Als »Turn it Off« die Spitze der Charts erreichte und vier Wochen lang auf Platz 1 blieb, Aurora sich pro Woche 200 000-mal verkaufte, wurden Daisy Jones & The Six das Konzertereignis des Sommers 78. Die Aurora-Tour fand vor ausverkauften Stadien statt, im ganzen Land wurden Zusatzkonzerte in den größeren Städten gebucht.
ROD: Es war Zeit, die Show auf Tour zu schicken. Ganz im Ernst.
KAREN: In den Bussen herrschte eine seltsame Stimmung. Und mit Bussen meine ich den blauen und den weißen. Auf beiden stand »Daisy Jones & The Six«, aber auf dem einen war Billys Jeanshemd im Hintergrund abgebildet und auf dem anderen Daisys Spaghettiträger-Oberteil. Wir hatten zwei Busse, weil wir so viele waren, aber auch weil Billy und Daisy sich nicht im selben Raum aufhalten konnten.
ROD: Der blaue Bus war inoffiziell der von Billy. Billy und Graham, Karen, ich und ein paar von der Crew fuhren normalerweise darin mit.
WARREN: Ich stieg mit Daisy, Niccolo, Eddie und Pete in den weißen Bus. Manchmal kam Jenny mit Pete mit. Im weißen Bus war viel bessere Stimmung. Also, ja, ich saß lieber in dem Bus mit den aufgemalten Titten.
BILLY: Ich hatte bereits eine Tour vollkommen nüchtern hinter mich gebracht und hatte ein gutes Gefühl dabei, wieder loszuziehen.
CAMILA: Ich hab Billy so auf Tour geschickt, wie ich damals fast alles im Zusammenhang mit ihm gemacht habe – voller Hoffnung. Mehr konnte ich nicht machen, nur hoffen.
OPAL CUNNINGHAM (Buchhalterin, Runner Records): Jeden Tag, an dem ich ins Büro ging, wusste ich
drei Dinge. Erstens, die Band würde mehr Geld ausgeben als am Tag zuvor. Zweitens, niemand würde meine Ratschläge zur Kostensenkung berücksichtigen. Drittens, bei allem, was angeschafft wurde – sei es so etwas Großes wie ein Flügel für die Suite oder etwas so Kleines wie Filzstifte für Autogramme –, musste man penibel drauf achten, dass Billy und Daisy exakt das Gleiche bekamen. Der Rider war doppelt so lang, wie er hätte sein müssen, weil sich beide aufregten, sobald der jeweils andere etwas hatte, was er oder sie nicht hatte.
Ich rief Rod an und sagte: »Auf keinen Fall brauchen die zwei Tischtennisplatten.«
ROD: Ich hab immer gesagt: »Genehmigen. Runner bezahlt.« Eigentlich hätte ich das aufnehmen und einfach immer wieder abspielen sollen. Aber ich hab’s verstanden. Opals Aufgabe war es, darauf zu achten, dass wir kein Geld verpulverten. Und wir haben eine Menge Geld verpulvert. Aber wir hatten das erfolgreichste Album des Landes veröffentlicht. Wir hätten verlangen können, was wir wollten, es wäre immer im besten Interesse von Runner gewesen, es uns zu geben.
EDDIE: Am ersten Tourtag hielten wir an einer Tankstelle. Pete und ich stiegen aus, rannten rein, um was zu trinken oder so zu kaufen. »Turn it Off« lief im Radio. Das war nicht ungewöhnlich, so was war uns in den vergangenen Jahren schon öfter passiert. Aber Pete machte einen Witz, er sagte zu dem Typen: »Kannst du mal den Sender wechseln? Ich find den Song scheiße.« Der Typ wechselte den Sender, aber »Turn it Off« lief auch auf dem nächsten. Da hab ich dann gesagt: »Hey, turn it off.« Und er hat ausgemacht. Wir fanden das witzig.
GRAHAM: Zum ersten Mal habe ich erlebt, wie – wie soll ich sagen – wie leidenschaftlich die Fans zur Band hielten. Billy und ich holten uns an einer Raststätte irgendwo in der Wüste einen Burger, in Arizona, New Mexico oder so, und da kam so ein Paar auf uns zu und fragte Billy: »Bist du Billy Dunne?
«
Billy antwortete: »Ja, der bin ich.«
Und sie sagten: »Wir finden euer Album toll.« Billy ging super damit um, war echt freundlich, aber das war er immer, immer toll im Umgang mit den Fans. Er hat es immer so aussehen lassen, als wäre jeder, der ihm ein Kompliment macht, der Erste überhaupt. Also fing Billy an, mit dem Typen zu quatschen, und die Frau zog mich beiseite und fragte: »Ich muss es einfach wissen, Billy und Daisy? Sind die beiden zusammen?«
Und ich zog meinen Kopf ein und sagte: »Nein.«
Sie nickte, als würde sie verstehen, was ich sagen wollte, nämlich dass die beiden miteinander schliefen, ich ihr das aber nicht sagen durfte.
WARREN: Am Vorabend des Tourstarts haben wir im Hotel in San Francisco eingecheckt, und ich stieg aus dem weißen Bus, Pete und Eddie direkt hinter mir. Graham und Karen kamen aus dem blauen Bus. Wir gingen raus auf die Straße und rein ins Hotel, kein Problem.
Dann sprang Billy aus dem blauen Bus, und innerhalb von, ich weiß nicht, dreißig Sekunden hörte man Mädchen kreischen. Dann stieg Daisy aus dem weißen Bus, und von dem Geschrei, von dem man dachte, lauter geht’s gar nicht, von dem Gekreische wäre mir fast das Trommelfell geplatzt, irgendwie wurde es noch lauter und schriller. Ich drehte mich um und sah, dass Rod und Niccolo versuchten, sie alle zurückzudrängen, damit Billy und Daisy ins Hotel kamen.
EDDIE: Einmal bekam ich mit, dass Billy einer Gruppe von Fans ein Autogramm verweigert hat, indem er sagte: »Ich mach doch nur Musik, Mann. Ich bin nicht wichtiger als sonst jemand.« Mit ansehen zu müssen, wie dieser arrogante Arsch den Bescheidenen gibt, da hätte ich am liebsten laut geschrien. Pete hat immer gesagt: »Das ist alles gar nicht wichtig. Bilde dir bloß nicht ein, das wäre wichtig.« Ich hab nicht verstanden, was er meinte, oder erst als es schon zu
spät war.
DAISY: Wenn Leute mich um ein Autogramm gebeten haben, hab ich immer geschrieben: »Bleib dir treu, Daisy J.« Aber wenn es ein kleines Mädchen war – was nicht oft vorkam, aber hin und wieder eben doch –, hab ich geschrieben: »Dream big, little bird. Alles Liebe, Daisy.«
ROD: Die Leute waren von der Band begeistert, sie wollten das Album live hören. Und Billy und Daisy konnten abliefern. Sie waren nicht nur Dynamit, sondern … schwer zu durchschauen. Rätselhaft. Sie sangen wunderschön zusammen, aber sie standen nur selten am selben Mikro. Manchmal sahen sie einander an, und wenn sie das machten, wusste man nicht, was sie dachten.
Einmal in Tennessee sang Daisy »Regret Me«, während Billy im Hintergrund mitgesungen hat. Erst ganz zum Schluss hat sie sich zu ihm umgedreht und ihn direkt angesungen. Dabei hat sie ihn direkt angesehen und so laut gesungen, wie sie konnte. Sie wurde ein bisschen rot im Gesicht. Aber er hat sie beim Singen auch direkt angeguckt, er ist ihrem Blick nicht ausgewichen. Dann war der Song zu Ende, und es ging weiter. Nicht mal ich hätte sagen können, was da gerade los gewesen war.
KAREN: Sowieso sah man, wenn man darauf achtete, wie die beiden eine ganze Menge vieldeutiger Blicke wechselten. Besonders bei »Regret Me«. Ganz besonders da.
ROD: Wenn man zu einem Konzert von Daisy Jones & The Six in der Annahme ging, die beiden könnten einander nicht ausstehen, sah man dies ziemlich eindeutig bestätigt. Und wenn man vermutete, dass zwischen den beiden was lief, dass sich hinter der Abneigung vielleicht etwas ganz anderes verbarg, sah man sich auch darin bestätigt.
BILLY: Man kann Songs mit jemandem schreiben, Songs über jemanden und wissen, dass einige Lieder, die man
singt, über einen selbst geschrieben wurden … und nichts dabei empfinden … um nicht hineingezogen zu werden.
Gab es Momente auf der Bühne, wo ich zu Daisy rüberschaute und merkte, dass ich nicht weggucken konnte? Ich meine … ja. Ganz bestimmt sogar, wenn man die Pressefotos von der Tour betrachtet, die Konzertfotos und was weiß ich … Da wird man einige Bilder finden, auf denen Daisy und ich uns direkt in die Augen schauen. Ich habe mir gesagt, dass wir nur so getan haben, aber es war schwer zu entschlüsseln. Was war gespielt und was nicht? Was haben wir gemacht, um Platten zu verkaufen, und was war wirklich so gemeint? Ehrlich, vielleicht hab ich’s irgendwann mal gewusst. Aber jetzt weiß ich’s nicht mehr.
DAISY: Nicky war oft eifersüchtig wegen dem, was sich auf der Bühne abgespielt hat.
In »Young Stars« geht es um zwei Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen, aber gezwungen sind, es zu leugnen. In »Turn it Off« darum, dass man sich in jemanden verliebt und nicht davon loskommen kann. »This Could Get Ugly« handelt davon, dass man jemanden besser kennt als dessen Partner. Das waren heikle Songs, wenn man sie mit einer anderen Person zusammen singen musste. Sie zwangen einen, etwas zu empfinden – ließen mich erneut empfinden, was ich empfunden hatte, als ich sie schrieb. Nicky wusste das.
Es gehörte zu unserer Beziehung, dass ich drauf achten musste, dass es Nicky gut geht, er glücklich ist und Spaß hat.
WARREN: Abend für Abend waren die Konzerte gerammelt voll, spielten wir vor einer kreischenden Zuschauermenge. Die Leute sangen jedes Wort mit. Und dann endete es immer damit, dass Billy in sein Hotelzimmer fuhr und wir anderen noch ausgingen und feierten, bis wir jemanden zum Abschleppen gefunden hatten.
