Zara
Beach Hotel Dos Mares, Tarifa, Spanien
S ie erwachte jäh, als habe sie eine harte Hand im Schlaf erwischt.
Doch Zoë lag neben ihr in dem breiten Doppelbett und atmete ruhig und gleichmäßig, als hätten ihr die Ereignisse des Vortages gar nichts ausgemacht.
Das Zimmer lag in fahlem Morgenlicht, das draußen vom Meer hereinfiel, wie eine Vorahnung.
Sie drehte sich von Zoë weg und schloss die Augen. Sie wollte wieder einschlafen, das enge Gefühl in ihrer Kehle loswerden, doch es gelang ihr nicht.
Sie öffnete die Augen wieder, ihr Blick wanderte zur Decke.
Das Mädchen, sechs Zimmer neben ihr.
Was hatte sie ihr sagen wollen?
Zara nahm die Plastikflasche mit dem stillen Wasser von ihrem Nachttisch und nahm einen tiefen Schluck. Sie betrachtete ihr Abbild neben sich im Bett und wünschte sich Zoës tiefen Schlaf.
Dann legte sie sich wieder hin, zog die dünne Decke über sich, weil sie fröstelte – sie liebte die dicken weichen Decken in Berlin. Wieder schloss sie die Augen, versuchte, sich an Zoës Atemrhythmus anzupassen.
Einatmen. Ausatmen.
Einatmen. Ausatmen.
Sie riss die Augen jäh auf.
Zu glatt.
Viel zu glatt.
Alles.
Es war viel zu glatt gegangen.
Sie fügte die Erinnerungen wie Puzzleteile zusammen, einige Teile aus den Videos in dem geheimen Raum der Berliner Polizei.
Zoës Erzählungen.
Ihr Verhör gestern.
Das abgehörte Telefonat.
Die genaue Lagebeschreibung der Terroristen.
Warum hatte er quasi schon bereitgesessen, in diesem Zelt im Lager? Bereit, wie zur Abholung.
Warum war er so erschüttert gewesen, als Zoë seine Feinde umbrachte?
Die Angst legte sich um ihren Körper, umklammerte sie fest, fraß sich in ihren Kopf, als würde sie aus einem tagelangen Traum erwachen und feststellen, dass sie längst im schlimmsten Albtraum lebte.
Sie schlug die Decke weg und stand lautlos auf, zog sich die Jeans an, dann ging sie hinüber zu der Kommode, auf der ihre eigene Pistole lag. Sie griff danach, dann öffnete sie leise die Tür.
Der Flur war menschenleer, die Notbeleuchtung war eingeschaltet und glomm schwach.
Zara schlich sich an den Zimmertüren entlang. Sie durfte Isaakson nicht aufwecken, genauso wenig wie Aznar oder die Togolesen.
Ihre Angst musste sich ja nicht bewahrheiten – es konnte ja alles nur ein Hirngespinst sein. Doch sie kannte sich, also wusste sie es besser.
An seiner Tür blieb sie stehen.
Legte das Ohr ans dünne Holz.
Nichts. Kein Schnarchen, kein lautes Atmen. Nichts.
Sie drückte leise die Klinke herunter. Er hatte keinen Schlüssel für sein Zimmer bekommen. Deshalb öffnete sich die Tür, leise quietschend in ihren maroden Angeln.
Das Zimmer war dunkel.
Doch sie spürte es, bevor sie es sah.
Seine Anwesenheit fehlte, der Raum war leer, die Angst sprang über, sie hüpfte auf und ab, dass es Zara ganz schlecht wurde, als wolle ihre innere finstere Stimme jubilieren vor lauter Klugheit.
Sie schaltete das Nachttischlicht an.
Das Bett war leer. Es war gemacht. Fein säuberlich war die Decke über das Laken gelegt, Ecke auf Ecke. Hatte er es benutzt? Darin geschlafen?
Seine Tasche war weg, genau wie die Klamotten, die er gestern angehabt hatte.
Auf dem Schreibtisch war nichts, kein Gegenstand, keine Nachricht, nicht mal ein Haar von ihm. Es sah aus, als sei er nie hier gewesen.
Verdammt. Wie hatte sie nur so dumm sein können?
Sie ging hinaus, achtete nicht mehr auf das Geräusch ihrer Schritte. Wo war er?
Kurz vor ihrer eigenen Zimmertür hielt sie inne. Wie aus einem inneren Instinkt.
Drehte sich leise um, ging drei Zimmertüren zurück.
Klopfte leise.
Keine Antwort.
Sie drückte die Klinke herunter.
Öffnete die Tür und trat ein.
Ein fahles Licht vom Nachttisch beleuchtete die Szenerie, und obwohl sie beinahe sofort die Augen schloss, reichte es doch, damit sich das Bild in ihrem Kopf festbrannte.
Wie sie da lagen.
Kevin. Und sein Schwager.
Auf dem Bett, in Jeans und Unterhemden, die Augen weit aufgerissen, in ihrer beider Stirn klaffte ein Loch. Ein winziges Loch, doch so blutrot, dass es keinen Zweifel gab. Schalldämpfer, aufgesetzter Schuss, am Hinterkopf eine sicherlich riesige Austrittswunde. Die Kopfkissen waren dunkelrot.
Doch sie hatte in der Sekunde nicht ausmachen können, ob es das Blut der Jungs war – oder das von Kevins Schwester.
Der Geruch von Eisen, überall im Zimmer.
Das Mädchen lag nackt zwischen den beiden, der Körper ein Schlachtfeld.
Zara stützte sich am Türrahmen ab, sie atmete heftig, dann schaffte sie es, sich loszureißen, ohne sich umzudrehen. Zoë.
Zoë.
Im Zimmer dann endlich konnte sie es laut sagen.
»Zoë.«
Ihre Schwester saß schon im Bett.
Sie hielt die Beretta auf Zara gerichtet, der Finger am Abzug, der Blick des Zwillings fiel in den Lauf.