13. KAPITEL
Memmingen, Reichsstadt in Schwaben,
Fuggerbau, Residenz Wallensteins
Wo bleibt dieser verdammte Bote nur?
Voller Unruhe ging Valerian in den dämmrigen Außenarkaden an der Rückseite des Fuggerschen Anwesens auf und ab. Immer wieder tastete er nach dem dünnen, mit einem Siegel verschlossenen Lederetui in seiner Brusttasche. Der Brief, der darin steckte, hatte ihm mehrere schlaflose Nächte bereitet, und er würde ihn noch weit mehr kosten, sollte er in die falschen Hände geraten.
Soll ich ihn wirklich abschicken?
Valerian machte kehrt und marschierte die zehn Schritte bis zu der dunklen Eichentür zurück. Die führte in eine der Hallen der Residenz, die Wallenstein mitten in Schwaben bezogen hatte. Damit war er nur vier Tagesreisen von Regensburg entfernt, wo die Kurfürsten tagten.
Als Valerian die Tür erreichte, zögerte er einen Moment. Es wäre so einfach, dachte er und streckte die Hand nach der Klinke aus. Tritt hindurch, und die Sache ist ausgestanden. Niemand wird je davon erfahren.
Er hatte seine behandschuhte Rechte schon auf die eiserne Klinke gelegt, als er hinter sich, am anderen Ende des Bogenganges, Schritte hörte. Er fuhr herum.
»Herr?«
Die Arkade wurde nur von einer Fackel erhellt, die etwa in der Mitte in einer eisernen Fassung hing. Der Mann, dessen Umriss sich schwach gegen den Nachthimmel abhob, konnte ihn vermutlich vor dem dunklen Hintergrund nicht einmal sehen.
Du musst es nicht tun! Keiner kann dich zwingen. Keiner hat dich gezwungen! Es ist deine eigene Entscheidung!
Valerian seufzte und schüttelte den Kopf. Wem willst du etwas vormachen?, fragte er sich. Die Entscheidung ist längst gefallen! Deine Loyalität gehört zuallererst dem Kaiser und niemandem sonst!
»Herr?«
»Still!«, zischte Valerian, und als hätte dieses Wort den letzten Zweifel in ihm ausgelöscht, setzte er sich in Bewegung und ging entschlossen auf den Reiter zu, der sein Pferd hinter sich am Zügel hielt. Dabei trat er aus dem Bogengang hinaus auf das Pflaster der kleinen Straße an der hinteren Mauer des Fuggerhauses. Er sah sich kurz um, aber um diese Zeit hielt sich normalerweise niemand hier auf, auch keine Wachen. Niemand erwartete hier einen Angriff gegen den Generalissimus des Kaisers oder etwa einen Verräter, der sich im Dunkeln heranschlich.
So einen Verräter wie dich!
Der Gedanke schoss Valerian ungebeten durch den Kopf. Ich bin kein Verräter!, sagte er sich entschlossen. Dieser Brief ist kein Verrat! Ich schildere nur meinem obersten Herrn die Lage, so wie ich sie sehe.
Aber warum zögerst du dann?
»Herr?«, fragte der Bote ein zweites Mal, als Valerian vor ihm stand, ohne Anstalten zu machen, ihn anzusprechen oder ihm, wie bei den Malen zuvor, das versiegelte Lederetui zu geben.
Valerian zuckte zusammen. »Sicher.« Er holte tief Luft und griff in sein Wams. »Dies hier darf auf keinen Fall in andere Hände gelangen als in die des …« Er verstummte abrupt, um dann mit gesenkter Stimme fortzufahren: »Du übergibst dies hier dem Kurfürsten persönlich. Oder seinem Berater Graf Truchy. Verstanden?«
Der Mann nahm das Etui und schob es in sein aufgeknöpftes Wams in eine geschickt kaschierte Tasche, die, wie Valerian wusste, extra zu diesem Zweck dort eingenäht war.
Dann sah er den Lieutenant fragend an. »Wie immer, Herr.« Er nannte weder Titel noch Namen, und Valerian fragte sich, ob der Mann überhaupt wusste, wer er war.
Jetzt, da er den Brief aus den Händen gegeben hatte, fiel Valerian spürbar eine Last von den Schultern. Dennoch plagten ihn schwache Gewissensbisse. Aber er bereute sein Handeln nicht.
»Wie immer. Aber diesmal ist es besonders wichtig, hast du verstanden?«
Der Mann musterte Valerian kurz und hob dann die Brauen. »Gewiss, Herr.« Ein kurzes Lächeln flog über sein Gesicht. »Wie immer.«
Valerian schalt sich einen Narren, dass er seine Unruhe so deutlich zeigte, trat einen Schritt zurück und nickte. »Sag«, hielt er den Boten auf, als der sich schon umdrehte, um auf sein Pferd zu steigen, »ist das da eigentlich«, er deutete auf das Wams, in dem sich das Etui mit dem Brief befand, »die einzige … Botschaft, die du von hier überbringst?«
Diese Frage beschäftigte ihn schon seit einer Weile, genauer seit dem Tag, an dem er den ersten Brief an den Kurfürsten Maximilian von Bayern geschrieben hatte. Das war inzwischen ein Jahr her, kurz nachdem er als Lieutenant der Leibschwadron des Generalissimus miterlebt hatte, wie Wallenstein im Namen des Kaisers in zähen Verhandlungen in Lübeck einen Friedensvertrag mit Christian IV. aushandelte. Damals war der Berater des Kurfürsten, Graf Truchy, mit einem merkwürdigen Ansinnen an Valerian herangetreten.
Der Kaiser hatte Wallenstein wegen seines politischen Erfolgs offiziell belobigt, obwohl der Feldherr keinen Hehl daraus machte, dass er die seiner Meinung nach verfehlte Politik Seiner Majestät Ferdinand II. missbilligte.
Kein Wunder, dass er damit den ganzen Hof in Wien gegen sich aufgebracht hat, dachte Valerian. Und nicht nur dort gab es beim Adel starken Widerstand gegen den Herzog. Valerian wusste, dass Kurfürst Maximilian II. von Bayern eine tiefe Abneigung gegen Wallenstein hegte, die in dessen Machtpolitik und seinem kometenhaften Aufstieg begründet lag. Und er fragte sich, ob er, Valerian, wohl der einzige, wie er es nannte, »Berichterstatter« war, den der Kurfürst und Wallensteins Wiener Gegner in der engeren Umgebung des Feldherrn hatten.
