Zara
Landeskriminalamt Berlin
D
er Raum war stets verschlossen. Kein deutscher Polizist durfte ihn betreten, darauf wies das Türschild Europol – Entrance prohibited
deutlich hin. Außerdem war es die einzige Tür in diesem scheußlichen Sechzigerjahre-Bau mit antiker Technik, die elektronisch mit mehreren Codes gesichert war.
Die Zahlenfolgen waren nur drei Menschen bekannt.
Rui Vicentes. Dem Chef der Europol-Spezialabteilung Schwere Verbrechen und Terror. Zaras Mentor.
Zara von Hardenberg selbst.
Und einer dritten Person, einem anderen versteckten Fahnder, den nicht mal Zara kannte. Sie wusste nur, dass da noch jemand war, erkannte den Geruch des stets gleichen unbekannten Männerparfums, wenn sie nach mehreren Wochen mal wieder die Tür öffnete. Ein herber Duft, undurchdringlich.
In dem fensterlosen Raum tief im Inneren der verzweigten Flure stand ein einzelner Tisch und ein Stuhl. Keine Schränke. Auf dem Tisch ein Computer.
Zara drückte einen Knopf der Tastatur, sofort wurde der Raum in das blaue Licht des Monitors getaucht. Sie gab ihr Passwort ein, suchte in dem Ordner nach der Datei Adel Al-Haddad – Rakka/Syria.
Das Video begann ohne Vorwarnung. Sie kannte es schon auswendig, deshalb zuckte sie inzwischen nicht mehr zusammen, als dieser schlanke, kleine Blondschopf einem anderen, deutlich älteren Mann mit einem Schwert den Kopf abschlug. Sie war immer wieder überrascht, wie wenig Blut in so einem Moment floss. Und wie lange der Körper noch zuckte.
Sie hätte das Video nicht noch einmal sehen müssen, ihr Gehirn speicherte alle Einzelheiten schon, wenn sie etwas zum ersten Mal sah. Und dennoch hatte sie das Gefühl, sich einstimmen zu müssen.
Sie schloss die Datei und suchte im Ordner CCTV.
Sie fand den Namen Isaakson, sah, wie sich die Karte öffnete, dann war da das Icon eines Männchens, das Isaakson war. Es bewegte sich auf der Karte in Nikosia, irgendwo in der Altstadt der Hauptstadt Zyperns.
Sie dachte darüber nach, dass er sich sicherlich schuldig fühlen würde, wenn die ganze Geschichte umgekehrt gelaufen wäre – wenn er nun sie beobachten würde. Sie aber kannte diese Kategorie nicht. Schuld. Was sollte das sein? Es galt zu ermitteln.
Deshalb hatte sie die Experten der Abteilung, zwei sehr verschwiegene Männer in Den Haag, genau die drei Levi’s-Jeans manipulieren lassen, die Isaakson immer auf Reisen trug. Mit einer winzigen Weitwinkelkamera im Hosenknopf. Die Technik war mittlerweile so weit, dass sich die Kameras selber speisten und per WLAN in alle Welt sendeten.
Und so sah sie, als sie auf Observe klickte, wie sich die Kamera im Takt von Isaaksons Schritten bewegte. Die Auflösung war fantastisch.
Sie sah, wie die junge Kellnerin dem Schweden einen Cappuccino brachte, hörte das schmeichelnde Englisch ihres Partners. Und dann sah sie den Mann, der aus dem Polizeiwagen stieg und auf den Tisch zukam.
Hörte seine ersten Worte. Spürte, wie sich ihr die Armhaare aufstellten.
Als er von der Zeit im Gefängnis sprach, hörte sie genau hin. Von seiner Kindheit im Libanon.
Sie schaute in seine Akte.
Geboren 1979. Beirut. Sohn eines Handlungsreisenden. Mutter eine libanesische Hausfrau. Offiziell zumindest. Drei Schwestern, heute in alle Welt verstreut. Paris, Nizza, London. Weltläufig, gebildet. Eine gutbürgerliche Familie.
Ein Wunder, dass einer von ihnen derart an die falschen Leute geraten war.
Ein Wunder, dass sich so einer führen ließ – und nicht selbst führte.
Er war einer simplen Polizeistreife aufgefallen, als er in Nikosia herumlief. Die zypriotischen Beamten hatten ihn erkannt und festgenommen. Sie hatten nicht glauben können, dass sie den Schlächter von Rakka eingesackt hatten. Im Gefängnis hatte sich Al-Haddad einem V-Mann offenbart. Er würde gerne mit Europol zusammenarbeiten – seine Freiheit im Tausch gegen wichtige Anschlagspläne. Die Zentrale in Den Haag hatte nicht Nein sagen können. So hatten sie Isaakson geschickt, um den Kerl zu prüfen. Und das tat er jetzt. Nun würden sie den Libanesen zurückschicken – zu seinen Mitterroristen. Ihn herumwuseln und alles herauskriegen lassen, was er konnte. Vielleicht würde der IS ihn auch wieder Richtung Europa schicken – mit einem konkreten Anschlagsplan –, das wäre die absolute Wunschvorstellung. Denn dann hätten sie eine große Zelle aufgedeckt.
Die Worte des Libanesen brannten sich ein. Wie er über Frauen sprach.
Er war schwer zu ertragen.
Diese Stimme, diesmal jovial und irgendwie menschlich. Es war dieselbe Stimme, die eben tief und durchdringend gewesen war, während seine Hände einem anderen den Kopf abhackten.