III
Schläfriger Schlaf. Warmer, behaglicher, schläfriger …
»AAAAH
!« Tufty richtete sich ruckartig auf – oder fast.
Sein Kopf bewegte sich, aber der Rest blieb genau dort, wo er war: an einen Stuhl gefesselt, die Hände fest hinter dem Rücken zusammengebunden. Und zwar, wie es sich anfühlte, mit Handschellen. Wie konnte …
Ah. Genau. Der Schattenmann hatte noch einen fetten, glatzköpfigen Kumpel gehabt.
Er blinzelte. Schüttelte den Kopf. Aber das hatte nur zur Folge, dass alles von links nach rechts und wieder zurück pendelte und schwang. Der Boden hob und senkte sich. Die Decke schaukelte, die Wände schlingerten.
Tufty kniff die Augen zu und biss die Zähne zusammen, bis das Gefühl, bei Windstärke neun auf einer Fähre zu sein, allmählich nachließ. Vorsichtig hievte er ein Augenlid hoch.
Ach du Scheiße.
Es war ein schick eingerichtetes Wohnzimmer, mit diversen Stehlampen, zwei Sofas mit gestepptem braunem Lederbezug und dazu passenden Sesseln und einem Kamin, in dem Blumen standen, mit Golfpokalen auf dem Sims. Fröhliche Familienfotos. Ein Klavier. Eine Kollektion rostiger alter Golfschläger in einer Tasche aus Leder und Stoff, die wie ein Elefantenkondom aussah. Ein riesiger Orientteppich auf polierten Holzdielen. Als ob er in einem Fotoshooting für ein Boutiquehotel aufgewacht wäre.
Fünf Sterne würde es aber wohl kaum bekommen. Nicht
bei der Szene, die sich in der Mitte des Zimmers bot. Drei hölzerne Esszimmerstühle waren im Dreieck angeordnet. Die blonde Frau von den Fotos – das musste Steels Frau Susan sein – war geknebelt und an den Stuhl rechts gefesselt. Ihre Augen funkelten zornig, ihre Nasenflügel bebten. Steel war an den linken gefesselt, sie hing schlaff in den Seilen. Und Tufty, der alte Glückspilz, bildete das spitze Ende, am weitesten vom Kamin entfernt.
An dem lehnte Jack Wallace und nippte an einem Tumbler mit einer tief bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Das Glas sah merkwürdig aus in seinen Händen, die in schwarzen Lederhandschuhen steckten, doch das rauchige Aroma des Whiskys breitete sich durch die Luft aus wie Ölschlieren.
Fatty McGlatzkopf saß auf einem der Sofas, ebenfalls mit einem Drink in der Hand.
Ein dritter Mann, der Tufty irgendwie bekannt vorkam – vielleicht einer der Typen von dem Überwachungsvideo mit Wallace’ Kinobesuch? – goss gerade einen kräftigen Schluck in einen weiteren Tumbler und drückte ihn einem schwer lädierten Exemplar in einem blutverschmierten Hemd in die Hand.
Hellrotes Blut troff aus Nase, Ohren und Mund des Exemplars und tropfte auf das Geschirrtuch, das er in der anderen Hand hielt. Das musste dann Tuftys alter Freund der Schattenmann sein. Was auch die kühlschranktürförmigen Dellen in seinem hässlichen Schädel erklärte.
Tufty nickte ihm zu. »Da sollten Sie was Kühles drauftun. Wie zum Beispiel eine Gefrierkombi.«
Der Schattenmann kippte einen Schluck von Steels Whisky, zuckte kurz zusammen und schoss ihm aus seinen verquollenen Schielaugen giftige Blicke zu. Ach ja, genau: Die Brille fehlte. Die war bei ihrer Begegnung in der Küche zu Bruch gegangen
.
Och, du Ärmster.
Wallace schnippte mit den Fingern. »Richard, kneble ihn.«
Der Irgendwie-Bekannte stellte sein Whiskyglas auf dem Klavier ab, griff in Tuftys Haare und zog seinen Kopf ruckartig nach hinten.
Tausend Nadeln bohrten sich in seine Kopfhaut. Dann wurde ein Klumpen Stoff in seinen Mund gestopft, gehalten von einem zweiten Streifen, der am Hinterkopf verknotet wurde.
Jetzt schmeckte alles nach muffigen Lumpen.
»Okay, ich glaube, es wird allmählich Zeit, dass wir mit der Party loslegen!« Wallace kippte seinen Whisky und knallte das leere Glas auf den Kaminsims. Er beugte und streckte die Finger seiner behandschuhten Hand, während er auf Steel zumarschierte, und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige.
Keine Reaktion.
Immer noch bewusstlos.
