III
Das Gartencenter war von Vogelgezwitscher erfüllt, vom Frrrrrp
kleiner Flügel, wenn die winzigen Piepmätze von den Dachsparren zum Boden und wieder zurück flatterten. Tufty drehte sich um die eigene Achse und folgte mit dem Blick einem Buchfink oder einer Blaumeise oder was immer es war, was da auf der Rückenlehne einer Parkbank für »nur 159,99 Pfund!« herumhüpfte.
In der Luft lag ein würziger Duft nach Vegetation, unterlegt von dem an altes Brot erinnernden Hefegeruch von Kompost und frisch umgegrabener Erde. Eine Ecke der riesigen Ladenfläche wurde von einem Café eingenommen, aus dem einem der verlockende Duft nach köstlichem Backwerk entgegenwehte wie die Umarmung einer Lieblingsoma.
Der Rest der Halle war angefüllt mit Gartenpflanzen, Obstbäumen in Töpfen, Buchsbaumhecken, Rosen in Kübeln, Farnen, Blumen und dem ganzen anderen Kram, darunter eine beeindruckende Kollektion hässlicher Steinguttiere und noch hässlicherer Gartenzwerge.
Tja – nicht ganz das, was er erwartet hatte angesichts der Boshaftigkeit von Steels Grinsen.
Sie marschierte voraus und blieb vor einer jungen Frau stehen, die gerade Setzlinge aus einer Anzuchtschale in einzelne Töpfchen verpflanzte. Die Haare zu Heidi-Zöpfen gebunden, trug sie eine blaue Schürze, auf der das Logo des Gartencenters prangte, gleich unter einem großen roten
Namensschild, auf dem zu lesen war: »Stacey freut sich
IMMER,
Ihnen behilflich zu sein
!«
Steel klopfte auf den Arbeitstisch, worauf Stacey aufblickte und lächelte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Aye
, ist Big Jimmy Grieve in der Nähe?«
Sie wies auf eine Tür in der Seitenwand der Halle. »Bei den Gartenhäusern und Pavillons.«
»Danke.« Steel marschierte los, vorbei an den Springbrunnen und Wasserspielen und zur Tür hinaus.
Tufty trabte neben ihr her. »Wer ist ›Big Jimmy Grieve‹?«
Sie marschierte einfach weiter.
An einem vier Meter hohen Maschendrahtzaun waren Regale mit Gartengestaltungszubehör aufgereiht: Säcke voll Kies, Zaunelemente, Drahtrollen und dergleichen mehr. Davon eingefasst war eine Ansammlung von Fertigschuppen in fröhlichen Outdoorfarben, wie eine kleine Barackensiedlung.
Ein alter Mann hantierte mit Holzlatten herum, aus denen er einen Pavillon am Rand der bunten Gartenschuppensiedlung baute. Und er machte es gar nicht so schlecht. Was nur gut war, denn man musste schon lebensmüde sein, um ihm ins Gesicht zu sagen, dass er irgendetwas nicht
perfekt machte.
Er war riesig. Graues, kurz geschorenes Haar, breite Schultern, kräftige Arme und große Hände. Ein Kraftpaket. Als ob ein Rugbyspieler und eine Boxerin zusammen einen Rausschmeißer gezeugt hätten.
Steel blieb hinter ihm stehen. Sie lehnte sich an einen pastellblauen Schuppen.
Er blickte sich nicht um. Stattdessen nahm er einen Nagel aus einer Schachtel zu seinen Füßen und hämmerte ihn mit drei mächtigen Schlägen ins Holz
.
Sie wartete, bis der letzte Schlag verhallt war. »Mr Grieve. Hätte gar nicht gedacht, dass Sie so einen grünen Daumen haben.«
Er erstarrte. Dann drehte er sich um.
Puh … Das war ein Gesicht, bei dessen Anblick sich selbst ein Rottweiler in die Hose machen würde. Falten und Runzeln wie in Stein gemeißelt. Augen wie gefrorener Granit. Doch als er den Mund aufmachte, donnerten die Worte nicht heraus, sondern glitten wie auf Schienen, ruhig und beherrscht, ohne erkennbare Regung. »Roberta Steel. Was führt Sie her?« Er stand vollkommen still, kein Zucken oder Zappeln, wie eine lebende – und extrem furchteinflößende – Statue.
»Oh, ich war nur zufällig in der Nähe, Mr Grieve …« Schulterzucken. »Wie geht’s Sheila und den Enkelkindern?«
Ein Lächeln grub die Fältchen um seine Augen tiefer ein. »Denen geht’s gut, danke. Macy geht jetzt auf die große Schule. Sie sagt, sie will mal Systemarchitektin werden, was immer das sein mag.«
»Freut mich zu hören. Sagen Sie schöne Grüße von mir.«
Er nickte, dann griff er nach dem nächsten Teil seines Pavillonbausatzes und richtete es an dem aus, das er gerade festgenagelt hatte.
