Umso mehr schmerzt es ihn, wenn seit geraumer Zeit immer mehr Telefonate und Briefe ankommen, wie auch heute wieder, des Inhalts, man habe der »einseitigen Berichterstattung in Sachen Stuttgart 21« oder »unterdrückter Leserbriefe« wegen das Abonnement der StZ bereits gekündigt oder wolle es jetzt kündigen. Und es bedarf zum Heulen keines Extra-Einsatzes von Tränengas und Pfefferspray, wenn bei den erfreulicherweise immer beliebteren Versammlungen des friedlichen Stuttgarter Bürgertums im geschändeten Schlossgarten neben so berechtigten und intelligenten Schreien wie »Oben bleiben!« oder »Lügenpack!« oder »Mappus weg!« neuerdings – wie leider schon gelegentlich geschehen – auch der recht rüpelhafte Ruf »Abbestellen! Abbestellen!« massenhaft skandiert wird.
Bitte, bitte, ihr lieben bezahlten Berufsdemonstranten, nicht diese Töne, diese Töne nicht! Habt Ihr denn wirklich schon vergessen, wie uns die Stuttgarter Zeitungen geholfen haben seinerzeit, als die Spitze der Stadtverwaltung allen Ernstes das im Krieg ausgebombte Neue Schloss abreißen wollten?! Oder, um nur ein weiteres von tausend Beispielen zu nennen, eine kritische Presse dieser Trottel Trump-Tower gar nicht erst aus dem Boden des Pragsattels sprießen ließ?! Und wer hat denn so manche Mauschelei, so manches verschwiegene Gutachten ans Licht der Sonne geholt?! Und denkt doch mal tief nach, wenn älle so dächten, dann gäbe es ja auch älle die genialen Karikaturen der Kollegin Friederike Groß nicht mehr, die so schön den ebenso kunst- wie geistvoll gestalteten Bauzaun am bürgerkriegszerstörten Bahnhofsnordflügel zieren und die sie bewachenden sympathischen, redseligen, vormals teilweise sogar tapfer Anti-S21-Anstecker tragenden Polizisten* beiderlei Geschlechts mit den Stauferlöwen auf dem Ärmel so sehr erfreuen, dass sie auf meinen deeskalierenden Vorschlag hin »Verhaftet doch oifach den Mappus, no hend Ihr Euer Rueh ond könnet endlich hoim« überraschenderweise lächelnd mit »Aber gern, sofort, wo isch’r?« antworten konnten.
Leider wurde der zeitlebens königstreue Verfasser in dem unserem angestammten demokratischen Königshaus zu verdankenden Schlossgarten auch von dem »Sprühregen« der von den Spitzen der Landesregierung gegen ihre treue Ex-Wähler- und brave Bürgerschaft eingesetzten Wasserwerfer getroffen, nur wenige Meter neben dem zu so trefflich zutreffenden Formulierungen wie »Rambo« fähigen kadolischen Stadtdekan stehend. Und hat daraufhin sein geliebtes Vaterland Wirtemberg – einstmals »Mutterland der Demokratie« – tränenden Auges spontan in »Rambonesien« umgetauft. Und als er später dennoch über das Schutzgitter hinweg mit den unseren zutraulichen heimischen Polizeikräften zur Seite gestellten martialischen Marsmännern aus den germanischen Bruderstaaten freundlich schwätzen wollte, wurden diese von ihren vorgesetzten Goldfasanen sofort zurückgepfiffen.
