„Helena!“
Sie richtete sich mit dem Schraubenschlüssel in der Hand auf, als die wütende Stimme hinter ihr erklang, und sah Petros Amanantides zusammen mit Nikos Pandakis an der Tür stehen. Petros’ Gesicht war rot angelaufen. Jetzt drängte er sich in den kleinen Raum und stieß sie unsanft zur Seite.
„Ich sehe mir das lieber selbst mal an“, verkündete er und zischte Helena zu: „Ich warne dich. Ein falsches Wort …“
Helena blickte zu Nikos Pandakis hinüber, der sie nachdenklich musterte, und beobachtete dann schweigend den hektisch mit seinem Werkzeug hantierenden Petros. Es war das erste Mal, dass er ihr tatsächlich nachgegangen war und ihr vor dem Kunden den Auftrag wegnahm. Das hatte er bis jetzt noch nicht gewagt, und das bedeutete, dass er sie jetzt offen in ihre Schranken wies.
Nach ein paar Minuten richtete Petros sich wieder auf und wischte sich mit einem Taschentuch das Öl von seinen dicken Fingern. Er schnaufte.
„Eine eindeutige Sache. Der Motor ist defekt. Wir müssen die Jacht auf den Trockendock bringen und reparieren.“
Wut ließ Helena die Hände zu Fäusten ballen, weil sie Petros’ Dreistigkeit kaum fassen konnte. Es war jedes Mal das Gleiche, wenn sie es nicht verhinderte.
Sie war fast sicher, dass Nikos Pandakis jetzt nicken würde. Die Jachtbesitzer glaubten Petros eher als ihr, weil er ein Mann war und älter als sie. Doch zu ihrer Überraschung fixierte der große Grieche ihren Chef nur mit hartem Blick.
„Ihre Mitarbeiterin war der Meinung, dass sie den Motor recht schnell reparieren könnte“, meinte er schließlich.
Petros machte eine abfällige Handbewegung. „Sie hat keine Ahnung. Ich sagte doch schon, dass Sie ihr nicht glauben dürfen. Das war ohnehin ein Missverständnis.“ Er sah Helena scharf an. „Sie sollte sich um diesen Auftrag gar nicht kümmern. Sie ist für die Büroarbeiten zuständig, nicht für die Reparaturen.“
Helena erwiderte Petros’ Blick hasserfüllt, bis Nikos Pandakis sie ansprach und ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte.
„Sie haben keine Ahnung?“, fragte er mit einem provozierenden Unterton. „Ist das so?“
Helena wusste, dass es keinen Sinn mehr hatte. Sie hatte ihr Bestes gegeben, aber es war vergebens, ein Kampf gegen Windmühlen. Und es gab nicht mal einen Sancho Panza, der ihr zur Seite stand. Sie war ganz allein. Eine Mischung aus trauriger Resignation und unbändiger Wut durchflutete sie, während sie den Blick des gut aussehenden Geschäftsmannes unerschrocken erwiderte. Die Entscheidung, die sie treffen musste, ließ sich nicht länger aufschieben. Der Augenblick war da.
„Oh doch! Ich weiß, was mit Ihrem Motor los ist. Und ich weiß auch …“
„Helena!“, warnte Petros sie scharf, doch sie ignorierte ihn und sprach weiter.
„… warum Petros Ihre Jacht gerne im Trockendock hätte. Weil er Ihnen dann weismachen kann, dass nicht nur der Motor, sondern auch noch diverse andere Dinge kaputt sind und erneuert werden müssen, um Ihnen anschließend eine völlig überteuerte Rechnung über Arbeiten auszustellen, die er nicht ausgeführt hat.“
Das Gesicht ihres Arbeitgebers war hochrot angelaufen, und die Adern an seinem Hals traten hervor.