Sag ruhig Spion, denn genau das bist du!
Und wie alle Spione war er angespannt und fürchtete, entdeckt zu werden. Denn angesichts Wallensteins erbarmungsloser Strenge gegenüber Personen, die seine Loyalität enttäuschten, hätte dies sehr wahrscheinlich seinen Tod zur Folge.
Er sah den Botenreiter forschend an, während er auf eine Antwort wartete.
»Tut mir leid, Herr.« Der Mann stieg auf sein Pferd, setzte sich im Sattel zurecht und zog das weite Cape dichter um sich, damit es sich beim Reiten nicht aufblähte und ihn behinderte. »Darüber spreche ich nicht.« Als Valerian ihn böse ansah, zuckte der Mann mit den Schultern. »Nur so kann ich das Vertrauen rechtfertigen, das man in mich setzt, Herr. Und es ist auch das Beste für Euch, Herr, glaubt mir. Niemand wird von mir erfahren, von wem dieser Brief hier stammt!« Er klopfte sich auf die Brust.
Das ist auch nicht nötig, dachte Valerian. Wenn er in die falschen Hände gerät, dürfte es nicht allzu schwer sein herauszufinden, wer der Verfasser dieser Zeilen ist.
Offenbar wusste der Bote, in welche Richtung sich Valerians Gedanken bewegten. »Selbst wenn man auf die Idee käme, mich anzuhalten, Herr, müsste man wissen, dass ich ein solches Schreiben bei mir trage, um es zu finden. Und wenn ich von Leuten verfolgt werde, die genau danach suchen, werde ich das Schreiben vernichten, bevor es in die falschen Hände gerät.«
Valerian nickte, aber er war immer noch nicht überzeugt.
Der Bote erwiderte das Nicken, nahm die Zügel auf und wendete sein Pferd. »Habt Ihr schon gehört, dass der Schwede Frieden mit Polen geschlossen hat?«
»Ja, das ist hier bekannt«, antwortete Valerian. »Obwohl Feldherr von Arnim-Boitzenburg Gustav Adolf erst vor wenigen Wochen bei Stuhm besiegt hat.« Er seufzte, als erneut Zweifel in ihm aufstiegen.
»Beten wir, dass der Schwede wirklich nur sein Reich gegen den Dänen schützen will.« Der Mann grinste. »Das dürfte ja nicht so schwierig sein, nachdem Euer Generalissimus Christian ordentlich das Fell gegerbt hat.«
Wallenstein hat vielleicht wirklich recht, dachte Valerian. Der Schwede könnte eine Bedrohung für uns werden, wenn er sich wirklich entscheidet, in diesen Krieg einzugreifen. Seine Zweifel wuchsen. Ist es tatsächlich klug gewesen, diesen Brief zu verfassen?
Er rang mit sich, ob er den Boten bitten sollte, ihm das Etui zurückzugeben, aber dann nahm der Mann ihm die Entscheidung ab, indem er grüßend die Hand hob und sein Pferd antrieb. Er galoppierte durch die Gasse, die hinter der Residenz entlangführte, und war nach wenigen Augenblicken um eine Mauerecke verschwunden.
Valerian lauschte den Hufschlägen nach und ballte die Hände zu Fäusten.
Und dabei hat alles so einfach ausgesehen, als dieser Graf in Lübeck an mich herangetreten ist und mich um einen Gefallen bat. Mit finsterer Miene drehte er sich um und ging durch den Laubengang zurück zu der dunklen Tür. »Ein kleiner, unbedeutender Gefallen mit möglicherweise sehr erfreulichen Auswirkungen für Euch, Lieutenant …« Das waren seine Worte, wenn ich mich recht entsinne.
Valerian drückte die Klinke nach unten und zog die Tür einen Spalt auf. Von der Heimlichtuerei, den Gewissensbissen und dem ekelhaften Gefühl, ein Verräter zu sein, hat er nichts gesagt, sondern nur von der Pflicht, dem Kaiser zu dienen.
Er schob den Kopf durch den Spalt, drückte den schweren Vorhang, der drinnen vor der Tür hing, zur Seite und sah sich in dem Raum dahinter um. Die Halle war noch genauso verlassen wie zu dem Zeitpunkt, als er durch die Tür ins Freie getreten war. Erleichtert huschte er hindurch, schloss die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel um. Dann rückte er den Vorhang wieder zurecht, der von dieser Seite aus die Tür verdeckte.
»Lieutenant!«
Vor Schreck wäre Valerian fast der Schlüssel entfallen, denn als er herumfuhr, wollte er unwillkürlich nach seinem Degen greifen. Als er jedoch erkannte, wer ihn in dem dämmrigen Licht der Halle angesprochen hatte, atmete er erleichtert auf.
»Verdammt, Bossel! Was hast du denn hier zu suchen?« Er schob hastig den Schlüssel in die Tasche seiner Uniformjacke und trat von dem Vorhang weg.
Sein Bursche war der Einzige aus seiner Heimat, der bei ihm geblieben war. Natürlich hätte sich Valerian aufgrund seines Ranges einen jüngeren und erfahreneren Offiziersburschen nehmen können als den ehemaligen Burghauptmann von Villesen, aber er hing an diesem alten Mann. Vielleicht, weil er mich an Zeiten erinnert, als ich noch große Ideale vertreten und mich nicht wie ein erbärmlicher Verräter gefühlt habe. Valerian runzelte die Stirn, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Dann sah er Bossel fragend an, der noch nicht geantwortet hatte.
Aus dem missbilligenden Blick des älteren Mannes schloss er, dass der sich wahrscheinlich gerade eine ähnliche Frage stellte, nämlich was Valerian um diese Zeit hier suchte. Der Verdacht erhärtete sich, als der Mann argwöhnisch zwischen ihm und dem Vorhang hin- und herblickte.
»Also?« Valerians Stimme klang schärfer als beabsichtigt, wohl deshalb, weil er das Gefühl hatte, ertappt worden zu sein.
