Navarro
Hôtel de Police, 2, rue Antoine Becker, Marseille
E r zuckte zusammen und fuchtelte wild mit der Hand herum, der Schmerz durchfuhr seine Fingerspitze.
»Putain, merde«, rief Navarro und sah die Kippe in hohem Bogen über seinen Schreibtisch segeln.
Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht gemerkt hatte, dass seine Zigarette bis auf den Filter heruntergebrannt war.
Er drehte sich ganz automatisch nach hinten um, dorthin, wo immer Petit gesessen hatte. Bevor er seinem Untergebenen, diesem korrupten Bullenschwein, eine Kugel verpasst hatte, an dem alten Wasserrad in Isle-sur-la-Sorgue.
Nun saß er alleine hier, in diesem großen Büro. Er war zum Verbrecher geworden, weil die beschissenen Wichser ihn an den Eiern hatten. Er hätte kotzen können.
Er sah aus dem Fenster auf die Gitter, die diese Festung der vermeintlichen Sicherheit schützen sollten – was für eine blöde Illusion. Eine Polizei, die sich vor denen schützen musste, die sie schützen wollte.
Es klopfte.
»Oui«, rief Navarro. Die Tür ging auf, und Galvez kam herein, der alte Knacker von der Hafenpolizei, klein und dick – mittlerweile sah er so aus wie das, was er war: ein Mafioso, wie er im Buche stand.
Jeder bei den Bullen wusste, dass Galvez auf Bolatellis Gehaltsliste stand – aber dennoch hatte niemand eine Ahnung. Außer ihm, Navarro. Er kannte die Summen, die Galvez von Bolatelli erhielt. Weil er ihm den Hafenstrich sauber hielt, seine Container durchließ, seine Boten mit den Drogen im Wagen die Hafenausfahrt passieren ließ, vor Razzien warnte und, und, und. Das war kein kleines Zubrot für Galvez, der alte Korse hatte dem Typen sprichwörtlich den Arsch vergoldet.
Nicht umsonst besaß Galvez eine kleine Villa in Sanary-sur-mer, von der er geflissentlich zu sprechen vermied.
Silas Al-Hamsi hatte Navarro all diese Informationen gegeben.
»Mon cher Navarro«, rief Galvez, als er es mit seinem wuchtigen Körper endlich ins Büro geschafft hatte, schon ließ er sich auf den breiten Bürostuhl fallen.
»Verzeih, es war ein weiter Weg vom Auto hier hoch«, schnaufte er, »du hast es ja mittlerweile bis ganz nach oben geschafft.«
»Alles nur Schall und Rauch«, sagte Navarro, und es klang bitterer, als er es beabsichtigt hatte. »Du kennst das ja, du alter Patron du Port.«
Galvez wurde einen halben Kopf größer. Er war nicht nur korrupt, sondern dazu auch noch ein eitler Gockel. Eine atemberaubende Kombination.
»Also, mein lieber Navarro. Was gibt’s? Du hast mich ja nicht hergebeten, um über die höheren Weihen zu plaudern.«
»Warum eigentlich nicht?«, fragte Navarro. »Manchmal habe ich das Gefühl, wir alle reden gar nicht mehr. Früher war hier alles irgendwie ein bisschen sauberer, weil wir Marseiller den ganzen Tag lang dummes Zeug erzählt haben. Das sollten wir wieder tun …«
Er zündete sich eine neue Zigarette an, Galvez beobachtete ihn, der alte Fuchs wusste ganz genau, dass Navarro etwas im Schilde führte.
»Gut, Klartext. Ich habe eine Botschaft. Die beiden Brüder, für die ich arbeite, wollen wissen, ob dir ihr Angebot zusagt: die Verdoppelung der Einkünfte, die du von Bolatelli bekommst. Dafür übernehmen sie den Hafen.«
Galvez verzog nicht einmal die Miene. Er sah Navarro an, dann blickte er zum Fenster hinaus, von dem aus eine kleine Ecke des Mittelmeeres zu sehen war. Dem folgte eine lange Stille, in der Navarro seine Atemzüge zählte, um nicht zu platzen.
»Ruf die Al-Hamsis an«, sagte Galvez, und seine Stimme hatte auf einmal eine unangenehm tiefe Note, »sag ihnen: Ja. Aber sie sollen mich nicht verarschen. Der alte Korse«, er machte eine vielsagende Pause, »hat eh nicht mehr lange. Zeit, sich neu zu orientieren.«
Er stand auf und schob den Stuhl sehr sorgfältig wieder unter den Schreibtisch. Dann wandte er sich zur Tür, drehte sich aber noch einmal um.
»Wusste gar nicht, dass du mit drinsteckst. Dachte, du warst immer sauber. Die saubere Seele von Marseille. Na ja, wenn man so weit nach oben kommt, dann geht das wohl nicht anders. Schönen Abend, Patron Navarro.«