„Wie kannst du es wagen, du kleines Miststück!“, schrie er. „Ich habe mir deine Unverschämtheiten jetzt lange genug angehört. Du bist entl…“
„Ich kündige“, unterbrach Helena ihn barsch und richtete den Blick nun auf ihn. „Das war längst überfällig, Petros. Ich will nicht mehr. Wenn ich daran denke, was du aus Kostas’ Werft gemacht hast …“ Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Schnell blinzelte sie sie weg.
„Das nimmst du zurück. Sofort.“
Trotzig schüttelte Helena den Kopf. „Es ist die Wahrheit.“
„Na warte, ich werde dich lehren …“ Petros war so außer sich vor Wut, dass er auf sie losgehen wollte, doch die Stimme von Nikos Pandakis ließ ihn in der Bewegung innehalten.
„Ich denke, das reicht“, sagte er scharf, während sein Blick zwischen dem Werftbesitzer und Helena hin und her wanderte und dann an Helena hängen blieb. „Sie verlassen auf der Stelle mein Schiff.“
Helena schluckte und bückte sich schnell, um ihr Werkzeug wieder in die Tasche zu packen. Obwohl sie gewusst hatte, wie diese Sache ausgehen würde, spürte sie einen Stich der Enttäuschung. Sie hielt den Kopf gesenkt, als sie sich mit der Tasche an ihm vorbeidrängte. „Tut mir leid“, murmelte sie, obwohl sie gar nicht recht wusste, wofür sie sich eigentlich entschuldigte. Es war schließlich nicht ihre Schuld, sie hatte getan, was sie konnte, um ihn vor Petros zu bewahren.
Doch dann schloss sich eine Hand fest um ihren Arm. Die Berührung ließ sie zu Nikos Pandakis aufblicken, der sie festhielt. In seinen dunklen Augen lag Verärgerung. Doch sie galt erstaunlicher Weise nicht ihr.
„Ich meinte nicht Sie.“ Er drehte den Kopf und fixierte Petros. „Sondern ihn.“
Der Werftbesitzer schien nicht fassen zu können, was er da hörte. „Aber Sie dürfen ihr nicht glauben. Sie lügt. Sie ist böse auf mich, seit ich die Werft ihres Vaters übernommen habe, und versucht mir zu schaden. Seit Wochen schon torpediert sie alle meine Aufträge. Aber ich lasse mir das nicht länger gefallen. Das ist Rufschädigung. Ich werde …“
„Runter von meinem Schiff. Und zwar schnell“, wiederholte Nikos ungerührt und folgte dem Werftbesitzer zusammen mit Helena nach oben an Deck. Mit hochrotem Kopf und schwitzend stieg Petros die Leiter hinunter zurück auf den Steg. Dort blieb er stehen und warf Helena einen wütenden Blick zu.
„Bis heute Abend hast du die Wohnung geräumt“, zischte er, „oder ich lasse deine Sachen persönlich auf die Straße werfen.“ Er zeigte mit dem Finger auf sie. „Das wirst du noch bereuen.“
Helena schluckte. Erst jetzt wurde ihr das wahre Ausmaß dessen, was sie gerade getan hatte, wirklich bewusst. Sie hatte sich von Petros befreit, und das fühlte sich gut an, aber der Preis, den sie dafür bezahlen würde, war hoch. Denn sie war jetzt nicht nur arbeitslos, sondern hatte, so wie es aussah, auch kein Dach mehr über dem Kopf.
Trotzdem war es richtig, dachte sie trotzig. Sie wäre daran erstickt, wenn sie noch ein einziges Mal dabei hätte zusehen müssen, wie Petros den Ruf der Medeus-Werft beschmutzte, indem er ungeniert Leute um ihr Geld betrog. Selbst wenn es Leute wie dieser Nikos Pandakis waren, denen ein paar Euro mehr oder weniger gar nichts ausmachten. Die das vermutlich nicht mal merkten …
Als er ihr Seufzen hörte, drehte Nikos Pandakis sich zu ihr um, und plötzlich fühlte Helena sich merkwürdig verlegen. Mit einem Mal war es ihr peinlich, dass er die ganze Szene mit angesehen hatte. Außerdem machte er sie einfach nervös mit seinem durchdringenden Blick, mit dem er sie auch jetzt wieder musterte.