»Wollen wir das noch mal versuchen?« Noch fester diesmal – so fest, dass der ganze Stuhl wackelte.
Sie kam zu sich, hustend und prustend. »Gnnnn …« Scharlachrotes Blut rann ihr von den Mundwinkeln.
»Willkommen zurück, Schlafmütze! Haben wir ein schönes Nickerchen gemacht?«
Sie schüttelte den Kopf. Blinzelte. Und dann fletschte sie die Zähne und fauchte, warf sich vor und zurück gegen die Stricke, die sie an den Stuhl fesselten. Vergeblich. »GRRRRRRRRRRRRRAAAAAAAAAA
!«
Wallace griff in den Stoff ihres Chiffontops. »Du hast wirklich geglaubt, du könntest damit durchkommen, wie? Mit dem, was du mir angetan hast.« Er lachte. »Ich hab dir doch gesagt, eines Tages reiße ich deine kleine Welt in Fetzen. Tja, und heute ist der Tag!
«
Steels Stimme war hart wie ein selbstgebasteltes Knastmesser. »Verschwinde aus meinem Haus, verdammt noch mal!«
»All die Monate, eingesperrt mit dreckigen Pädophilen und Vergewaltigern.« Er sah seine Kumpels an und hob grüßend die Hand an die Schläfe. »Nichts für ungut, Jungs.«
»Wenn ihr Susan etwas antut …« Steels Augen traten aus den Höhlen, und sie kämpfte wieder gegen die Fesseln an. Immer noch vergebens.
Was sie brauchten, war ein Plan. Irgendwas Cleveres. Etwas, das damit endete, dass alle, die momentan gefesselt waren, den Platz tauschten mit all denen, die momentan nicht
gefesselt waren. Und damit, dass Jack Wallace drei oder vier Fußtritte in die Eier bekam.
Denk nach.
Es musste doch etwas geben …
Haha! Ein Plan!
Er musste seinen Stuhl zerdeppern, das
war die Lösung! Wenn der Stuhl kaputt wäre, würden die Stricke ihn an nichts mehr fesseln. Sie würden einfach abrutschen. Dann müsste er nur noch die Arme über seinen Hintern bugsieren und die Hände wieder nach vorne bringen. Sich mit einem Sprung befreien und … irgendwas Heldenhaftes tun.
Zum Beispiel Wallace in den Hals boxen. Dann Fatty McGlatzkopf gegens Knie treten. Dann noch dem irgendwie bekannten Richard mit gestrecktem Arm die flache Hand in die Nase rammen und sie zerquetschen, und schon wäre die Sache erledigt. Der Schattenmann war zu sehr damit beschäftigt, finster zu schauen und in sein Geschirrtuch zu bluten, um großartig Widerstand zu leisten.
Und dann Steel und Susan befreien.
O Tufty, du bist unser Held!
Orden. Eine Parade. Und eine Beförderung
.
Also, wenn das
kein Plan war.
Na los, Tufty – es hängt alles von dir ab!
Er holte tief Luft, krümmte sich zusammen und schnellte dann rückwärts. Hart und schnell. WIE
– EIN
– NINJA
!
Die Stricke ächzten. Der Stuhl knarrte.
Komm schon, geh kaputt, verdammt noch mal!
…
Aber der Stuhl tat ihm den Gefallen nicht.
Das Einzige, was passierte, war, dass sein gebissenes Handgelenk noch ein bisschen doller wehtat.
Der irgendwie bekannte Richard versetzte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. »Still sitzen, du kleine Schwuchtel.« Er zog ein Teppichmesser hervor und schob die Klinge heraus. Dann drehte er das Messer unter Tuftys Nase, sodass es das Licht reflektierte. Schimmernd und glänzend. »Soll ich dich mal ein bisschen zurechtstutzen? Mach ich glatt.«
Ah … Okay.
Wallace zog ein Buch aus einer Ledertasche und wandte sich wieder Steel zu. »Einen
Vorteil hat es ja, wenn man im Knast sitzt: Man hat reichlich Zeit zum Lesen.«
Sie starrte ihn an. »Wenn Sie Susan gehen lassen, können wir darüber reden.«
»In der Gefängnisbücherei gab es das
hier.« Er hielt es ihr kurz vor die Nase, dann las er vom Cover ab. »›Szenenwechsel‹, Untertitel: ›Vom Detective Inspector auf der Jagd nach Serienmördern zum Blockbusterregisseur.‹ ›Ein faszinierendes und bewegendes Buch …‹, schreibt der Scotsman.
›Ich kann Ihnen dieses Buch nur wärmstens ans Herz legen.‹ Daily Mail.
