Shokran Al-Hamsi
Einreiseterminal, Aéroport Nice, Côte d’Azur, Frankreich
E r freute sich riesig. Wie ein kleines Kind, hätte er sagen wollen. Obwohl er wusste, dass diese Umschreibung umso kurioser war, weil die Vorlieben, die ihm bald wieder erfüllt werden würden, so gar nichts Kindlich-Unschuldiges hatten. Aber so war es jedes Mal, wenn er in seiner zweiten Heimat landete, fernab von den keuschen Emiraten.
Er nahm seine Moncler-Tasche aus dem Kofferraum des Porsche Cayenne, der ihn von der Maschine der Qatar Airways zum Terminal gebracht hatte, und ging die paar Schritte hinein. Er war allein hier. Die Maschine war ziemlich leer gewesen, bis die Economy-Passagiere hier ankamen, würde es noch dauern. In der First Class hatten nur er und irgend so eine Schlampe gesessen, die an Bord wahrscheinlich noch immer ihren Kram sortierte. Er aber hatte es nicht abwarten können, in einer Stunde schon war er verabredet, in einer kleinen Strandbar nahe seiner Wohnung in Saint-Laurent-du-Var.
Silas hatte schon zweimal angerufen, das sah er beim Blick auf sein neues iPhone. Aber Shokran entschied, sein Bruder und die Arbeit könnten warten. Silas. Immer wollte er arbeiten, stets hatte er einen neuen Plan. Ja, er machte das schon richtig. Sie befanden sich in der entscheidenden Phase der Schlacht um die Vorherrschaft im Süden Europas. Die erste Runde war knapp an den alten Korsen gegangen, vor zwei Monaten. Die zweite Runde gestern Nacht war irgendwie schiefgegangen. Irgend so ein Spaghettifresser hatte es verbockt. Silas war bereits dran, das zu bereinigen.
Doch die Schlinge um den alten Korsen zog sich gleichwohl zu. Er war schon zu schwach, um weitere Attacken abzuwehren. Deshalb war Shokran nun hierhergekommen. Es galt, den letzten und entscheidenden Angriff zu starten. Und dann zu triumphieren.
Dafür würden sie endlich die Frau ausschalten müssen. Die Fürstin der Unterwelt.
Er hatte alles dafür getan. Hatte gleich doppelt vorgesorgt.
Doch morgen war auch noch ein Tag. Der heutige galt dem Amüsement.
Er nahm die Rolltreppe und ging durch die gläsernen Flure in Richtung Einreisekontrolle. Seine Hand glitt in sein cremefarbenes Sakko und zog den weinroten Pass mit der Palme und dem Säbel heraus. Katar. Verhasste Heimat.
»Monsieur«, tönte es da hinter ihm, kurz bevor er an den Schalter für die Kontrolle treten konnte.
Er drehte sich um. Von links und rechts legten sich zwei Hände unter seine Arme.
»Mitkommen.«
Eine Frau, ein Mann. Sie hoch aufgeschossen, gertenschlank und blond, er gedrungen, stämmig und mit einer zerfurchten Glatze. Sie trugen diese scheußlichen Basecaps mit der Aufschrift Police.
»Aber …«, begann er und versuchte, ihre Hände abzuschütteln, was den Griff der beiden nur verstärkte, »was wollen Sie denn von mir? Lassen Sie mich bitte los!«
»Mitkommen«, wiederholte die Frau, und er hörte den Klang ihrer Stimme, rau und tief, und ihm wurde klar, dass er in einer Stunde keine Hand in der Hose seines Geliebten haben würde.
Sie führten ihn an den Rand der kleinen Halle, öffneten eine Tür, und er fand sich in einem kleinen Raum wieder, drei Stühle, ein Tisch. Er hatte noch nie einen Verhörraum betreten, sie hatten ihn einfach noch nie so weit gehabt.
Sein Gehirn raste. Was hatten sie gegen ihn? Er war doch vorsichtig gewesen. Beim Anschlag in der Provence war er längst außer Landes gewesen. Den provinziellen Scheißpolitiker hatten sie um die Ecke gebracht, genau wie den Imam. Es gab keine Spur.
Er ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Aufstehen«, sagte der Mann.
Er stand wieder auf.