Aber in einer Sache hatte sie sich geirrt, das musste sie ihm zugestehen. Und noch bevor sie sich zurückhalten konnte, sagte sie: „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie das tun.“
Der Anflug eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel, doch er war so schnell wieder verschwunden, dass Helena nicht sicher war, ob sie sich das nicht nur eingebildet hatte. „Was hätten Sie denn gedacht?“
Sie schluckte. Das war gefährlicher Boden, auf dem sie sich hier bewegte, und für einen Tag hatte sie sich wirklich schon genug Ärger eingehandelt. „Ist doch nicht wichtig“, sagte sie. „Es war jedenfalls die richtige Entscheidung.“
„Wieso haben Sie das gemacht?“, wollte er wissen. „Sie haben Ihren Job aufs Spiel gesetzt, nur um zu verhindern, dass ich betrogen werde.“ Es schwang Unglauben in seiner Stimme mit. „Warum?“
„Darauf brauchen Sie sich nichts einzubilden“, erklärte sie schroffer, als sie wollte. „Es hatte nichts mit Ihnen zu tun.“
„Mit was dann?“, beharrte er.
„Das ist eine lange Geschichte“, meinte sie und ließ durchklingen, dass sie keine Lust hatte, sie zu erzählen. Sie ging zur Reling und wollte über die Leiter hinunter auf den Steg klettern.
„Wo wollen Sie hin?“, fragte er schneidend.
Überrascht sah sie ihn an, doch dann wurde ihr klar, dass sie tatsächlich nicht einfach so gehen konnte. Er hatte ja immer noch das Problem mit der Jacht.
„Der Motor, schon klar“, meinte sie. „Ich kann Ihnen jemanden empfehlen, der nach dem Schaden sieht und der Sie nicht betrügen wird. Wenn Sie mir einen Zettel holen, dann schreibe ich Ihnen …“
„Das ist nicht nötig“, erklärte er und hob abwehrend die Hand. „Ich möchte, dass Sie das erledigen.“
„Aber Sie haben doch gehört, ich arbeite nicht mehr für die Medeus-Werft.“
„Sie können den Motor aber reparieren“, stellte er fest.
„Ja, natürlich, aber …“
„Ich habe einen unaufschiebbaren Termin, und deshalb muss die Jacht bis spätestens morgen früh wieder fahrbereit sein“, unterbrach er sie erneut. „Jemand anderen zu bestellen, würde zu lange dauern, und Sie haben das Problem schon erkannt. Deshalb werden Sie das übernehmen.“ Als er sah, dass sie nicht reagierte, fügte er hinzu: „Ich bezahle Sie gut dafür.“
Das war ein verführerisches Angebot, denn das Geld konnte sie in ihrer augenblicklichen Lage gut gebrauchen. Aber es störte sie, dass er so verdammt arrogant war und offensichtlich davon ausging, dass sie ihm das ohnehin nicht abschlagen konnte. Sie hatte es heute bereits einem Mann gezeigt. Vielleicht wurde es Zeit, auch diesem zu beweisen, dass nicht alle immer nach seiner Pfeife tanzten.
„Ich mach’s“, sagte sie, „wenn Sie mich darum bitten.“
Er sah sie verständnislos an. „Das habe ich doch gerade getan.“
Helena seufzte. „Nein, haben Sie nicht. Sie haben nicht ‚Bitte‘ gesagt.“
Für einen Moment fixierte Nikos Helena Medeus ungläubig. Hatte sie jetzt plötzlich den Verstand verloren? Aber es schien ihr tatsächlich ernst zu sein.
„Und wieso ist das wichtig?“, fragte er gereizt. Er war noch nicht sicher, was er von dieser ganzen Sache halten sollte, aber sein Instinkt, der ihn selten trog, sagte ihm, dass diese junge Frau ihm eine Menge Geld und eine Menge Zeit gespart hatte. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie ihn ungestraft provozieren durfte.