Bossel wirkte jedoch nicht sonderlich eingeschüchtert. »Seine Gnaden hat eine Besprechung aller Stabs- und höheren Offiziere in der Bibliothek angeordnet. Euer Rittmeister wollte, dass Ihr ebenfalls anwesend seid.« Sein Blick streifte wieder den Wandteppich. »Ich habe dem Herrn Offizier gesagt, ich wüsste, wo Ihr seid, und würde Euch umgehend benachrichtigen.« Fast trotzig hob Bossel das Kinn. »Glücklicherweise habe ich Euch gefunden.«
Er betonte das Wörtchen »ich«, aber Valerian unterließ es, seinen Ordonnanzburschen zurechtzuweisen. Schließlich hatte Bossel recht. Nicht auszudenken, wenn etwa Hauptmann Feldbrück mich entdeckt hätte.
Eigentlich hatte Valerian gehofft, diesen Offizier los zu sein, als man ihn zur Leibschwadron Wallensteins abkommandiert hatte. Eine irrige Hoffnung, wie sich herausstellte. Zwar war Feldbrück kein Angehöriger der Leibschwadron, aber er gehörte dem Stab von Feldmarschall von Tiefenbach an, der mit einigen Kompanien in Memmingen lagerte. Und zu Valerians Bestürzung war Feldbrück auch noch zum Hauptmann befördert worden. Etwas, das der überhebliche Offizier den Parvenü, wie er Valerian nannte, nur zu gern spüren ließ.
Selbst wenn der Hauptmann nicht auf die Idee gekommen wäre, Valerian könnte einer der Informanten des Kaisers sein, nach denen Wallensteins eigene Agenten suchten, hätte er die Geschichte mit dem Wandteppich bei erstbester Gelegenheit in Anwesenheit irgendwelcher höherer Offiziere zur Sprache gebracht, garniert mit ein paar höchst zweifelhaften Andeutungen.
»Eine Besprechung in der Bibliothek?« Valerian runzelte die Stirn. »Um diese Zeit?« Er wusste, dass Wallenstein die Bibliothek als Konferenzzimmer für seinen Kriegsrat nutzte, aber für gewöhnlich machte er das nicht zu nachtschlafender Zeit, erst recht nicht bei seinem angegriffenen Gesundheitszustand. Es musste also etwas sehr Wichtiges vorgefallen sein, das ihn von seinem kostbaren Schlaf fernhielt.
Oder dieser Seni hat wieder irgendetwas Beunruhigendes in den Sternen gesehen, dachte Valerian gereizt. Er wusste, dass er damit dem Feldherrn Unrecht tat, denn Wallenstein interessierte sich zwar durchaus für die Konstellation der Sterne, machte seine Entscheidungen für gewöhnlich aber nicht von diesem abergläubischen Hokuspokus abhängig, jedenfalls soweit Valerian das beurteilen konnte.
Seni war jedoch nicht nur der Astrologe des Herzogs, sondern auch sein Leibarzt, wodurch er einen stetig wachsenden Einfluss auf den Feldherrn hatte. Auch das hatte Valerian in seinem Brief an den Kurfürsten geschrieben.
Allerdings bin ich mir wirklich nicht sicher, ob Senis Einfluss tatsächlich dafür verantwortlich ist, dass Wallenstein das Restitutionsedikt so vehement ablehnt, wie es Graf Truchy in seiner letzten Epistel angedeutet hat. Aber da der Graf wissen wollte, ob und welchen Einfluss der Astrologe auf Wallenstein ausübte, hatte Valerian die Frage so pflichtbewusst wie möglich beantwortet.
»Offenbar hat der Feldherr eine wichtige Nachricht erhalten«, erwiderte Bossel. »Soweit ich weiß, wurde sie von einem Botenreiter aus Usedom überbracht, aus der Garnison in Peenemünde.«
»Peenemünde?« Valerian runzelte die Stirn. »Aber was sollte dort …?« Er schüttelte den Kopf. »Christian wird es kaum wagen, den gerade erst geschlossenen Frieden zu brechen. Wallenstein hat ihm so maßvolle Bedingungen auferlegt, dass es Wahnsinn wäre, wenn er …« Er verstummte.
Bossel zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts, junger Herr.« Er deutete hinter sich. »Aber ich weiß, dass es besser ist, wenn man Euch nicht hier findet.« Wieder blickte er zum Vorhang. »Und wenn Ihr noch lange zaudert, wird der Rittmeister die Geduld verlieren und doch einen seiner Korporäle auf die Suche nach Euch schicken. Ich bin davon überzeugt, dass bei der Besprechung in der Bibliothek all Eure Fragen beantwortet werden.«
»Natürlich, Bossel. Du hast wie immer vollkommen recht.« Valerian legte seinem Burschen und Vertrauten lächelnd die Hand auf die Schulter. »Was würde ich nur ohne dich tun?«
»Was Ihr ohne mich tut, wüsste ich wirklich auch sehr gern, junger Herr«, antwortete Bossel mit einem letzten argwöhnischen Blick auf den Vorhang. »Und ich glaube, ich bin da nicht der Einzige«, fügte er leise hinzu.
Valerian verstand, und ihm lief unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Ja, er hat recht, dachte er. Du musst besser aufpassen. Und vielleicht wäre es besser, damit aufzuhören, den Feldherrn im Auftrag des Kurfürsten zu bespitzeln, selbst wenn es zum Wohle des Kaisers und des Reiches ist. Denn trotz seiner Kritik an der Politik des Kaisers und seinem eigenen Machtstreben ist Wallenstein ein loyaler Diener Ferdinands II.
Aber so plötzlich seinen Gewissensbissen nachzugeben und seine Spitzeldienste aufzukündigen war leichter gedacht als getan. Graf Truchy hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass Kurfürst und Kaiser auf keinen Fall auf Valerians wertvolle Dienste verzichten wollten. Oberflächlich betrachtet war das ein Lob gewesen, hatte aber auch verdächtig nach einer Drohung geklungen.
Diese mächtigen Männer würden nicht hinnehmen, dass Valerian plötzlich seine Loyalität zu Wallenstein wiederfand. Sie würden dafür sorgen, dass seine Karriere abrupt endete.
