Vorwort

Auf den Tag genau zwölf Jahre vor der weltbewegenden Ansprache des sechsten Bundespräsidenten Richard Freiherr von Weizsäcker im Bonner Bundestag zum Ende des Zweiten Weltkrieges, am 8. Mai 1973 erhielt der zum schwäbischen Kolumnisten der »Stuttgarter Zeitung« berufene Verfasser unter dem eindeutig zweideutigen Titel »Degerlocher Löcher« erstmals in diesem Intelligenzblatt eine Geschichte aus seiner so manchem mimosenhaften Mitmenschen viel zu frechen Feder abgedruckt. So dass er heuer im Frühjahr in aller Stille sein vierzigjähriges Betriebsjubiläum als Dialektschreiber bei diesem papiernen Premiumprodukt begehen konnte.

Ein Jahr später hat er dann in der Überschrift über einem Beitrag vom 13. Mai 1974 den mittlerweile im ganzen deutsch-österreichisch-schweizerisch-liechtensteinisch-elsässisch-südtirolischen und Eupener Sprachraum geläufigen und gebrauchten Begriff »Mund-Art« erfunden und mit selbiger bis zum heutigen Tage eine bedeutende Anzahl Leser/innen erfreut. So dass eine 1985 bei der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart unter dem von Herrn Oberbürgermeister Manfred Rommel in einem Leserbrief aufgezwungenen Titel »Herr, schmeiß Hirn ra!« erschienene und unter vielem anderem auch mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnete Sammlung der Geschichten den Verfasser nahezu über Nacht zum Best- und Longseller- und weltweit »meistgelesenen Dialektautor der Gegenwart« (DVA) gemacht hat.

Trotz einer hohen Wertschätzung bis in die Feuilletons überregionaler Wettbewerber hinauf, trotz ungezählter Lobeshymnen bedeutender Geister, etwa

»Das entzückende Gegenstück zu meinen schwäbischen Gedichten« (Sebastian Blau)

»Sie sind der Mozart der Mundartdichtung« (Albrecht Goes)

»Ihr schwäbisches Buch hat mir etliche gute Stunden gebracht« (Heiner Hesse)

»Seit Hölderlin hat mir kein Schwabe mehr so viel Freude gemacht wie dieser Raff« (Werner Walther de Reconvillier)

»Der Dr. Raff von Degerloch/Er lebe lang und 3 × hoch!« (Loriot)

»Ihr wunderbar köstliches Büchlein, an dem ich mich während des Lachens manchmal fast verschluckt hätte.«

(Matthias Richling)

oder nicht zuletzt das originelle Lobesliebesgedicht von Richard Freiherr von Weizsäcker (Seite 233)

kamen und kommen in periodischen Abständen wie das Neckarhochwasser bei dem auch für seinen vielleicht doch etwas übertriebenen Hang zur Selbstironie bekannten Verfasser dronternei immer mal wieder völlig ironiefreie Schreiben an (vornehmlich bei Vollmond) mit bitterbösen Beschwerden über »dieses unleserliche Geschriebsel« und wird darin unser wohlklingendes wunderschönes Schwäbisch (neben Griechisch und Lateinisch die wichtixte Kultursprache des Abendlands) gar als »ordinärer Stuttgarter Straßenkandel-Jargon« und »Bauerngeschwätz« und »Proletenslang« niedergemacht.

Und nicht einmal der dezente Hinweis, dass der Verfasser mit Hilfe der so verachteten und zum Aussterben verdammten Muttersprache der zwei Alberts (Magnus & Einstein) und drei Friedriche (Barbarossa, Schiller & Hölderlin) jahrzehntelang Jahr für Jahr jeweils hohe sechsstellige Beträge für tausenderlei soziale, ökologische und kulturelle Projekte in alle Welt verstiften konnte und kann (die Schwäbische Zeitung spricht von einer insgesamt »zweistelligen Millionensumme« und liegt damit genau richtig), hat diese notorischen Schwäbischhasser zum verschämten Schweigen gebracht.