Helena Medeus schien erneut nicht beeindruckt zu sein.
„Weil ich einen unhöflichen Arbeitgeber, der nur an sich und seinen eigenen Vorteil denkt, gerade losgeworden bin, und keine Lust habe, gleich beim nächsten anzufangen“, sagte sie mit fester Stimme. „Also?“
Mit einem trotzigen Funkeln in den Augen begegnete sie seinem Blick, und einen langen Moment sahen sie sich einfach nur an. Es widerstrebte Nikos, ihr nachzugeben. Er war es nicht gewohnt, dass jemand anderes die Spielregeln diktierte, und es war jetzt schon das zweite Mal, dass diese kleine freche Person ihm die Stirn bot. Natürlich war es eine Nichtigkeit, etwas, das überhaupt keine Rolle spielte. Es war nur wichtig, dass sie diesen verdammten Motor so schnell wie möglich reparierte. Und doch passte es ihm nicht. Es passte ihm ganz und gar nicht.
Langsam ging er auf Helena zu, bis er dicht vor ihr stand und sie gezwungenermaßen zu ihm aufsehen musste. Er war ihr jetzt so nah, dass er die goldenen Reflexe in ihrem Haar und die kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase erkennen konnte. Ihr Duft hüllte ihn ein, doch es war kein schweres Parfüm wie bei den meisten Frauen, denen er begegnete, sondern eine leichte, natürliche Note, die er unbewusst einatmete, während er ihr tief in die blauen Augen sah. Sein Blick wanderte zu ihren vollen, leicht geöffneten Lippen und blieb daran hängen.
Helena schlug das Herz bis zum Hals, und ihr Mund war ganz trocken. Ihr Kopf schien wie leer gefegt, während sie hilflos in die dunklen, fast schwarzen Augen starrte, in denen ein Ausdruck stand, dessen Intensität ihr den Atem nahm. Ein Schauer der Erwartung rann ihr über den Rücken. Von Weitem wirkte dieser Mann schon sehr beeindruckend, aber von Nahem war er … überwältigend. Die dunklen Schatten auf seinen Wangen gaben ihm etwas unwiderstehlich Männliches, und das tiefschwarze Haar, das er etwas länger trug, milderte die Strenge seiner klassisch schönen Züge. Sie spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging, roch den markanten Duft, der ihn umgab, und er füllte ihre Sinne so aus, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Er beugte sich vor und flüsterte ganz nah an ihrem Ohr.
„Bitte.“
Seine tiefe Stimme schien durch ihren ganzen Körper zu vibrieren, und es dauerte einen Moment, bis Helena begriff. Dann jedoch wirkte seine Bemerkung wie eine kalte Dusche auf sie. Erschrocken und verstört wich sie vor ihm zurück und spürte, wie Röte ihr in die Wangen schoss.
Nikos Pandakis richtete sich wieder auf. „Zufrieden?“
Helena schluckte und nickte stumm, noch zu erschüttert über ihre heftige Reaktion auf ihn. Wie hatte sie auch nur einen Moment daran denken können, ihn zu küssen? Wie hatte sie sich das wünschen können? Er war ein Playboy, der jede Frau haben konnte, die er wollte, und der seine Wirkung offenbar ganz genau kannte. Und du hast nichts Besseres zu tun, als weiche Knie zu kriegen, wenn er dir mal tief in die Augen schaut, schalt sie sich selbst unglücklich.
Hastig wandte sie sich um. „Ich … ich mache mich dann an die Arbeit“, stotterte sie und eilte zurück unter Deck.
Nikos sah ihr nach, und es gelang ihm nur mit Mühe, seine Finger wieder so weit zu entspannen, dass sie sich öffneten. Seine Verletzung hatte er völlig vergessen, aber nun schmerzte sie wieder.