Außer Daisy und Niccolo, die immer länger aufblieben als alle anderen. Wenn wir ins Bett fielen, hielten Daisy und Niccolo die Nacht
noch für jung.
DAISY: Das mit den Drogen ist nicht mehr so geil, wenn man so oft mit getrocknetem Blut unter der Nase aufwacht, dass es schon zur morgendlichen Routine gehört, es abzuwischen. So wie Zähneputzen. Ständig hat man neue blaue Flecke und weiß nicht, woher. Wenn du einen Knoten hinten in den Haaren hast, weil du seit Wochen nicht mehr dran gedacht hast, sie zu bürsten.
EDDIE: Ihre Hände waren blau. Wir waren in Tulsa kurz vor dem Auftritt hinter der Bühne, ich sah sie an und sagte: »Deine Hände sehen irgendwie blau aus.«
Sie warf einen Blick darauf und sagte: »Ach ja.« Mehr nicht, einfach nur Ach ja.
KAREN: Daisy wurde allmählich zu einer Person, mit der keiner von uns wirklich was zu tun haben wollte. Und größtenteils mussten wir das auch nicht. Sie brauchte uns eigentlich nicht. Schwierig wurde es nur, wenn sie die Kontrolle verlor, dann hatten wir alle ein Problem. Zum Beispiel als sie beinahe das Chelsea abgefackelt hätte.
DAISY: Nicky war im Omni Parker House in Boston rauchend eingeschlafen, und das Kissen hatte Feuer gefangen. Ich bin von der Hitze direkt vor meinem Gesicht aufgewacht, hab mir die Haare versengt und musste die Flammen mit einem Feuerlöscher, den ich im Schrank fand, niederkämpfen. Nicky hat das Ganze nicht im Geringsten aus der Fassung gebracht.
SIMONE: Als ich von dem Feuer hörte, rief ich sie an. Ich rief sie in Boston an, ich rief sie in Portland an. Immer wieder rief ich an. Sie hat nie zurückgerufen.
BILLY: Ich bat Rod, dass er ihr Hilfe besorgt.
ROD: Ich hab ihr angeboten, sie mit Nicky zusammen in eine Entzugsklinik zu bringen, aber sie meinte, ich solle nicht albern sein
.
GRAHAM: Hier oder da hat sie mal ein bisschen gelallt, und einmal ist sie auch die Stufen zur Bühne runtergefallen. Ich glaube, das war in Oklahoma. Aber Daisy wusste, wie man etwas so aussehen lässt, als wäre alles nur ein riesiger Spaß.
DAISY: Wir waren in Atlanta. Nicky und ich hatten die ganze Nacht gefeiert, jemand hatte Meskalin dabei, und Nicky hielt es für eine großartige Idee, es zu nehmen. Alle anderen waren schon im Bett, deshalb waren Nicky und ich alleine, high auf allem Möglichen gleichzeitig. Das Meskalin hatte schon angefangen zu wirken.
Wir brachen das Schloss der Tür auf, die auf das Dach unseres Hotels führte. Die Fans, die das Hotel belagert hatten, waren alle nach Hause gegangen. So spät war es. Wir standen da, schauten auf den leeren Platz, wo sie zuvor alle gestanden hatten. Das kam mir so romantisch vor, wir beide da oben. Alles war still. Nicky nahm meine Hand und führte mich bis an den Rand des Dachs.
Ich riss einen Witz, ich sagte: »Was hast du vor? Sollen wir springen?«
Und Nicky meinte: »Könnte ganz lustig sein.«
Ich … Lass es mich mal so sagen. Wenn man high mit seinem Ehemann auf dem Dach eines Hotels steht und dieser nicht deutlich sagt, dass es keine gute Idee ist, zusammen zu springen, dann wird einem klar, dass man ganz schön viele Probleme hat. Aber das war noch lange nicht der Tiefpunkt. Nur immerhin das erste Mal, dass ich neben mir stand und dachte: Wow, es geht steil bergab.
OPAL CUNNINGHAM: Ein Großteil des wachsenden Budgets wurde für die Schäden verwendet, die sie überall hinterließen. Daisys Zimmer kostete immer am meisten. Wir gaben Unsummen aus für kaputte Lampen, zerbrochene Spiegel, angekokelte Bettwäsche. Jede Menge aufgebrochene Schlösser. Die Hotels rechneten mit einem gewissen Verschleiß, ganz besonders, wenn eine Band gastierte, aber da kam
so viel zusammen, dass sie immer mehr verlangten, als die einbehaltene Kaution abgleichen konnte.
WARREN: Ich glaube, als wir im Süden tourten, merkte man, dass Daisy … ich weiß nicht, es einfach nicht mehr auf die Reihe bekam. Teilweise hat sie auch die Texte der Songs vergessen.
ROD: Vor dem Aufritt in Memphis machten sich alle bereit, auf die Bühne zu gehen, nur Daisy war nirgends zu finden. Ich suchte sie überall. Alle fragten nach ihr. Schließlich fand ich sie auf einer der Toiletten in der Lobby. Sie war in der Kabine ohnmächtig geworden. Sie hockte auf dem Boden, ein Arm über dem Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, sie sei tot. Als ich sie geschüttelt habe, ist sie aufgewacht.
Ich sagte: »Du musst auf die Bühne.«
Sie meinte nur: »Okay.«
Mit Bestimmtheit erklärte ich: »Du musst clean werden«, aber sie antwortete nur: »Ach Rod.« Dann stand sie auf, ging zum Spiegel, überprüfte ihr Make-up und flitzte hinter die Bühne zu den anderen aus der Band, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Und ich dachte: Ich will für diese Frau nicht mehr verantwortlich sein.
EDDIE: New Orleans. Herbst achtundsiebzig. Beim Soundcheck kam Pete zu mir und sagte: »Jenny will, dass wir heiraten.«
Ich sagte: »Na, dann heirate sie doch.«
Und Pete: »Ich glaube, das mache ich.«
DAISY: Wenn man die ganze Zeit im Arsch ist, kapiert man so manches erst sehr viel langsamer, als man sollte. Allmählich wurde mir aber klar, dass Nicky niemals irgendetwas bezahlte, dass er überhaupt kein eigenes Geld besaß. Aber er kaufte immer mehr Koks. Ich meinte: »Danke, ich hab genug.« Aber er wollte immer mehr und bestand drauf, dass ich auch noch mehr nehme.
Eines Vormittags saßen wir im Bus, das war wahrscheinlich
im Dezember oder so. Wir hatten uns hinten hingelegt, während alle anderen vorne saßen. Ich glaube, wir hielten irgendwo in der Nähe von Kansas, denn als ich aus dem Fenster sah, war da nur weite Ebene. Keine Berge, kaum Zivilisation. Ich wachte auf, und Nicky zog schon wieder eine Line. Mir kam so ein flüchtiger Gedanke: Und wenn ich nicht mitmache? Also sagte ich: »Nein, danke.«
Aber Nicky lachte und meinte: »Komm schon.« Er hielt es mir direkt vor die Nase, und ich hab’s geschnieft.
Als ich mich umdrehte, den Gang runterschaute, entdeckte ich Billy, der aus irgendeinem Grund in den Bus gestiegen war und mit Warren redete oder so. Aber … er hatte das alles gesehen. Einen kurzen Augenblick lang trafen sich unsere Blicke, und das machte mich einfach so wahnsinnig traurig.
BILLY: Ich hielt mich möglichst fern von dem weißen Bus. Da drin spielten sich Dinge ab, die nicht gut für mich gewesen wären.
GRAHAM: Über Weihnachten und Neujahr sind wir alle nach Hause.
BILLY: Ich war so froh, nach Hause zu meinen Mädchen fahren zu dürfen.
CAMILA: In meinem Leben und meiner Ehe war so vieles wichtiger als der Umstand, dass mein Mann in einer Band war. Ich will nicht sagen, dass The Six keine große Rolle gespielt hätten, natürlich haben sie das. Aber wir waren eine Familie. Von Billy wurde erwartet, dass er die Arbeit hinter sich ließ, wenn er nach Hause kam. Und das hat er gemacht.
Wenn ich mich an die späten Siebziger zurückerinnere, denke ich oft an die Band und die Songs und … alles, was wir damit durchgemacht hatten. Aber hauptsächlich denke ich daran, dass Julia schwimmen gelernt hat und Susanas erstes Wort ein bisschen nach »Mimia« klang und wir nicht rausbekamen, ob
sie »Mama«, »Julia« oder »Maria« meinte. Oder dass Maria Billy ständig an den Haaren ziehen wollte. Und dass er ein Spiel mit den Mädchen gespielt hat, das wir Wer-bekommt-den-letzten-Pfannkuchen genannt haben. Wenn er Pfannkuchen gemacht hat und die Mädchen beim Essen waren, hat er immer gerufen: »Wer bekommt den letzten?« Und diejenige, die zuerst die Hand gehoben hat, durfte ihn haben. Aber irgendwie, egal, wie es ausging, er hat sie immer dazu gebracht, den Pfannkuchen zu teilen.
Das sind die Dinge, an die ich mich vor allem erinnere.
BILLY: Camila und ich hatten gerade unser neues Haus in Malibu gekauft, in den Bergen. Größer als jedes Haus, von dem ich mir je ausgemalt hatte, dass es mir mal gehören würde. Mit einer langen Auffahrt und mit Bäumen, die alles außer der Terrasse beschatteten. Die Terrasse war vollkommen unverstellt. Man konnte bis zum Ozean schauen. Camila hat es immer unser »Honeycomb-Haus« genannt, weil wir es davon bezahlt haben.
Die zwei Wochen, die ich über die Feiertage zu Hause war, verbrachten wir hauptsächlich mit Umziehen und Einrichten. In der ersten Nacht, die wir mit den Mädchen dort schliefen, fragte ich Julia: »Welches Zimmer willst du haben?« Sie war die Älteste, deshalb durfte sie sich ihres zuerst aussuchen. Sie bekam ganz große Augen, rannte den Flur entlang, schaute jedes Zimmer einzeln an. Dann setzte sie sich im Flur mitten auf den Boden und überlegte. Sie sagte: »Ich will das in der Mitte.«
Ich fragte: »Bist du sicher?«
Sie erwiderte: »Ich bin sicher.« Sie war genau wie ihre Mom. Wenn sie wusste, was sie wollte, dann wusste sie’s einfach.