Sie steckte die Hände in die Hosentaschen. »Haben Sie mal von einer miesen kleinen Ratte namens Philip Innes gehört?«
»Sollte ich das?« Wieder diese bedrohliche Starre.
»Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass er sich in Cairnhill Court als Kredithai betätigt. Sie sind da aufgewachsen, nicht wahr?«
»Ist lange her.«
»Dieser Philip Innes hat eine kleine alte Dame überfallen. Hat sie krankenhausreif geprügelt. Und ihren Hund in der Mikrowelle gekocht. Traurig, nicht wahr?
«
Big Jimmy Grieves Stimme wurde leiser. Härter. »Und warum verhaften Sie ihn dann nicht?«
»Ich komme nicht an ihn ran.« Ein Seufzer. »Sie wissen doch, wie das ist – alle haben Angst, keiner traut sich, den Mund aufzumachen. Das ganze Haus ist schlagartig an Amnesie, Kehlkopfentzündung und einem besonders schweren Fall von selektiver Blindheit erkrankt.«
»Verstehe.«
Ein ungutes Gefühl machte sich in Tuftys Magengrube breit. Sein Nacken war plötzlich feucht von kaltem Schweiß. Das war ganz sicher eine sehr, sehr
schlechte Idee.
»Zu Ihrer Zeit war das noch anders, nicht wahr, Mr Grieve?« Steel schüttelte den Kopf. »Okay, man hat niemanden bei der Polizei verpetzt, aber das war auch nicht nötig, oder? Weil jeder wusste, dass sich alles intern regeln ließ.«
Big Jimmy Grieve starrte auf den Hammer in seiner riesigen Pranke hinab. Als wollte er sein Gewicht prüfen. Er schwieg.
»Wenn du damals über die Stränge geschlagen hast – wenn du zum Beispiel eine alte Dame vermöbelt hast –, dann hast du eins auf die Finger gekriegt. So richtig feste. Aber heutzutage …« Wieder ein Seufzer. Dann hob sie die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. »Na ja, genug in Erinnerungen geschwelgt. Ich mach mich mal wieder an die Arbeit.«
Er stand da, reglos und kalt wie ein Grabstein aus Granit, und starrte den Hammer an.
»Sagen Sie Sheila einen schönen Gruß von mir.« Steel drehte sich um und ging davon.
O nein – sie würde ihn nicht
mit Big Jimmy Grieve allein lassen.
Tufty hastete ihr hinterher und versuchte gar nicht erst, cool zu wirken
.
Er holte sie auf halbem Weg zum Ausgang ein und packte sie am Arm. »Was haben Sie da gerade gemacht?«
Steel drehte sich um und starrte ihn an.
Okay, vielleicht besser ohne Anfassen.
Er ließ sie los.
Sie ging weiter. »Ich habe bei einem alten Freund vorbeigeschaut.«
»Einem alten …?« Tufty senkte die Stimme zu einem zischelnden Flüstern, als sie an Stacey mit ihren Heidi-Zöpfen vorbeikamen. »Der sieht aus wie ein Serienmörder!«
»Ist schon Mittag? Mir ist irgendwie nach Lunch.«
»Warum können Sie sich nie
mal an die Vorschriften halten?«
»Lunch, Lunch, Lunch, Lunch, Lunch.« Sie rauschte durch den Haupteingang auf den Parkplatz hinaus.
»Wer ist Big Jimmy Grieve? Was wird er mit Phil Innes machen?«
»Ich dachte vielleicht an Fish et Chips avec les Essiggürkchen et Erbsen à la Püree.«
Tufty legte einen Minisprint ein und stellte sich ihr in den Weg. »Was ist, wenn er Phil Innes zusammenschlägt? Was ist, wenn er ihn umbringt
? Machen wir uns jetzt der Beihilfe zum Mord schuldig?«
Steel lächelte ihn an. »Sie machen sich zu viele Gedanken.«
Dann umkurvte sie ihn und ging gemächlich weiter zu ihrem geparkten Einsatzwagen.
Tufty blieb, wo er war. Er riskierte einen Blick zurück zum Gartencenter.
Da war Big Jimmy Grieves in Granit gehauenes Gesicht, gleich hinter den Eingangstüren. Reglos, ausdruckslos starrte es ihn an. Beobachtete ihn.
Oh, sie waren ja so
was von geliefert.