Anruf auf verschlüsseltem Mobiltelefon
»Salam aleikum.«
»Wa aleikum as-salam.«
»Wie ist es bei dir, mein Bruder?«
»Wenn ich ehrlich bin, veranstaltet ihr gerade ein wenig zu viel Wirbel für meinen Geschmack.«
»Das war nicht geplant. Ich habe es mir auch anders gewünscht.«
»Meine Brüder und ich sind ein wenig beunruhigt.«
»Nun gut, wenn ich ehrlich sein soll: Ihr habt es doch verlangt.«
»Was heißt denn verlangt? Wir haben doch nur darum gebeten, dass ihr euren Laden sauber haltet.«
»Da sind wir dabei.«
(Pause)
»Hallo? Bist du noch da, Bruder?«
(deutlich anderer Tonfall jetzt, wütend, forsch)
»Was soll das heißen? ›Da sind wir dabei‹? Das waren drei. Und du willst mir jetzt erzählen, dass eure miese Räuberhöhle immer noch nicht sauber …«
»Es war wieder der Falsche.«
»Was sagst du da?«
»Es war wieder der Falsche.«
»Ich hab das schon verstanden. Akustisch, meine ich. Aber was bedeutet das? Warum schneidet ihr ‘nem Falschen den halben Kopf ab?«
»Er hat am Ende geschworen, auf alles, was ihm heilig ist. Mustafa hat ihm geglaubt. Aber es war schon zu spät. Er hat schon geblutet wie eine unheilige Sau.«
»Verdammt, ihr Hurensöhne. Das heißt, er ist immer noch …«
»Scheint so.«
»Wie viele seid ihr? 25 Leute? Oder hast du die Truppe auf 1000 aufgestockt, seitdem ich das letzte Mal da war?«
»Wir sind 17. Nach den drei Abgängen.«
(schreit) »Und bei beschissenen 17 Leuten schafft ihr es nicht, die eine miese Ratte zu finden, die uns bei den beschissenen Bullen verpfeift?«
»Mann, habibi, nun beruhige dich mal. Wir sind ihm dicht auf der Spur, wir ahnen jetzt, wer er ist.«
»Ihr ahnt es? Und nun wollt ihr wegen einer Ahnung wieder einem den Kopf abschneiden?«
»Nein, wir sind uns einig: Es ist der, der immer nickt, immer zustimmt, immer eine Spur zu fanatisch ist. Mustafa ist sich ganz sicher.«
»Was heißt das?«
»Es ist Adel.«
(lange Pause, dann eine wütende Stimme)
»Niemals.«
»Doch, Boss. Wir sind uns …«
»Adel. Adel ist der gottverdammte Satan. Der hat doch in Rakka …«
»Ja, das wissen wir. Aber es scheint dennoch so zu sein, dass er die Seiten gewechselt hat.«
( anges Schweigen, dann wird die Stimme ruhiger)l
»Was macht ihr?«
»Wir überprüfen es noch einmal. Und dann werden wir handeln.«
»Ich will, dass ihr euch sicher seid. Ihr müsst es zu 100 Prozent wissen. Verstanden? Adel ist zu wichtig für uns. Wenn er es nicht war, dann habt ihr ihn umsonst massakriert. Und das können wir uns nicht leisten. Es gibt niemanden wie ihn.«
»Verstanden. Wir überprüfen es gründlich.«
»Ich will keine Spuren. Und wenn ich sage, keine, dann meine ich keine. Wenn ich noch so eine Schlagzeile lese wie heute Morgen, dann schicke ich euch eine Brigade, die dafür sorgt, dass die Bullen in eurem beschissenen Enklavenloch 17 Leichen auf einmal finden – in ein 17 Mann großes Fischernetz gewickelt. Verstanden? Klärt das, und zwar noch diese Woche.«
(Piepen in der Leitung, Verbindung unterbrochen)
Rui Vicentes blickte nicht zu den beiden Polizisten, die vor ihren Bildschirmen saßen und versuchten, die beiden Telefone zu lokalisieren. Er war zu lange dabei, um zu glauben, dass sie diese Typen diesmal aufspüren könnten – mithilfe simpler Technik. Diese Art von Zellen verschlüsselte jeden Anruf so gewissenhaft, dass selbst Europol keine Chance hatte.
Er setzte sich auf einen Stuhl am Rande der Kommandozentrale, einen alten Holzstuhl, den er irgendwann eigenhändig hier reingestellt hatte, in diesem Gewirr aus funktionalen Möbeln und modernster Technik.
Er brauchte dringend eine Zigarette, aber seine Frau würde es riechen, wenn er nach Hause kam, und nun hatte er schon so lange durchgehalten. Doch die Ereignisse der letzten Tage würden einen Rückfall erzwingen, das spürte er.
Drei Tote. Nicht zwei. Drei. Verdammt.
Er stützte seinen Kopf in beide Hände. Eigentlich wollte er, dass sie sich ausruhte. Nach der Nummer in Marseille. Er wollte es ganz dringend. Vor zwei Monaten waren Dinge geschehen, die er sich nicht erklären konnte. Die sie ihm nicht erklären konnte.
Es ging nicht. Er konnte sie nicht nicht stören.
Er stand auf und ging hinaus, nahm den Fahrstuhl ganz nach oben und trat aus der Brandschutztür aufs Dach unter den grauen Himmel von Den Haag. Grau war gar kein Ausdruck. Es war eine bleischwere Dunkelheit, die auf diesem Dach lag, und es war, als läge sie auf ihm. Herrje, er vermisste Lissabon, die Algarve, das Azurblau.
Er zündete sich schnell eine Dunhill an, die er stets in Reserve in seiner Tasche hatte.
Dann griff er zum Telefon und wählte ihre Nummer in Berlin.
Er wusste, dass es schnell gehen würde. Er behielt recht, als sie nach dem ersten Klingeln abnahm.
»Von Hardenberg?«
»Rui. Du weißt, ich würde nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre. Aber es ist wichtig. Diesmal ist es ganz wichtig.«