ROD: Das war das erste Weihnachten seit langer Zeit – sehr langer Zeit –, an dem ich nicht arbeiten musste. Wo ich einfach eine schöne Zeit haben konnte, ohne einen Rockstar vor einer Krise bewahren oder mich vergewissern zu müssen, dass der Rider vollständig vorhanden war oder was auch immer.
Ich mietete eine Hütte mit einem Typen namens Chris. Wir
bewegten uns in denselben Kreisen, immer wenn ich in der Stadt war, hab ich mich mit ihm getroffen. Wir verbrachten die Feiertage zusammen in Big Bear, kochten zusammen, saßen im Whirlpool und spielten Karten. Weihnachten schenkte ich ihm einen Pullover, und er schenkte mir einen Terminkalender. Da dachte ich: Ich will normal sein.
DAISY: Nicky und ich flogen über Weihnachten nach Rom.
EDDIE: Pete fragte Jenny während der Feiertage, ob sie ihn heiraten wollte, und sie sagte Ja. Ich hab mich wirklich für ihn gefreut, weißt du. Hab ihn fest umarmt. Er hat gesagt: »Ich muss mir nur überlegen, wann ich das den anderen sage. Ich weiß nicht, wie sie’s aufnehmen werden.«
Ich sagte: »Wie meinst du das? Interessiert doch gar keinen, ob du verheiratet bist oder nicht.«
Er sagte: »Doch, ich steige aus.«
Ich dachte, ich hätte mich verhört: »Du steigst aus?«
Er erwiderte: »Wenn die Tour zu Ende ist, verlasse ich die Band.«
Wir waren im Haus unserer Eltern, und ich fragte: »Was redest du da? Du willst die Band hinschmeißen?«
Er meinte: »Ich hab dir doch gesagt, dass ich das nicht ewig machen will.«
Ich antwortete: »Das hast du nie gesagt.«
Aber er bestand drauf: »Ich hab’s dir tausendmal gesagt. Ich hab dir gesagt, das ist nicht wichtig.«
Ich sagte: »Willst du das alles für Jenny aufgeben? Wirklich?«
Er erwiderte: »Nicht für Jenny. Für mich. Damit ich mein eigenes Leben leben kann.«
Ich fragte: »Was soll das heißen?«
Und darauf er: »Ich wollte nie in einer Softrockband spielen. Komm schon, das weißt du. Ich bin eingestiegen, eine Weile lang mitgefahren, aber es wird nicht mehr lange dauern, dann steige ich aus.
«
DAISY: Nicky und ich hatten Streit im Hotelzimmer in Italien. Er warf mir vor, ich hätte in Kansas mit Billy geschlafen. Ich hatte keine Ahnung, wovon er überhaupt redete. In Kansas hatte ich mit Billy nicht mal geredet. Aber er meinte, er habe es seit Wochen gewusst und er habe keine Lust mehr, es sich gefallen zu lassen, dass ich ihm was vormache. Der Streit kochte schnell hoch. Ich hab ein paar Flaschen nach ihm geworfen, und er zerschlug ein Fenster mit der Hand.
Ich weiß noch, dass ich runterschaute und mir graue Tränen über das Gesicht liefen. Sie waren schmutzig von der Wimperntusche und dem Kajal. Ich weiß nicht mehr genau, wie das passiert ist, aber eine meiner Kreolen wurde mir aus dem Ohrläppchen gerissen. Ein sauberer Riss. Ich blutete und heulte, das Zimmer war völlig verwüstet. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, nahm Nicky mich in den Arm, und wir versprachen einander, uns nie mehr von der Seite zu weichen und nie wieder so zu streiten. Ich weiß noch, dass ich dachte: Wenn das Liebe ist, dann will ich vielleicht lieber keine.
ROD: Wir hatten Daisy einen Flug gebucht, sodass sie einen Tag vor dem Konzert in Seattle ankam. Ich wollte, dass sie ein bisschen früher auftauchte, weil ich Angst hatte, sie könnte ihren Flug verpassen, und ich wollte einen gewissen Spielraum haben.
DAISY: Wir sollten am Vormittag nach Seattle fliegen, ich wachte auf, und Nicky beugte sich über mich. Ich merkte, dass ich klatschnass war und in der Duschwanne geschlafen hatte. Ich war groggy und durcheinander, aber in der Zeit bin ich immer groggy und durcheinander aufgewacht. Ich fragte: »Was ist passiert?«
Nicky sagte: »Ich dachte, du hast eine Überdosis. Seconal oder so. Ich wusste nicht, was wir sonst noch genommen hatten.« Weißt du, was passiert, wenn Leute zu viel Seconal schlucken? Sie sterben.
Ich sagte: »Deshalb hast du mich unter die Dusche gelegt?«
Er meinte: »Ich hab versucht, dich zu wecken. Ich wusste
nicht, was ich sonst hätte machen sollen. Du bist nicht aufgewacht. Ich hatte solche Angst.«
Ich sah ihn an und mir wurde ganz mulmig. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, ob ich wirklich eine Überdosis geschluckt hatte oder was sonst eigentlich in der Nacht passiert war, ich hab ihm angemerkt, dass er ehrlich Angst hatte.
Trotzdem war ihm nichts Besseres eingefallen, als mich unter die Dusche zu legen.
Mein Ehemann hatte gedacht, ich würde sterben, und nicht mal den Portier verständigt.
In mir legte sich ein Schalter um. Als würde ein ganzer Stromkreis unterbrochen … wie an einem Sicherungskasten. Die lassen sich nur schwer umlegen, da braucht man ganz schön Kraft, aber wenn sie einmal einen gewissen Punkt überschritten haben, klappen sie mit Wucht um. So ein Schalter war das in mir. In dem Moment wusste ich, dass ich mich von dieser Person entfernen musste. Dass ich auf mich aufpassen musste. Denn wenn nicht …
Er würde mich nicht umbringen, aber er würde mich sterben lassen.
Ich sagte: »Okay, danke, dass du auf mich aufgepasst hast.« Und: »Du musst müde sein. Leg dich noch mal hin.« Als er schlief, hab ich meine Sachen gepackt, hab die Flugtickets mitgenommen und bin zum Flughafen gefahren. Als ich dort war, hab ich ein öffentliches Telefon gesucht und im Hotel angerufen: »Ich habe eine Nachricht für Niccolo Argento in Zimmer 907.«
Die Dame sagte: »Okay.« Wobei, wenn ich es mir recht überlege, wahrscheinlich hat sie »Bene« gesagt.
Jedenfalls bat ich sie: »Schreiben Sie auf, ›Lola La Cava will die Scheidung‹.«
WARREN: Als wir nach der Auszeit alle wieder zusammenkamen, zu dem Konzert in Seattle, wirkte Daisy, ich weiß nicht, klarer.
Ich fragte: »Wo ist Niccolo?«
Und Daisy sagte: »Die Phase in meinem Leben ist abgeschlossen.«
Mehr nicht. Ende der Durchsage. Ich fand das ganz schön krass.
SIMONE: Sie hat mich angerufen und erzählt, sie habe Niccolo in Italien sitzen lassen, und ich hab applaudiert.
KAREN: Auf einmal konnte man sie wieder verstehen, wenn man mit ihr redete. Sie kam mit klarem Kopf zu den Soundchecks.
DAISY: Also von nüchtern würde ich so direkt nicht sprechen, aber weißt du, plötzlich war ich wieder pünktlich da, wo ich sein musste. Das schon.
BILLY: Ich glaube, ich hab gar nicht gemerkt, wie viel von ihr gar nicht mehr vorhanden gewesen war, bis sie wieder vollständig zurückgekehrt ist.
DAISY: Jetzt war ich wieder ich selbst auf der Bühne, in diesen ersten Monaten ohne Nicky, und ich war mir meiner Beziehung zum Publikum bewusst. Ich habe darauf geachtet, zu einer bestimmten Zeit ins Bett zu gehen und zu einer bestimmten Zeit aufzustehen. Ich hatte Regeln, wann ich welche Drogen nehmen durfte. Abends nur Koks, nie mehr als sechs Dexies auf einmal oder wie viel auch immer. An Getränken nur Champagner und Brandy.
Auf der Bühne sang ich bewusster, was ich lange Zeit nicht gemacht hatte. Die Auftritte waren mir wichtig. Mir war wichtig, dass sie gut wurden. Mir war wichtig … mir war wichtig, mit wem ich sang.
ROD: Wenn Daisy high war, war sie witzig, unbeschwert, und man hatte viel Spaß mit ihr. Wenn sie Spaß hatte, hatte man auch Spaß. Aber wenn man Menschen wirklich in tiefstem Herzen berühren will, dann muss Daisy wieder zurück auf den Boden kommen und ihre eigenen Songs singen. Das ist unvergleichlich
.
DAISY: Bei den Grammys war ich betrunken, aber das spielte kaum eine Rolle.
BILLY: Bevor der Preis für die beste Platte des Jahres bekannt gegeben wurde, hatte mir Rod bereits verraten, dass Teddy nichts sagen wollte. Im Prinzip ist das aber ein Produzentenpreis, trotzdem wollte Teddy lieber hinter den Kulissen bleiben, weshalb Rod mich gefragt hat, ob ich was sagen würde, und ich meinte: »Wir bekommen ihn doch sowieso nicht.«
Da fragte er: »Ist es okay, wenn ich Daisy den Vortritt lasse?«
Ich sagte: »Wenn du ihr den Vortritt bei etwas lassen willst, das gar nicht passiert, na klar.«
Man kann sich ja auch mal irren.
KAREN: Als wir mit »Turn it Off« den Grammy für die beste Platte des Jahres bekamen, standen wir alle da oben auf der Bühne, alle sieben einschließlich Teddy. Pete trug so eine verdammte Cowboykrawatte, schrecklich hässlich. Mir war das so peinlich. Ich dachte, Billy müsste derjenige sein, der die Dankesrede hält. Stattdessen ging Daisy ans Mikro, und ich dachte: Ich hoffe, sie bringt was Zusammenhängendes raus. Und das hat sie.