›Absolut großartig.‹ William Hunter.«
Steel räusperte sich. Dann sprach sie mit der gewollt ruhigen und vernünftigen Stimme, die sie manchmal einsetzte, um DCI
Rutherford rumzukriegen. »Ich meine es ernst, Jack. Lassen Sie Susan gehen.
«
»Er war ein Kollege von dir, nicht wahr, dieser DI
Insch? Oh, wenn du wüsstest, was er hier so alles über dich schreibt. Ts-ts.«
»Susan hatte nichts damit zu tun. Das ist eine Sache nur zwischen Ihnen und mir.«
»Ach, fast hätte ich’s vergessen: Ich hab meine Lieblingsstelle angestrichen.« Ein Zwinkern. »Das wird dir gefallen.« Er schlug das Buch auf. »›Und dann sagte Ken Wiseman die schrecklichsten Worte, die ich in meinem Leben je gehört hatte. Er würde mir meine kleine Tochter wegnehmen, meine Sophie, und sie an Pädophile verkaufen. Sie würden sich Sophie heranziehen. Und mit ihr machen, was immer sie wollten.‹ Ui-ui-ui …« Er klappte das Buch zu. »Ganz schön hart, wie?«
Fatty McGlatzkopf scharrte mit den Füßen. »Können wir jetzt mal zur Sache kommen, Jacky? Ich werd nämlich langsam ein bisschen … spitz.«
Wallace sah ihn nicht einmal an. »Behalt ihn noch zwei Minuten in der Hose. Wir haben massig Zeit.« Er ging vor Steel in die Hocke und blickte zu ihrem Gesicht auf, eine Hand auf ihrem Knie. »Siehst du, dir
habe ich es zu verdanken, dass sie mich mit all diesen Sexualstraftätern zusammengesperrt haben. Und das Komische ist: Pädophile, das sind in der Regel ganz nette Typen. Na ja, abgesehen davon, dass sie kleine Kinder ficken. Und jetzt hast du rein zufällig zwei wunderschöne
kleine Mädchen.« Er ließ Steels Knie los und fuhr stattdessen mit seinem behandschuhten Finger an der Innenseite ihres Oberschenkels hinauf. »Was schätzt du, wie viel ich für die zwei kriegen werde?«
Susan brüllte hinter ihrem Knebel und warf sich gegen ihre Fesseln und den Stuhl. Der Stuhl wackelte, die Beine hüpften und rutschten vom Teppich aufs Parkett.
Richard ging auf sie zu und versetzte ihr einen solchen
Schlag mit dem Handrücken, dass der ganze Stuhl mit ihr nach hinten umkippte und auf den Boden krachte.
Susan ächzte. Irgendetwas splitterte.
Er rieb sich die Knöchel. »Und bleib nur ja unten, du dreckige Lesbenschlampe! Du kommst schon noch an die Reihe.«
Wallace nahm Steels Gesicht zwischen die Finger und drehte es von Susan weg, zurück zu sich selbst. »So viel Zeit hast du damit vergeudet, mich zu jagen. Aber ich war es ja nie allein
, nicht wahr? Nee, das ist ein Mannschaftssport. Einer von uns steht auf dem Platz, die anderen drei sitzen auf der Bank und sorgen für das Alibi.« Er deutete auf seinen blutverschmierten Kumpel. »Terry ist derjenige, der es dieser Lehrerin besorgt hat, während ihr Kleiner zuschaute. Saubere Arbeit, Terry.«
Terry starrte Tufty finster an, seine Aussprache feucht und undeutlich. »Der Mistkerl von Bulle hat mir die halben Zähne ausgeschlagen …«
Gut so.
»Also, wir werden jetzt Folgendes tun: Wir werden ein bisschen Spaß haben. Und dann wirst du mit deinen kleinen Freunden hier baden gehen. Mit Betonklötzen an den Füßen.«
Fatty McGlatzkopf grinste. »Terry hat ein Fischerboot. Und ich hab das hier.« Er griff sich in den Schritt und knetete den Inhalt. »Uuuh, yeah.« Er rubbelte sich durch den Stoff der Hose. »Ich weiß, ihr Lesben lechzt alle nach ’nem richtigen Mann. Nach ’nem schönen harten Schwanz, der euch wieder richtig einnordet.«
Wallace stand auf. »Siehst du? Hab dir doch gesagt, wir werden Spaß haben. Eric macht die Zweitverwertung, Richard ist flotter Dritter, und Terry macht die Viererkette komplett. Was bedeutet, dass ich
als Erster dran bin.« Er
machte seine Hose auf, holte seine Erektion heraus und wedelte damit vor Steels Gesicht herum.
Eric – alias Fatty McGlatzkopf – johlte und klatschte in die Hände, als Wallace näher trat. »Na los, lutsch ihn, du runzlige alte Schlampe. Du weißt doch, dass du’s willst. Lutsch ihn!«
Steels Kopf zuckte zurück.
