Zoë
Wald von Gourougou, Marokko
D ie beiden Schwarzen saßen eng umschlungen auf dem Rücksitz, das Mädchen war eingeschlafen, sie musste wahnsinnig erschöpft sein.
Der Blonde stand rauchend am Auto, Isaakson redete leise mit Aznar.
Als sie Zoë bemerkten, gingen sie auf sie zu.
»Du bist da«, sagte Isaakson, »Gott sei Dank.«
»Ich hatte noch etwas zu erledigen. Sie planen etwas. Mithilfe des marokkanischen Geheimdienstes. Ich habe unseren Agenten von vorhin getroffen.«
»Wo ist er?«
»Er ist, sagen wir, nicht mehr ganz so frisch. Aber wir können die hier nicht weitercampen lassen.«
»Gut, gehen wir rein«, sagte Isaakson.
Zoë ging auf den Blonden zu.
»Wie viele Männer sind drin?«
»Wieso?«
Er sah erstaunt aus.
»Antworte.«
Er zuckte zusammen, weil ihn diese Frau so ansprach, verzog seinen Mund, dann quälte er sich eine Antwort ab:
»Zwölf.«
»Waffen?«
»Alles, was Sie sich wünschen würden.«
»Anführer?«
»Sharif Al-Dagani, ein Afghane. Verrückter Typ. Ein alter Mann mit jungen Muskeln. Langer grauer Bart.«
»Haben Sie sich von ihm verabschiedet?«
»Ich bin froh, dass ich da raus bin. Wieso fragen Sie?«
»Weil Sie ihn nicht wiedersehen werden.«
»Sie wollen doch nicht …« Dem Blonden stand der Mund offen.
»Doch. Wollen wir.«
Sie wandte sich um.
»Komm, Isaakson.«
»Nein«, erklang eine Stimme, die sie so noch nicht gehört hatte.
Aznar stand hinter dem Schweden, und er sprach so tief und rauchig, dass es Zoë kalt den Rücken herunterlief. Sie sah, wie der Spanier seinen Weekender öffnete, als suche er die Zimmerkarte fürs Hilton.
»Du bleibst bei unseren Zielen, Isaakson. Zara und ich gehen da rein.«
Er nahm eine AK47 aus der Tasche und reichte Zoë ein Maschinengewehr gleichen Typs.
»Ich habe noch ein paar andere Sachen dabei, die wir sicher brauchen werden.«
Er legte die Tasche kurz auf dem Boden ab, dann entsicherte er das Gewehr und legte ein Magazin ein, als habe er das schon 822 Mal getan.
Isaakson sah den Spanier an, als betrachte er einen Geist.
Zoë aber überlegte nicht. Sie winkte ihn mit sich.
»Los, die Bärtigen warten.«
Sie hörten die ersten Gewehrsalven kurz vor der Lichtung, auf der das Zeltdorf errichtet war.
»Kalaschnikows, drei oder vier«, flüsterte Aznar, »ziellos in die Wolken, sie wissen nicht, wo wir sind.«
Zoë war kurz beeindruckt. Sie hatte genau das Gleiche sagen wollen – und sie kannte wenige Leute auf der Welt, die Waffen, Kugeln, Schussrichtungen so genau erkannten wie sie. Aznar konnte es. Wer war dieser Typ, verdammt?
Sie ging weiter, es lohnte sich nicht mehr, sich zu ducken. Jetzt war es ein Angriffskrieg.
Gemeinsam liefen sie über das Unterholz, sie sicherte nach vorne und nach links ab, Aznar nach hinten und die rechte Flanke.
Wieder Schüsse.
Kein Zweifel, sie hatten die Flucht der Flüchtlinge bemerkt, sie hatten sicher auch schon den ausgeschalteten Wächter entdeckt. Jetzt würde die Suche nach dem Geheimdiensttypen beginnen.
Und richtig. Zoë pfiff leise durch die Zähne und zeigte nach vorn. Dort traten zwei Männer in Camouflage aus dem Zeltring und schauten suchend durch die Gegend. Anders als Zoës Augen hatten sich die ihren noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, sie kamen direkt vom Lagerfeuer.
Ihre Chance.
Sie wies nach rechts, Aznar verstand sofort.
