15. Kapitel
Sorgfältig bürstete Finja Laikas Fell, das seidig glänzte.
Trotz Ditte Wilhelms Zusage, sich in der Gemeinde nach zum Verkauf stehenden Häusern umzuhören, kämpfte sie schon den ganzen Tag mit anhaltender Nervosität. Gleich nach dem Aufstehen hatte sie abermals die aktuellen Immobilieninserate durchgearbeitet, doch keine neuen Objekte gefunden. Ein Telefonat mit Herrn Vosse hatte auch keine neuen Erkenntnisse gebracht.
»Die Weihnachtszeit ist jedes Mal meine persönliche Saure-Gurken-Zeit. Da scheint der hiesige Immobilienmarkt wie eingefroren zu sein. Erst ab Anfang eines neuen Jahres setzt dann langsam das Tauwetter ein«, hatte Herr Vosse gesagt. Doch bis zum Januar konnte sie unmöglich warten. Das Wochenende und damit Testeges Besuch in St. Peter-Ording rückten unaufhaltsam näher.
»Sollte ihr Kunde Interesse an dem Reetdachanwesen haben, stehe ich natürlich für eine Besichtigung sehr gerne zur Verfügung«, hatte der Makler ihr nochmals angeboten.
Immerhin war das ein kleiner Lichtblick. Notfalls könnte sie sagen, dass es für das Barnsteenhus keinen kurzfristigen Besichtigungstermin gab, und hoffen, dass bei einer Begutachtung mit Herrn Vosse der Funke auf Testege überspringen würde. Vielleicht machte sie sich einfach viel zu viele Sorgen, und am Ende gefiel dem Schauspieler das große Anwesen eh besser als das urige im Vergleich beschauliche Barnsteenhus.
Finja legte die Bürste in einen Putzkasten und zuckte unwillkürlich zusammen. Erst jetzt bemerkte sie die Gestalt, die sich ein paar Meter von ihr entfernt auf der Stallgasse aufhielt. »Meine Güte! Hast du mich erschreckt!« Sie fasste sich ans Herz. »Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du gekommen bist.«
»Das ist mir nicht entgangen.« Jesper lächelte. Er trug Reitsachen, in einer Hand hielt er ein kleines Netz mit Möhren. »Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Du warst so beschäftigt.«
Finja winkte ab. »Halb so wild. Schwamm drüber.«
»Gehst du gleich in die Halle?«
»Habe ich vor.« Sie schaute ihn prüfend an. »Ich wundere mich, dass du so früh hier bist. Ist deine Praxis etwa heute geschlossen?«
»Nein, die Praxis ist natürlich geöffnet. Ich habe mir ab Mittag freigenommen und werde durch eine Kollegin vertreten. Das ist der Vorteil einer Gemeinschaftspraxis. Da springt der eine für den anderen ein, wenn es nötig ist.«
Finja freute sich mehr, ihn zu sehen, als sie sich eingestehen mochte. »Hm.« Sie zeigte an ihm hinunter. »Reiten gehen ist also ein Notfall, ja?«
»Wie bitte?« Jesper lachte. »Ach so, du denkst, weil ich Reitkleidung anhabe … nein, nein, ich war tatsächlich für einen kleinen Patienten unterwegs, der hoffentlich mal ein ganz großer Reiter werden wird.«
»Immer für deine Patienten im Einsatz. Du scheinst ein vorbildlicher Zahnarzt zu sein.« Sie nahm einen Kamm und entwirrte Laikas Mähne, wobei sie ihn aus dem Augenwinkel beobachtete.
»Zumindest bemühe ich mich.« Er senkte den Blick auf die Spitzen seiner sauberen Lederreitstiefel. »Hast du vielleicht Lust, mit mir auszureiten?«
Sie hielt inne, und ihr Herz machte einen Satz. »Jetzt gleich?«
»Warum nicht?«
»Darauf war ich nicht vorbereitet.« Sie bearbeitete Laikas Mähne weiter.
»Manchmal ist spontan am besten.« Jesper zuckte die Achseln. »Das Wetter ist perfekt für einen Ausritt, wer weiß, wie es morgen sein wird oder die kommenden Tage. Ich habe Zeit, du hast Zeit. Außerdem waren wir doch eh verabredet. Ideale Voraussetzungen.«
»Ja, schon.« Finja spürte eine Art Lampenfieber in sich aufkommen. Sie wollte ja gerne, aber was Verabredungen anbelangte, war sie völlig aus der Übung. Das Heilpraktikerstudium, die Praxiseröffnung und die Arbeit an sich hatten nicht viel Raum gelassen, um einen Mann kennenzulernen – jedenfalls keinen interessanten. »Ich hätte gerne noch ein paar Trainingseinheiten in der Halle absolviert, bevor es raus ins Freie geht.«
Der Einwand schien ihr durchaus berechtigt zu sein. Immerhin hatte sie ihre Reitkarriere erst kürzlich wieder reaktiviert. Da durfte sie mit Mitte dreißig ruhig etwas nervös bei dem Gedanken werden, sich mit einem Pferd in der freien Wildbahn zu bewegen.