Und nicht nur das, dachte er, während er Bossel durch die Gänge und das Treppenhaus zum Westflügel folgte, wo das Kartenzimmer Wallensteins lag. Ich würde mein Leben ebenfalls aufs Spiel setzen.
Ein Lakai führte gerade einen Reiter durch den Haupteingang herein. Der Mann wirkte völlig erledigt. Offenbar sollte er dem Bediensteten in eines der kleinen Vorzimmer folgen, um dort zu warten, bis einer der höheren Offiziere sich seiner annahm.
Einem Impuls folgend, ging Valerian auf den Mann zu.
»Was gibt es?«, erkundigte er sich bei dem Lakaien.
Der wollte den Boten gerade mit einer Handbewegung weiterscheuchen, als er Valerians Uniform erkannte. »Herr Lieutenant. Das ist ein Botenreiter mit einer Nachricht für den Feldherrn.«
»Eine weitere Nachricht aus Peenemünde?«, erkundigte sich Valerian, während er den Reiter musterte. Sein Blick fiel auf die Tasche des Mannes, und seine Augen weiteten sich. Er riss sich jedoch zusammen und versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
Das Wappen auf der Tasche zeigte zwei Löwen, die einen Schild mit einer weißen Burg auf rotem Grund hielten. Es war das Stadtwappen Hamburgs. Nur zwei Menschen konnten Wallenstein diese Nachricht geschickt haben. Entweder Curt von Lützow, der kaiserliche Resident in der freien Reichsstadt, oder Albert von Eitzen, der Erste Worthaltende Bürgermeister Hamburgs, ein glühender Anhänger des Kaisers in dieser ansonsten so streng lutheranisch-calvinistischen Stadt. Die zudem das Hauptquartier aller Spione und Residenten sämtlicher in- und ausländischer Herrscher ist. Das könnte interessant sein. Valerian machte einen Schritt auf den Boten zu und streckte die Hand aus.
»Wenn Ihr eine Nachricht für Seine Gnaden habt, könnt Ihr sie mir geben.« Er lächelte. »Ich bin gerade auf dem Weg zu ihm …«
Der Bote war so erschöpft, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. »Ich habe mehrere Nachrichten«, erklärte er. »Die hier ist für den Herzog. Ich soll sie ihm oder Feldmarschall von Tiefenbach persönlich übergeben.« Er öffnete die Tasche und nahm ein Pergament heraus, auf dessen Siegel das Wappen des kaiserlichen Residenten Curt von Lützows prangte, das Valerian auf früheren Schreiben schon gesehen hatte. Er sah Valerian an. »Könnt Ihr mich zu ihm führen?«
Valerian antwortete nicht, sondern starrte auf das Siegel auf dem anderen Brief, das er noch viel besser kannte. Es war das des Marquis von Berny.
Des Gemahls seiner Schwester Augusta.
»Der einzige Ausdruck, der mir dafür einfällt, ist Vermessenheit! Eine törichte Vermessenheit, die uns alle noch teuer zu stehen kommen wird!«
Valerian hatte Wallenstein noch nie so wütend erlebt. Allerdings hatte er auch noch nie an einer Besprechung des inneren Kreises des Feldherrnstabs teilgenommen. Dass er diesmal dabei war, verdankte er dem Fehlen von Rittmeister Gidéau, der im Moment mit einem Auftrag des Feldherrn in der Stadt unterwegs war. Valerian war als sein Vertreter hinzugebeten worden.
Der Brief, der das Siegel des Marquis von Berny trug, stammte von seiner Schwester Augusta und war an ihn gerichtet. Offenbar hatte sie ihn mit dem Siegel ihres Mannes versehen, um ganz sicherzugehen, dass niemand außer Valerian diese Nachricht las.
Ich sollte den Mund halten und warten, bis sich der erste Sturm gelegt hat, dachte Valerian, während er etwas unbehaglich neben dem massiven Schreibtisch des Feldherrn stand und auf dessen Erlaubnis wartete, wegtreten zu dürfen, nachdem er ihm den Brief des kaiserlichen Residenten in Hamburg überbracht hatte.
Die ließ aber auf sich warten. Wallenstein war viel zu erregt, um sich um den jungen Lieutenant zu kümmern. Die Nachricht aus Hamburg hatte bei ihm das Fass zum Überlaufen gebracht. Dabei war die Stimmung, als Valerian mit dem Brief des Boten in die Bibliothek trat, bereits ziemlich geladen gewesen.
»Es war ja zu erwarten, dass der Schwedenkönig nach dem Frieden mit Polen die Hand nach Norddeutschland ausstreckt!« Wallenstein schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und diese Narren in Wien und Regensburg glauben doch tatsächlich, dass es Gustav Adolf nur darum ginge, die abgesetzten Herzöge von Mecklenburg wieder in Amt und Würden zu bringen. Angeblich, weil sie mit den Protestanten sympathisieren! In Wirklichkeit wollen sie nur die Gelegenheit beim Schopf packen, um mich aus meinem Herzogtum zu vertreiben! Statt zu mir zu halten und damit zum Kaiser, sitzen sie in Regensburg zusammen und wollen die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Position zu stärken und die meine bei Hofe zu schwächen. Sie begreifen nicht die Gefahr, die von Gustav Adolf ausgeht!« Er schnaubte. »Ich führe mehr Krieg mit Ministern als mit all den Feinden! Und Kaiser Ferdinand II. scheint gegen dieses Ränkespiel machtlos zu sein!«
Die Offiziere blickten sich vielsagend an, aber keiner wagte es, die Tirade ihres Feldherrn zu unterbrechen.
