Zara
Beach Hotel Dos Mares, Tarifa, Spanien
D as kleine Hotel im maurischen Stil erinnerte sie sofort an damals. An Portugal. An das Hotel, in dem sie kaserniert war, als sie Stefan von Hardenberg kennenlernte.
Auf der einen Seite lag die viel befahrene Landstraße zwischen Tarifa und Barbate, auf der anderen Seite das Meer.
Dazwischen rote und gelbe Gebäude, Kuppeln, kleine konische Fenster, die hinaus auf den Atlantik sahen.
Der Parkplatz war fast gänzlich leer, die Saison war vorbei, die großen Herbstwellen für die Surfer dagegen hatten noch nicht heranzurollen begonnen.
Sie grüßte Aznars Porsche wie einen alten Bekannten. Wem das rot-weiße Motorrad daneben gehörte, brauchte sie nicht zu raten.
Sie ging durch den kleinen Garten und stand auf einmal, ohne damit gerechnet zu haben, direkt am Strand.
Die Wellen preschten auf den Sand, sie spürte, dass hier, westlich von Gibraltar, der Atlantik der Herrscher war, nicht mehr das ruhige Mittelmeer.
Dort drüben war schemenhaft Marokko zu sehen, die Kuppen der Berge. So nah, so fern.
Sie konnte sich nicht ansatzweise vorstellen, was ihre Schwester dort drüben erlebt hatte – sie wollte es auch gar nicht.
Die Ergebnisse zählten.
»Wir sollten wohl nicht zusammen gesehen werden, oder, Schwesterherz?«
Zara zuckte zusammen, Zoë hatte es wieder geschafft, sich komplett unbemerkt zu nähern.
Zara drehte sich um, wirkte für einen Moment verlegen, ihre Hände unruhig.
»Keine Sorge, du brauchst mich nicht zu umarmen«, sagte Zoë kühl, die ihre Unruhe bemerkt hatte.
»Er wartet schon auf dich. Äh, na, eigentlich ja auf mich.«
»Wo ist er?«
»In seinem Zimmer. 35.«
»Und die drei Afrikaner?«
»Die teilen sich wiederum ein anderes Zimmer.«
»Ich würde gerne auch noch mit ihnen sprechen.«
»Du bist hier der Boss, Schwesterherz.«
Zoë wandte sich zum Hotel. »Warte noch hier, ich geh über einen Schleichweg zu meinem Zimmer und verstecke mich dort. Dann kannst du zu Adel.«
»Zoë?«
»Ja?«
»Das Unternehmen war beinahe aussichtslos. Du hast es geschafft. Danke.«
Das Meer war beinahe lauter als ihre Stimme. Vielleicht hatte Zoë sie also wirklich nicht gehört. Jedenfalls blieb sie nicht stehen, sondern verschwand im Inneren des Hotels.
Zara ging ein Stück den verlassenen Strand entlang, nur dort hinten waren ein paar Reiter auf ihren Pferden zu sehen, die durch die Schaumwellen galoppierten.
Was für ein Ort.
Sie wartete einen Moment, dann ging sie hinein, die Frau an der Rezeption hob den Kopf, kniff kurz die Augen zusammen, dann wandte sie sich wieder dem Bildschirm zu.
Zimmer 35 lag am Ende des Flures rechts.
Sie klopfte.
»Yes …«, sagte eine leise Stimme.
Sie trat ein, und da saß er. Den Blick zum Fenster, die blonden Haare wie angeklebt, drehte er sich langsam zu ihr um.
»So. Nun sprechen wir?«
»Nun sprechen wir. Darf ich mich setzen?«
Er stand auf, um ihr seinen Stuhl zu überlassen, und ging zum Bett. Zara nahm an dem kargen Schreibtisch Platz.
»Sind Sie froh?«
»Worüber?«
»Dort raus zu sein.«
Er zuckte die Achseln.