Auch nicht die wissenschaftlich fundierte Feststellung seines väterlichen Freundes und Förderers Thaddäus Troll selig aus Cannstatt: »Das Hochdeutsche ist ein Klavier, das Schwäbische aber eine Orgel.«

Auch nicht die wunderschönen Worte des Herrn Nobelpreisträgers Hermann Hesse selig aus Calw:

»Zu diesem schwäbischen Geist gehört, wie mir scheint, ein Stück Poesie, ein gutes Stück Phantasie und Warmblütigkeit, dazu eine Freude am Einfachen und Stillen, ein gewisser heimlicher, dauernder Protest gegen Berlin, es gehört weiter dazu Humor und Kunstsinn und das Wissen um den Reiz und Reichtum der heimatlichen Mundart.«

Und auch nicht die allerhöchste Wertschätzung des Dialekts, die diesem und seinen Schreibern noch in den klassischen Glanzzeiten Goethes (Seite 58) entgegengebracht wurde. Ja nicht einmal die Tatsache, dass Genies wie Schiller (neben Dante, Shakespeare und Johann Peter Hebel, wenn nicht Europas, wenigstens der Welt größter Dichter) und Hegel (gescheitester Kopf ganz Germaniens) wie selbstverständlich broitestes Schwäbisch gesprochen haben.

Erfreulicherweise aber ergab eine in der Sauregurkenzeit des Sommers 2008 durchgeführte Volksabstimmung in der »Stuttgarter Zeitung«, dass sich über 90 % der Leserschaft für die Beibehaltung des Dialekts in der (neuerdings jetzt dienstäglichen) Serie »Raffs Raritäten« aussprachen.

Angesichts dieses geradezu fast volksdemokratisch-ostzonal anmutenden Ergebnisses hat er sich dankbar gestärkt entschlossen, seiner werten Kundschaft auch fürderhin einen vermehrten, einem Kulturvolk aber zumutbaren Aufwand an Hirn bei der doch stets freiwilligen Lektüre seines Produktes abzufordern und ihr so en passant zusätzlich ein kostenloses wöchentliches Hirnjogging und Antialzheimertraining anzubieten.

Aber seine inbrünstige Bitte an die im Plebiszit unterlegene Miniminorität der Dialekastheniker, aus Toleranzgründen endlich Ruhe zu geben und halt oifach auf die Lektüre zu verzichten, so wie er beispielsweise die Lektüre der seitenlangen Börsenkurse oder der Ereignisse der Fußballspiele wie etwa FC Hebsack gegen SV Strümpfelbach oder gar BV Cloppenburg gegen SV Meppen zeitlebens »prinzipiell verweigert«, aber doch noch nie deren Abschaffung gefordert hat, blieb unerhörterweise unerhört.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit (in originaler Ordogravieh zitiert): »Zugegeben, ich bin Norddeutschse – seit über dreißig Jahen in Ludwigsburg ansässig – und dürfte mir eigentlich kein Urteil über den schwäbischen Dialekt erlauben. Aber wenn ich als sehr interessierte Leserin … dann auf die schwäbische Sprache stoße, die in meinen Ohren und Agen geschrieben noch schrecklicher klingt als gesprochen, dann bin ich sehr enttäuscht.«

Seien wir also nicht unbarmherzig. Um die Enttäuschung dieser »Auswärtigen« mit ihren »media-analylischn Daten in der Regionalzeiung« und ihrer gleichfalls geifender Gesinnungsgenoss/inn/en etwas abzumildern, hat sich der für seine humane Haltung auch und gerade gegenüber asuevischen Menschenkindern mit hohen Orden ausgezeichnete Verfasser schweren und wunden Herzens entschlossen, des Buch da jetzt halt in hochdeutscher Sprache herauszubringen. Zumal er tränenden »Ages« und betrübten Ohres täglich feststellen muss, »ach, dass unsere heut’ge Jugend« (um mit Mörike zu sprechen) auch hierzuländle hauptsächlich dank allgegenwärtiger ekeltronischer Medien mittlerweile miteinander fast nur noch im brutalsten preußischen Kasernenhofgeschnarre konversiert. Und ihre »Sprache keine Heimat mehr« hat (um mit Thaddäus Troll zu sprechen). Und sich in seine nahezu täglichen »nulltariflichen und spesenfreien Benefizschwätzereien« kaum mehr Menschen in einem Alter von unter vierzig Jahren verirren und in nicht allzu fernen Tagen im schönen Schwabenland wohl koi Sau mehr dessen schöne Sprache schwätzen oder gar lesen wird.