BILLY: Sie sagte: »Vielen Dank an alle, die den Song gehört, verstanden und mit uns gesungen haben. Wir haben ihn für euch geschrieben. Für euch alle, die ihr wie besessen von jemandem oder etwas seid.«
CAMILA: »Für euch alle, die ihr wie besessen von jemandem oder etwas seid.«
DAISY: Ich meinte damit nichts anderes, als dass wir Menschen eine Stimme geben wollten, die sich verzweifelt fühlten. Ich war über einiges verzweifelt. Verzweifelt, aber dabei irgendwie auch wieder viel mehr ich selbst.
Das ist schon komisch. Zuerst, denke ich, nimmt man
Drogen, um seine Gefühle abzutöten, ihnen zu entkommen. Aber nach einer Weile wird einem bewusst, dass die Drogen dein Leben haltlos machen, dass sie in Wirklichkeit Empfindungen noch verstärken. Liebeskummer empfindet man schlimmer, gute Zeiten euphorischer. Wenn man runterkommt, hat man das Gefühl, als würde man den Verstand neu entdecken.
Und wenn man seinen Verstand neu entdeckt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man ahnt, warum man ihm hatte entkommen wollen.
BILLY: Wir verließen die Bühne mit dem Grammy, und unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte mich an. Und ich dachte: Sie ändert sich.
ELAINE CHANG: Daisy nahm den Grammy für die beste Platte des Jahres entgegen, ihre Haare waren zerzaust, sie hatte Armreife bis zum Ellbogen und so ein dünnes cremefarbenes Seidenkleid an. Sie schien die Band vollkommen unter Kontrolle zu haben und großes Zutrauen in ihr eigenes Talent zu besitzen … Vielleicht gilt sie alleine aufgrund dieses Abends als größte Rocksängerin aller Zeiten.
Kurz danach nahm die Band das berühmte Video auf, wo sie »Impossible Woman« auf dem Madison Square Garden spielt – und Daisy tief aus dem Bauch heraus singt, völlig angstfrei die höchsten Töne trifft – Billy Dunne kann dabei offensichtlich die Augen nicht von ihr lassen.
Das war kurz nachdem sie Niccolo Argento verlassen hatte und sie sich selbst verwirklicht hat, völlig selbstbestimmt war. Alle Zeitschriften schrieben über sie, alle kannten sie. Alle im Rock ’n’ Roll wollten sein wie sie.
Die Daisy Jones im Frühjahr neunundsiebzig, das ist die, von der wir reden, wenn wir von Daisy Jones sprechen. Eigentlich hätte man denken sollen, dass sie überglücklich gewesen wäre.
KAREN: Da ist noch was, das ich noch nicht erwä
hnt habe.
GRAHAM: Hat Karen dir das erzählt? Ist nicht an mir, so was zu sagen, wenn sie’s dir nicht schon erzählt hat. Aber … ich denke, wenn sie’s erzählt hat, dann ist es okay.
KAREN: Wir waren in Seattle, glaube ich, als mir klar wurde, was los war.
EDDIE: Ich hab gegenüber Graham und Karen nie angesprochen, dass ich von der Sache zwischen ihnen wusste. Aber ich fand es seltsam, dass sie’s so geheim hielten. Die anderen hätten sich doch für sie gefreut. Vielleicht war’s ja nur ein einmaliges Ding gewesen. Manchmal ist meine Erinnerung so verschwommen, dass ich mich frage, ob ich es mir nur eingebildet habe. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich so was erfinden würde.
KAREN: Ich stand im Hotel unter der Dusche, Graham hatte das angrenzende Zimmer. Er kam zu mir rein und unter die Dusche. Ich hab ihn an mich gezogen, meine Arme um ihn gelegt. Das ist das, was ich so gerne an Graham mochte, dass er so groß war, so stark. Er war behaart und massig, und das gefiel mir, außerdem sehr sanft. Aber dieses Mal, als er seine Brust an mich drückte, fühlten sich meine Titten geschwollen an. Sie taten weh. Und da wusste ich es. Ich wusste es einfach.
Ich hatte gehört, dass Frauen spüren, wenn sie schwanger sind. Aber ich dachte, das ist so ein Flower-Power-Blödsinn. Aber es stimmt. Zumindest bei mir. Ich war neunundzwanzig. Ich kannte meinen Körper. Und ich wusste, dass ich schwanger war. Mich durchfuhr eine Riesenangst, als würde es im Kopf anfangen und dann meinen ganzen Körper ausfüllen. Ich weiß noch, dass ich total froh war, als Graham Warren an seine Tür nebenan klopfen hörte und deswegen schnell aus der Dusche sprang.
Ich war so erleichtert, alleine zu sein. Nicht so tun zu müssen, als wäre ich ein Mensch, weil ich … mich in dem Augenblick wie tot gefühlt habe. Als hätte meine Seele meinen Körper
verlassen und als wäre nur noch eine Hülle übrig. Ich blieb – keine Ahnung, wie lange – unter der Dusche. Blieb einfach unter der Brause stehen und starrte ins Leere, bis ich genug Energie gesammelt hatte, um rauszusteigen.
GRAHAM: Manchmal merkt man einfach, dass bei jemandem was nicht stimmt, aber man kann trotzdem nicht genau sagen, was es ist. Man fragt sich, was los ist, aber der andere tut, als hätte er keine Ahnung, wovon man redet. Man kommt sich blöd vor. Man hat das Gefühl, verrückt zu sein, weil man spürt, dass es der Person, die man liebt, nicht gut geht. Dabei sieht sie aus, als würde es ihr gut gehen. Richtig gut.
KAREN: In Portland hab ich einen Schwangerschaftstest gemacht. Ich hab es vor allen geheim gehalten. Aber … das bedeutete, dass ich ganz alleine in meinem Hotelzimmer war und gesehen hab, wie der Strich langsam rosa wurde oder was auch immer er für eine Farbe hatte. Ich hab ihn ganz lange angestarrt. Dann hab ich Camila angerufen und gesagt: »Ich bin schwanger. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
CAMILA: Ich hab sie gefragt, ob sie eine Familie will.
Und sie hat gesagt: »Nein.« Das »Nein …« war eher so ein Krächzen, tief in ihrer Kehle.
KAREN: Ich hab am Telefon geschwiegen. Dann hat Camila gesagt: »Ach Süße, das tut mir so leid.«
GRAHAM: Als wir nach Vegas kamen, meinte ich schließlich: »Komm schon, du musst mit mir reden.«
KAREN: Es platzte einfach aus mir raus. Ich hab’s ihm gesagt, ich sagte: »Ich bin schwanger.«
GRAHAM: Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte
.
KAREN: Lange hat er nichts getan. Dann ist er im Zimmer auf und ab gegangen. Ich sagte: »Ich will das nicht. Ich will’s nicht durchziehen.«
GRAHAM: Ich dachte, sie würde ein bisschen mit sich ringen, und schlug vor: »Lass uns noch ein bisschen Zeit. Wir haben doch noch Zeit, oder?«
KAREN: Ich hab ihm gesagt, dass ich’s mir nicht anders überlegen würde.
GRAHAM: Ich hab das Falsche gesagt. Ich wusste, dass es das Falsche war. Ich sagte: »Wir können ja jemand anders als Keyboarder suchen, wenn du dir deshalb Sorgen machst.«
KAREN: Ich mache Graham keinen Vorwurf, ehrlich. Er hat gedacht, wie die meisten Leute gedacht hätten. Ich sagte: »Verstehst du, wie hart ich dafür gearbeitet habe, bis hierhin zu kommen? Das werde ich nicht aufgeben.«
GRAHAM: Ich wollte es nicht sagen, aber ich fand das egoistisch. Allem anderen Vorrang vor unserem Baby zu geben.
KAREN: Er hat immer wieder von »unserem Baby« gesprochen. Unser Baby, unser Baby, unser Baby.
GRAHAM: Ich sagte, sie solle sich einfach ein bisschen Zeit nehmen. Mehr hab ich nicht gesagt.
KAREN: Es war zwar unser Baby, aber meine Verantwortung.
GRAHAM: Leute überlegen es sich in solchen Fällen ständig wieder anders. Man denkt, man will irgendwas nicht, und dann merkt man, man will es doch
.
KAREN: Er hat gesagt, ich weiß nicht, was ich sage und dass ich es den Rest meines Lebens bereuen würde, wenn ich die Schwangerschaft abbrechen würde. Er hat es einfach nicht verstanden.
Ich hatte keine Angst davor zu bereuen, kein Kind bekommen zu haben. Aber ich hatte Angst zu bereuen, eins bekommen zu haben.
Ich hatte Angst, ein ungewolltes Leben in die Welt zu setzen. Ich hatte Angst, mein Leben in dem Gefühl zu leben, ich hätte am falschen Dock angelegt. Ich hatte Angst, zu etwas gedrängt zu werden, das ich nicht wollte. Graham wollte davon nichts hören.
GRAHAM: Es wurde hitzig, und ich bin rausgestürmt. Wir mussten darüber reden, wenn wir beide ruhig waren. So was kann man nicht klären, während man sich gegenseitig anschreit.
KAREN: Ich wollte es mir nicht anders überlegen. Jedes Mal, wenn ich das gesagt habe, wurde ich dafür verurteilt, aber ich werde es wiederholen: Ich wollte nie Mutter werden. Ich wollte nie Kinder haben.
GRAHAM: Ich dachte die ganze Zeit nur: Sie wird es sich noch anders überlegen. Ich dachte: Wir heiraten und bekommen das Baby, wir kriegen das alles hin. Sie würde schon noch merken, wie sehr sie Mutter werden wollte, wie viel ihr eine Familie bedeuten würde.
DAISY: Nach den Grammys redeten Billy und ich wieder miteinander. Na ja, mehr oder weniger. Wir hatten gerade einen Preis für einen Song gewonnen, den wir zusammen geschrieben und gesungen hatten, und das wirkte noch nach.
BILLY: Sie wurde ruhiger, gelassener. Jetzt wo Niccolo weg war, war es … leichter, sich mit ihr zu unterhalten
.
