Zara
Raststätte de l’Esterel, Autoroute 8, in Richtung Nizza
D
ie blauen Lichter der Tankstelle E.Leclerc beleuchteten den ansonsten finsteren Parkplatz.
Zara stand am Heck des Fahrzeugs und hielt den Tankrüssel fest. Der Pate war pinkeln gegangen.
Sie spürte, wie ihre Hand zitterte, so fest drückte sie den Tankschlauch in den Stutzen.
Verdammter Pate.
Verdammter Süden.
Die Raststätte lag im Nirgendwo, ringsum standen die hohen Berge des Esterel, das rote Vulkangestein war in tiefer Nacht kaum mehr als ein Schatten. Von fern war der Verkehr auf der Autoroute 8 zu hören. Die Zikaden hatten längst aufgehört.
Zara mahnte sich zur Ruhe, sie zwang sich, langsam und tief in den Bauch zu atmen, damit die Spannung von ihr abfiel.
Zoë hätte sicher nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als der Pate den Polizisten erschossen hatte – hätte sie gar selber abgedrückt?
Als das Telefon leise klingelte, hielt sie aus Reflex die Hand auf die Hosentasche, dann sah sie zur Raststätte, er war noch nicht zu sehen.
Sie griff zitternd nach dem iPhone und ging um den Wagen herum, ans Heck.
»Ja?«, flüsterte sie.
»Ich bin’s, Schwesterherz.«
»Hallo Zoë. Was gibt’s?«
»Wo bist du?«
»Wo soll ich sein, um zwei Uhr früh? Im Bett.«
Kurzes Schweigen am anderen Ende.
Zara begann zu schwitzen.
»Warum rufst du an, Zoë? Ich war mitten im Tiefschlaf.«
Das Licht der Raststätte schien ihr auf einmal sehr grell. Noch war der Pate nicht zu sehen. Sie hoffte, er litt an einer schwachen Blase. Verdammt. Das Seil, auf dem sie tanzte, war verdammt dünn.
»Na, hör mal, Schwesterherz, du bist ja dünnhäutig. Dabei mach ich hier deinen Job.«
»Zoë, spann mich nicht auf die Folter …«, sie lächelte, bemühte sich, verbindlich zu klingen.
»Ich habe ihn.«
»Den Überläufer?«
»Ja, ich habe deinen Blonden.«
»Wow, das ist super. Und so schnell …«
»Wir holen ihn jetzt hier aus dem Wald und werden ihn irgendwann in der Nacht auch aus Marokko rausbringen.«
»War er also wirklich in Marokko«, sinnierte Zara, die das abgehörte Telefonat von Rui nicht hatte glauben können. Dass sie so unvorsichtig waren.
»Ja, war er.«
»Dann holt ihn da raus, schnell. Wir brauchen ihn. Er weiß so viel, er ist ein wichtiges Ziel. Für uns, aber auch seine Brüder werden ihn suchen.«
Zoë schwieg am anderen Ende, dann sagte sie fest: »Wenn ich hier fertig bin, gibt es keine Brüder mehr.«
Zara hörte den Wörtern nach.
»Was willst du damit sagen?«
»Dass ich da jetzt noch mal reingehe.«
»Das wirst du nicht tun«, sagte Zara im Ton der älteren Schwester.
»Zara, du hast nicht gesehen, was die hier treiben. Wie sie die Menschen missbrauchen, die Mädchen, wie sie sogar den Geheimdienst mit in den Terror hineinziehen. Das kann ich nicht hinnehmen. Ich werde hier jetzt die ganz große Bombe platzen lassen.«
»Zoë!« Ihre Stimme war nun lauter, überschlug sich beinahe. »Du stehst nun auf der anderen Seite, auf der richtigen Seite. Du kannst das nicht tun. Du musst ihn rausbringen, und das war’s.«
»Vergiss es. Sie werden sterben. Und die Welt wird nach heute Nacht ein bisschen besser sein.«
Ihr Lächeln im Hörer, dann das Piepen, dreimal.
Die Schiebetür der Raststätte, die dunklen Schritte über den Parkplatz.
Sie zog die Quittung aus dem Tankautomaten, dann stieg sie ein.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Bien sûr«,
sagte sie, die Hände am Steuer, die Knöchel weiß vor lauter Druck, ihr Gesicht bleich, wie das Licht der Scheinwerfer auf der Autobahn.