»He!« Eric zog ein fünfzehn Zentimeter langes Jagdmesser aus der Tasche, die eine Schneide gezahnt, die andere blitzend vor Schärfe. »Lutsch ihn, sonst tranchier ich dein trutschiges Lesbenschlampenweib wie ’nen Sonntagsbraten!«
Wallace schwenkte seinen Ständer mit einer Hüftdrehung hin und her. »Und er macht keine Witze. Schon verblüffend, was Eric mit einer Frau anrichten kann. Das ist deine Würde doch nicht wert, oder? Dass dein hübsches Leckschwesterchen ganz zerschnippelt wird?«
Tufty startete noch einen Versuch. Ganz tief geduckt, und dann zack – WIE
EIN
NINJA
!
Er zerrte und zog.
Biss die Zähne zusammen.
Sämtliche Muskeln in seinem Rücken brannten wie Feuer …
Nichts.
Er sackte wieder in sich zusammen. Außer einem Knarren hatte er nichts bewirkt.
Steel senkte den Kopf. Sie schniefte und ließ einen langen, flatternden Atemzug entweichen. Dann nickte sie und machte den Mund auf.
Wallace grinste. »Na also. Wusste ich’s doch, dass du scharf drauf bist.« Er nahm seinen Schwanz in einer Hand und fasste sie mit der anderen im Nacken, sodass sie nicht zurückweichen konnte. »Achtung, Flieger setzt zur Landung an …«
Steels Kopf schnellte nach vorne, ihre Zähne schlugen mit
einem hörbaren Klack!
aufeinander, während sie den Kopf hin und her warf.
Wallace taumelte ein paar Schritte zurück. Er starrte auf ihr blutüberströmtes Kinn, dann auf seinen Schritt hinunter, wo das Blut hervorschoss. Ein hohes, schrilles, pfeifendes Geräusch entrang sich seiner Kehle, und dann ging das Geschrei los. Er kippte um wie ein Sack Kartoffeln, wälzte sich auf dem Teppich zwischen den zwei Sofas und hielt sich den Schritt, während hellrotes Blut zwischen seinen zusammengekrampften Fingern hervorquoll. »AAAAAAAAAAAAAAAH
! O GOTT
, O GOTT
, O GO
-HO
-HOOOTT
!«
Steel spuckte das abgetrennte Stück auf den Teppich vor ihren Füßen. »Wie war ich, Darling
? Ich dachte, du magst
es ein bisschen grob!«
Richard schob die Klinge seines Teppichmessers wieder heraus und stürzte sich auf sie.
O nein, nix da!
Tufty ließ seinen Fuß vorschnellen und trat mit aller Kraft seitlich gegen Richards Knie. Irgendetwas da drin machte vernehmlich knacks.
Er ging direkt vor Steel krachend zu Boden, kreischte auf und hielt sich sein nunmehr deformiertes Bein. Das Teppichmesser rutschte unters Klavier.
Steel hob schnell den linken Fuß und rammte ihm den Stiefelabsatz ins Gesicht. Einmal. Zweimal. Dreimal. Bei jedem Tritt hörte man die Knochen knacken und knirschen.
Zwei erledigt, blieben noch zwei.
Wallace wälzte sich schreiend am Boden, strampelte mit den Beinen und krümmte sich noch mehr zusammen. »AAAAAAAAAAAAH
! GOTT
IM
HIMMEL
, AAAAAAAAAAAAAAH
!« Der Teppich färbte sich rot von seinem Blut
.
»Du bist tot, Miststück!« Eric packte sein Jagdmesser fester und malte mit der Spitze kleine Achter in die Luft, während er fauchend auf Steel zustürmte. »Tot!«
Tufty hob jetzt auch den Fuß und trat fest nach hinten gegen das Bein des Stuhls, an den er gefesselt war – Wallace’ Schreie übertönten das Knacken des brechenden Holzes. Noch einmal. Das Bein brach entzwei, der Stuhl kippte seitlich auf den Teppich, der ganze Rahmen knirschte beim Auftreffen. Tufty warf sich vor und zurück, um die Fesseln zu lockern.
Ha – es funktionierte! Sie wurden tatsächlich lockerer. Noch eine Sekunde, und er …
Ach du Scheiße.
Terry blickte auf ihn herunter, die eingeschlagenen Zähne gebleckt – blutige Stümpfe und zerfetztes Zahnfleisch. Er nahm kurz Anlauf und trat Tufty mit solcher Wucht in den Bauch, dass er mitsamt dem Stuhl auf den Rücken rollte.