»DESINET AVDIRI MOX INTEGRA SVEBA LOQVELA« – »Bald wird der lautere Klang des lebendigen Schwäbisch verstummen« steht schon ahnungsvoll resignierend auf dem Grabstein des Gründers, Herausgebers und Chefredakteurs der »Stuttgarter Zeitung« Professor Dr. Josef Eberle alias Sebastian Blau (1901–1986) auf dem Rottenburger Sülchenfriedhof. An seiner Seite ruht seine Ehefrau Else, geborene Lemberger (1905–1989) von Rexingen. Sie war im letzten Kriegswinter in die Wälder entlang der Gäubahn geflüchtet, um dem bereits befohlenen Abtransport in den sicheren Tod zu entgehen und dort von guten braven Leuten mit schwäbisch piestistischer Geisteshaltung durchgefüttert und gerettet worden.

»Die schwäbischen Häftlinge verbindet die gemeinsame Heimat. Wir betonen unsere Herkunft aus Württemberg und reden kräftig schwäbisch, wenn wir einander begegnen. Ein Stuttgarter Rechtsanwalt (Dr. Erich Dessauer aus der Uhlandstraße 21), der (am 16. Oktober 1944) in der Gaskammer von Auschwitz endete, grüßt sogar einmal ›Hie gut Württemberg allewege!‹« berichtet Maria Zelzer (1921–1999) in ihrem Buch »Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden«.

»Der Entwicklung unseres Volkes zur einheitlichen Nation stehen zweifellos die Mundarten, die Dialekte im Wege. Es kann deshalb nur das Ziel des Reiches sein, die Einheit auch in der Sprache anzustreben. Die Hochsprache ist mit Takt zu pflegen; es ist so zu verfahren, daß jede Förderung der Mundarten unterbleibt.« forderte einst Robert Heinrich Backfisch alias Robert Wagner (1895–1946), seit 1933 Reichsstatthalter und Gauleiter von Baden und seit 1940 Chef der Zivilverwaltung im eroberten Elsass in einem Erlass an das Unterrichtsministerium.

Angesichts solch einerseits eindrucksvoller und andererseits entlarvender Steitmenz bittet der Verfasser seine treue autochthone Leserschaft um Nachsicht und Verzeihung, wenn er mit diesem hochdoitschen Buch entgegen den bekannten Forderungen des Glockenspiels der Potsdamer Garnisonskirche mehr als einen Fingerbreit vom rechten schwäbischen Wege abkommt und hofft inniglich, dass diese bei der ungewohnten Lektüre nicht dasselbe ungute Gefühl im Magen überkommt wie den Autor, wenn er im »Südpreußischen Rundfunk« in »Erwaatung« der Nachrichten »zwangswaise« zuvor jene halbdackeligen »Weebespotz« »anhoochen« muss, in denen unerträglich schnarrende »Maaktschraiaa« im Stile altgedienter preußischer Leutnants uns »eebaamungslos« weismachen wollen »Wiaa sind Wüüttembeeg« oder »Kennaa trinken Wüüttembeegaa« und uns vor dem »Wettaa« noch »kuuz« mitgeteilt wird, dass es auf der Autobahn »Stuttgaat-Kaalsruhe an der in den »Noodschwaazwald« führenden »Ausfaaht Pfoozheim« einen schlimmen »Verkeehsunfall« mit einem (von einer »Paaty« in »Nüütingen am Neckaa« kommenden und nach »Kaalsbaad untaaweegs geweesenen«) »Spootwagen der Maake Poosche« gegeben hat und deshalb die »Veekeehsteilneehmaa« in einem »drai Kiiloomeetaa« langen Stau die »Beegungsaabeiten abwaaten« müssen und die »Faahbahn« für den »Notaarzt« und die »Rettungsfaahzoige fraihalten« sollen.