Währenddessen beschlich Valerian ein ungutes Gefühl. Er erinnerte sich an das, was ihm Graf Truchy in Lübeck gesagt hatte. »Es geht nicht darum, dem Feldherrn zu schaden, sondern nur darum, dass der Kurfürst und dadurch der Kaiser über die Pläne Seiner Gnaden informiert sind.« Der Graf hatte gewinnend gelächelt. »Wie jeder mächtige Mann ist auch Seine Gnaden Herzog Wallenstein von Mecklenburg und Friedland nicht immun gegen die Verlockungen der Macht, und es ist nur in seinem Interesse, wenn wir ihn von vornherein davor schützen, diesen zu erliegen, meint Ihr nicht auch, Lieutenant?«
Damals hatte Valerian, dessen Loyalität letzten Endes dem Kaiser gehörte, den Worten des Grafen Glauben geschenkt. Und schließlich hatte er ja Wallenstein nicht verraten, jedenfalls kam ihm das nicht so vor. Denn es waren ja nur Beobachtungen gewesen, die er nach München gemeldet hatte, damit sie von dort nach Wien gelangten, und zudem Beobachtungen, die er an Freunde geschickt hatte, wie Truchy ihm versichert hatte.
Aber als er Wallenstein nun so reden hörte, kamen ihm ernsthafte Zweifel, ob es wirklich Freunde waren. Genauer, ob Kurfürst Maximilian II. von Bayern tatsächlich ein Freund oder zumindest ein loyaler Verbündeter von Wallenstein war. Jedenfalls hört sich das nicht so an, dachte Valerian. Es klingt eher so, als würden die Fürsten versuchen, den Feldherrn abzusetzen, und als wäre ihnen jedes Mittel recht, sogar eine Invasion der Schweden, um Wallenstein loszuwerden. Aber kann das wirklich sein?
Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Herzog, der gerade eine kleine Pause in seiner Tirade machte, um Luft zu holen.
Georg von Arnim-Boitzenburg nutzte das kurze Schweigen des Generalissimus. »Mit Verlaub, Euer Gnaden, den Berichten der Garnison in Peenemünde zufolge, die uns hier vorliegen, beträgt die Streitmacht des Schwedenkönigs nicht einmal fünfzehntausend Mann. Kühne Schätzungen sprechen sogar von höchstens dreizehntausend.« Der General machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das reicht nicht einmal im Entferntesten aus, Euch zu bedrohen, geschweige denn, Euch aus Eurem Herzogtum zu vertreiben.« Er sah sich unter seinen Stabskameraden um. »Und die Vorstellung, dass er damit die kaiserlich-habsburgische Armee und die der Liga in Bedrängnis bringen könnte, ist geradezu lächerlich.« Er lachte sogar. »Wir brauchen nicht einmal die Hälfte unseres Heeres nach Peenemünde zu schicken, um den Schweden wie schon zuvor den Dänen wieder auf sein Schiff zu treiben, damit er hurtig zurück in seine Heimat segelt.«
Einige Generäle und Obristen lachten ebenfalls, und alle nickten beifällig zu den Worten des Generals, bis auf Rudolf von Tiefenbach.
»Wenn es dabei bliebe, hättet Ihr zweifellos recht, General«, erwiderte der Feldmarschall, als sich die Heiterkeit gelegt hatte. »Aber ich fürchte, Ihr habt den Brief aus Regensburg vergessen, den uns der Kaiser vom Kurfürstentag geschickt hat. Von einem Feldzug gegen Gustav Adolf steht darin nichts. Stattdessen ersucht er uns um Truppen für seinen Feldzug gegen Mantua! Und das, obwohl ihm der Generalissimus in seinem letzten Schreiben dringend von diesem Feldzug abgeraten hat!«
Obrist Erwin von Tusker, Kommandeur eines der größten Infanterieregimenter, mischte sich ein: »Und wenn schon! Wie viel will Seine Majestät denn haben? Zwanzigtausend Mann?« Er sah Wallenstein an und hob die Brauen. »Steht nicht Generalfeldwachtmeister Gallas mit etlichen Regimentern in Oberitalien? Ich sage, gebt dem Kaiser diese Soldaten, Euer Gnaden, dann haben wir Ruhe und können uns darum kümmern, dieses Restitutionsedikt Seiner Kaiserlichen Hoheit umzusetzen und die restlichen protestantischen Widerstandsnester hier in Norddeutschland auszuräuchern und der katholischen Kirche ihren rechtmäßigen Besitz zurückzugeben!«
Wieder nickten die anderen Offiziere beifällig.
Aber darum geht es nicht, dachte Valerian, der den Brief seiner Schwester überflogen hatte, während er sich am Anfang der Sitzung im Hintergrund hielt. Der letzte Absatz, der nicht von privaten Dingen handelte und wegen dem Augusta den Brief zweifellos versiegelt hatte, ließ das, was hier gerade besprochen wurde, in einem ganz anderen Licht erscheinen. Du musst dem Feldherrn diesen Brief geben oder zumindest diese Passage vorlesen!, dachte er. Selbst auf die Gefahr hin, dass man dich als Spion verdächtigt, weil deine Schwester mit dem Feind verheiratet ist. Aber die Information ist einfach zu wichtig! Und außerdem ließ sie Wallensteins Verhalten in einem völlig anderen Licht erscheinen. Sie bestätigte, dass der Feldherr keineswegs paranoid oder sternengläubig war, wenn er von einer schwedischen Bedrohung oder den Gefahren des Restitutionsedikts sprach. Tatsächlich trifft er damit den Nagel auf den Kopf, dachte Valerian. Und in diesem Licht betrachtet, sind die Briefe, die du an den Kurfürsten geschickt hast, fast gleichbedeutend mit Hochverrat!
Bei diesem Gedanken brach ihm der Schweiß aus.
»… nicht das Wesentliche, Herr Obrist!«, sagte Tiefenbach gerade. »Ebenso wenig wie Ihr, General von Arnim.«
Der Feldmarschall wechselte einen kurzen Blick mit Wallenstein. »Euer Gnaden …«
Wallenstein schüttelte den Kopf. »Ich habe dem Kaiser abgeraten – mit allem Nachdruck abgeraten! –, sich wegen seines Verwandten Philipp IV., des spanischen Königs, in diese Auseinandersetzung einzumischen. Vielleicht steckt ja seine Frau Eleonora hinter seiner Entscheidung, gegen Mantua ins Feld zu ziehen.«
Natürlich, dachte Valerian. Eleonora Gonzaga ist die Schwester der Herzöge von Mantua. Und Ferdinand II. betrachtet das Herzogtum als sein Reichslehen und will es einziehen! Er sah Wallenstein bewundernd an. Der Mann weiß wirklich, was er tut, und ich glaube kaum, dass ihm die Sterne das alles eingeflüstert haben.
