Im Türrahmen stand eine Frau in einem kurzen, eng anliegenden Sommerkleid, die Nikos und Helena mit einer Mischung aus Belustigung und Misstrauen ansah.
Ihr langes braunes Haar reichte ihr bis fast zu den Hüften. Sein schimmernder Glanz zeugte von guter, teurer Pflege. Alles an ihr war perfekt, von den lackierten Finger- und Fußnägeln bis hin zu dem dezenten Make-up, das ihre Schönheit betonte. Im Vergleich zu der eleganten Frau fühlte Helena sich sofort mausgrau und unscheinbar.
Nikos hatte ihre Schultern wieder losgelassen, und instinktiv wich sie einen Schritt zurück. Die Brünette nutzte das sofort und kam ihrerseits auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihn betont auf beide Wangen, ohne Helena dabei aus den Augen zu lassen.
„Hast du mich vermisst, Liebling?“, säuselte sie und lächelte jetzt strahlend zu ihm auf.
Nikos verzog die Lippen. Die Frau hatte wirklich Nerven!
„Was willst du hier, Jenna?“, fragte er seine Exfreundin unfreundlich, obwohl er durchaus eine Ahnung hatte.
„Na, dich nach Santorios begleiten, was denn sonst“, entgegnete sie ungerührt. „Du kannst schließlich nicht alleine zu Panaiotis’ Party gehen.“
„Kann ich nicht?“ Nikos spürte Verärgerung in sich aufsteigen, doch noch hielt er sich im Zaum.
Jenna machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du weißt ja, wie es ist, wenn du auf einem solchen Fest ohne Begleitung auftauchst.“ Sie lächelte. „Deshalb habe ich beschlossen, dir deine kränkenden Bemerkungen zu verzeihen. Du brauchst mich – und hier bin ich.“
Nikos verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Jenna, Tochter eines amerikanischen Unternehmers und einer früheren US-Schönheitskönigin, war in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Frau mit viel kreativem Potenzial, und die Zeit mit ihr war durchaus kurzweilig gewesen. Doch wenn sie tatsächlich glaubte, dass er ihr noch eine zweite Chance gab, dann täuschte sie sich.
Sie hatte von Anfang an gewusst, wie die Spielregeln lauteten: keine Verpflichtungen, keine Besitzansprüche, keine Heirat. Wieso war das so schwer zu verstehen? Seine Frauen bekamen stets alles, was Geld kaufen konnte, er verwöhnte sie und ließ ihnen alle Freiheiten. Doch das schien nicht zu reichen. Wieso genossen sie nicht einfach, was er ihnen bieten konnte, statt zu versuchen, ihn zu etwas zu zwingen, zu dem er nicht bereit war? Er würde sein Herz nicht an eine von ihnen verschenken, und er würde auch keine von ihnen heiraten. Niemals. Das stellte er jedes Mal klar, bevor er überhaupt eine Beziehung einging.
Aber die Frauen schienen zu glauben, dass sie ihn ändern konnten. Verlangten irgendwann Liebesbeweise von ihm, gestanden ihm Gefühle, die er nicht teilte. Spätestens dann beendete er das Verhältnis zu ihnen sofort, manchmal auch schon früher, wenn er die ersten Anzeichen für diese emotionalen Forderungen wahrnahm.
Bei Jenna hatte er vielleicht ein bisschen zu lange gewartet. Deshalb wurde es Zeit, das endgültig klarzustellen.
„Nein, da irrst du dich, Jenna. Ich brauche dich nicht.“
„Doch, das tust du“, beharrte sie trotzig. „Wenn Panaiotis einlädt, kommen alle, die gesamte griechische High Society. Und die Frauen werden sich wie immer wie die Hyänen auf dich stürzen, vor allem diese Athina Herodias. Ich kann dafür sorgen, dass sie dich in Ruhe lassen.“
Da hatte Jenna nicht ganz unrecht. Es würde ein ziemliches Spießrutenlaufen werden, wenn er alleine auf Santorios erschien. Aber das war nicht länger ihr Problem.
„Dafür kann ich auch selbst sorgen. Und wen ich zu der Feier mitnehme, entscheide immer noch ich.“
Sein harter Blick zeigte Wirkung, denn Jenna blinzelte unsicher und wandte den Kopf ab. Erst jetzt schien sie Helena wieder zu registrieren, die noch im Raum stand und schweigend verfolgte, was zwischen Nikos und ihr vor sich ging. Wut blitzte in ihren Augen auf.
