Zara
Beach Hotel Dos Mares, Tarifa, Spanien
D
as Zimmer lag im Halbdunkel, als sie eintrat, deshalb musste sich Zara kurz orientieren. Der Fernseher lief, ein Musikvideo auf einem spanischen Sender, ohrenbetäubend war der Sound, doch schon bei ihrem Eintreten machte das Mädchen mit der Fernbedienung leiser.
Sie hatte die drei noch nie gesehen, aber Zoë hatte ihr Kevin beschrieben, deshalb setzte sie sich vor den jungen Mann mit den dunkelbraunen Augen, der sie scheu, aber freundlich ansah.
»Es ist sehr schön hier, vielen Dank, wirklich, vielen Dank, dass Sie uns hierhergebracht haben.«
»Sehr gerne, du hast uns sehr geholfen.«
»Was passiert jetzt mit uns? Haben Sie schon eine Information?«
»Ich werde euch nach Den Haag bringen lassen. Wir brauchen dort eure Aussagen gegen die Islamisten, anonym, versteht sich. Dann werden die Verbindungsbeamten meiner Organisation eure Asylanträge bei den Behörden einreichen – das sollte eine reine Formalität sein. Und dann könntet ihr, wenn ihr wollt, in Holland bleiben.«
Kevin strahlte, und der junge Mann, der neben dem Mädchen auf dem Bett saß, klopfte seiner Frau auf die Schulter, als wolle er sie animieren, sich mitzufreuen. Doch das Mädchen blieb auf dem Bett sitzen und starrte Zara unverwandt an, Misstrauen lag in ihrem Blick.
»Wer ist dieser Mann?«, fragte Kevin.
»Der Mann, den wir rausgeholt haben? Ein Mann, der wichtig ist für unsere Organisation. Er kann uns wichtige Dinge sagen, die viele Menschen schützen können. Kennst du ihn? Ich meine: Hast du ihn vorher schon in dem Zeltdorf gesehen?«
»Ja, er war mit den anderen Anführern zusammen. Er fiel ja sehr auf, weil er so besondere Haare hat. Er war … er war einer von ihnen.«
Zara nickte. »Ja, das sollte auch so sein.«
Sie wandte sich zu dem Mädchen um.
»Hey, wie ist dein Name?«
»Meine Schwester spricht kein Französisch«, unterbrach Kevin sie. »Sie kann nur unsere Stammessprache. Sie heißt Agba.«
»Fragst du sie, warum sie so ernst schaut? Geht es ihr gut? Was kann sie mir sagen? Hat sie etwas erlebt, als sie dort in dem Zelt war?«
Kevin nickte und stellte in einer Sprache, die völlig unverständlich klang und tief aus der Kehle zu kommen schien, eine Frage, sicher eine Minute lang redete er auf Agba ein, dann antwortete sie, melodischer, wie in einem Singsang.
Kevin lauschte, dann wandte er sich Zara zu.
»Sie ist ganz durch den Wind, sie glaubt nicht, dass wir nun wirklich in Sicherheit sind. Sie kann gar nicht glauben, dass das hier schon Europa ist, dass Sie uns in ein Land bringen, in dem Frieden herrscht und die Menschen reich sind.«
»Das ist alles?«, fragte Zara, die die übersetzten Worte nicht mit dem Gesichtsausdruck des Mädchens zusammenbringen konnte.
Kevin winkte mit der Hand ab.
»Sie bringt Dinge durcheinander. Sie ist sehr aufgeregt, was für eine große Reise sie hinter sich hat. Sie erzählt von dem blonden Mann, dass er, ach, ich weiß auch nicht, sie ist ganz durcheinander.«
»Was sagt sie, Kevin? Es ist wirklich wichtig.«
»Dass er mit den anderen Männern gestritten hat und dass die anderen Männer ganz leise wurden, dass er aber herumgebrüllt hat, dass er – wir in unserem Dorf sagen – ein schrecklicher Geist ist, dass irgendetwas in ihm steckt. Aber bitte, ich bitte Sie, meine Schwester ist ganz verwirrt. Wir wollen auf jeden Fall nach Den Haag, wir wollen in Sicherheit, bitte, lassen Sie uns nicht hängen.«
Kevin wollte sie berühren, aber Zara zog ihren Arm weg. Zoë hätte ihn dort liegen lassen, hätte Kevin umarmt. Mist, sie musste an ihrer Tarnung arbeiten.
»Wir bringen euch in Sicherheit. Sag deiner Schwester, sie soll sich ausruhen. Wir reden in Den Haag in den nächsten Tagen. Morgen bringen wir euch dorthin.«
»Danke, danke, tausend Dank«, sagte Kevin, und seine Stimme überschlug sich beinahe.
»Bitte: Ruht euch aus. Wir werden morgen abgeholt. Dann ist das eure Reise in eure neue Heimat.«
Sie nickte den dreien zu und hörte, als sie die Tür schloss, wie sie die Musik wieder auf volle Lautstärke hochdrehten.