Umso mehr bereute er den letzten Brief, den er eben erst auf den Weg gebracht und in dem er den Einfluss des Astrologen und Arztes Giovanni Seni auf Wallenstein so betont hatte.
Die Diskussion nahm erneut seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
»Bis jetzt haben vor allem England und die Niederlande den Dänenkönig und die protestantische Union bei ihrem Feldzug hier in Norddeutschland unterstützt. Gewiss, Frankreich hat Christian IV. ebenfalls Gelder zukommen lassen, aber die Beträge waren nicht der Rede wert, wahrscheinlich deshalb, weil Richelieu nicht an Christians Erfolg geglaubt hat.«
»Außerdem war er mit den Hugenotten beschäftigt und hat lange vergeblich La Rochelle belagert.« Feldmarschall von Tiefenbach nickte. »Wie Ihr wisst, ist es Richelieu mittlerweile gelungen, La Rochelle einzunehmen.«
»Ganz recht!« Wallenstein schlug auf den Brief des Kaisers, in dem er ihn um Truppen ersuchte. »Und jetzt hindert nichts die Franzosen und Richelieu mehr daran, selbst gegen uns in den Krieg zu ziehen! Mantua ist da ein willkommener Vorwand, gegen die von ihnen so empfundene Vorherrschaft der Habsburger vorzugehen, und zweifellos ist dies erst der Anfang!«
Wallenstein trat hinter dem Schreibtisch hervor und begann aufgebracht davor auf- und abzugehen. Valerian hatte er immer noch keines weiteren Blickes gewürdigt.
»Mit seinem Eingreifen in Mantua treibt er Frankreich förmlich in diesen Krieg, und mit diesem Restitutionsedikt ruft er selbst bei den bisher neutralen Kurfürsten den Eindruck hervor, er wolle eine absolutistische Monarchie errichten!« Er schüttelte den Kopf. »Das kann nicht gut gehen!« Er deutete auf den Brief auf seinem Schreibtisch. »Und während das alles direkt vor der Nase des Kaisers geschieht, erfahre ich von dem Residenten des Kaisers, dass die Franzosen schon ihre ersten Gesandten nach Hamburg geschickt haben. Ihr könnt spekulieren, was sie dort wollen, aber ich gehe davon aus, dass sie versuchen, über ihren Residenten in der freien Reichsstadt mit Gustav Adolf Kontakt aufzunehmen.« Er hob die Hände. »Es ist doch wohl klar, meine Herren, zu welchem Zweck das geschieht.«
Du kannst nicht mehr länger warten, dachte Valerian und räusperte sich. Jetzt oder nie. »Euer Gnaden …«, begann er.
»Jetzt nicht, Lieutenant!«, zischte Feldmarschall von Tiefenbach. »Ihr könnt wegtreten!« Der hohe Offizier bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich zurückzuziehen.
Ihr habt keine Ahnung, wie liebend gern ich das tun würde!, dachte Valerian. Aber das geht nicht!
»Verzeihung, Herr Feldmarschall, aber ich habe eine wichtige Mitteilung für Seine Gnaden!«
Valerian musste sich zusammenreißen, um unter dem scharfen Blick des hohen Offiziers nicht zusammenzuzucken.
»Und warum habt Ihr dann so lange damit gewartet, Lieutenant?«, fuhr von Tiefenbach ihn an. »Also los, raus damit, bevor ich Euch aus dieser Stabsbesprechung entfernen lasse! Ich werde Rittmeister von Gidéau …«
»Ach, der Herr Cornet.« Bei der Unterbrechung hatte sich Wallenstein umgedreht und mit finsterer Miene den jungen Lieutenant gemustert. Aber als er Valerian erkannte, glättete sich das Gesicht des Herzogs. »Für den sich diese ganze Esquadron eingesetzt hat. Ich erinnere mich … von Villingen, richtig?«
»Von Villesen, Euer Gnaden«, verbesserte Valerian ihn mit belegter Stimme.
»Ja, ja, sicher. Und aus dem Cornet ist ein Lieutenant geworden, wie ich sehe.« Wallenstein hob eine Braue. »Obrist von Altenfelde war der Meinung, Ihr wärt ein begabter Offizier, der jedoch dazu neigt, gelegentlich Befehle allzu großzügig auszulegen und seinen eigenen Kopf durchzusetzen, was?«
Valerian wurde blass und schluckte. »Herr Generalissimus, ich würde niemals …«
»Was für eine Nachricht habt Ihr für mich, Lieutenant, und warum habt Ihr bis jetzt damit gewartet, sie mir zu überbringen?«
Valerian nahm Haltung an. »Ich wollte warten, bis die Stabsbesprechung zu Ende ist und Euer Gnaden oder Feldmarschall von Tiefenbach Zeit hätten.« Er griff in seine Uniformjacke und zog den Brief von Augusta heraus. »Aber es ist eine Information, die im Lichte dessen, was hier besprochen wurde, von Bedeutung zu sein scheint, Herzog Wall…«
»Kommt zur Sache, anstatt ständig meine Titel herunterzubeten, Lieutenant!«
Valerian trat vor und entfaltete den Brief. »Es ist ein Brief von meiner Schwester, Euer …« Er hüstelte und sprach hastig weiter. »Sie ist, wie ich betonen möchte, gegen ihren Willen mit dem Marquis von Barny verheiratet worden.« Ihm wurde heiß, als Wallensteins Miene verriet, dass sich seine Geduld dem Ende zuneigte. Das leise spöttische Lachen aus dem Hintergrund machte es nicht besser. Valerian wusste, ohne hinzusehen, dass es von Hauptmann Feldbrück kam. »Der Marquis wurde als Gesandter des Kardinals Richelieu nach Hamburg geschickt, um dort, wie meine Schwester schreibt, mit dem schwedischen Residenten Johann Salvius und einem Bankier, den Soldaten der Liga bereits seit Antwerpen verfolgen, über die finanzielle Unterstützung Gustav Adolfs für seinen Feldzug in Norddeutschland zu verhandeln.«
»Sprecht weiter, Lieutenant.« Er hatte nun Wallensteins ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Herzog sah sich triumphierend um, als wollte er den versammelten Offizieren sagen: Seht her, hab ich es nicht kommen sehen?