„Aber doch wohl nicht sie!“, rief sie empört und zeigte auf Helena. „Du ersetzt mich nicht mit einer dahergelaufenen Schlampe, die nicht mal weiß, wie man sich richtig anzieht!“
Helena zuckte unter den Worten der Frau zusammen. Mit einer Mischung aus Neugier und erschrockener Faszination hatte sie die Szene zwischen den beiden beobachtet, und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie dadurch in etwas hineingeraten war, das sie gar nichts anging. Sie war die Mechanikerin, und auch wenn die Bemerkung der brünetten Schönheit sie traf, erinnerte diese sie damit nur sehr treffend daran, wo ihr Platz war – nämlich definitiv nicht in den schicken Wohnräumen der Jacht. Sie gehörte in den Maschinenraum, und dorthin würde sie sich jetzt auch schleunigst begeben.
Schweigend ging sie an Nikos Pandakis und seiner … Freundin oder was auch immer sie war, vorbei und über die Treppe an Deck, um ihr Werkzeug zu holen, das sie dort vorhin vergessen hatte, als sie vor Nikos und seiner verheerenden Wirkung auf sie geflohen war. Erst als sie mit der Tasche über der Schulter wieder zurückgehen wollte, wurde ihr jedoch klar, dass sie ihm und der wütenden Brünetten auf dem Weg hinunter zum Maschinenraum noch mal begegnen würde, wenn sie jetzt wieder runterging. Deshalb beschloss sie zu warten, bis die Frau verschwand, und setzte sich auf die mit Leder bezogene Bank der Sitzgruppe mit Tisch, die unter dem Dach im Schatten lag.
Drinnen fixierte Nikos seine Exfreundin mit kaltem Blick. Jennas herrisches Benehmen war ein weiterer Beweis dafür, dass er mit der Trennung von ihr keinen Fehler gemacht hatte. Und die Art und Weise, wie sie sich selbst über Helena Medeus stellte, warf auch kein gutes Licht auf sie.
„Warum sollte ich sie nicht mitnehmen?“, fragte er herausfordernd. „Sie kann dich jederzeit ersetzen, und sie wird es, wenn ich das will. Ich habe bei unserer letzten Begegnung jedes Wort so gemeint, wie ich es gesagt habe. Unsere Beziehung ist beendet, Jenna. Ein für alle Mal.“
Als sie erkannte, dass sie verloren hatte, stieß die brünette Schönheit ein kehliges Geräusch irgendwo zwischen Empörung und Aufschluchzen aus. Sie wirbelte auf dem Absatz herum, um nach oben an Deck zu stürmen, wohin Nikos ihr folgte.
„Das wirst du bereuen“, stieß sie hervor, während sie die Schiffsleiter hinunterstieg. Dann lief sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, über den Steg davon.
„Wie es aussieht, haben wir jetzt etwas gemeinsam.“ Die leise Stimme ließ Nikos herumfahren, und er sah Helena Medeus mit ihrer Tasche auf dem Schoß auf der Bank des vom Dach beschatteten Außenessplatzes sitzen. Als er fragend die Augenbrauen hob, zuckte sie die Schultern. „Na ja, mal abgesehen davon, dass Sie jetzt nicht obdachlos sind, nur weil Sie jemandem die Wahrheit gesagt haben“, meinte sie und stand auf. Mit einem letzten Blick über die Schulter verschwand sie mit ihrer Tasche unter Deck, zweifellos, um sich wieder der Reparatur des Motors zu widmen.
Gegen seinen Willen musste Nikos lächeln. Es stimmte. Sie hatte ihrem Chef die Meinung gesagt und er – wieder einmal – Jenna, und man hatte ihnen beiden die gleiche Drohung entgegengeschleudert. Mit dem Unterschied, dass er tatsächlich nichts zu fürchten hatte. Helena Medeus würde ihre Offenheit definitiv mehr kosten.
Er ging zum Tisch und setzte sich auf einen der fest angeschraubten Stühle, lehnte sich zurück und blickte auf die weitläufige Hafenanlage von Piräus, die sich vor ihm ausbreitete. Die weißen Häuser um den Hafen schimmerten im Sonnenlicht, und das Wasser des Mittelmeers glitzerte dunkelblau in der Sonne. Ein wirklich schöner Tag, viel zu schön, um ihn sich verderben zu lassen, dachte er und spürte, wie die schlechte Laune langsam von ihm wich.