Er hätte diesen völlig ahnungslos angereisten armen Burschen so gerne jenes seltsamerweise am 50. Jahrestag der Zerstörung von Dresden vor der Stuttgarter Presse abgegebene staatsmännische Statement unseres fernab vom Schuss im Berliner Exil lebenden Landsmanns Heinz Dürr, Gruselgräber Grubes Vorvorvorgänger als Bahnchef, vom 13. Februar 1995 vorgelesen: »Die Art der Präsentation (von Stuttgart 21) im April 1994 war ein überfallartiger Vorgang. Gegner und Skeptiker sind nicht im Stande gewesen, die Sache zu zerreden. Ein Musterbeispiel, wie man solche Großprojekte vorstellen muß.«
Geschlossene Gesellschaft
Wie schön, ein Visionär zu sein,
im ruhigen, stillen Kämmerlein.
Doch könnt es nützen manchem Plan,
ließ man auch mal die Bürger ran …
Karikatur von Friederike Groß*
(Stuttgarter Zeitung vom 16. März 1996!)
* Nicht blutsverwandte Meisterschülerin
von Professor Dieter Groß
an der Stuttgarter Kunstakademie
Also liebe potentielle Abbesteller, haltet doch bitte, bitte, bitte (au scho mir zlieb) dem vorliegenden Intelligenzblatt, das »so gute, geistreiche, traurig wahre, kernige, die Situation genau auf den Punkt treffende, mit gekonnten einmaligen spitzfindigen Anmerkungen die Lage in Stuttgart aufs Beste ansprechende Artikel« (Leserbrief von OStD H.-J. W. in L.-E.) freimütig abdruckt, auch fürderhin die ewige Treue.
Und wenn unser ungewählter, ungewollter Herr Noch-Ministerpräsident Mappus tatsächlich anscheinend keinen besseren Kandidaten und Kameraden mehr finden konnte als Drexler-Ersatz wie den neuen Projektsprecher Andropof, oder wie der heißt, dann geht dieses b(löd)estgeplante Projekt Stuttgart 21 auch voll den Nesenbach na. Hat der hoch dekorierte Denger aus Dettenhausen nicht bei dieser Holzfällerpressekonferenz am 28. September so schön schabowskihaft von seinem Spickzettel abgelesen: »Ich gehe davon aus, dass da rund ›ääh‹ 25 Bäume in den Parkanlagen entfernt werden müssen und ›ääh‹ dass dann ›ääh‹ darüber hinaus noch etwa ›ääh‹ 80 ›ääh‹ Bäume im weiteren ›ääh‹ Umfeld ›ääh‹ entfernt ›ääh‹ werden ›ääh‹ müssen.« ›Ääh‹ also ehrlich wahr! Dieses Gestottere im ›ooh‹ Heimatland vom Abraham a Santa Clara und Hansmartin Decker-Hauff! Das erinnert doch stark an dem Edmund Stoiber sein weltberühmt gewordenes Gschwätz vom Transrapid seinerzeit in München. Und bald darauf sind ja beide baden gegangen.
Arms Deutschland! Arms Wirteberg! Arms Stuegert!
Mistkefer statt Juchtenkäfer …
»Ich finde es unglaublich, was da passiert. Andauernd werden die Pannen des Großprojekts aufgedeckt. Egal, ob Kostensteigerung, fehlender Brandschutz, gefährliche Bahnsteige. Die Leute, die S 21 betreiben, machen ungerührt weiter, der gesunde Menschenverstand spielt überhaupt keine Rolle mehr. Wozu braucht eine Stadt wie Stuttgart ein Bahnhofsprojekt, das zehnmal so teuer ist wie der neue Berliner Bahnhof? Ein Projekt, für das man sechzig Kilometer Tunnel graben muss, ein Eingriff, der die ganze Stadt verändert? Das zeugt von einer unfassbaren Hybris der Verantwortlichen.« Matthias Richling (Interview in den »Stuttgarter Nachrichten« vom 30. August 2013)
*Auf den Hinweis, ein solcher Button sei ja nicht gerade seiner Karriere förderlich, antwortete ein den Bauzaun bewachender junger Polizist am Rande einer Montagsdemonstration: »Da drüben sind meine Eltern, und wenn ich Feierabend hätte, wäre ich bei ihnen.«