Valerian schluckte. »Meiner Schwester zufolge plant Richelieu, die Habsburger zu schwächen, indem er die Pläne Gustav Adolfs fördert, ein großes Nordreich zu errichten.« Er registrierte die atemlose Stille im Raum und warf erneut einen Blick auf den Brief, um ja keinen Fehler zu machen. »Weiterhin schreibt sie, dass sich Ihr Gemahl und der schwedische Resident anschließend mit weiteren Gesandten getroffen haben.«
»Macht es nicht so spannend, verdammt!«, knurrte von Tiefenbach. »Um was für Gesandte handelte es sich?«
Valerian holte tief Luft. »Vorwiegend hohe Offiziere der protestantischen Union, jedenfalls vermutet meine Schwester das. Und den Worten ihres Gemahls nach haben sie versprochen, dem schwedischen König Truppenkontingente zur Verfügung zu stellen!«
Wallenstein schlug mit der geballten Faust in seine flache Hand. »Habe ich es nicht gesagt?«, stieß er fluchend hervor. »Dieses verdammte Restitutionsedikt treibt die Ratten wieder aus ihren Löchern und dem Schweden zu. Weiß sie auch, um wie viele Soldaten es sich handelt?«
Valerian sah sich um. Erwartungsvolle Gesichter blickten ihn an. »Etwa fünfundzwanzigtausend Mann, Euer Gnaden.«
Ein leises Stöhnen lief durch den Raum. Vor Wut traten Wallenstein fast die Augen aus den Höhlen. »Diese Narren!« Er sah von Tiefenbach an. »Wir müssen mit diesen Franzosen verhandeln. Ist der Berater Richelieus, dieser Pater Joseph, noch in der Stadt?«
»Ich fürchte nein, Euer Gnaden. Soweit ich weiß, ist er bereits nach Regensburg weitergereist.« Von Tiefenbach trat an Valerian heran. »Was schreibt Eure Schwester noch, Lieutenant?« Er streckte die Hand nach dem Pergament aus.
Valerian zögerte, gab dann aber dem scharfen Blick des Feldmarschalls nach und händigte ihm den Brief aus. »Keine Sorge, Herr Lieutenant. Euch wird kein Nachteil daraus erwachsen, dass Eure Schwester mit einem unserer Widersacher verheiratet ist. Im Gegenteil. Wir sind ihr dankbar, dass sie so …« Er überflog kurz den Brief, stockte und sah dann Valerian an. »Ihr habt eine Schwester, die mit Richelieus Gesandtem verheiratet ist, und einen Freund, der als Korporal einem Stabsoffizier der Unionisten dient?«
Valerian zuckte mit den Schultern. »Der Krieg kann aus Freunden manchmal Feinde machen, Herr Feldmarschall.«
»Ist das so?« Von Tiefenbach musterte ihn. »Und aus Feinden vielleicht auch Freunde?«
Feldbrück. Valerian biss die Zähne zusammen. »Falls Ihr meine Loyalität infrage stellt, Herr Hauptmann …« Er brach ab. In seiner Empörung hatte Valerian vergessen, dass nicht nur der Hauptmann, sondern vor allem Wallenstein allen Grund dafür hatten, an seiner Loyalität zu zweifeln. Diese vermaledeiten Briefe!
»Niemand stellt Eure Loyalität infrage«, mischte sich Wallenstein ein und nahm von Tiefenbach den Brief ab. »Und bevor irgendjemand auf die Idee kommt zu glauben, seine Ehre wäre beschmutzt worden, untersage ich hiermit jedes Duell innerhalb meines Stabes! Verstanden?« Als niemand antwortete, ließ Wallenstein den Brief sinken. »Ich habe gefragt, ob das verstanden wurde!« Seine Stimme klang wie ein Peitschenschlag. »Wer gegen diesen Befehl verstößt und das Duell überlebt, wird standrechtlich erschossen! Also, ich frage noch einmal, wurde das verstanden?«
»Jawohl, Euer Gnaden.«
Von Tiefenbach hob eine Braue, weil nur zwei Männer auf diese Frage geantwortet hatten, nämlich Hauptmann Feldbrück und Valerian.
»Also, Lieutenant, hat Eure Schwester noch weitere Hiobsbotschaften außer der, dass das Eingreifen des Kaisers in Mantua Frankreich und die beträchtlichen Reste der protestantischen Union an die Seite von Gustav Adolf treibt und ihm eine stattliche Armee an die Hand gibt?«
»Ja, Euer Gnaden.«
Wallenstein verzichtete darauf, den Brief weiter zu überfliegen, sondern hob den Kopf und sah Valerian an. »Als wenn das nicht schon genug wäre! Was gibt es denn noch?«
»Meine Schwester schreibt außerdem, dass einer der Gesandten, jedenfalls ihrem Gemahl zufolge, ein Vertreter eines hohen deutschen Adeligen war, der offenbar im Namen anderer Adeliger Gustav Adolf seine Unterstützung anbieten wollte.«
Bei diesen Worten wurde Wallenstein blass, und er sah von Tiefenbach vielsagend an. »Und, Herr Lieutenant von Villesen, weiß Eure kluge Schwester auch, um welchen Adligen es sich handelt?«
Valerian nickte. »Um den Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel, Euer Gnaden.«
Wallenstein atmete zischend aus. »Und der wird nur der Anfang sein. Wir müssen sofort reagieren. Der Schwede muss gestellt und vernichtet werden, bevor er Gelegenheit bekommt, seine Streitkräfte zu vergrößern. Vor allem muss der Kaiser davon überzeugt werden, dass er durch den Schweden einen weit größeren Schaden erleiden kann als durch den Verlust von Mantua.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm bereits vor zehn Tagen einen Brief geschrieben, in dem ich ihn vor den schlimmen Folgen des Restitutionsedikts gewarnt habe. Jetzt muss auch er endlich einsehen …«
Ein Korporal der Wache öffnete die Tür und verbeugte sich mit rotem Gesicht, als die Anwesenden, grimmig über diese neue Störung, zu ihm hinblickten.
