Isaakson
La Canada, Melilla, Spanien
E r brauchte einen Moment, um das Dickicht von Körpern zu entwirren.
Der Typ lag auf dem Rücken, breitschultrig und breitbeinig. Auf ihm saß eine Schwarze, hielt sich die Hände vor die Brüste und schrie in kleinen spitzen Oktaven, eine andere Schwarze hatte sich über seinen Oberkörper gelegt und streichelte ihn und liebkoste ihn mit ihrem Mund.
Irgendwie waren sie alle ineinander verknäult, bis auf das Mädchen, das neben den anderen nackt auf dem Bett lag. Offenbar war sie schon dran gewesen, ihre schwarze Haut glänzte klebrig vor Schweiß, ihre Augen saßen blutunterlaufen tief in ihren Höhlen, sie blickte leer vor sich hin. Drogen, tippte Isaakson.
Seine Fäuste ballten sich zusammen.
Der Typ hatte die Polizisten nicht bemerkt, er fickte die Kleine auf seinem Schoß immer härter, sie war vielleicht 16.
Er stöhnte wie ein altes Schwein, schlug sie nach jedem Stoß auf den nackten Arsch, dass der Schwede nicht mehr wusste, ob ihre Schreie nicht doch Schmerzensschreie waren.
Zara, Aznar und er selbst standen jetzt mitten in dem Zimmer, das ganz anders aussah als die Doppelstockzimmer eine Etage tiefer. Es war ein prachtvoller Salon voller antiker Möbel, das Bett war eine riesige Spielwiese in bunten Farben. Das ganze Ambiente erinnerte stark an einen Edelpuff.
Er wollte seine Waffe ziehen, um auf den Typen loszustürmen, doch Zaras Blick traf ihn, sie schüttelte den Kopf. Natürlich, Zara, der Friedensengel.
Sie war es, die auf Englisch zuerst sprach, ihre Stimme wurde von den Wänden zurückgeworfen, der Klang in der sphärischen Musik war so merkwürdig, dass selbst Isaakson zusammenzuckte.
»Aufstehen, Razzia der europäischen Polizei Europol.«
Der Schwede rechnete damit, dass der Typ auf dem Bett eine Waffe unter dem Kissen hervorzog, um auf sie zu feuern.
Stattdessen erhob sich ein behaarter Männerarm, der die Schwarze von seinem Schoß fegte, dass sie auf das Bett knallte, das Mädchen auf seiner Brust schüttelte er auch ab. Dann setzte sich der Mann aufrecht.
Ein dicker Mann, Ende 50, er hatte nicht das Antlitz eines Maghrebiners, er hatte die olivgrüne Haut eines Arabers aus den Golfstaaten, die grauen Haare waren licht, dafür war sein grauer Bart umso voller. Seine kleinen Schweinsäuglein sahen die Beamten vergnügt an, ganz als habe er sie erwartet.
»Stehen Sie auf«, sagte Isaakson, »das Gesicht zur Wand.«
»Aber, habibi, ich denke, eine Durchsuchung ist eher zwecklos«, sagte der Mann in perfektem Englisch und zeigte auf sich, nackt, wie er auf dem Bett saß.
Er beachtete die drei Frauen neben sich gar nicht, stand auf und drehte sich demonstrativ zur Wand, die Arme erhoben.
Isaakson ging zu ihm, besah sich die dicke Gestalt, vermied es aber, den schwitzenden Mann anzufassen.
Zara war unterdessen zum Bett gegangen, der Schwede sah aus den Augenwinkeln, wie sie die drei Frauen betrachtete, die nunmehr wie leblose Puppen nebeneinanderlagen. Eine Frau gab leise, immer wiederkehrende Laute von sich, einen monotonen Singsang in einer Sprache, die der Schwede nicht kannte.
Zara streichelte die Frau über den Kopf, damit sie sich beruhigte.
»Isaakson, komm mal …«, sagte sie.
»Bleiben Sie stehen«, befahl der Schwede, drehte den Blick kurz zu Aznar, der teilnahmslos an der Wand im hinteren Teil des Raumes stand, offenbar hatte der Spanier die Hosen voll.
»Klar, habibi«, gab der fette Araber zurück.
»Was ist?«, fragte Isaakson.
»Sprich mit ihnen«, sagte Zara.