»Klar, was denken Sie denn? Das war eine ziemliche Hölle. Obwohl ich immer noch überrascht bin, wie Sie da reingeprescht sind mit Ihrem Kollegen. Sie hatten mich doch schon.«
Nun war es Zara, die mit den Achseln zuckte.
»Was wir aufräumen können, räumen wir auf.«
Er sah zur Wand.
»Vielleicht ist das der Grund, warum viele meiner Glaubensbrüder den Westen hassen – weil er immer ein wenig zu viel tut.«
»Ist Ihnen sehr nach Philosophieren? Dann komme ich später wieder.«
»Fragen Sie.«
»Was ist in Syrien passiert? Also, ich meine: diesmal.«
Er wartete, als suche er in seinen Erinnerungen.
»Ein Ausbildungscamp. Ganz klassisch. Irgendwo hinter Rakka, in einem Kaff. Da haben wir ein ruhiges Haus.«
»Was haben Sie geübt?«
»Häuserkampf.«
»Sind Sie gut darin?«
»Für eine westliche Hauptstadt sollte es reichen. Und gegen Cops, die sich an Regeln halten müssen.«
»Und dann sind Sie losgezogen. Richtung Melilla. Warum?«
»Alle Routen sind dicht, dank Ihrer wunderbaren Staatslenker. Türkei ist dicht, Griechenland ist dicht. Italien ist noch einigermaßen okay, aber ich will ja mit ein paar anderen Jungs nicht Monate auf Lampedusa festhängen. Und mit den ganzen Negern auf ’nem Boot kommst du eh nicht weit. Also blieb nur der Weg nach Melilla. Und dort gibt es ein paar Männer, die uns sehr gut finden.«
»Was ist auf der Reise passiert?«
»Wir kannten uns alle nicht sehr lange. Ich kannte nur zwei Männer aus der Mannschaft von früher, aus Rakka. Die anderen habe ich alle erst dieses Mal in Syrien kennengelernt. Deshalb war da viel …«
»Misstrauen?«
»Ja, Misstrauen. Und irgendwann brach da was auf. Wir sind da ja wochenlang unterwegs, es ist nicht ganz ungefährlich, diese beschissenen Stämme in Libyen. Da sehen Sie, was passiert, wenn man ein Land in das Chaos bombt. Danke, USA. Danke, Frankreich.«
»Wurden Sie enttarnt?«
»Nein, so weit kam es nicht. Wir standen in Kontakt mit den lokalen Anführern in Melilla. Und irgendwann haben sie uns gesagt, dass es irgendwo ein Problem gibt. Die hatten ein Leck. Nur deren Truppen und wir kannten die Details. Von dem Telefonat an war die Stimmung im Eimer. Von da an hieß es, jeder gegen jeden.«
»Aber Sie …«
»Ich habe eine Vergangenheit. Sie wissen schon. Ich habe wirklich krasse Dinge gemacht. Ich wusste, dass sie nicht auf mich kommen würden, einfach, weil ich mir zu viele, na ja, Verdienste erworben hatte. Aber gut, irgendwann wären sie wohl doch auf mich gekommen. Es gab wohl zwei oder drei in der Gruppe, die immer wieder auf mich gezeigt haben. Deshalb war es gut, dass Sie mich so schnell gefunden haben.«
»Hatten Sie Angst?«
Seine blauen Augen blickten sie unverwandt an, die Antwort kam tonlos. »Ich habe keine Angst. Wovor? Vor dem Tod? Ich war in Rakka, schlimmer kann die Hölle nicht sein.«
»Eine Hölle, die Sie erschaffen haben.«
Er schlug auf das Bett, dass der Staub aus der Decke emporflog.