»Ach, das ist doch gar nicht nötig. Schließlich habe ich gesehen, wie du reitest. Du sitzt wie eine Eins im Sattel, als hättest du überhaupt keine Pause gemacht. Den Ausritt schaffst du locker«, sprach er ihr mit seiner unnachahmlichen, beruhigenden Stimme Mut zu.
»Meinst du wirklich?« Finja hatte trotzdem Zweifel, ob sie sich draußen im Sattel halten können und Laika nicht mit ihr durchgehen würde. In der Halle fühlte sie sich eindeutig sicherer. Sie legte den Kamm zurück in die Putzbox.
»Natürlich. Auf der gutmütigen Laika brauchst du dir keinerlei Sorgen zu machen«, sagte Jesper, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Dein Problem existiert bloß hier.« Er tippte mit dem Zeigefinger an seine Stirn.
»Wahrscheinlich hast du recht.«
»Bestimmt sogar. Als Zahnarzt habe ich es täglich mit Patienten zu tun, die schon extreme Schmerzen verspüren, bevor die Behandlung überhaupt angefangen hat.«
Finja musste lachen. »Das Thema kommt mir nicht ganz unbekannt vor.«
»Siehst du!« Er kam auf sie zu und kraulte Laika am Widerrist. »Also, was ist? Reiten wir aus?«
Ihn so nah bei sich zu haben, machte sie noch zusätzlich nervös. Finja verzog das Gesicht. Ein Ausritt mit Jesper war sehr verlockend. Obendrein eine gute Gelegenheit, um ihre beruflichen Sorgen für eine Weile zu vergessen, und natürlich, um ihn besser kennenzulernen. Ihre innere Stimme sagte ihr, sie sollte auf ihr Bauchgefühl vertrauen. Finja nahm allen Mut zusammen. »Also, gut. Lass uns ausreiten«, sagte sie schließlich.
»Das ist die richtige Entscheidung.« Jesper freute sich offensichtlich und wandte sich zum Gehen.
»Moment! Wohin willst du?«
Er drehte sich zu ihr um. »Reitplaketten holen. Ohne die dürfen wir nicht an den Strand.«
Bei schönstem Wintersonnenwetter ritten sie gemütlich im Schritttempo durch die Salzwiesen. Weit und breit war sonst niemand zu sehen. Das langsame Tempo war Finjas einzige Bedingung gewesen.
Vereinzelt lag noch Schnee auf den Gräsern. Jesper ritt vor ihr auf dem schmalen ausgewiesenen Reitweg, der zum Strand führte.
»Wenn irgendwas ist, sag sofort Bescheid!«, rief er ihr über die Schulter zu.
»Mach ich! Bis jetzt ist alles bestens.« Sie lächelte ihn an und freute sich, dass er hartnäckig geblieben war und sie letztendlich überzeugt hatte.
Sie kamen an Stellen vorbei, an denen die Salzwiesen von Prielen zerklüftet waren, und an Schutzzonen, wo sich plötzlich Vogelschwärme in die Lüfte erhoben. Finja betrachtete fasziniert die Landschaft, genoss die Weite und vergaß dabei ihre anfängliche Ängstlichkeit.
Sie konnte sich nicht entscheiden, wohin sie als Erstes schauen sollte. Auf das glitzernde Meer, auf das sie zuritten, oder sollte sie besser das lebhafte Treiben in den Salzwiesen im Auge behalten? Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute hoch zum Himmel, der wolkenlos und eisblau war. Im Sonnenlicht glänzte Laikas Fell noch viel mehr. Die Friesenstute schien große Freude an dem Ausritt zu haben. Ihre Ohren standen aufrecht und drehten sich immer wieder in die Richtung, aus der interessante Geräusche erklangen.
Als sie den Strand erreichten, kam Jesper neben sie und ritt an ihrer Seite. Sie kamen an Pfahlbauten vorbei, und Finja erkannte auf dem Deich den Böhler Leuchtturm. Selbst aus der großen Entfernung strahlte der kleine Ziegelturm eine gewisse Gemütlichkeit aus.