Er hatte Helena Medeus nur eine Lektion erteilen wollen. Niemand provozierte ihn ungestraft, auch nicht diese kleine, freche Mechanikerin. Und genau wie er vermutet hatte, war sie nicht so kühl und beherrscht, wie sie tat. Sie war durchaus nicht immun gegen ihn, das wusste er jetzt. Nur er leider auch nicht gegen sie. Als er ihre verführerisch geöffneten Lippen gesehen hatte, die nur darauf zu warten schienen, von ihm geküsst zu werden, war das Verlangen in ihm so überwältigend geworden, dass es ihn seine ganze Selbstbeherrschung gekostet hatte, ihr zu widerstehen.
Aber fast noch verstörender war ihre Reaktion gewesen. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie ihn anziehend fand, und auch wenn er sich das gerne eingebildet hätte, hielt sie von ihm als Mann offenbar immer noch nicht viel.
Nikos schnaubte und kehrte zurück in die Küche, wo das Verbandszeug lag. Die Frauen, denen er sonst begegnete, hätten sich diese Gelegenheit vermutlich nicht entgehen lassen. Vielleicht wären ihm nicht alle sofort um den Hals gefallen, doch er war es durchaus gewohnt, dass Frauen seine Aufmerksamkeit suchten und bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihm flirteten, sich ihm teilweise sogar sehr offen anboten. Das schien er bei Helena Medeus tatsächlich nicht befürchten zu müssen, doch statt erleichtert darüber zu sein, irritierte es ihn.
Er legte die verletzte rechte Hand mit der Handfläche nach oben auf die Arbeitsfläche und nahm vorsichtig das zusammengeknüllte Tuch hoch, das er die ganze Zeit über dagegen gepresst gehalten hatte. Die Wunde blutete nicht mehr, und es war eine Kruste entstanden, doch er wusste, dass er die Hand nicht zu sehr bewegen durfte, damit sie nicht wieder aufriss. Deshalb hielt er die Hand möglichst ruhig, während er versuchte, mit der anderen den Verbandskasten zu öffnen. Das stellte sich jedoch als schwerer heraus, als er angenommen hatte. Da er Rechtshänder war, fiel es ihm schwer, die beiden Schließmechanismen mit der linken Hand zu lösen. Immer, wenn es ihm an der einen Seite gelang und er die andere Seite öffnen wollte, schnappte der erste Riegel wieder zu. Und als es ihm endlich fast gelungen war, rutschte ihm der sehr leichte Kasten weg und die Riegel rasteten beide wieder ein, sodass er leise fluchend einen neuen Anlauf starten musste.
„Warten Sie, ich mache das.“
Helena Medeus stand plötzlich wieder neben ihm und öffnete den Verbandskasten. Ein bisschen unsicher sah sie zu ihm auf. „Ich habe mein Werkzeug oben an Deck vergessen und wollte es gerade holen“, erklärte sie leicht verlegen und sah dann auf seine verletzte Hand. „Soll ich Ihnen nicht vielleicht doch helfen?“
Nikos blickte auf seine Hand hinunter, und frustriert wurde ihm klar, dass es sich genauso schwierig gestalten würde, mit der Linken die Wunde zu versorgen. Ja“, sagte er, und als ihm die Situation von eben wieder einfiel, fügte er mit einem ironisch gehobenen Mundwinkel hinzu: „Bitte.“
Sie sah zu ihm auf, und ein rosiger Hauch erschien auf ihren Wangen, doch dann hatte sie sich wieder im Griff und nickte. „Gehen wir da rüber“, meinte sie und deutete auf den Esstisch für acht Personen direkt neben den großen Panoramafenstern. „Da haben wir mehr Licht.“
Er folgte ihr, setzte sich und streckte ihr die Hand hin, während sie einige Utensilien aus dem Verbandskasten holte. Skeptisch betrachtete er das Spray, das sie ihm offenbar auf die Wunde sprühen wollte. „Ist das wirklich nötig?“
„Wenn Sie nicht wollen, dass der Schnitt sich entzündet, schon“, entgegnete sie. „Aber es ist schmerzlos, also entspannen Sie sich.“ Sie richtete die Öffnung des Sprays auf seine Handfläche, und Nikos zuckte zusammen, als der kalte Film auf seine Haut traf. Doch es tat tatsächlich nicht weh. Dann sah er fasziniert zu, wie sie ihm mit sicheren Bewegungen einen leichten Verband anlegte. „Ein Pflaster würde nicht halten“, erklärte sie. „Versuchen Sie, die Hand in der nächsten Zeit so wenig wie möglich zu bewegen.“
„Danke.“
Er kann es doch sagen, dachte Helena und schluckte, als er den Kopf hob und sie direkt ansah.