»Quatsch, so ein Bullshit. Der Assad hat das gemacht, zusammen mit den Amerikanern. Die haben unsere Männer und Frauen niedergemacht. Weil sie alles in die westliche Welt packen wollen. Alles gleich machen. Die Schwulen sollen Präsident werden, und die Frauen sollen Chefs werden, und die Männer, die einen festen Glauben haben, sollen im Gefängnis sein. So ist es doch, was ihr plant. Nur wir in Rakka, wir hatten da etwas dagegen. Und deswegen habt ihr unser Land zur Hölle gemacht.«
»Ihre Schwestern sind Chefs, oder?«
Ein Blick, der hätte töten können.
»Ich rede nicht über meine Familie.«
»Warum reden Sie mit mir, wenn Sie Frauen so verachten?«
»Sie sind ein Mann.«
»Was?«
»Wie Sie da rein sind, in blinder Wut – Sie sind ein Mann.«
»Ist das ein Kompliment?«
»Wussten Sie, wann wir kommen?«
»Die Truppen in Melilla haben nicht mehr mit uns kommuniziert, sie haben uns zu sehr misstraut.«
Zara wartete einen Moment. Irgendetwas …
»Was haben Sie für uns?«
»Ich habe die Pläne«, sagte er und tippte mit zwei Fingern gegen seine Stirn. »Hier drinnen.«
»Was für Pläne?«
»Pläne für Anschläge in den nächsten Monaten. Nichts Eiliges. Aber sie sind dabei, große Dinge vorzubereiten. Ich weiß, wo und wann. Ich weiß, wer gerade Sprengstoff bestellt. Und ich habe die Kontakte der Finanziers. Alles hier drin.«
»Gut, sehr gut. Die Regierungen Europas werden Ihnen sehr dankbar sein. Irgendetwas, was in den nächsten Tagen passieren soll?«
»Hab ich doch gesagt, nichts Eiliges. Sonst hätte ich mich schon gemeldet.«
»Gut …«
»Was passiert nun mit mir?«
»Das hier ist nur ein erstes Verhör. Wir bringen Sie nach Den Haag. Dort sprechen dann die Experten mit Ihnen.«
»Und dann?«
»Dann werden wir Sie wieder in Freiheit entlassen, uns eine schöne Geschichte ausdenken, wie Sie aus dem Inferno in Marokko entkommen konnten, und hinterher werden die Radikalen in Paris und Brüssel darum wetteifern, Ihnen zu vertrauen und Sie in ihr Team zu holen. Und so bleiben Sie für uns eine der wichtigsten Quellen, die wir haben – und wir werden Sie gut dafür bezahlen.«
»Ich kann wohnen, wo ich will?«
»Klar.«
Er schien nachdenklich zu werden.
»Haben Sie hohe Tiere getroffen?«, fragte sie.
»IS?«
Zara nickte.
»Ja, da waren zwei regionale Anführer in Syrien. Auch die haben unentwegt über Anschläge gesprochen. Über Berlin, zum Beispiel.«
»Einen Anschlag in Berlin?«
»Ich rede, wenn ich mal geschlafen habe …«
»Wo ist die Zelle?«
»Hören Sie, ich bin müde. Wirklich. Geben Sie mir etwas Zeit. Die krasse Reise, die Angst, dann das Boot hier herüber und nun Ihre Fragen. Ich will meine Ruhe.«
Zara atmete tief durch. Anschläge in Berlin. Sprengstoff. Sie würde ihn – wenn es sein müsste – an Zoë verfüttern, dann hätte sie ihre Antwort in einer Minute – er konnte nicht mal ahnen, wie herrlich er es hatte, dass ihm der gute Zwilling gegenübersaß.
»Wir reden morgen früh weiter.«
Ihr Zeitfenster schloss sich. Sie würde einen Heli von Europol anfordern, der sie nach Marseille flog.
»Ruhen Sie sich aus.«
Er nickte, sah sie aber nicht mehr an, sondern machte sich an dem Bett zu schaffen.
Sie konnte es sich nicht verkneifen:
»Willkommen auf der richtigen Seite.«
Er schnaufte.