Sie raste los und sprang dem linken Mann auf den Rücken, ehe sie ihm einen fürchterlichen Schlag auf die Schläfe verpasste, der ihn zu Boden schickte.
Dann kniete sie auf ihm, nahm seinen Arm und überdrehte ihn so weit, bis er brach. Wenn er wieder zu sich kam, würde er dermaßen starke Schmerzen haben, dass er nicht mehr von hier wegkam.
Kampfgeräusche lenkten ihren Blick ab. Der Typ, an dem Aznar hing, hatte sich aus einem der Griffe befreien können und schlug nun wild um sich, er versuchte, sein Gewehr unter Kontrolle zu bringen.
Sie wollte gerade aufstehen und zu Hilfe eilen, da sah sie, wie Aznar aus seiner Hose ein Messer zog. Der Weg war weit, doch sie sah wie in Zeitlupe, wie sein Schnitt glatt durch die Kehle des Mannes glitt wie durch Butter. Sofort sackten die Arme des Mannes weg, und er fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
Noch zehn.
Sie spürte die Kugel, bevor sie sie hörte.
Sie flog ganz knapp an ihrer linken Seite vorbei und schlug hinter ihr in einen Nadelbaum ein. Das Echo hallte durch den Wald.
Merde.
Sie duckte sich.
Aznar lag schon auf dem Waldboden. Er wies nach links.
Richtig, dort war Mündungsfeuer.
Drei Waffen.
Der Spanier zeigte nach oben. Sie nickte.
Er sprang auf und rannte wie ein Hase von dem Feuer weg, schlug Haken nach links und rechts. Der Mann, der gestern erschöpft ausgesehen hatte wie ein alter Sack.
Die Männer mit den Waffen standen auf, sie versuchten, besser zu zielen.
Zoë drückte den Abzug ihrer Waffe durch, Sperrfeuer. Sie wurde kurz zurückgeworfen, doch fing sich gleich wieder. Die Salven fegten durch die Luft, schlugen ein, sie hörte nach Sekunden einen Schrei, dann einen zweiten. Aus einer Waffe hinter einem Baum fielen noch Schüsse.
Sie ließ den Abzug los, ging einige Meter nach rechts, hinter einen Baum. Wartete.
Es dauerte keine zwölf Sekunden, da lugte die Hand mit der Waffe hinter dem Baum hervor. Sie wartete. Der Hand folgte der Arm. Sie schoss. Beobachtete, wie die Kugel in den Arm einschlug, die Waffe zu Boden fiel, das Schreien, das Wimmern im Wald. Dann Ruhe.
Noch sieben.
Aznar war nun bei ihr.
Inzwischen wussten alle, wo sie ungefähr steckten.
Aber es gab keine Bewegung im Dorf. Keine Stimmen mehr. Sie hatten gelernt.
Sie wies nach links vorne. Aznar nickte stumm.
Sie schlichen um die äußere Baumkette herum, schnell und zielstrebig, dann näherten sie sich dem Zelt, in dem vorhin die Flüchtlinge gewesen waren.
Zoë sah um die Ecke.
Sie legte die Hand auf die Lippen und blickte sich zu Aznar um.
Er schaute auch um das Zelt herum.
Sie standen nun im Rücken von zwei Männern, die angestrengt nach draußen sahen, am Boden kniend, die Hände an zwei Gewehren, eines davon mit Zielfernrohr. In dieser Dunkelheit. Zoë schüttelte den Kopf. Amateure.
Sie zählte mit den Fingern herunter.
Drei, zwei, eins.
Sie sprang hoch, Aznar gleichauf mit ihr, er schlug seine Waffe dem rechten Mann auf den Kopf, während Zoë den anderen auf den Rücken zog und ihm sofort den Mund zuhielt, mit der anderen drückte sie ihre Beretta an seinen Kopf.
»Leise, putain«, flüsterte sie. »Wo sind die anderen?«
Die Augen des Mannes sahen sie hasserfüllt an, doch er blieb reglos. Sie verstärkte den Druck mit der Beretta, dann lud sie mit dem Fingerhebel durch. Die Augen des Mannes weiteten sich.
Wieder fielen Schüsse, sie kamen näher.