»Tasche aufmachen.«
Bereitwillig stellte Shokran die Tasche auf den weißen Metalltisch und öffnete sie.
Die Frau begann, in seinen Toilettenartikeln herumzuwühlen, dann schüttete sie das Amenity-Kit der Fluggesellschaft aus und griff anschließend zu seinem Portemonnaie.
»Können Sie mir mal sagen, was Sie von mir wollen? Ich bin mit Qatar Airways First Class in Ihr wunderschönes Land gekommen und bin ein angesehener …«
»Halt’s Maul«, sagte der Polizist und stellte sich zwischen ihn und die Frau, die weiter seine Sachen durchwühlte.
Nach einer Weile machte er wieder Platz, und Shokran sah, wie sie seine Dokumente durchsuchte.
Sie blickte zu ihrem Kollegen auf und nickte.
»Drogenkontrolle. An die Wand stellen.«
»Was soll ich …«
»An die Wand stellen«, brüllte der Bulle nun, dass die dünnen Pappwände wackelten, es musste im halben Flughafen zu hören gewesen sein. »Ausziehen. Sonst helf ich.«
Al-Hamsi rann der Schweiß über die Stirn. Er war kein mutiger Mann, nur ein wütender. Er drehte sich zur Wand und knöpfte sich das Hemd auf, der eine Knopf ging schwer, er spürte, wie er zitterte, spürte die Blicke des Bullen auf ihm, auch wenn er ihn nicht sah.
Er ließ das Hemd fallen. Ärgerte sich über sein kleines Bäuchlein. Er wollte sich nicht umdrehen.
»Hose runter.«
»Aber, Monsieur. Ich wurde doch in Doha überprüft, wie alle Passagiere. Wie soll ich denn Drogen …«
Er hörte die Schritte des Mannes, dann spürte er die Hand, die sich fest auf seinen nackten Rücken legte, ihn weiter an die Wand drückte. Sein Kopf wurde mit gegen die Wand gedrückt, gerade schaffte er es noch, seine Nase wegzudrehen.
»Hose runter«, flüsterte der Bulle nun, die Drohung war deutlich.
Al-Hamsi stöhnte und vermochte es, trotz seiner ungünstigen Position an der Wand, seine Hose zu öffnen und sie herunterzuziehen. Der Mann ließ ihn los.
»Weiter.«
Da war nichts mehr, nur …
»Weiter.«
Al-Hamsi resignierte, ließ die Boxershorts herunterschnappen. Er wollte nackt sein, sobald er französischen Boden betrat, das war der Plan gewesen. Aber doch in seinem Appartement in Saint-Laurent – und nicht hier.
Er atmete schwer, während er dastand, nackt, hilflos, nichts passierte.
Dann hörte er, wie der Mann sich Latexhandschuhe anzog, er vernahm das schnalzende Geräusch, als sich die Handschuhe um die Hände fügten. Und schon spürte er, wie die Hände seinen Arsch berührten, die Backen auseinanderzogen.
»Schritt zurück und vorbeugen.«
Er wusste nicht, wann er sich zuletzt so gedemütigt gefühlt hatte. Noch nie, wäre die richtige Antwort gewesen.
Aber er befand sich in keiner Position, in der man gerne diskutierte. Er trat einen Schritt zurück, bückte sich, fühlte die Hände des Mannes, die Finger, die in seinen Arsch drangen, und wusste, dass er es sich zum Ziel machen würde, diesen Mann zu suchen, ihn unter Tausenden zu erkennen und dann zu töten, so langsam und grausam, wie er bisher noch nie einen Menschen getötet hatte.
Der Mann ließ ab, er stöhnte zufrieden.
»Umdrehen.«
Al-Hamsi wusste, dass seine Knöchel weiß waren vor Anspannung, er öffnete seine Fäuste, dann drehte er sich um.
Die Bullenfrau saß immer noch an dem Tisch, seine Tasche auf dem Schoß, sie starrte ihn an, langsam glitt ihr Blick tiefer, der Bulle dagegen stand ganz dicht vor ihm, auch er starrte auf seine verwundbarste Stelle.
»Die Pimmel von den Wichsern werden auch immer kleiner«, sagte der Bulle.
»Wenn sie beschnitten sind, sieht man immer sofort, wie winzig die sind«, gab sie zurück und grinste.