Tausend brennende Spinnen krabbelten durch seine Eingeweide, krallten sich ins Fleisch und versengten es. Er atmete pfeifend ein, die Luft wie Glassplitter, die das Feuer noch mehr anfachten.
Dann hockte Terry plötzlich auf ihm, die Knie auf seiner Brust, die Hände an seinem Hals. Und drückte zu. »Findest es wohl komisch, Leuten die Kühlschranktür auf den Kopf zu knallen, wie? Findest du das komisch?«
Da tauchte plötzlich Susan hinter ihm auf, mit einem dieser rostigen alten Golfschläger in den Händen. Blut rann aus ihrem Mundwinkel und tropfte ihr vom Kinn. »Ich bin nicht
trutschig!« Sie schmetterte ihm den Schläger mit einem schallenden Donnngggg
auf den Schädel.
Seine Augen verdrehten sich nach innen, dann wurden sie trüb, und dann kippte er nach vorne auf Tufty.
»Mmmmmmmpf!« O Mann, der Kerl wog eine Tonne!
Tufty sog die Luft durch den Knebel ein, mühte sich mit aller Kraft, ihn abzuwälzen … Aber der Fettsack lag einfach da und drückte ihn in den Teppich. »Mrrnfff mnnng glllngg!«
Aber Susan tat nichts dergleichen. Stattdessen zog sie sich selbst den Knebel aus dem Mund. Dann drehte sie sich um und baute sich vor Eric mit seinem Fünfzehn-Zentimeter-Messer auf.
Sie nahm den Schläger in beide Hände, stellte die Füße schulterbreit und setzte den Schlägerkopf auf den Teppich. »HE
, DUMPFBACKE
!«
Steel riss die Augen auf. »SUSAN
, NEIN
! LAUF
WEG
!«
»Glaubst wohl, mit deinem kleinen Golfstöckchen könntest du dich und deine Freunde retten? Vergiss es.« Eric grinste. Sein Messer glänzte, die Klinge zog ihre Kreise durch die Luft. »Ich schlitz dir die Gedärme auf, und dann …«
»ACHTUNG
!« Susan holte aus und schwang den Schläger, blitzschnell
, mit einer kurzen Hüftdrehung – der Schlägerkopf sirrte in weitem Bogen herab und wieder hinauf und landete genau zwischen Erics Beinen – WACK
– so fest, dass es ihn kurz von den Füßen hob.
Ooooooooh …
Das musste
wehtun!
Erics Augen traten aus den Höhlen. Dann ließ er das Messer fallen und taumelte vorwärts, quiekend wie ein Schwein in einem Zementmischer. Tränen strömten ihm übers Gesicht, seine Lippen bewegten sich, aber es kamen keine Worte heraus.
Susan warf ihren Golfschläger auf die Couch und versetzte Eric noch einen Tritt. »Siegerin im Great Hazlehead Ladies Challenge Cup, und das drei Jahre in Folge
, Motherfunker!
«
Blau-weiße Lichter pulsten durch die Dunkelheit und verwandelten alles in ein flackerndes Chaos aus Silhouetten und Reflexen. Drei Streifenwagen und vier Ambulanzen parkten vor Steels Haus und versperrten die Straße, sämtliche Fenster in der Nachbarschaft waren hell erleuchtet, und auf dem Gehsteig verfolgte eine Traube von Menschen in teuer aussehender Freizeitkleidung gebannt das Geschehen.
Logan parkte auf dem nächsten freien Stellplatz, zwei Häuser weiter, und starrte durch die Windschutzscheibe.
Zwei Rolltragen wurden aus dem Haus geschoben, darauf zwei reglose Gestalten, festgeschnallt und mit Sauerstoffmasken im Gesicht. Die Sanitäter rollten sie den Gartenweg hinunter und verfrachteten sie in die wartenden Rettungswagen.
Okay, das war kein
gutes Zeichen.
Er stieg aus dem Audi und verriegelte die Türen. Dann trabte er auf das Haus zu, während der erste Rettungswagen losfuhr, dicht gefolgt vom zweiten. Mit heulenden Sirenen verschwanden sie in der Dunkelheit.
»Verzeihung …« Logan bahnte sich seinen Weg durch die Schar der Schaulustigen, zog seinen Dienstausweis hervor und zeigte ihn dem uniformierten Beamten, der sie in Schach hielt. »Sind sie noch drin?«
»Inspector McRae?« Der Constable nahm flugs Haltung an. »DI
Vine ist leitender Ermittlungsbeamter, die Spurensicherung ist schon vor Ort, DC
Goodwin ist Tatortkoordinator, und DCI
Rutherford wird gegen zweiundzwanzig Uhr erwartet. Er ist bei irgend so einem Galadinner. Sir.«
»Okay.« Nicht ganz das, was er gemeint hatte, aber egal.