Zoë murmelte: »Dummer Wichser«, dann erhob sie sich und wollte eben ausholen, um ihn ohnmächtig zu schlagen, als die Kugel aus Aznars Pistole in den Kopf des Mannes einschlug. Er war sofort tot. Zoë stand auf und schüttelte den Kopf.
»Was soll das?«, flüsterte sie.
»Zwei weniger.«
Sie sah, dass Aznar den Mann vor ihm auf dem Boden mit dem Messer getötet hatte.
Noch fünf.
Und keiner war der alte Afghane gewesen.
»Los, da kommen sie.«
Richtig, Aznar hatte die Stimmen zuerst gehört, während sie noch auf die Leichen starrte.
Er öffnete seine Tasche, griff hinein und warf ihr etwas zu, was sie auffing, ohne zu wissen, was es ist.
Als sie die Hand öffnete, erkannte sie die Handgranate. Aznar hielt auch eine in der Hand.
Drei, zwei, eins, zählte er mit den Fingern herunter, dann warf er nach rechts, sie warf nach links.
Während Zoë sich hinter einem Baum versteckt hatte, warf die Druckwelle der Explosion den Spanier kurz zu Boden, überall flogen Holz und Metall und Zeltreste umher, dort drüben schlugen Flammen aus einem Fass, vielleicht Diesel? Ein Generator brannte.
Zoë bewegte sich schnell vorwärts, der Weg war frei, die vier Zelte des Innenrings waren umgeworfen, nun sah sie die Männer, zwei richteten sich erst wieder auf, zwei andere aber feuerten bereits.
Sie feuerte sofort, genau wie Aznar, als er endlich wieder auf den Beinen war.
Zoë sprang durch das brennende Inferno, ihre Kugel traf einen der Männer in den Oberkörper, dann rannte sie zum nächsten Baum, feuerte wieder, sah, wie ein Mann durch Aznars Kugel zu Boden geschickt wurde, hielt sich aber nicht auf, sondern nahm einen Mann ins Visier, der noch benommen wirkte von der Explosion, ihm rammte sie die schwere Knarre in die Seite, dass er hinfiel, dann weiter, doch Aznar schoss immer weiter, unablässig, sie musste aufpassen, dass sie nicht selbst in seine Kugeln rannte. Da sah sie links in den Schatten eine dunkle Figur, die sich schleichend durch die Bäume entfernte, flink und gelenkig, ein Mann in einem weißen Kaftan.
Sie winkte Aznar zu, der nickte, und als sie dem Mann in den Wald folgte, hörte sie einen Schuss und einen Schmerzensschrei, der nicht von Aznar war.
Noch einer.
Der Mann war schnell, aber er hatte Angst.
Sie hatte nur Wut.
Das Lager der Islamisten war hinüber, ihr Anführer fehlte noch.
Als sie dreißig Meter hinter ihm war, schoss sie. Die Kugel verfehlte ihn, schlug in den Baum neben ihm ein. Hätte sie treffen wollen, läge er jetzt am Boden.
Er blieb stehen.
Drehte sich langsam um.
»Al-Dagani.«
»Eine Frau. Es ist eine Frau, die mich erschießt«, sagte er auf Englisch.
»Manche Tage sind einfach scheiße«, antwortete Zoë.
Der alte Mann mit dem Palästinensertuch um den Kopf spuckte auf den Boden.
»Ihr habt den Blonden?«
»Ja. Und er wird singen.«
»Viel Glück. Mit dem Verräter. Die Hölle …«
Er brach ab und grinste ein bitteres Grinsen.
»Was haben Sie vor? Was wollen Sie mit all den Waffen?«
Er hustete und spuckte noch mal aus. Er sah krank aus.
»Ich …«
Er griff in seinen Kaftan, als suche er ein Taschentuch, doch sie sah das Schwarze in seiner Hand, bevor der Revolver ganz zum Vorschein gekommen war. Doch er hatte noch in der Robe gefeuert, sodass sich Zoë zur Seite werfen musste, die Kugel sauste im Fallen ganz knapp über ihrer Stirn vorbei. Es wäre ein Kopfschuss gewesen.
Sie schoss sofort zurück, vier oder fünf oder sechs oder sieben Kugeln, eine Salve, die komplett in seiner Brust landete, sie aufriss und die Robe rot färbte, noch bevor er auf dem Boden aufschlug.
Null.