DAISY: Wir waren auf einem Nachtflug nach New York, um bei Saturday Night Live aufzutreten. Rich hatte uns den Jet von Runner überlassen. Ich denke, fast alle waren eingeschlafen. Billy saß von mir aus gesehen auf der anderen Seite, aber unsere Plätze befanden sich sozusagen gegenüber. Ich hatte ein sehr kurzes Kleid an und mir war kalt, ich nahm eine Decke, wickelte sie mir um und sah, dass Billy mich ansah. Und er lachte.
BILLY: Manche Menschen ändern sich nie. Du denkst, dass dich irgendwas an ihnen irre macht, aber genau das wird es auch sein, woran du denkst, wenn sie nicht mehr da sind, nicht mehr in deinem Leben sind.
DAISY: Ich hab ihn angesehen und auch gelacht. Einen kurzen Augenblick lang war das so, als wären wir wieder Freunde.
ROD: Bis zu dem Auftritt bei Saturday Night Live war »Young Stars« schon ein Hit geworden. Die Single stand auf Platz 7 der Charts, glaube ich. Irgendwo in den Top Ten. Wir haben so viele Alben verkauft, die konnten gar nicht schnell genug nachpressen. Runner hatte »This Could Get Ugly« als nächsten Hit vorgesehen.
DAISY: Es war geplant, dass wir zuerst »Turn it Off« spielen und dann als zweiten Song »This Could Get Ugly«.
KAREN: Ich hab mit Warren gewettet, dass Daisy keinen BH anziehen würde, und zweihundert Dollar gewonnen.
WARREN: Wir haben alle überlegt, was wir anziehen wollten, und ich hab mit Karen um fünfzig Dollar gewettet, dass Billy ein Jeanshemd anzieht und Daisy keinen BH. Ich hab fünfzig Dollar
gewonnen.
KAREN: Während der Probe haben Daisy und Billy tatsächlich miteinander gesprochen. Man merkte, dass sich was verändert hatte.
GRAHAM: Wir haben »Turn it Off« geprobt, und das lief echt gut, aber wir haben auch noch »This Could Get Ugly« gespielt.
BILLY: Als die Sendung anfing, wollte ich es genau so machen, wie wir’s geplant hatten.
DAISY: Lisa Crowne hat uns angekündigt: »Ladies and Gentlemen, Daisy Jones & The Six«, und das Publikum ist durchgedreht. Ich hatte schon Auftritte in riesigen Stadien vor schreienden Zuschauern gehabt, aber das war noch mal was ganz anderes. Diese kleine Gruppe von Menschen direkt vor uns, die so einen Lärm machte. Das war ein Wahnsinnsenergieschub.
NICK HARRIS: Als Daisy Jones & The Six mit »Turn it Off« bei Saturday Night Live aufgetreten sind, spielten sie einen Song, den praktisch jeder im Land kannte. Das war die Single des Jahres.
Daisy trug ausgewaschene schwarze Jeans und ein pinkes Trägeroberteil aus Satin. Natürlich auch ihre Armreife. Und sie war barfuß. Ihre Haare knallrot. Sie tanzte über die Bühne, sang aus tiefster Kehle und schlug aufs Tamburin. Sie sah aus, als hätte sie einen Wahnsinnsspaß. Und Billy Dunne trug seinen klassischen Jeanslook von oben bis unten. Er stand dicht am Mikro, betrachtete sie und hat es sichtlich genossen. Sie sahen aus, als würden sie einfach zusammen auf die Bühne gehören.
Die Band traf jeden Beat mit einer Knackigkeit und Frische, die man nicht unbedingt erwartet, wenn ein Song schon so häufig gespielt worden war wie dieser.
Warren Rhodes ist ein echter Knüller und ein Vorbild für alle, die lernen möchten, wie man mit dem Schlagzeug eine Band zusammenhält. Er stand total unter Strom. Wenn
man den Blick nur lange genug von Daisy und Billy abwenden konnte, sah man direkt ihn an, wie er auf die Stand Toms eingedroschen hat.
Je weiter der Song fortschritt und je pointierter der Text wurde, umso mehr wirkten Billy und Daisy voneinander gebannt. Sie bewegten sich an dasselbe Mikro und sangen einander zugewandt. Dieser gefühlvolle, heißblütige Song darüber, dass man über jemanden hinwegkommen will … Es hatte den Anschein, als würden sie ihn füreinander singen.
BILLY: Während des Auftritts hat sich so viel abgespielt. Ich musste auf mein Timing achten, auf den Text, wohin ich gucke und wo die Kamera war. Und dann … ich weiß nicht … Plötzlich stand Daisy neben mir, und ich vergaß alles andere, sah sie nur an und sang den Song, den wir zusammen geschrieben hatten.
DAISY: Dann war der Song zu Ende, und ich kam sozusagen wieder zu mir. Billy und ich schauten ins Publikum, er nahm meine Hand, und wir verbeugten uns.
Das war das erste Mal seit Langem, dass ich ihn auch nur gestreift hatte. Das war so, dass meine Hand, nachdem er sie losgelassen hatte, immer noch vibriert hat.
GRAHAM: Daisy und Billy hatten etwas, das sonst niemand hatte. Und als sie sich angestrengt haben, als sie wirklich aufeinander eingegangen sind … Das hat uns groß gemacht. Das war einer der Momente, wo du denkst, das Talent von den beiden ist den ganzen Blödsinn allemal wert.
WARREN: Zwischen den Songs sagte Billy, er habe eine Idee für »A Hope Like You«, und sie gefiel mir. Vorausgesetzt, die anderen waren einverstanden damit, war ich es auch.
EDDIE: »This Could Get Ugly« lief bei den Proben super, aber in letzter Sekunde will Billy lieber »A Hope Like You« spielen. Eine langsame Ballade. Und dann will er auch noch selbst Keyboard
spielen anstatt Karen. Sodass nur Daisy und er auf der Bühne sind.
BILLY: Ich wollte alle so richtig überraschen, wollte was Unerwartetes tun. Ich dachte, das könnte … wirklich denkwürdig werden.
DAISY: Ich fand die Idee gut.
GRAHAM: Das ging alles so schnell. Erst sollten wir alle zusammen auf die Bühne und »This Could Get Ugly« spielen. Plötzlich stehen Billy und Daisy alleine da, spielen einen ganz anderen Song.
KAREN: Ich bin die Keyboarderin. Wenn jemand mit Daisy auf der Bühne hätte stehen sollen, dann ich. Ich verstehe schon, was er den Leuten verkaufen wollte, wie er sich das gedacht hat. Ich hab’s kapiert. Das heißt aber nicht, dass es mir gefiel.
ROD: Das war schon genial. Die beiden zu zweit auf der Bühne. Das war ein großer Fernsehmoment.
WARREN: Sie sahen sich gegenseitig an, Billy an den Tasten, Daisy mit dem Mikro ihm gegenüber. Wir anderen sahen vom Bühnenrand aus zu.
DAISY: Billy fing an zu spielen, und unsere Blicke begegneten sich, nur einen kurzen Augenblick lang, dann fing ich an zu singen. Und … (hält inne). Das klingt einfach so naheliegend, so entsetzlich, peinlich naheliegend. Als Nicky nicht mehr da war und mich ablenken konnte, ich mich nicht mehr so zudröhnte, dass ich mental gar nicht mehr präsent war, war mir vollkommen klar, dass ich ihn geliebt habe.
Dass ich mich in ihn verliebt hatte.
All die Drogen, die Reise nach Thailand und die Ehe mit einem Prinzen hatten nichts daran ändern können. Und
dass er mit einer anderen verheiratet war … auch das änderte nichts daran. Ich denke, in dem Augenblick habe ich es mir endlich eingestanden. Einfach wie traurig das alles war.
Und dann fing ich an zu singen.
KAREN: Weißt du, man hört ja, wenn jemand einen Kloß im Hals hat. So hat sie geklungen. Und das … das hat allen Anwesenden den Rest gegeben. Wie sie ihn angesehen und angesungen hat: »It doesn’t matter how hard I try / can’t earn some things no matter why.« Ich meine, komm schon.
BILLY: Ich habe meine Frau geliebt und war ihr treu von dem Augenblick an, in dem ich nüchtern wurde und mich zusammengerissen hab. Ich hab verzweifelt versucht, nie wieder irgendetwas für eine andere Frau zu empfinden. Aber … (holt tief Luft). Alles, wofür Daisy brannte, dafür hab ich auch gebrannt. Alles, was ich an der Welt geliebt habe, hat auch Daisy an der Welt geliebt. Alles, womit ich zu kämpfen hatte, dagegen hatte Daisy auch zu kämpfen. Wir waren zwei Hälften. Wir waren dieselbe Person. So wie einem das mit nur sehr wenigen anderen Menschen geht. Dass man gar nicht das Gefühl hat, seine Gedanken äußern zu müssen, weil man weiß, dass der andere sie längst denkt. Wie hätte ich mich im Umkreis von Daisy Jones aufhalten und nicht vollkommen fasziniert von ihr sein können? Mich nicht in sie verlieben?
Das konnte ich nicht.
Ich konnte es einfach nicht.
Aber Camila bedeutete mehr. Das ist einfach die tiefe Wahrheit. Meine Familie bedeutete mir mehr. Camila bedeutete mir mehr. Vielleicht war Camila eine Zeit lang nicht die Person, zu der es mich am meisten hinzog. Oder …
Vielleicht war Camila nicht diejenige, in die ich am meisten verliebt war. Zu dieser Zeit. Ich weiß es nicht. Man kann nicht … Vielleicht war sie’s nicht. Aber sie war immer diejenige, die ich am meisten geliebt habe. Sie war immer die Person, für die ich mich entschieden
hätte.
Für mich ist es Camila. Immer.
Leidenschaft ist … das ist Feuer. Und Feuer ist was Tolles, Mann. Aber wir sind aus Wasser gemacht. Wasser erhält uns am Leben. Wir brauchen Wasser zum Überleben. Meine Familie war mein Wasser. Ich habe mich für das Wasser entschieden, und ich werde mich auch immer wieder für das Wasser entscheiden. Ich wollte, dass Daisy ihr eigenes Wasser fand. Weil ich es nicht für sie sein konnte.
GRAHAM: Als ich Billy am Klavier sah und wie er Daisy anschaute, dachte ich: Hoffentlich sieht Camila das nicht.