Logan marschierte auf das Gartentor zu. Und wich zurück, als eine dritte Trage auf den Gehsteig hinausgerollt wurde, mit einem dicken, kahlköpfigen Mann, dem die Tränen übers Gesicht liefen. Um seinen Hosenlatz herum
war der Stoff rot von Blut. Er gab ein hohes, wimmerndes Schluchzen von sich, als er in den dritten Krankenwagen geschoben wurde. Wieder heulten die Sirenen.
In Steels Wohnzimmer waren die Jalousien geschlossen, doch das Blitzen eines Fotoapparats erhellte den Raum wie ein kleines Gewitter.
Er eilte auf die Haustür zu und musste auf das Kiesbett ausweichen, als eine vierte Trage zur Haustür hinausgewuchtet wurde. Nicht nötig, im Polizeicomputer nachzuschauen, um zu wissen, wer das
war.
Jack Wallace stöhnte unter seiner Sauerstoffmaske, die Haut weiß wie Papier. Sie hatten ihm Handschellen angelegt und die Hose bis zu den Knien heruntergezogen, eine dicke Lage blutgetränkter Verbandmull war über seinem Schritt festgeklebt.
Der vordere Sanitäter schüttelte sich. »Puh, allein bei der Vorstellung wird einem schon ganz anders, wie?«
Sein Kollege, der von hinten nachschob, meinte: »Zu dumm, dass wir das fehlende Stück nicht finden konnten …«
Sie rollten ihn zur Straße, luden ihn in den Rettungswagen und fuhren davon.
Okay, das war … merkwürdig.
Logan trat über die Schwelle von Steels Haus, und da war DC
Goodwin, mit seiner strähnigen Matte und der schiefen Nase. »Was haben Sie hier zu suchen, das ist ein Tat… Oh.« Er nahm sein Klemmbrett unter den Arm und salutierte. »Inspector McRae. Tut mir leid.«
»Ist schon gut, Dougie. Ist Steel noch hier?«
»Ja, Inspector. Sie sind in der Küche.« Er wies zum Ende des Flurs, als ob Logan noch nie hier gewesen wäre. »DI
Vine ist bei ihnen.«
Logan blieb, wo er war, und starrte auf Goodwin hinunter. »Und?
«
»Äh … DC
Quirrel und Steels Frau sind auch da?«
»Nein. Sie sind Tatortkoordinator. Ich muss mich bei Ihnen eintragen, schon vergessen?«
»Ach ja, richtig! Eintragen.« Er hielt Logan Klemmbrett und Stift hin. »Tut mir leid, Inspector. Ich habe es einfach … Tut mir leid.«
Logan schrieb seine Angaben auf das Blatt, dann drückte Goodwin sich flach an die Garderobe, um ihn vorbeizulassen.
Aus der offenen Wohnzimmertür kam das Klacken des Fotoapparats, die Blitze wurden von dem polierten Holzgeländer und den gerahmten Fotos in der Diele reflektiert. Logan riskierte einen Blick.
Vier Kriminaltechniker in voller Tatortmontur maßen, etikettierten und fotografierten Dinge. Was immer hier drin passiert war, es musste brutal gewesen sein: zwei zerbrochene Stühle, ein Gewirr von blauen Nylonseilen, der ganze Perserteppich voller Blut. Im Parkettboden steckte ein Jagdmesser mit Fünfzehn-Zentimeter-Klinge.
Also, das sah wirklich nicht gut aus.
Wie dem auch sei – er konnte es nicht länger vor sich herschieben.
Logan straffte die Schultern und ging den Flur entlang. Noch einmal tief durchgeatmet, dann öffnete er die Küchentür und trat ein.
Susan war auf allen vieren vor dem Kühlschrank und wischte einen Joghurtfleck auf, der an die Hinterlassenschaft eines Riesenvogels erinnerte. Tufty saß auf einem Hocker an der Frühstückstheke und hielt sich eine Tüte tiefgefrorene Erbsen an den Kopf. In seinem Gesicht prangte ein prächtiges Veilchen, ein roter Ring zog sich um seinen Hals, und das eine Handgelenk war bandagiert.
DI
Vine stand etwas abseits, in Mimik und Haltung ganz
der strenge Polizeibeamte. »Ich kann nicht glauben, dass Sie ihn glatt abgebissen haben …«
»Urgh …« Steel setzte eine Flasche Smirnoff an, gurgelte, schwappte den Wodka im Mund hin und her und spuckte ihn dann ins Spülbecken. »Erinnern Sie mich nicht dran.« Noch ein Mundvoll. Sie sah Logan an. Spuckte aus. »Du hast dir aber Zeit gelassen.«
»Die Leitstelle sagt, Jack Wallace hätte euch überfallen. Was ist passiert, geht’s euch allen gut?«
»Logan!« Susan stand auf. Ihre Lippen waren geschwollen und an einer Seite aufgesprungen, ein beginnender Bluterguss färbte ihre Wange dunkel. Sie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und umarmte ihn. Warm und weich, mit einem leisen Pfirsichduft.