Er schaute hinunter auf die drei Frauen, ihre nackten Körper, die Körper von Kindern, die Augen so verschleiert und reglos, sie mussten vollgepumpt worden sein mit harten Drogen, es gab keinen Zweifel.
»Hörst du mich«, fragte Isaakson auf Arabisch zu dem Mädchen, das noch am klarsten aussah.
Sie reagierte nicht, starrte durch ihn hindurch, an eine Stelle an der Decke, die wohl nur sie sehen konnte.
»Sinnlos«, stellte Isaakson fest.
»Nun denn.« Zara wandte sich dem Mann zu.
»Ziehen Sie sich etwas an, dann reden wir. Aznar, sieh dich im Haus um, Waffen, Drogen, alles.«
»Ich nehme an«, begann der Araber, »Sie haben einen Durchsuchungsbeschluss der spanischen Polizei, gültig in unserer wunderbaren Exklave.«
»Exekutivbefehl der europäischen Polizeibehörde von Den Haag«, gab Isaakson den Text zurück, den sie als Erstes in der Europol-Akademie lernten, »wegen Gefahr in Verzug ist das nicht nötig.«
»Welche Gefahr denn?«, fragte der Mann, während er sich ein weißes Hemd vom Stuhl nahm, es überzog und zuknöpfte, langsam, Knopf für Knopf, fast provokant, Isaakson hätte ihm liebend gern die Fresse poliert.
»Zwei tote Islamisten im Hafenbecken reichen uns.« Den dritten Toten verschwieg er lieber, er wollte nicht sagen, wie viel sie wussten.
»Herrje, die Armen«, sagte der Mann, mittlerweile hatte er auch die Hose eines teuren Anzuges angezogen.
Aznar nahm seine Reisetasche, die er immer mit sich trug, und ging in die untere Etage, vorsichtig, als rechne er jede Sekunde mit der Rückkehr der anderen Islamisten.
Der Mann suchte nach einem Platz für sich, doch Zara blieb demonstrativ vor dem Bett stehen, als Schutz für die Frauen, also setzte er sich in einen dicken ledernen Armsessel, als seien sie alte Bekannte, die auf einen Schwatz vorbeigekommen waren.
»Ich würde Ihnen ja Tee anbieten«, sagte er gönnerhaft, »aber alle meine Angestellten sind ausgegangen.«
»Und nur Ihre Betthasen sind geblieben.«
»Ein schwer arbeitender Mann muss sich doch auch mal entspannen.«
»Was tun Sie denn, Suleiman, außer Jugendliche radikalisieren?«, fragte Zara, und ihr Ton war beißend.
»Ich bitte Sie«, sagte er, nur eine Sekunde war er verwirrt, dass sie seinen Namen kannte, aber dann fing er sich wieder. »Das ist doch alles nur Hörensagen. Dieses Haus ist ein Zentrum des Im- und Exportes vom afrikanischen Kontinent nach Europa.«
Isaakson fühlte sich merkwürdig angesichts der drei nackten Frauen, die immer noch auf dem Bett lagen, als hätte sie eine unsichtbare Macht betäubt, und dieses fetten Typen, an dem jede Frage abperlte. Es war ein heikles Unterfangen, sie durften schließlich nicht preisgeben, dass sie nach einem speziellen Mann suchten.
»Reden wir Klartext«, sagte Zara. »Wir wissen, dass dieses Haus das Zentrum der Islamisten von Melilla ist. Und uns ist auch klar, wie hart die Zeiten sind: scharfe Grenzkontrollen, Salafisten, die aufhören, Ihre Lügen vom Paradies zu glauben, und lieber mit der Polizei arbeiten – und der IS sieht auch aus wie eine müde Armee, die kurz vor der unehrenhaften Kapitulation steht.«
Erneut ging ein Zucken durch sein Gesicht, er war getroffen, aber er wollte sich nichts anmerken lassen.
Aznar kam wieder die Treppe hinaufgeschlurft. Herrgott, dachte Isaakson, das war echt ein Schluffi, trotz Anzug und Fliege. Als Spurensicherer war er erste Klasse, aber der Schwede fragte sich, wie es Aznar im operativen Einsatz überhaupt zu Europol geschafft hatte.
»Nichts«, sagte der Spanier leise auf Englisch, »gar nichts. Sauber wie ein Kindergarten.«
Sie hörten, wie unten die Tür ging, schwere Stiefel waren auf den Treppen zu hören. Es waren mehrere Personen, kein Zweifel.