Al-Hamsi sah zu Boden, versuchte es, doch auch sein Blick fiel auf seinen Penis, der da hing, klein und ängstlich, so wie er sich fühlte. Er. Der stolze Verbrecherkönig. Er hätte sie gerne beide …
»Anziehen und hinsetzen«, sagte sie nun, offenbar hatten sie genug gesehen.
Er raffte seine Klamotten zusammen und war innerhalb einer Minute angezogen. Als er ihr gegenübersaß, hatte sie seinen Pass in der Hand und klopfte ihn immer wieder auf den Tisch, als denke sie nach.
»Shokran Al-Hamsi«, sagte sie nachdenklich.
Er spürte, wie der Bulle hinter ihm näher trat.
»Was willst du hier?«
Er blickte sie erstaunt an.
»Ich verstehe nicht …«
»Was ist denn daran nicht zu kapieren? Warst du in der Wüstenschule oder was? Was willst du hier? Kohle machen, einkaufen, eine Frau finden, die du verschleiern kannst?«
Er bemerkte, dass sein Mund offen stand, so verblüfft war er, weil er langsam kapierte, was hier gespielt wurde. Er hörte ihre schnell auf ihn eindrängenden Worte, ihren provenzalischen Akzent, spürte ihre Abscheu.
»Ich würde mir wünschen, dass Sie mich siezen und dass Sie mir erklären …«
Der Schlag traf ihn gänzlich unerwartet.
Er fiel vornüber, konnte seinen Kopf gerade noch abfangen, bevor er auf die Tischplatte knallte.
»Aua«, rief er. Als er sich umdrehte, sah er, wie der Mann grinste.
»Das war meine Form des Siezens für Kameltreiber wie dich. Also, antworte. Meine Kollegin hat dich was gefragt. Und hier antworten wir, wenn Frauen was wissen wollen.«
Al-Hamsi rieb sich den Hinterkopf.
»Ich mache Urlaub hier. Und treffe meinen Bruder, der mit mir zusammen eine Firma hat, die Steuern in Frankreich bezahlt, die auch dafür da sind, dass Sie beide einen Job …«
Noch ein Schlag, heftiger diesmal.
»Wir brauchen hier keine Kameltreiber, die unsere Arbeit finanzieren. Noch so ein Spruch, und wir gehen in einen ganz anderen Raum.«
Al-Hamsi hielt sich die Hände schützend über seinen Kopf. Er verabscheute Gewalt. Er fürchtete sie. Von jeher.
Diese beiden Bullen hätte er gern in seiner Gewalt gehabt. Die blonde Schlampe hätte er Silas überlassen und sich den Mann vorgeknöpft. Und dann hätte er gern zugesehen, wie sein Bruder diesen beiden mit einer Neun-Millimeter das Hirn rausgepustet hätte.
Wenn sie wüssten, wer er war …
»Hast du uns verstanden? Wir haben alle deine Daten, wir finden dich, wenn wir hören, dass du was anstellst. Wir oder unsere Kollegen draußen auf der Straße. Und wenn du jemandem von unserer besonderen Willkommenszeremonie für beschissene Kameltreiber erzählst, dann werden wir dich auch finden, und dann war das hier nur eine Streicheleinheit. Raus mit dir. Durch die Tür.«
Shokran stand auf, packte seine verstreut herumliegenden Sachen in die Tasche und ging hinaus, sah im Umdrehen aber, wie die beiden Bullen sich ansahen.
Als er außer Sichtweite war, nahm er sein Portemonnaie und sah hinein.
Das Fach mit den Geldscheinen war leer.
Verdammt.
Da waren 8000 Euro drin gewesen. Das Gehalt für seine Geliebten für zwei Wochen.
Diese beschissenen Wichser.
Er wusste, dass er es nicht riskieren durfte, sie anzupissen. Er durfte um keinen Preis auffallen.
Ihre Gesichter würde er sich merken. Er spürte in sich die Wut aufsteigen bei dem Gedanken an ihre zu Grimassen verzerrten Münder, die feixten, als er sich fast in die Hose gepisst hatte, eben, als er den Raum verließ.
Sie wussten nicht, wer er war.
Sie hatten ihn aufgehalten, weil er aussah, wie er aussah. Dunkel, arabisch, reich.
Es war reine Schikane gewesen.
Sie waren verdammte Rassisten.