»Jasmine und Naomi?«
»Oh, denen fehlt nichts. Die haben das ganze Drama glatt verschlafen.« Sie drückte ihn noch einmal, dann ließ sie von ihm ab und trat zurück. »So, wie wär’s jetzt mit einem schönen Tässchen Tee?«
Vine nickte ihm zu. Ganz förmlich. Argwöhnisch. »Inspector McRae.«
»John.«
»Nun, ich denke, wir sind hier so weit fertig.« Er wandte sich Steel zu. »Kommen Sie morgen aufs Revier, dann machen wir Ihre Aussagen fertig. Und danach haben Sie und Constable Quirrel sich ein paar Tage Urlaub verdient, würde ich sagen.« Er hob eine Hand. »Nein, danken Sie mir nicht. Das ist nur recht und billig.« Dann drehte er sich um und ging mit steifen Schritten zur Tür hinaus.
Steel spuckte noch einen Mundvoll Wodka aus und wischte sich das Kinn mit der Hand ab. »Bla-bla-bla. Dachte schon, er geht nie.«
»Ui-ui-ui!« Tufty wibbelte auf seinem Hocker auf und ab,
während er sich immer noch die Erbsentüte an den Kopf hielt. »Du hättest uns sehen sollen, es war großartig! Jack Wallace wollte Sergeant Steel seinen Pimmel ins Gesicht stecken, und sie so: ›Nix da!‹ Und er so: ›Achtung, Flieger setzt zur Landung an!‹«
»Dieser Schlag auf den Kopf hat wohl keinen plötzlichen Intelligenzschub bewirkt, wie?«
Steel schniefte. »Sag ich doch.«
»… und sie so: ›HAMMM
!‹ – und dann Geschrei, und Richard will sie mit einem Teppichmesser aufschlitzen, und …«
»Tufty.« Steel schraubte den Deckel auf den Smirnoff. »Es reicht jetzt, ja?«
Er streckte die freie Hand aus und tat so, als steche er auf jemanden ein. »… aber ich stell ihm ein Bein, und dann kommt Eric mit diesem riesigen
spitzen Messer, und Terry versucht mich zu erdrosseln, weil ich ihm die Kühlschranktür auf den Kopf geknallt hab …«
Steel warf einen Topfschwamm nach ihm. Daneben. »Tufty!«
»… aber Susan kann sich befreien, und sie hat so einen Satz antike Golfschläger …«
»CONSTABLE
QUIRREL
!«
»Und ZACK
! Und dann …« Der zweite Schwamm traf ihn mitten auf der Brust und hinterließ einen rechteckigen feuchten Fleck auf seinem Hemd. »He!«
Sie trocknete sich die Hände. »Es reicht jetzt wirklich, okay? Ich hab’s gerade selbst durchlebt, da brauch ich keine detaillierte Zeitlupenwiederholung.«
»Oh …« Seine Schultern sackten ein wenig ab, dann holte er tief Luft und ratterte alles so schnell wie möglich runter: »Und dann ruft sie: ›ACHTUNG
!‹ Und BÄNG
! Über den ganzen Fairway weg. Hat ihm ein hole in one
verpasst. Ist
aufgeplatzt wie eine zerquetschte Weintraube.« Tufty lehnte sich zurück und lächelte, offensichtlich hochzufrieden mit sich selbst, weil er es bis zum Ende durchgezogen hatte. Dann runzelte er die Stirn. »Mir ist ein bisschen schwindelig. Ist sonst noch wem ein bisschen schwindelig?«
Der hintere Teil des Gartens verlor sich in der Dunkelheit. Vorne war das kurz gemähte Gras mit Spielsachen übersät, lauter knallbunte Plastiklandminen, die auf unvorsichtige Füße lauerten. Die Heckenkirsche blühte und erfüllte die Luft mit dem klebrigen Duft von warmem Honig.
Steel hatte sich auf die Gartenbank beim Spielhaus gepflanzt und paffte ihre E-Zigarette, die ihre eigene kleine Nebelbank mit Erdbeeraroma produzierte.