»Wie lange bleibst du eigentlich in St. Peter-Ording?«, fragte Jesper irgendwann.
Gute Frage, dachte Finja. »Das weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau. Ich bin sozusagen nebenberuflich nach St. Peter-Ording gekommen.«
»Nebenberuflich? Aha. Was machst du denn sonst noch außer Handauflegen«, neckte er sie und grinste dabei breit.
Finja verdrehte als Antwort die Augen. Flirtete er mit ihr? »Ich bin wegen einer Immobilienvermittlung hier. Bevor ich mich als Heilpraktikerin selbstständig gemacht habe, war ich hauptberuflich Maklerin. Nun mache ich es noch ab und an nebenbei. Meine Chefin hat mir den Auftrag gegeben, nach einer Immobilie für einen Kunden zu suchen.«
»Oh, das klingt spannend. Hast du schon ein passendes Haus gefunden?«
»Noch nicht«, antwortete Finja vage. Sie wollte Jesper nicht vom Barnsteenhus erzählen, für dessen Akquisition sie kaum eine Chance sah. Immerhin war ihr Wunsch, dass das Haus weiterhin seiner Bestimmung diente und Testege sich für das große Anwesen entschied. Doch diese Details behielt sie für sich. Das war kein Gesprächsthema für die erste richtige Verabredung, falls man diesen Ausritt so nennen konnte. »Und was ist mit dir? Seit wann hast du schon deine Zahnarztpraxis?«, fragte sie stattdessen, um vom Thema abzulenken.
»Nächstes Jahr werden es sieben Jahre.«
»Wow! Das ist eine lange Zeit. Wie bist du denn eigentlich darauf gekommen, die Praxis ausgerechnet in St. Peter-Ording zu eröffnen?«
»Das war für mich als St. Peteraner das Naheliegendste. Hier kenne ich alle. Wieso sollte ich da in die Ferne schweifen?«
»Klingt so, als wenn du nicht woanders leben wolltest.«
»So ist es. In St. Peter-Ording habe ich alles, was ich mir wünschen kann. Das Meer, den Strand und herrliche Bedingungen für Pferde. Mein Traumberuf war nämlich ursprünglich mal Profireiter«, verriet er.
Finja lachte auf. »Das kenne ich doch irgendwoher! Ich wollte auch mal eine berühmte Turnierreiterin werden oder zumindest auf einem preisgekrönten Gestüt eine tolle Reitlehrerin sein.«
»Was ist dazwischengekommen?«
Finja zuckte die Achseln. »Ich glaube, man nennt es das Leben. Und bei dir?«
»Dasselbe.« Jesper nickte. »Nach dem Abitur habe ich mich für Zahnmedizin entschieden, aber die Reiterei wenigstens als Hobby behalten.«
»Hast du denn schon früh mit dem Pferdesport angefangen?«, wollte Finja wissen.
Jesper ließ den Zügel länger. »Ziemlich früh sogar. Ditte Wilhelm kenne ich schon, seit ich ein kleiner Junge war. Meine Mutter hat sie damals im Kirchenchor kennengelernt. Beide haben sich daraufhin angefreundet.«
»Dass Frau Wilhelm singt, hätte ich gar nicht gedacht. Ich nahm an, dass es in ihrem Leben nur Pferde gibt.«
»Sie singt sogar ziemlich gut. Ich kann mich noch gut an ihre Solos bei Weihnachtskonzerten erinnern. Meine Mutter hat sie für ihre Stimme immer bewundert.«
»Das würde ich bestimmt auch. Ich kann nämlich gar nicht singen.«
»Ich auch nicht. Deswegen bin ich beim Reiten geblieben.«
»Lass mich raten, an deiner Pferdeliebe ist Frau Wilhelm nicht unschuldig«, vermutete Finja.
»So könnte man es sagen. Ich glaube, ich saß schon bei meinem ersten Besuch auf dem Wilhelmshof auf einem Pony. Da müsste ich gerade drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Seitdem ist es um mich geschehen. Einmal Pferdenarr, immer Pferdenarr.« Wie zur Bestätigung klopfte er Golfs Hals.
Jesper strahlte beim Erzählen der alten Geschichten. Seine Augen leuchteten, und beim Lachen bildeten sich um seine Mundwinkel charmante Falten, die ihn noch attraktiver wirken ließen als ohnehin schon. Finja zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden, und seufzte leise.