„Gibt es eigentlich irgendetwas, in dem sie nicht sehr geschickt sind?“ Zum ersten Mal, seit sie das Schiff betreten hatte, lächelte er. Es veränderte sein ganzes Gesicht, ließ den dunklen, fast gefährlichen Ausdruck darin verschwinden und gab ihm etwas Jungenhaftes, Charmantes, dem sie sich nicht entziehen konnte. Atemlos starrte sie ihn an, dann wandte sie hastig den Kopf ab.
„Oh, da gibt es eine Menge“, sagte sie und versuchte, ihre Verwirrung zu überspielen, indem sie hastig das Verbandszeug wieder zurück in den Kasten packte.
Sie war zum Beispiel nicht besonders geschickt im Umgang mit Männern, und schon gar nicht mit welchen, die sie durch ihre bloße Anwesenheit so nervös machten wie Nikos Pandakis. Verdammt, genügte es denn nicht, dass er zu den reichsten Geschäftsleuten Griechenlands gehörte? Musste er auch noch so gut aussehen, dass ihr das Herz schneller schlug, wenn er nichts weiter tat als lächeln? Was er mit ihr anstellte, wenn er ihr zu nah kam, darüber wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken, weil das alles zu nichts führen konnte. Er lebte in einer ganz anderen Welt als sie, einer Welt, in die sie niemals gehören würde. Und sie tat gut daran, das nicht zu vergessen.
Als alles wieder im Verbandskasten verstaut war, stand sie auf. „Ich gehe mein Werkzeug holen“, sagte sie, doch er hielt sie am Arm fest.
„Nein, bleiben Sie“, sagte er und zog sie zurück auf den Stuhl. „Sie haben mir noch nicht auf meine Frage geantwortet. Wieso haben Sie Ihren Arbeitgeber bloßgestellt und Ihren Job gekündigt? Und wie hat er das gemeint, dass sie alle seine Aufträge torpediert haben?“
Helena seufzte. Offenbar war er fest entschlossen, sie nicht ohne eine Erklärung wegzulassen, und im Grunde war es ja auch kein Geheimnis. Nicht mehr. Sollte doch alle Welt erfahren, worunter sie so lange im Stillen gelitten hatte. „Weil ich seine betrügerischen Machenschaften nicht mehr ertragen habe. Die Medeus-Werft war ein ehrlicher Betrieb, bis er sie übernahm. Mein Vater und ich haben sie nach bestem Wissen und Gewissen geführt, und ich konnte einfach nicht zusehen, wie Petros unseren Namen immer weiter in den Schmutz zieht.“
„Warum tut Ihr Vater denn nichts dagegen?“ Seine Frage traf sie mitten ins Herz, und sie hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken, die ihr erneut in die Augen stiegen.
„Weil er vor drei Monaten gestorben ist“, sagte sie tonlos.
„Das tut mir leid.“
Helena machte eine wegwerfende Handbewegung, um zu überspielen, wie sehr der Verlust sie immer noch schmerzte.
„Was ist passiert?“
Sie wusste nicht, ob es der mitfühlende Ausdruck in seinen dunklen Augen oder die Tatsache war, dass es plötzlich jemanden gab, der ihr zuhörte und sich für ihre Geschichte interessierte, aber plötzlich drängten die Worte, ihr ganzes Unglück über die Situation, mit der sie so lange hatte allein fertig werden müssen, aus ihr hervor, ohne dass sie sie zurückhalten konnte.