Logan stellte einen dampfenden Becher vor sie hin und setzte sich auf die Bank gegenüber. »Trink dein Horlicks.«
»Hmm.« Sie beugte sich vor und schnupperte daran. »Hättest ja wenigstens einen Schuss Whisky reintun können.«
Er starrte in die Bäume. »Geht’s dir gut?«
»Gut?« Sie lachte kurz auf, dann schlürfte sie einen Schluck von der Malzmilch. »Jemand hat gedroht, meine Frau zu vergewaltigen und meine Kinder an Pädophile zu verkaufen, und hat mir seinen Schwanz in den Mund gesteckt. Was schätzt du
denn?«
»Die Sache hat auch ihr Gutes – er wird das nie wieder tun. Jack Wallace’ Tage als Vergewaltiger sind vorbei. Wenn er je aus dem Gefängnis entlassen wird, kann er mit dem zerfetzten Stummel, den du ihm gelassen hast, keinen Schaden mehr anrichten.« Logan riskierte einen Blick. Auf ihren Zügen lag ein sehr
fieses Lächeln. »Du weißt, dass sie es wahrscheinlich wieder hätten annähen können, nicht wahr?«
»Ich werde mich nie wieder darüber beklagen, dass Susan zu viel Zeit auf dem Golfplatz verbringt.
«
»Wenn sie das Stück gefunden hätten, das du abgebissen hast.«
»Du hättest sie sehen sollen, Laz – sie war großartig. Eine Amazone mit einem Eisen sechs. Wonder-Susan!
«
Ein riesiger, pelziger Kater kam aus der Dunkelheit herbeispaziert und zog seinen dicken grauen Schwanz wie eine Rauchwolke hinter sich her. Er strich schnurrend um Logans Beine, dann tat er das Gleiche bei Steel. Er setzte zum Sprung an und landete mit seinen großen weißen Pfoten auf den Picknicktisch.
Steel kraulte ihn hinter den Ohren. »Hast du Hunger, Mr Rumpole? Ja?«
»Es wird eine interne Ermittlung geben – bleibt uns gar keine andere Wahl nach dem Gemetzel hier heute Abend –, aber du hast absolut nichts zu befürchten. Versprochen.«
»Wo ist er denn, mein hungriger kleiner Bursche?« Sie stand auf und hob Mr Rumpole ächzend hoch. »Pfff … Boah, du bist ja ein richtiger kleiner Fettkloß.« Er hing in ihren Armen wie ein pelziger Kartoffelsack. Der rauchgraue Schwanz zuckte, als sie ihn durch die Terrassentür in die Küche trug und auf die Frühstückstheke plumpsen ließ.
Logan hob die Becher wieder auf und folgte Steel ins Haus. Er räusperte sich, während sie eine Tüte Katzenfutter aus dem Schrank nahm und aufriss. »Roberta, ich …«
»Sag’s nicht. Okay?« Sie sah ihn nicht an, als sie in die Hocke ging und das Futter in Mr Rumpoles Napf drückte. »Ich weiß schon.«
»Aber …«
»Du hast mich nicht verpfiffen, weil du ein mieser Verräter bist. Du hast mich verpfiffen, weil ich im Unrecht war. Ich hätte Jack Wallace niemals etwas anhängen dürfen, ganz gleich, was für ein dreckiges Vergewaltigerschwein er ist. Ich habe Mist gebaut. Wenn ich mich an die Regeln gehalten
hätte, wäre er nicht hierhergekommen. Ich habe Susan, Jasmine und Naomi in Gefahr gebracht.« Sie trat auf das Pedal des Mülleimers und warf die leere Tüte hinein. »Du hattest recht, und ich hatte unrecht.«
Roberta Steel gab zu, dass sie unrecht hatte?
Du liebe Zeit, das war ja etwas ganz Neues.
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir wirklich total leid, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist.«
»Mir auch.« Sie seufzte, dann drehte sie sich zu ihm um. Sie breitete die Arme aus, und ihre Stimme stockte ein wenig, als sie sagte: »Na, komm schon, du Riesenbaby.«
Er umarmte sie, und sie drückte ihn so fest, das seine Rippen knacksten.
Steel schniefte. Sie ließ von ihm ab und wischte sich mit dem Handballen die Augen. »Gah …«
Logan lächelte. »Eine Umarmung und
Tränen? Du bist einfach ein totaler Softie, stimmt’s?«
»Wenn du jemals irgendwem
erzählst, was ich gerade gemacht habe, kastrier ich dich auch.« Sie griff in ihre Hosentasche und ließ einen kleinen, schrumpeligen, blutigen Fleischfetzen auf das Katzenfutter fallen. Dann hob sie Mr Rumpole von der Frühstückstheke herunter und setzte ihn vor seinen Napf. »Fressi ist fertig!«
Sie sahen schweigend zu, wie er alles hinunterschlang.
Als der Napf leer war, klatschte Steel in die Hände. »So. Wie wär’s, wenn wir jetzt den Whisky aufmachen?«