Als sie mit den Pferden zurück auf den Hof kamen, fühlte sie sich wie berauscht. Das herrliche Sonnenwetter, die klare Luft, die herrlich salzig gerochen hatte, das Rauschen der Meeresbrandung, und dann war da noch Jesper, dessen Blicke ihr Herz öffneten und dessen Lachen sie verzauberte. Sollte es wirklich so einfach sein?
Sie war erleichtert, weil sie sich von ihm hatte überzeugen lassen. Besonders froh war sie auch darüber, dass er recht behalten hatte und sie nicht vom Pferd gefallen war. Zwar waren sie auf ihren Wunsch hin nur im Schritt geritten, doch aus Erfahrung wusste sie, das war kein Garant dafür, dass es nicht zu Zwischenfällen kommen konnte.
Ihr Herz war ganz leicht. Sie hatte tolle Gespräche mit ihm geführt, während sie die wunderschöne Küstenlandschaft genossen hatte. Sie kannte ihn nun etwas besser. Er hatte sich ihr gegenüber geöffnet, und sie hatte den Eindruck, dass er sie auch sympathisch fand. Gleichzeitig war ihr klar, dass aus ihnen nie etwas werden konnte, schließlich lebte er hier in diesem beschaulichen Ort und sie in Hamburg. Zwar war es keine Riesenentfernung, aber für eine gesunde Beziehung auf Dauer doch zu weit weg.
Finja bockte den Sattel auf und führte Laika in ihre Box. Dort nahm sie ihr die Trense ab. Zuvor hatte sie schon ihre Hufe ausgekratzt und ihr eine große Mohrrübe in den Trog gelegt. Darauf stürzte Laika sich nun. Finja schloss die Box und wusch das Gebissstück unter kaltem Wasser ab. Jesper war mit Golf schneller fertig gewesen als sie und zur Reithalle gegangen. Ihr war es recht, denn so hatte sie ein bisschen Zeit für sich, um den Ausritt noch einmal Revue passieren zu lassen.
Nachdem auch sie im Stall fertig war, ging sie ebenfalls zur Reithalle. Ditte Wilhelm und Jesper standen vor dem Gebäude, neben ihnen erkannte sie den kleinen Moritz mit seiner Mutter.
»Es könnte das richtige Pferd sein«, hörte sie Jesper sagen, als sie bei ihnen ankam.
»Guten Tag«, grüßte sie und beugte sich zu dem Jungen. »Hallo, Moritz, alles klar?«
Er hob seinen Zeigefinger. »Ich glaube, ich reite bald«, verkündete er strahlend und schob seine hellblaue Brille ein Stück weiter nach oben.
»Na, so was! Dann musst du mir aber rechtzeitig Bescheid geben, damit ich dabei sein kann«, sagte Finja. Sie schaute zu seiner Mutter. »Das sind ja großartige Neuigkeiten.«
Die Frau nickte. »Doktor Ketelsen hat heute womöglich das richtige Pferd gefunden. Nun müssen wir nur noch genügend Geld sammeln, um es zu kaufen.«
»Ach.« Finja schaute Jesper an und zog die Augenbrauen hoch. »Davon wusste ich ja gar nichts. Ich drücke jedenfalls ganz fest die Daumen, dass genügend Geld zusammenkommt.«
»Vielen Dank! Das wäre für Moritz ein Segen.«
»Für ihn und für weitere Kinder«, ergänzte Ditte. »Ich werde heute Abend um göttlichen Beistand beten, damit wir das Pferd auf den Wilhelmshof bringen können.«
»Diese Form von Beistand können wir gut brauchen. Vielen Dank, Frau Wilhelm.« Moritz’ Mutter blickte Ditte gerührt an.
»Ich habe im Kofferraum noch einen Sack Pellets«, sagte Jesper. »Kannst du mir dabei helfen, das Futter in eine Schubkarre zu packen?«, fragte er Finja.
»Na klar.«
»Dann bis später.« Jesper ging zu einer Schubkarre, die neben einem Stallgebäude stand.
Finja folgte ihm. Wieder hatte sie eine neue Seite von ihm kennengelernt. So wie es aussah, war er ein guter, hilfsbereiter Mensch. »Lass mich raten, Moritz ist dein kleiner Patient, für den du heute unterwegs warst.«
»Man kann dir einfach nichts vormachen.« Er zwinkerte ihr zu.
»Tja …«
»Ich bin zum Hof einer Bekannten gefahren, die sich auf Therapiepferde spezialisiert hat«, erzählte er. »Sie hat mir von einem älteren Norweger erzählt, der schon lange auf ihrem Hof steht und nun als Therapiepferd vermittelt werden kann. Ich habe ihn mir angesehen und wusste gleich, das ist das passende Pferd. Balthasar ist wirklich eine Seele von einem Tier.«
»Balthasar! Was für ein schöner Name. Wie teuer sind denn Therapiepferde in der Regel?« Finja ging neben ihm her.