BILLY: Man spielt einen Song wie diesen mit einer Frau wie Daisy in dem Wissen, dass deine Frau das sehen wird. Das musst du erst mal bringen. Und dann sag noch, dass du nicht verdammt noch mal den Verstand verlierst.
ROD: Der Auftritt war total aufgeladen. Die beiden zusammen, wie sie füreinander gesungen haben, da hatte man das Gefühl, dass sie aus vollstem Herzen singen, und das in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung. Solche Augenblicke sind nicht alltäglich. Wer sie an diesem späten Samstagabend sah, hatte das Gefühl, Zeuge von etwas Großem zu werden.
KAREN: Als der Song vorbei war, gingen die Zuschauer voll ab, und Billy und Daisy verbeugten sich ein letztes Mal. Wir anderen gingen zu ihnen auf die Bühne. Und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass wir sehr groß waren und noch größer werden würden. Das war das erste Mal, dass ich mich fragte, ob wir wohl die berühmteste Band der Welt werden.
WARREN: Wir gingen mit allen Darstellern und Mitwirkenden zur After-Show-Party. Lisa Crowne war die Gastgeberin, und weißt du, ich dachte: Geh’s einfach mal ganz gelassen an, vielleicht steht sie ja auf dich. Das hab ich gemacht, und es hat geklappt
.
GRAHAM: Als ich rüberschaute, irgendwann am frühen Morgen, hatte Warren den Arm um Lisa Crowne gelegt, und ich dachte: Scheiße, wir müssen echt verdammt berühmt sein. Ich meine, anders ging es nicht, sonst hätte Warren keine Chance bei Lisa Crowne gehabt.
EDDIE: Pete und ich haben mit der Band von Saturday Night Live gefeiert, bis ich kein Gefühl mehr in der Nase hatte und Pete in eine Tuba gekotzt hat.
WARREN: Als ich mit Lisa weg bin, hab ich Daisy nirgendwo mehr gesehen.
GRAHAM: Irgendwann haben wir Daisy aus den Augen verloren.
BILLY: Ich war höflich und bin noch mal mit allen in die Bar. Aber ich konnte nicht lange bleiben. Saturday-Night-Live-Partys sind kein Ort, an dem man sich aufhalten sollte, wenn man nüchtern bleiben will.
Als ich wieder im Hotel war, rief Camila an, und wir haben eine Weile geredet. Es gab einiges, das wir nicht gesagt haben. Sie hatte die Sendung gesehen, und ich glaube, sie hatte mit ihren Gefühlen zu kämpfen. Wir redeten lange drum herum. Dann sagte sie, sie wolle schlafen, und ich sagte: »Okay.« Und: »Ich liebe dich. Du bist meine ›Aurora‹.« Und sie sagte, sie würde mich auch lieben, und legte auf.
CAMILA: Egal, mit wem man sich entscheidet, sein Leben zu verbringen, irgendwann wird man verletzt werden. Das liegt einfach in der Natur der Liebe. Egal, wen du liebst, irgendwann wird er dir das Herz brechen. Billy Dunne hat mir einige Male das Herz gebrochen. Und ich ihm seins. Aber ja, an dem Abend sahen wir sie bei Saturday Night Live – und das gehört zu den Anlässen, bei denen mir das Herz brach.
Aber ich habe mich dafür entschieden, weiter zu vertrauen und zu hoffen. Ich glaubte, dass er das wert war
.
DAISY: Bei der Saturday-Night-Live-Party saß ich neben Rod am Tisch, ein paar Mädchen sind aufs Klo, um eine Line zu ziehen, aber mir war so langweilig. Mein Leben kam mir so unglaublich langweilig vor. Das ganze Speed, das Koks, der ewige Kreislauf. Als würde ich denselben Film zum hundertsten Mal sehen. Irgendwann weiß man, wann der Bösewicht kommt und wann der Held. Der Gedanke daran war so langweilig, dass ich sterben wollte. Ich wollte endlich mal ein richtiges Leben. Irgendwas Reales. Also stand ich auf, stieg in ein Taxi, fuhr ins Hotel und ging zu Billys Zimmer.
BILLY: Es klopfte an meiner Tür, als ich gerade am Einschlafen war. Zuerst hab ich es einfach klopfen lassen. Ich dachte, es wäre Graham und könnte bis zum nächsten Morgen warten.
DAISY: Ich klopfte einfach weiter, weil ich wusste, dass er da drin war.
BILLY: Schließlich bin ich aufgestanden, hatte nur eine Unterhose an, und fragte: »Was willst du?« Dann schaute ich auf, und es war Daisy.
DAISY: Ich musste einfach sagen, was ich zu sagen hatte. Ich musste es sagen. Das war eine Frage von jetzt oder nie, und nie durfte es nicht sein. So hätte ich nicht leben können.
BILLY: Ich war ehrlich geschockt. Ich konnte es kaum glauben.
DAISY: Ich sagte: »Ich will clean werden.«
Billy zog mich sofort in sein Zimmer, setzte mich hin und fragte: »Bist du sicher?«
Ich sagte: »Ja.«
»Dann fahren wir dich sofort in eine Entzugsklinik«, schlug er vor, nahm den Telefonhörer und fing an zu wählen. Ich stand auf, nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte auf. »Nur …
jetzt bleib erst mal einfach mit mir sitzen. Und hilf mir … hilf mir zu verstehen, was ich mache.«
BILLY: Ich wusste nicht, wie ich einer anderen Person helfen konnte, aber ich wollte es. Ich wollte jemandem helfen, so wie Teddy mir geholfen hatte. Ich war ihm so viel schuldig, hatte ihm so viel zu verdanken, weil er mich in die Klinik gebracht hatte, und das wollte ich jetzt auch für jemanden tun. Ich wollte es für sie tun. Ich wollte, dass sie in Sicherheit war, gesund. Das wollte ich … Ja, das wollte ich unbedingt.
DAISY: Billy und ich sprachen über den Entzug und was das bedeutet, er erzählte mir ein bisschen, wie sich das anfühlen würde. Und das wirkte sehr abschreckend. Allmählich fragte ich mich, ob ich es wirklich ernst damit meinte. Ob ich wirklich bereit war, das durchzuziehen. Aber ich wollte weiter an mich glauben, daran, dass ich es schaffen würde. Irgendwann fragte Billy mich, ob ich nüchtern sei. Ob ich in dem Moment nüchtern war?
Auf der Party hatte ich ein oder zwei Gläser getrunken, den ganzen Tag über Dexies genommen. Ich hätte dir nicht sagen können, was genau nüchtern überhaupt bedeutet. Hatten die wirklich schon nachgelassen? Konnte ich mich überhaupt noch daran erinnern, wie es war, vollkommen nüchtern zu sein?
Billy öffnete die Minibar, nahm sich ein alkoholfreies Getränk. Da standen diese ganzen Miniflaschen mit Tequila und Wodka, ich hab sie gesehen. Und Billy hat sie gesehen. Dann hat er sie einfach genommen und zum Fenster rausgeworfen. Man konnte hören, wie ein paar davon auf dem Dach unten zu Bruch gingen. Ich sagte: »Was machst du da?«
Billy sagte nur: »Das ist Rock ’n’ Roll.«
BILLY: Irgendwann sprachen wir auch über das Album.
DAISY: Ich fragte ihn etwas, das mir während der vergangenen Monate keine Ruhe gelassen hatte: »Hast du Angst, dass wir nie wieder ein so gutes Album wie dieses hier schreiben werden?
«
BILLY: »Die Angst habe ich jeden verfluchten Tag«, antwortete ich.
DAISY: Mein ganzes Leben lang habe ich mir gewünscht, jemand würde mein Talent als Songwriterin erkennen, und die Anerkennung, die ich jetzt bekomme, habe ich Aurora zu verdanken. Sofort kam ich mir wie eine Betrügerin vor.
BILLY: Je höher das Album in den Charts stieg, umso nervöser wurde ich bei dem Gedanken an das nächste. Im Bus kritzelte ich Texte in mein Notizbuch, strich alles wieder durch und warf es weg, weil es nicht … Ich konnte nicht mehr feststellen, ob es gut war. Ich wusste nicht, ob ich mich nicht einfach nur selbst als Betrüger entlarvte.
DAISY: Er war der Einzige, der verstand, was dieser ungeheure Druck mit einem machte.
BILLY: Als es Morgen wurde, sprach ich sie wieder auf den Entzug an.
DAISY: Mir ging der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf: Probier’s einfach mal aus, mach mal Pause. Du musst ja nicht für immer aufhören. Das war mein Plan. Ich wollte in die Entzugsklinik, ohne endgültig aufzuhören. Mir leuchtete das vollkommen ein. Wenn mich ein Freund so angelogen hätte wie ich mich selbst, hätte ich gesagt: »Du bist ein Scheißfreund.«
BILLY: Ich nahm den Hörer, wollte die Auskunft anrufen und nach der Nummer der Entzugsklinik fragen, in der ich gewesen war. Aber als ich den Hörer abnahm, gab es kein Freizeichen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich jemand, das war der Portier. Er sagte: »Ich habe einen Artie Snyder für Sie am Apparat.«
Ich bat ihn durchzustellen, dachte aber: Wieso ruft mich mein Soundtechniker in aller Herrgottsfrühe an? Ich sagte: »Artie,
was zum Teufel …?«
DAISY: Teddy hatte einen Herzinfarkt gehabt.
WARREN: Viele Leute überleben einen Herzinfarkt. Als ich es erfahren hab, dachte ich … Ich hab nicht gleich kapiert, dass das hieß … dass er tot war.
BILLY: Teddy war tot.
GRAHAM: Teddy Price ist nicht der Typ, von dem man denkt, dass er an einem Herzinfarkt stirbt. Na ja, ich meine, er hat sich scheiße ernährt und zu viel getrunken und nicht besonders auf sich geachtet … Aber er schien einfach zu … mächtig, vielleicht. Man dachte, wenn auf den ein Herzinfarkt zukommt, würde er ihm sagen, dass er sich gefälligst verpissen soll, was er dann auch macht.
BILLY: Mir blieb die Luft weg. Mein erster Gedanke, als ich aufgelegt habe, mein erster Gedanke war: Wieso hab ich bloß den ganzen Alk aus dem Fenster geworfen?