„Es ging uns gut, bis mein Vater vor zwei Jahren plötzlich schwer krank wurde. Er konnte nicht mehr arbeiten, und durch die hohen Behandlungskosten gerieten wir in finanzielle Schwierigkeiten. Irgendwann blieb mir nichts anderes übrig, als die Werft an Petros zu verkaufen.“
Sie schluckte. Zum Glück hatte ihr Vater nicht mehr miterleben müssen, was sein ehemaliger Freund aus seinem Lebenswerk gemacht hatte. „Petros ließ mich weiter im Betrieb arbeiten, und wir durften in der kleinen Wohnung über der Werkshalle bleiben. Er versprach meinem Vater, dass er die Werft in seinem Sinne weiterführen würde. Aber nach dem Tod meines Vaters änderte sich alles. Petros fing an, mir ohne Grund immer mehr Aufträge wegzunehmen, und die Anzahl der Jachten, die ins Trockendock gingen, stieg plötzlich sprunghaft an. Irgendwann wurde ich misstrauisch und überprüfte heimlich die Reparaturen. Und entdeckte, dass er die Kunden betrügt.“
Gedankenversunken starrte sie vor sich hin. „Ich sagte ihm das auf den Kopf zu, doch er leugnete alles. Danach ließ er mich nicht mehr so mitarbeiten wie vorher, setzte mich stattdessen ins Büro. Ich wollte unbedingt verhindern, dass er weiter den Ruf der Medeus-Werft gefährdet, deshalb übernahm ich trotzdem möglichst viele der Aufträge, die bei mir eingingen, persönlich und sorgte dafür, dass es dabei mit rechten Dingen zugeht.“ Sie seufzte. „Petros hat mich mehrfach verwarnt, als er es merkte, und ich wusste, dass wir irgendwann aneinandergeraten würden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich einen Schlussstrich ziehen musste. Und heute war es eben so weit.“
Nikos betrachtete Helena nachdenklich. „Und was geschieht jetzt?“
Sie zuckte mit den Schultern, und der Zorn, der eben noch auf ihrem Gesicht gelegen hatte, wich einer traurigen Resignation, die ihn seltsam berührte. „Ich muss bis heute Abend meine Sachen packen und die Wohnung räumen, das haben Sie doch gehört.“
„Und dann?“
Helena sah ihn an und schwieg lange. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie in ihrem Bedürfnis, sich jemandem mitzuteilen, viel zu weit gegangen war. Nikos Pandakis war ein Kunde, nicht ihr persönlicher Kummerkasten. Er konnte und wollte ihre Probleme nicht lösen, und sie tat gut daran, sich lieber wieder auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren. „Ich weiß nicht, mal sehen“, sagte sie ausweichend.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Seine Frage überraschte sie, doch sie schüttelte fast sofort abwehrend den Kopf, bevor sie noch in Versuchung geriet, dieses Angebot ernst zu nehmen. Es war eine Floskel, mehr nicht.
„Nein“, erklärte sie fest. „Ich komme schon zurecht.“ Sie stand auf. „Und jetzt kümmere ich mich lieber wieder um den kaputten Motor, damit Sie morgen auch wirklich pünktlich auslaufen können.“
Nikos wollte sie aufhalten, ohne recht zu wissen, wieso. Vielleicht weil ihre Geschichte eine lange vergessene Saite in ihm zum Klingen brachte. Er kannte diese Hilflosigkeit, dieses Aufbegehren gegen ein Unrecht, dem man machtlos gegenüberstand, nur zu gut. Aus einem Impuls heraus erhob er sich ebenfalls und legte die Hände auf ihre Schultern. „Hören Sie, Helena, ich …“
„Ich hoffe, ich störe nicht.“ Beim Klang der schrillen Stimme fuhren Nikos und Helena überrascht herum.