Kapitel 88
Zum Dekorieren brauchten sie den ganzen Tag, aber schon bald zeichnete sich ab, dass das Haus am Ende prächtig aussehen würde.
Zur allgemeinen Überraschung ließ sich sogar Mrs MacGlone einspannen und half dabei, es mit Spinnweben, Kürbissen und gruseligen Plastikschädeln zu schmücken, in denen kleine Lichter flackerten.
Hinzu kamen einige von Marys alten Puppen, die zum Teil zerbrochen waren und wirklich unheimlich aussahen.
Die Kinder klebten buntes Papier vor die Lampen, und Mary legte gerade Weintrauben in eine Schale, die wie Augäpfel aussehen sollten, als Mrs MacGlone hereinkam und sich umsah.
Die Haushälterin verschränkte die Arme vor der Brust, löste sie wieder und sagte mit untypisch leuchtenden Wangen: » Na ja. Also. «
Zoe lächelte sie an. » Sie bleiben doch zur Party, oder ? «, fragte sie. » Haben Sie auch eine Verkleidung ? «
» Oh «, machte Mrs MacGlone. Dann wandte sie den Blick ab. » Ich war davon ausgegangen, dass ich nicht eingeladen bin. «
Zoe trat auf sie zu. » Natürlich sind Sie eingeladen ! «, sagte sie. » Mrs MacGlone, Sie sind doch … die Seele dieses Haushalts. Ohne Sie würde hier nichts laufen. «
Mrs MacGlone schüttelte den Kopf. » Och , das stimmt doch gar nicht. «
» Egal, aber kommen Sie bitte «, sagte Zoe. » Und bringen Sie Ihren Mann mit. «
Mrs MacGlone wirkte zufrieden, als sie nach ihrem Mantel griff. » Aye , in Ordnung. Vielleicht. « Dann fiel ihr noch etwas ein. » Wissen Sie … wir haben das jetzt schon so lange nicht mehr gemacht, dass vermutlich alle Sicherungen rausspringen werden. Aber Wilby hält das System ja in Ordnung … obwohl es natürlich ein Vermögen an Strom kostet … «
» Was denn ? «, fragte Zoe, während Mrs MacGlone auch schon in die Küche ging und den Schrank aufmachte, in dem sich der Sicherungskasten und der Boiler befanden. Sie legte die Hand auf einen Schalter. » Wird schon schiefgehen «, sagte sie und drückte darauf.
Zuerst begriff Zoe gar nicht, was für ein orangefarbenes Leuchten da durchs Fenster zu sehen war.
Angeführt von Shackleton sprangen die Kinder alle auf, rannten in die Eingangshalle und rissen die Haustür auf. Ein beißender, eiskalter Windstoß fegte durchs Haus.
Zoe folgte ihnen nach draußen und stieß ein Keuchen aus. Die komplette Vorderseite des Gebäudes war erleuchtet, zeigte sich geisterhaft und von verzaubernder Schönheit.
» Oh, wow ! «, stieß Zoe aus.
» Guter alter Wilby «, seufzte Mrs MacGlone zufrieden.
Zoe hatte es aufgegeben, die Kinder beruhigen zu wollen. Deshalb durften sie sich bereits verkleiden und ein Album mit Halloweenmusik in voller Lautstärke aufdrehen.
Weil es langsam knapp wurde, ging auch Zoe selbst nach oben, um sich umzuziehen.
Unterwegs kam ihr Ramsay entgegen, der nachdenklich den alten Schlüssel zur Bibliothek in seiner Hand betrachtete.
Als Ramsay Zoe sah, murmelte er: » Äh … Ich habe gerade abgeschlossen, überlege aber, ob es heute vielleicht das letzte Mal war. «
» Wie meinen Sie das ? «, fragte Zoe.
» Tja … ich wollte die Kinder ja aus einem konkreten Grund nicht in der Bibliothek haben … «
» Weil sie Sie in Ihrer Konzentration stören würden ? Weil Sie eine Auszeit von ihnen brauchen ? Weil sie womöglich Ihre Ware zerstören würden ? «
Überrascht schaute Ramsay sie an. » Himmel, nein. Bücher sind doch dazu da, gelesen zu werden. Sie wollen gelesen werden. Nein, es ist … Es ging um etwas ganz anderes. « Er drehte den Schlüssel zwischen den Fingern. » Nein. Gott. Aber ich bewahre dort all meine Korrespondenz … alle neuen Unterlagen und Informationen über Elspeth auf, und vom Sozialamt und so … Sie wissen schon. Einfach alles. Alles, wovon sie nichts wissen. «
» Also überlegen Sie jetzt, die Bibliothek vielleicht zu öffnen ? Endlich Licht hineinzulassen ? «
Er zuckte mit den Achseln.
Zoe biss sich auf die Lippe und senkte die Stimme. » Wissen Mary und Patrick denn … alles ? «
Plötzlich wirkte Ramsay beunruhigt. » Aber ich bin doch ihr Vater. «
» Ich weiß. Trotzdem … «
Er nickte. » Natürlich verstehe ich, was Sie meinen. Ich hab nur immer gedacht … dass sie auch so schon eine viel zu schwere Last tragen. «
Zoe seufzte. Es war falsch, aber auch irgendwie richtig. » Was ist denn mit Shackleton ? Weiß er Bescheid ? «
Ramsay schüttelte den Kopf. » Selbstverständlich nicht, das würde ja bloß … Ich würde es als unfair empfinden. «
Zoe nickte. Das konnte sie verstehen.
» Wissen Sie, er ist ein guter Junge «, sagte Ramsay nachdenklich.
» Das weiß ich ! «, rief Zoe aus. » Ich liebe all Ihre Kinder. « Später redete Zoe sich ein, dass dieser Spruch eigentlich locker und lässig hatte klingen sollen, so wie » Ich liebe Pampelmusen ! « oder » Ich liebe Brooklyn Nine-Nine  ! «. Aber so kam er leider nicht rüber, und zwar überhaupt nicht.
Ramsay starrte sie mit hungrigem Blick an, weil er sich so verzweifelt danach sehnte, jemanden – irgendjemanden – zu finden, der etwas für seine Kinder empfand.
Und Zoe spürte wieder einmal, wie sich in ihr alles zusammenzog – sie wollte doch so gern bleiben, konnte aber nicht. Das ging nun mal nicht.
» Ich ziehe mich mal um «, murmelte sie und wandte sich ab. » Vielleicht sollten Sie einfach Ihren Aktenschrank abschließen «, schlug sie noch vor.
Er nickte. » Ja. Ja, natürlich. «