ROD: Zur Beerdigung hab ich sie alle nach Hause geholt, nach L. A.
WARREN: Wir waren alle am Boden zerstört wegen Teddy. Aber Mann, Yasmine zu sehen, seine Freundin, wie sie an seinem Grab in Tränen ausbricht … Ich hab einfach nur gedacht, dass im Leben so wenig wirklich wichtig ist. Aber Yasmines Gefühle für Teddy … Das war wirklich wichtig.
GRAHAM: Teddy hat vielen Menschen sehr viel bedeutet. Ich werde nie vergessen, wie Billy bei der Trauerfeier Yasmines Hand hielt, ihr helfen wollte, weil ich nämlich wusste, dass es ihm selbst auch überhaupt nicht gut ging.
Jeder braucht jemanden, zu dem er aufschauen kann. Ich hatte Billy, im Guten wie im Schlechten. Billy hatte Teddy. Und Teddy war tot
.
BILLY: Für mich war alles außer Kontrolle geraten. Ich wurde kaum noch schlau aus irgendwas, konnte es gar nicht mehr verarbeiten. Dass es Teddy nicht mehr gab. Dass Teddy … tot war. Ich glaube, innerlich bin ich zumindest vorübergehend auch ein bisschen gestorben. Ich weiß, das klingt überzogen. Aber so hab ich mich gefühlt. Ich hatte das Gefühl, mein Herz sei versteinert. Oder … weißt du, dass Leute sich einfrieren lassen, praktisch auf Eis legen, in der Hoffnung, eines Tages wiederaufzuerstehen? So war das mit meiner Seele. Sie lag auf Eis.
Ich kam mit der Realität nicht zurecht. Nicht nüchtern. Nicht ohne einen Drink oder ein … Ich hab einfach ausgecheckt. Aus meinem Leben ausgecheckt. Ich konnte nicht anders damit umgehen, als innerlich abzusterben. Denn wenn ich versucht hätte, am Leben zu bleiben, in dieser Zeit zu leben, hätte mich das vielleicht umbringen können.
DAISY: Als Teddy gestorben ist, war’s das für mich gewesen. Ich fand, es hatte keinen Sinn, auszunüchtern. Ich hab das rationalisiert. Weißt du, wenn das Universum gewollt hätte, dass ich clean werde, wieso hat es dann Teddy umgebracht. Man kann alles rechtfertigen. Wenn man nur narzisstisch genug ist zu glauben, dass sich das Universum gegen einen verschwört – und narzisstisch genug sind wir in unserem tiefsten Inneren doch alle –, dann kann man sich selbst einreden, dass alles Mögliche ein Zeichen ist.
WARREN: Ich verbrachte ungefähr drei Wochen auf meinem Boot, rauchte Zigarren, betrank mich, wechselte kaum die Klamotten. Lisa und ich hatten ein bisschen gesprochen seit dem Auftritt bei Saturday Night Live. Sie kam mich besuchen und fragte: »Du wohnst auf einem Boot?«
Als ich das bejahte, sagte sie: »Du bist doch erwachsen. Kauf dir ein richtiges Haus.« Sie hatte nicht ganz unrecht.
EDDIE: Ich dachte, das Beste für uns alle wäre, wenn wir wieder auf Tour gehen würden. Wir hatten zehn oder elf
Jahre zuvor einen meiner Cousins bei einem Autounfall verloren, und mein Dad hatte gesagt: »Arbeit hilft gegen den Schmerz.« Seitdem war das meine Methode. Ich dachte, Pete würde dadurch vielleicht in der Band bleiben, aber tatsächlich führte es letztlich dazu, dass er noch früher ausgestiegen ist.
BILLY: Camila bat mich einmal, das Klo sauber zu machen, und ich schrubbte die Schüssel, hörte gar nicht mehr auf.
Als sie reinkam, fragte sie: »Was machst du denn da?«
Worauf ich antwortete: »Na, ich mache das Klo sauber.«
Sie meinte: »Du schrubbst seit fünfundvierzig Minuten da am Klo rum.«
CAMILA: Ich hab zu ihm gesagt: »Du musst wieder touren, Billy. Wir kommen alle mit. Aber du musst wieder los. Zu Hause sitzen und grübeln bringt dich um.«
ROD: Irgendwann muss man einfach wieder los.
GRAHAM: Nach so einer Tragödie denkt man, die Welt geht unter. Aber sie geht nicht unter, niemals. Nichts kann sie dazu bringen unterzugehen, sie dreht sich immer weiter.
Ich habe mich darauf konzentriert, dass bei Karen und mir das Leben gerade erst begann.
KAREN: Ich war Rod wirklich dankbar, dass er uns wieder auf Tour geschickt hat. Unseren Kahn nicht hat kentern lassen.
BILLY: Ich hab getan, was Camila gesagt hat, und bin wieder losgezogen. Das erste Konzert war in Indianapolis. Wir sind mit der Band hingeflogen. Camila und die Mädchen sollten beim nächsten Halt dazustoßen.
Indianapolis war … das war hart. Ich kam im Hotel an, checkte ein, sah Graham und Karen, beim Soundcheck später war Daisy dann auch da. Sie trug einen Overall und wirkte ganz schön erschöpft. Das konnte man sehen, sie hatte Ringe
unter den Augen und ganz dürre Ärmchen. Es fiel mir schwer, sie anzusehen.
Ich hatte an ihr versagt. Sie hatte mich um Hilfe gebeten, nüchtern zu werden. Und als Teddy gestorben war, hatte ich sie im Stich gelassen.
DAISY: Am ersten Abend der fortgesetzten Tour waren wir, ich glaube, in Ohio. Mir war’s so peinlich, mich von Billy auch nur angucken zu lassen. Ich war zu ihm gekommen und hatte gesagt, dass ich nüchtern werden wollte, aber dann hatte ich einfach weitergemacht, war noch tiefer gesunken als vorher.
KAREN: Ich sagte Graham, dass ich mich für eine Abtreibung entschieden hatte, und er meinte, ich sei ja verrückt. Ich erwiderte, das sei ich nicht. Dann bat er mich, es nicht zu tun.
Ich fragte ihn: »Willst du aus der Band aussteigen und ein Baby großziehen?« Er hat nicht geantwortet. Und das war’s.
GRAHAM: Ich dachte, wir würden noch mal drüber reden.
KAREN: Er hat es gewusst. Er wusste, was ich vorhatte. Er hat nur lieber so getan, als wüsste er’s nicht, den Luxus hat er sich gegönnt.
BILLY: Camila und die Mädchen stießen in Dayton zu uns. Ich hab sie vom Flughafen abgeholt, und während ich auf sie gewartet habe, sah ich einen Typen an der Bar, der einen Tequila on the rocks bestellte. Ich hörte das Eis im Glas. Ich konnte den Tequila im Glas sehen. Dann wurde durchgegeben, dass das Flugzeug auf der Landebahn feststeckte, und ich saß da, starrte aufs Gate.
Ich redete mir ein, dass ich keinen Drink bestellen würde, ging aber an die Bar und setzte mich auf einen Hocker. Der Mann hinter dem Tresen fragte: »Was darf ich Ihnen bringen?« Und ich starrte ihn an. Er fragte noch mal.
Dann hörte ich: »Daddy!« Und ich drehte mich um, und da war
meine Familie.
Camila fragte: »Was ist los?«
Ich stand auf, lächelte sie an und hatte in dem Augenblick auch schon wieder alles im Griff. Ich sagte: »Nichts. Mir geht’s gut.«
Sie warf mir einen Blick zu, und ich sagte: »Ich schwöre.« Danach hab ich meine Mädchen ganz fest in den Arm genommen, und mir ging’s gut. Alles war okay.
CAMILA: Ehrlich gesagt hab ich an meinem Glauben gezweifelt. Als ich ihn da an der Bar sitzen sah, sprangen alle meine Alarmsirenen an.
Ich überlegte, ob Billy etwas tun konnte, das ich ihm nicht verzeihen würde.
KAREN: Von da an blieb Camila für den Rest der Tour dabei. Sie flog immer hin und her, manchmal nahm sie alle drei Mädchen mit, manchmal nur Julia, das aber praktisch so gut wie immer. Zu der Zeit war Julia fünf, würde ich sagen.
DAISY: Jeder Abend wurde für mich zur Qual. Mit Billy zu singen, als ich mit jemand anders zusammen und mir über meine Gefühle noch nicht im Klaren war – als ich mich noch hinter Lügen verstecken konnte –, das war das eine. Das Nicht-wahrhaben-Wollen ist wie eine alte Decke, und ich legte mich drunter, kauerte mich zusammen und schlief. Die Trennung von Nicky aber und dass ich den Song mit Billy live im Fernsehen gesungen hatte, dass ich ihm gesagt hatte, ich wolle nüchtern werden … damit hatte ich die Decke fortgestrampelt und konnte sie mir nicht wieder über den Kopf ziehen. Das machte mich wahnsinnig. Meine Verletzbarkeit, meine Schutzlosigkeit. Es hat mich fertiggemacht, auf die Bühne zu gehen und mit ihm zu singen.
Als wir »Young Stars« sangen, betete ich, dass Billy mich ansieht und zugibt, was wir einander da sagten. Und als wir »Please« sangen, flehte ich ihn praktisch an, mich zu beachten. Es fiel mir so schwer, »Regret Me« mit echter Wut zu singen,
weil ich nicht wütend war, jedenfalls meistens nicht. Nicht mehr. Ich war traurig. Ich war so verdammt traurig.
Alle wollten, dass wir »A Hope Like You« genauso singen wie bei Saturday Night Live, und beide haben wir versucht, den Erwartungen gerecht zu werden. Aber es hat mich einfach jede Nacht zerrissen.
Neben ihm zu sitzen und sein Aftershave zu riechen, seine großen Hände mit den geschwollenen Knöcheln auf den Tasten direkt vor mir zu sehen und zu singen, aus tiefstem Herzen, dass ich mich danach sehnte, von ihm geliebt zu werden.
Viele Stunden am Tag, in denen wir nicht auf der Bühne standen, verbrachte ich mit dem Versuch, meine Wunden zu heilen, aber jeden Abend rissen sie erneut auf.