Scheiße, dachte Isaakson. Es war eine Falle.
»Wallah, habibi«, rief Suleiman hinunter, »kommt, wir haben Gäste.«
Aznar drängte sich an die Wand, als wolle er mit ihr verschmelzen, Isaakson zog wieder seine Waffe aus dem Holster, doch Zara blieb ganz still stehen.
Der erste Mann kam die Treppe hinauf, ein junger Berber im Kaftan, dann folgten sechs weitere, sie alle trugen lange Bärte. Sie standen mitten im Raum, und es dauerte einen Moment, bis alle die Situation begriffen. Dann griff der Erste in seinen Umhang, doch Suleiman knurrte.
»Lass, habibi, das sind doch unsere guten Freunde von Europol, dieses Mal soll es gut sein. Also, haben wir alle Fragen geklärt?«
Zara sah Isaakson an. Der nickte.
»Ja, alle Fragen. Fast.«
Sie ging auf eines der nackten Mädchen zu, sein Blick war eben klarer geworden, deshalb zog es sich, als es die Männer vor sich stehen sah, das Kopfkissen heran und versuchte damit, im Sitzen Scham und Brust gleichzeitig zu bedecken. Das Mädchen war so dünn, dass ihre Rippen weit hervorstanden.
Zara setzte sich neben sie, achtete darauf, sie nicht zu berühren, um sie nicht zu entehren.
»Ma petite«, sagte sie auf Französisch. Auch Isaakson hatte gesehen, dass sie aussah wie eine junge Frau aus dem Senegal oder Mali, alte französische Kolonie also. »Wie geht es dir? Warum bist du hier?«
Das Mädchen sah sie an, als sei Zara eine Außerirdische, sie presste sich das Kissen so fest an die Brust, dass die dünnen Arme zitterten. Sie hatte kleine Rastalocken und ein wunderschönes Gesicht, hohe Wangenknochen, kleine Grübchen. Doch in den Augen lag nichts mehr, das nach einer menschlichen Regung aussah. Sie blickte zu Zara, dann fiel ihr Blick wie ferngesteuert auf Suleiman, der grinste.
»Bist du freiwillig hier? Was machst du hier?«
»Tout va bien«, sagte das Mädchen, »alles gut. Ich arbeite für die Männer, sie bezahlen mich gut.«
»Wir können dich hier rausholen«, sagte Zara leise.
»Non«, antwortete das Mädchen schnell, und ihre Stimme wurde laut und schrill, »nein, ich will hierbleiben, sie sind gut zu mir …«, und dann sprang sie auf, das Kissen immer noch vor sich, und rannte auf wackeligen Beinen ins Nebenzimmer, offensichtlich das Bad. Sie hörten Wasser rauschen.
»Sehen Sie«, salbaderte Suleiman, »wir sind Arbeitgeber und Helfer für die Armen und Suchenden. Hier finden sie eine Heimstatt.«
Dann stand er aus dem Sessel auf, als sei das Gespräch beendet.
Der Schwede sah, wie Zaras Hände zitterten, so, als müsse die Anspannung raus.
»Ich bin mir sicher, dass Sie hier gut aufgeräumt haben – und dass Sie sich im Moment wie der Sieger fühlen«, sagte sie, »aber lassen Sie es sich gesagt sein, wir behalten Sie im Auge, und irgendwann kommen wir wieder.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie auf die jungen Männer zu, die sich vor ihr teilten, als sei sie Gift, dann stieg sie die Treppe hinunter. Aznar folgte ihr schnell, und Suleiman hielt dem Blick des Schweden stand, bis auch er auf die Treppe zuging, nicht ohne allen jungen Männern genau ins Gesicht zu sehen. Kein Zweifel.
Dann schloss er schnell zu Zara auf.
»Sollen wir die Mädels echt hierlassen? Das ist die Hölle«, sagte er, als sie auf die dunkler werdende Straße hinaustraten.
»Hast du unseren Mann da drinnen gesehen?«
»Nein, es war keiner von denen.«
Sie nahm Anlauf und kickte einen Stein, dass er in hohem Bogen über die Straße flog.
»Merde. Wir müssen erst unseren Mann finden. Wir haben keine andere Wahl.«