Benito Bolatelli
Borgo, Korsika
E
r hatte Katarina nach Hause geschickt und zu ihr gesagt, sie solle sich um ihre Familie kümmern. Hatte ihr Geld zugesteckt, das sogar für ein halbes Jahr reichen würde.
Nun bereitete er das Haus vor, er hatte es alleine tun wollen. Er lief noch einmal durch alle Räume, strich über das Ledersofa und die alten hölzernen Schränke, sah zur Ikone der Jungfrau Maria auf der großen Kommode, die genau neben dem schwarz-weißen Foto von Dorothea stand. Er sah, wie die Sonne sich durch die großen Fenster neigte, atmete einmal tief durch, dann schloss er mit einem kräftigen Zug die Stores, sofort fiel der Salon in tiefe Dunkelheit.
Es war so weit. Er hatte seit seiner Rückkehr auf die Insel lange nachgedacht. Eigentlich hatte er noch eine Weile aushalten wollen, bis er zur Tat schritt. Aber er wusste: Sich zu verstecken, hatte noch nie eine Krise überwunden.
Und vor allem: nicht eine so fundamentale Krise.
Den gestrigen Abend hatte er schweigend verbracht, ein Glas Whiskey in der Hand. Hätte man ihn von außen dabei beobachtet, hätte man das Bild eines sinnierenden alten Herrn gesehen, der seinen Sessel ausfüllt und mit sich und der Welt im Reinen ist. Doch in ihm hatte ein Vulkan getobt.
War es wirklich Angst, die er verspürte?
Kurz darauf war er ins Bett gegangen – und ein Wunder war geschehen. Ohne noch zu seinem Buch greifen zu können, war er eingeschlafen und erst am Morgen nach tiefem Schlaf wieder erwacht. So fest und ruhig hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen.
Das verstärkte seinen Entschluss, sich den Dämonen zu stellen.
Den Dämonen, die seine Macht wollten. Ihn ersetzen. Und seine Herrschaft der Ehre in ein Chaos verwandeln wollten. Wo Benito Bolatelli ein Herz, einen Ehrenkodex hatte, hatten sie nur Gewalt und blutige Rendite im Kopf.
Er hatte den Anruf von seinem zweiten Mann am Hafen bekommen. Einem Bullen, der schon seit Jahren in seinen Diensten stand. Er hatte ihm gesagt, dass der Chefbulle zu den Arabern überlaufen wollte. Weil sie mehr bezahlten. Ein frontaler Angriff. Was dachten die? Dass er das nicht rauskriegen würde? Bolatelli besetzte seine Schlüsselpositionen immer doppelt. Kontrolle ging vor Vertrauen. Er würde zurückschlagen müssen. Jetzt.
Er betrachtete noch einmal seinen Salon, die Wendeltreppe, die nach oben zu den Schlafzimmern führte, den Flur zu dem breiten Portal, das hinausging auf die korsische Landschaft.
Würde er hierher zurückkehren?
Er kannte die Antwort nicht, aber in seinem Bauch rumorte es.
Niemand war mehr da, um ihm das Tor zu öffnen, auch den Fahrer hatte er nach Hause geschickt.
Also öffnete er mit seiner Fernbedienung das automatische Garagentor selbst und sah den Maybach, der im Dunkeln auf ihn wartete.
Er nahm sein Telefon und wählte.
Gestern hatte er sein Kommen nur angekündigt. Sie war nicht rangegangen, was selten war. Dann hatte sie zurückgerufen und merkwürdig geklungen.
So merkwürdig, als wenn irgendetwas nicht stimmte.
Aber sie hatte das Codewort nicht gesagt.
Er vertraute ihr.
Sie war wohl außer seiner Tochter die letzte Person auf der Welt, der er vertraute.
Diesmal nahm sie nach Sekunden ab.
»Oui?«
»Salut, Zoë«, sagte er, und seine Stimme klang sanft. »Es geht schneller, als ich gedacht habe. Ich nehme den Mittagsflug aus Bastia. Ich werde in zwei Stunden in Nizza sein und möchte, dass du mich abholst.«
Die Pause war zu lang für seinen Geschmack.
»Gut, ich warte in der Ankunftshalle.«
»Wir haben dann noch etwas zu tun«, sagte er und ließ den Satz in der Luft hängen, bevor er auflegte.
Er vertraute ihr.
Das schon.
Aber eine Prüfung war immer besser, als wenn sie ihm nachher das Messer von hinten in die Rippen bohrte.