SIMONE: Ich bekam zu allen Tages- und Nachtzeiten Anrufe von Daisy. Ich sagte: »Ich komme und hole dich.« Aber sie wollte nicht, ich überlegte, ob ich sie in den Entzug zwingen sollte, aber das kann man nicht. Man kann niemanden kontrollieren. Ganz egal, wie sehr man denjenigen liebt. Man kann jemanden nicht gesundlieben und niemanden gesundhassen, egal, wie recht man mit etwas hat, das bedeutete noch lange nicht, dass der andere es sich anders überlegen würde.
Früher probte ich immer Vorträge und große Reden und überlegte, ob ich dorthin fliegen sollte, wo sie war, sie von der Bühne zerren – als könnte ich, sofern ich nur die richtigen Worte fand, sie zum Ausnüchtern überreden. Man macht sich selbst verrückt, versucht, die Worte in eine magische Reihenfolge zu bringen, damit sie ihren Vernunftgehalt entfalten. Und wenn das nicht funktioniert, dann denkt man: Ich hab’s nicht lange genug versucht. Ich habe nicht deutlich genug gesprochen.
Irgendwann muss man sich eingestehen, dass man keine Kontrolle über andere hat. Man muss sich zurücknehmen und bereit sein, denjenigen aufzufangen, wenn er fällt, aber mehr kann man nicht machen. Es fühlt sich an, als würde man ins Meer springen. Oder vielleicht nicht mal das. Vielleicht eher, als würde man einen geliebten Menschen ins offene
Meer stoßen und dann beten, dass er von alleine schwimmt, wissend, dass er untergehen könnte und man tatenlos dabei zusehen muss.
DAISY: Ich hatte dieses Leben von ganzem Herzen gewollt. Ich hatte mich so unbedingt ausdrücken, gehört werden und Menschen mit meinen eigenen Worten Trost spenden wollen. Aber jetzt wurde das zu einer selbst geschaffenen Hölle für mich, zu einem selbst gebauten Käfig, in den ich mich eingeschlossen hatte. Ich fing an, mich dafür zu hassen, dass ich mein Herz und meinen Schmerz in meine Musik gelegt hatte, weil das bedeutete, dass ich sie niemals hinter mir lassen konnte. Und ich musste ihn Abend für Abend ansehen und singen, ich konnte nicht mehr länger verbergen, was ich empfand oder was seine Nähe mit mir machte.
Die Konzerte waren toll. Aber es war mein Leben.
BILLY: Jeden Abend, wenn das Konzert zu Ende war und die Mädchen im Bett, saßen Camila und ich draußen auf dem Balkon des Hotels, in dem wir abgestiegen waren, und redeten. Sie erzählte, wie die Mädchen sie stressten, und sprach davon, dass ich ihr zuliebe wirklich nüchtern bleiben musste. Ich erklärte ihr, wie sehr ich mich bemühte. Ich erzählte, was für eine Angst ich vor so ziemlich allem hatte, was die Zukunft bereithielt. Runner hatte sich gerade wieder nach einem neuen Album erkundigt. Das lag wie eine Last auf mir.
Und irgendwann fragte sie: »Glaubst du wirklich, dass du ohne Teddy kein gutes Album mehr schreiben kannst?«
Und ich sagte: »Ich hab ohne Teddy einfach noch nie eins gemacht. Fertig.«
WARREN: Wir saßen im Bus auf dem Weg nach Chicago, und Eddie schien wegen irgendwas genervt. Ich sagte: »Wenn du willst, können wir drüber reden.« Ich kann’s nicht leiden, wenn Leute einen zwingen, nachzufragen, was los ist.
Er meinte: »Ich hab’s niemandem gesagt, aber …« Pete wollte die Band verlassen
.
EDDIE: Pete war für vernünftige Argumente nicht mehr empfänglich. Warren sagte, ich solle mit Billy reden, damit er Pete zur Vernunft bringt. Als ob Pete auf Billy hören würde, wenn er schon nicht auf mich hört. Ich bin sein Bruder.
WARREN: Graham hörte unser Gespräch mit.
EDDIE: Also schaltete sich Graham ein, der in letzter Zeit sowieso schon allen auf die Nerven gegangen war, weil er wegen Gott weiß was ständig angespannt war. Auf jeden Fall sagte er auch, wir sollten mit Billy reden. Und ich wendete erneut ein, dass Pete nicht auf Billy hören würde, wenn er schon nicht auf mich hört, wenn du verstehst, was ich meine. Aber Graham hörte mir nicht zu, stattdessen kam Billy zu mir, als wir außerhalb von Chicago an so einem Diner anhielten, und fragte: »Was ist denn los? Worüber müssen wir reden?«
Ich war gerade auf dem Weg zum Klo, hatte meinen eigenen Mist im Kopf. Ich sagte: »Gar nichts, Mann. Mach dir keine Sorgen.«
Billy meinte: »Ist aber meine Band. Ich hab’s verdient zu erfahren, was in meiner Band vor sich geht.«
Das hat mich echt angepisst. »Das ist unsere Band, die Band von uns allen.«
Billy ruderte zurück: »Du weißt schon, wie ich das meine.«
Und ich erwiderte: »Allerdings, wir wissen alle, was du meinst.«
KAREN: Wir waren kurz vor Chicago, übernachteten in einem Hotel. Camila hatte in einer Klinik angerufen. Sie brachte mich hin, setzte sich zu mir. Ich wippte nervös mit dem Knie, sie legte ihre Hand auf mein Bein, und ich hörte auf zu wippen. Ich fragte: »Mache ich hier gerade einen Fehler?«
»Denkst du das denn?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich denke, du weißt es.«
Ich dachte darüber nach, über
das, was sie meinte.
Dann sagte ich: »Ich weiß, dass es kein Fehler ist.«
»Na bitte.«
Und ich sagte: »Ich glaube, ich tue nur so, als wäre ich hin- und hergerissen, damit es allen anderen besser damit geht.«
Worauf sie erwiderte: »Wegen mir musst du das nicht. Wegen mir musst du nicht so tun.« Also hörte ich damit auf.
Als ich aufgerufen wurde, drückte sie meine Hand und ließ nicht mehr los. Ich hatte sie nicht gebeten, mit mir reinzugehen, und ich glaube nicht, dass sie das überhaupt vorhatte, aber sie ging einfach mit – wich nicht von meiner Seite. Ich weiß noch, wie ich dachte: Oh, ich glaube, sie bleibt bei mir. Dann habe ich mich auf den Tisch gelegt. Der Arzt hat erklärt, was passieren würde, dann ging er kurz raus. In der Ecke saß eine Krankenschwester. Und ich schaute Camila an, sie sah aus, als würde sie gleich weinen. Ich fragte: »Bist du traurig?«
Sie sagte: »Einerseits wünschte ich, du würdest Kinder wollen, weil mich meine so glücklich machen, andererseits … Ich denke, um glücklich zu sein, so wie ich es bin, brauchst du ganz andere Dinge. Und ich will, dass du bekommst, was auch immer das ist.« Da fing ich an zu weinen. Weil mich jemand verstand.
Danach brachte sie mich zurück ins Hotel und sagte den anderen, dass es mir nicht so gut ging und ich mich hingelegt hatte. Und … das war ein schlimmer Tag. Ein schrecklicher Tag. Nur weil man weiß, dass man das Richtige tut, heißt das nicht, dass man froh darüber ist. Aber als ich den Zimmerservice bestellte und da in meinem Hotelzimmer lag, wusste ich, dass ich kein Kind mehr hatte und Camila mit ihren Kindern da draußen war. Und das … das kam mir richtig vor. Wie ein kleines bisschen Ordnung inmitten des Chaos.
CAMILA: Es steht mir gar nicht zu, zu erzählen, was an dem Tag passiert ist. Und ich werde auch nicht mehr sagen, als dass man seine Freunde in schweren Zeiten unterstützt. Dass man ihnen die Hand hält, wenn es ernst wird. Im Leben geht es immer darum, wer einem die Hand hält, und darum, wessen Hand man halten
will.
GRAHAM: Ich wusste nicht, was passiert war.
KAREN: Als wir alle das Hotel verließen und nach Chicago fuhren, sah ich Graham, wie er alleine in den Fahrstuhl stieg, und überlegte kurz, ob ich lieber die Treppe nehmen sollte. Tat ich aber nicht. Ich sprang schnell zu ihm in den Fahrstuhl. Und da waren wir dann, nur wir beide. Als sich der Fahrstuhl nach unten in Bewegung setzte, fragte er: »Alles klar? Camila hat gesagt, dir ging’s nicht gut.«
Und ich antwortete: »Ich bin nicht mehr schwanger.«
Er drehte sich mit einem Gesichtsausdruck zu mir um, als wollte er sagen: Ich hätte nie gedacht, dass du mir das antust. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und wir blieben einfach stehen. Sagten kein Wort. Dann gingen sie wieder zu. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl bis ganz nach oben und dann wieder ganz runter. Kurz bevor wir wieder in der Lobby ankamen, drückte Graham auf den Knopf für den zweiten Stock. Und stieg aus.
GRAHAM: Ich ging im Hotelflur auf und ab, immer wieder. Am Ende des Gangs war ein Fenster, und ich presste meine Stirn daran, sah hinaus. Ich schaute auf die Menschen unten, befand mich nur wenige Stockwerke über ihnen. Ich sah, wie sie von einem Ort zum anderen gingen, und beneidete jeden Einzelnen von ihnen darum, dass sie nicht ich waren. Ich hätte mit jedem Einzelnen da unten tauschen wollen.
Als ich die Stirn wieder von der Scheibe nahm, war da ein riesiger fettiger Schmierfleck. Ich versuchte ihn wegzuwischen, aber davon wurde die Scheibe nur trüb. Ich weiß noch, wie ich durch das trübe Fenster schaute, sie sauber wischen wollte, aber nichts half. Ich wischte einfach weiter und weiter. Bis Rod mich fand.
Er sagte: »Graham, was machst du da? Wir müssen heute Nachmittag in Chicago sein. Der Bus fährt ohne dich ab, Mann.«
Und irgendwie hab ich einen Fuß vor den anderen gesetzt und bin mit ihm runter zum Bus.