von Baden, verheiratet gewesen ist. Sie hat die altbadische Landeshauptstadt als Mitgift mit in die Ehe gebracht.

Beide, Badener und Württemberger haben in der Folgezeit friedlich nebeneinander gelebt, und wenn sie schon mal gekämpft haben, dann Seite an Seite, und das bis zur bitteren Niederlage. (»Ich sage nur Preußen, Preußen, Preußen!«)

Die Kinder und Kindeskinder Ulrichs (aus dessen zweiter Ehe mit der Urenkelin der heiligen Hedwig, der Herzogin Agnes von Schlesien-Liegnitz) haben das Erbe der Väter sorgsam und reichlich vermehrt, und das zumeist auf friedlichem Wege mit einer geschickten Erwerbs-, Heirats- und Haushaltspolitik. Wirtemberg ist die größte Grafschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, als der »weiseste unter den Fürsten Teutschlands«, Graf Eberhard im Bart anno 1495 auf dem Reichstag von Worms von seinem Freund, dem (späteren) Kaiser Maximilian I. aus dem Hause Habsburg zum Herzog erhoben wird.

»Eberhard, der mit dem Barte« und sein genialer Großneffe Herzog Christoph werden von der Geschichtsschreibung gerühmt als »Baumeister der schwäbischen Gelehrtenrepublik und Wegbereiter der Demokratie in Württemberg«. Beide werden sogar vom Bayernkönig Ludwig I. in der Walhalla mit einer Büste geehrt.

Napoleon aus dem Hause Buonaparte, selbst gekrönter Kaiser der Franzosen, belohnt den »schwäbischen Zaren«, den despotischen »dicken Friedrich« für seinen (diesmal erzwungenen) Verrat am römisch-deutschen Kaiser anno 1806 mit dem Königstitel und wohlansehnlichen Ländereien aus der Konkursmasse des »Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation«.

Dessen Sohn, König Wilhelm I., der sein »Land der hellen Kopfe und der geschickten Hände« vom Agrarstaat zum Industrieland wandelt, sagt anno 1864 auf dem Sterbebett beim Blick von Schloss Rosenstein ins Neckartal: »Es thut doch weh, von einem so schönen und guthen Lande scheiden zu müssen.« (Anm.: Bei gleichem Blickwinkel stirbt sich’s heute bedeutend leichter).

Der letzte König Wilhelm II., der von seinem Volk und selbst von den republikanisch gesinnten Sozialdemokraten hoch verehrte »Demokrat auf dem Königsthron«, stellt nach der Revolution von 1918 fest: »Es hat sich en Wirteberg net viel verändert. Die Baure, wo die Trög fülle müeßet, bleibet de gleiche. Bloß die Säu, wo draus fresse därfet, des send jetz andere.«

Sein durch das Revolutiönle verhinderter Thronfolger Herzog Albrecht hat schon zu Weimarer Zeiten seine abgrundtiefe Abneigung gegen die an Macht drängenden braunen Brüder nie verhehlt und diese aufrichtige Haltung mitsamt seiner Familie bitter büßen müssen.

Herzog Albrechts Enkel, der derzeitige Chef des Hauses Württemberg, Herzog Carl, Jahrgang 1936 und wohnhaft auf Schloss Altshausen im Oberland und mit Prinzessin Diane von Frankreich vermählt, macht durch zahlreiche soziale und kulturelle Aktivitäten und ein herausragendes Mäzenatentum von sich reden. Der legendäre Landeshistoriker Hansmartin Decker-Hauff sagte von ihm: »Er wäre ein guter König von Württemberg geworden.«