»Das kann man pauschal nicht sagen. Manchmal findet man ein geeignetes Tier für fünftausend Euro, manchmal kostet es mehr. Meine Bekannte würde uns bestimmt einen guten Preis machen. Ich möchte ihr allerdings eine gewisse Summe anbieten, mit der sie gut leben kann. Freundschaften sollte man nie ausnutzen.«
Sie waren an Jespers Auto angekommen.
»Weißt du, weswegen Moritz eine Reittherapie machen soll?«
»Soweit ich informiert bin, hat er seit der Trennung seiner Eltern große Ängste. Sein Selbstbewusstsein soll gestärkt werden und damit auch seine Bindungsfähigkeit.«
»Oje, armer kleiner Mann. Da muss man wirklich alle Daumen drücken, dass Balthasar auf den Wilhelmshof kommen kann.«
Jesper öffnete den Kofferraum, und Finja half ihm, den Sack in die Schubkarre zu hieven. »Puh! Ganz schön schwer«, sagte sie, nachdem sie das Futter umgeladen hatten.
»Deswegen habe ich dich ja auch gefragt, ob du mir hilfst.« Jesper blickte über ihre Schulter. »Da kommt Hauke.«
»Habe ich da was von Pellets gehört?«, rief Hauke ihnen gut gelaunt zu.
»Ja! Ein ganz großer Sack«, rief Jesper zurück.
Hauke trat zu ihnen. »Den nehme ich sofort mit rein und fülle die Pellets in den Futtertrog.«
»Danke, Hauke.«
»Da nicht für, mien Jung.« Er griff nach der Schubkarre und schob zu den Stallungen ab.
»Toller Typ, unser Hauke.« Jesper blickte ihm nach. »Ihn kenne ich genauso lange wie Ditte.«
»Man merkt gleich, dass ihr sehr vertraut miteinander seid«, meinte Finja.
»Sag mal«, begann Jesper.
»Ja?«
»Ich fand den Ausritt mit dir ganz toll.«
Finja spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. Mit dieser Sympathiebekundung hatte sie jetzt nicht gerechnet. »Danke. Mir hat es mit dir auch gefallen. So schön gemütlich im Schritt.« Sie lächelte ihn an und freute sich über die Bestätigung ihrer Vermutung. Jesper schien sie zu mögen.
»Beim nächsten Mal legen wir dann einen Zacken zu«, meinte er. »Aber … meinst du, wir könnten uns auch mal außerhalb des Stalls treffen? Ich würde gerne unser Gespräch fortsetzen.«
»Hm. Ich könnte mal wieder in deiner Praxis vorbeikommen«, scherzte Finja. In Wirklichkeit klopfte ihr Herz vor Freude wie verrückt.
»Ha, ha!« Jesper blickte sie amüsiert an. »Das kannst du jederzeit machen. Dafür brauchst du dir noch nicht mal extra einen Zahn abzubrechen.«
»Na, dann … also, von mir aus gern«, stimmte sie zu.
»Einen Moment.« Jesper ging zur Beifahrerseite seines Wagens und öffnete das Handschuhfach. »Melde dich einfach, wenn du Zeit hast. Dann können wir was ausmachen.« Er gab ihr eine Visitenkarte mit seiner Handynummer.
»Werde ich tun«, versprach sie. Ihr Blick fiel auf die Rückbank seines Wagens. Dort stapelten sich mehrere Packungen Windeln. Na, so was! Er würde doch wohl nicht mit ihr flirten, wenn er vergeben und Vater eines kleinen Kindes wäre, oder?
»Ich muss nun auch leider aufbrechen.« Jesper drückte die Tür zu und ging zur Fahrerseite.
Finja folgte ihm und warf nochmals einen verstohlenen Blick auf den Rücksitz. Sie zählte sechs große Pakete. Wofür brauchte Jesper so viele Windeln? »Ich freue mich auf deinen Anruf«, sagte er lächelnd, bevor er ins Auto stieg.
Sie nickte. »Wir hören uns.«
Jesper zog die Tür zu und startete den Motor. Als er vom Hof fuhr, hob er die Hand zum Abschied. Finja tat es ihm gleich. Irritiert blieb sie zurück. Was hatte es bloß mit den Windeln auf sich? Der Mann schien voller Geheimnisse zu sein.