»Was ist, Mann?« Hauptmann Feldbrück ging, schlecht gelaunt wegen der Zurechtweisung, auf den Unteroffizier zu.
»Da draußen sind zwei Besucher, Herr Hauptmann … Euer Gnaden.« Der Korporal sah zu Wallenstein. »Sie wollen zu Eurer Gnaden und lassen sich nicht abweisen.«
»Was sagst du da?« Hauptmann Feldbrück wartete nicht auf einen Befehl von Wallenstein oder von Tiefenbach. »Das werden wir ja sehen! Seine Gnaden ist …«
Er blieb wie angewurzelt stehen, als zwei Männer in die Bibliothek traten. Sie waren weder besonders groß, noch wirkten sie furchteinflößend, aber sie strahlten eine natürliche Autorität aus, die durch das kaiserliche Wappen auf ihren Umhängen und die prächtige Kleidung, die sie darunter trugen, noch verstärkt wurde.
»Seine Gnaden ist ganz sicher für uns zu sprechen!«, sagte der eine der beiden Männer. Er trug die Uniform der kaiserlichen Dragoner, des Leibregiments des Kaisers, schob Feldbrück kurzerhand zur Seite und deutete auf den Mann neben sich. »Dies ist Hofkriegsrat Freiherr von Questenberg, und ich bin Hofkriegsrat Graf Werdenberg.«
»Ah, meine Freunde! Kommt herein!« Wallensteins Miene hatte sich aufgehellt, er ging auf die beiden Männer zu und streckte dabei die Arme aus. »Hat der Kaiser also endlich ein Einsehen! Ihr bringt mir die Nachricht, dass Seine Majestät meine Dienste benötigt! Keine Sekunde zu früh, meine Herren! Der Schwede steht bereits in …«
Valerian beschlich ein ungutes Gefühl, als er die Gesichter der beiden Hofkriegsräte betrachtete. Keiner von ihnen lächelte, und schließlich räusperte sich Hofkriegsrat Werdenberg. »Ich fürchte, verehrter Freund, wir bringen eher schlechte Nachricht!«
Wallenstein blieb wie angewurzelt stehen und erbleichte. »Was soll das heißen, schlechte Nachricht?«
»Kurfürst Maximilian von Bayern hat sich durchgesetzt«, sagte von Questenberg, nachdem er sich in der Kammer umgesehen hatte. Auf ein Zeichen von Wallenstein sprach er weiter: »Er hat vom Kaiser verlangt, Euch als Oberbefehlshaber abzusetzen und das kaiserliche Heer drastisch zu reduzieren. Maximilian hat dem Kaiser indirekt gedroht, im anderen Fall die Wahl des Sohnes Seiner Majestät, des Erzherzogs, als Nachfolger auf dem Kaiserthron nicht garantieren zu können.«
Wallenstein nickte, als hätte er damit gerechnet. Er wandte sich an seine versammelten Stabsoffiziere. »Nun, meine Herren, damit sind unsere Beratungen wohl hinfällig!« Dann sprach er wieder zu den beiden Hofkriegsräten: »Ihr müsst müde und hungrig sein! Ich werde veranlassen, dass die Küche uns allen etwas zu essen bringt. Betrachten wir es als Henkersmahl!«
Betretenes Schweigen war die Antwort auf seine Worte.
Er hat es gewusst, dachte Valerian, der immer wieder zwischen Wallenstein und den beiden Hofkriegsräten hin- und herblickte, die beisammenstanden und leise mit Feldmarschall von Tiefenbach redeten. Zumindest hat er es geahnt! Und ich Idiot habe diesem verdammten Grafen Truchy vertraut und dem Kurfürsten mit meinen Spitzeldiensten auch noch geholfen, Wallenstein abzusetzen! Damit dürfte klar sein, welche Richtung ich an diesem Scheideweg eingeschlagen habe. Nach unten!
Er stand wie betäubt da, während die Offiziere die Bibliothek verließen, und merkte nicht, dass sich schließlich nur noch Feldmarschall von Tiefenbach im Raum befand.
Der Offizier sah Valerian an. »Ihr macht Euch Sorgen um Eure Zukunft, Herr Lieutenant?«
Valerian zuckte zusammen. »Herr Feldmarschall … Ich … Die Entscheidung des Kaisers hat mich … überrascht!« Er zögerte einen Moment. »Und, ehrlich gesagt, die Reaktion Seiner Gnaden ebenfalls. Immerhin steht Gustav Adolf in Norddeutschland und …«
»Ganz recht, Lieutenant.« Von Tiefenbach sah Valerian scharf an. »Ihr seid loyal, etwas, das heutzutage offenbar recht selten ist. Vermutlich werden wir nach Gitschin, in die Residenz des Herzogs von Mecklenburg und Friedland, zurückkehren. Aber ich bin sicher, dass wir dort nicht lange bleiben werden. Seine Majestät dürfte schon sehr bald merken, dass es ein Fehler war, Seine Gnaden von seinem Amt als Oberbefehlshaber zu entbinden. Spätestens dann, wenn sich der Schwedenkönig mit den protestantischen Truppen und Landgrafen oder gar Kurfürsten in Norddeutschland zusammentut. Ich glaube kaum, dass General Tilly in der Lage sein wird, den Schweden aufzuhalten. Dafür fehlen ihm die Männer und die Mittel.«
»Graf Tilly?« Valerian runzelte die Stirn. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Möglichkeit, den Weg weiterzugehen! »Meint Ihr, dass der Kaiser ihn gegen Gustav Adolf schicken wird?«
»Natürlich. Er ist der Einzige, der überhaupt dafür infrage kommt.« Von Tiefenbach sah Valerian abschätzend an. »Wenn Ihr Euren Abschied aus der Leibschwadron des Feldherrn nehmen und lieber unter Tilly dienen wollt, verstehe ich das. Ich werde Euch ein Empfehlungsschreiben ausstellen. Graf Tilly dürfte Bedarf an guten Offizieren haben.« Er lächelte Valerian an. »Aber lasst Euch nicht erschießen, Herr Lieutenant. Es könnte sein, dass Wallenstein und ich Euch bald wieder benötigen, und zwar früher, als Ihr denkt.«