Das Problem, mit dem er noch vor einer Stunde gekämpft hatte, schien gelöst: Der Motor ließ sich offenbar ohne größeren Aufwand reparieren, er würde rechtzeitig mit der Sofia nach Santorios aufbrechen können, genauso, wie er es sich vorgenommen hatte, und Jenna würde ihm hoffentlich auch keine Probleme mehr machen. Blieb nur die Frage, ob sie mit ihrer Vorhersage nicht recht behalten würde.
Es war eine Tatsache, dass er zu den reichsten Junggesellen Griechenlands gehörte. Und zu den begehrtesten, obwohl er eigentlich nicht zu den oberen Zehntausend gehörte. Sein Reichtum und seine gesellschaftliche Stellung waren ihm keineswegs in die Wiege gelegt worden wie so vielen anderen. Er hatte lange und hart dafür gearbeitet – wie hart, wussten die wenigsten und auch nicht, wie dunkel die Schatten waren, die tatsächlich über seiner Herkunft lagen. Darüber sprach er nicht. Mit niemandem. Das war etwas, das er mit sich selbst abmachte, wie so vieles andere in seinem Leben. Und deshalb eignete er sich auch nicht zum Heiraten.
Da die Frauen das jedoch offenbar nicht akzeptieren konnten oder wollten, war das Problem, auf das Jenna ihn aufmerksam gemacht hatte, in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Wenn er ohne Begleitung auf Panaiotis’ Feier erschien, dann würde er vermutlich kaum eine Minute Ruhe haben. Und am meisten graute ihm in dieser Hinsicht wirklich vor Athina Herodias. Sie war die Tochter eines alten Konkurrenten, mit dem er derzeit Geschäfte machte, und leider sehr an ihm interessiert, was jedoch nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Athina in ihren Flirtversuchen vor dem Kopf zu stoßen, konnte sein Verhältnis zu Spiridos trüben und ihn unter Umständen einen Millionenabschluss kosten. Nicht, dass er dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geraten wäre, dazu war er derzeit zu erfolgreich. Aber es lag nicht in seinem Naturell, ein gutes Geschäft wegen solcher Nichtigkeiten zu gefährden.
Wenn er jedoch nicht auf Athinas Annäherungsversuche einging – und da er nicht vorhatte, eine Beziehung mit ihr anzufangen, stand außer Frage, dass er das tun würde –, brauchte er eigentlich eine Begleiterin. Doch woher sollte er so schnell jemanden nehmen, nachdem Jenna nun nicht mehr dafür infrage kam? Natürlich kannte er genug Frauen, die auf seine Bitte hin diese Rolle gerne übernommen hätten. Doch sie würden das sicher falsch verstehen und glauben, er habe Interesse an ihnen, und dann hatte er ein ähnliches Problem wie gerade erst mit Jenna. Es sei denn …
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, und nachdem er ihn kurz durchgespielt hatte, stand er auf und stieg hinunter in den Maschinenraum.
Helena Medeus, die gerade an einem Bolzen schraubte, sah überrascht auf, als er hereinkam. Dass sie nicht untätig gewesen war, konnte man an ihren ölverschmierten Fingern und Unterarmen und dem dreckigen Streifen, der quer über ihre Nase und über ihre Wange lief, deutlich erkennen. Schweiß stand ihr auf der Stirn, den sie sich mit dem Handrücken wegwischte, was einen weiteren dunklen Striemen über ihre Haut zog.
„Ich bin noch nicht fertig“, erklärte sie ungeduldig, offenbar genervt von der Störung. „Ich sagte doch, das kann ein bisschen dauern.“
„Das ist jetzt egal. Kommen Sie nach oben, ich muss etwas mit Ihnen besprechen“, meinte er knapp.
Verwirrt sah sie ihn an. „Aber …“
„Bitte“, sagte er mit einem süffisanten Lächeln, und sie zuckte mit den Schultern und folgte ihm nach oben an Deck. Nikos bedeutete ihr, wieder an dem Tisch Platz zu nehmen, an dem sie vorhin schon gesessen hatte, doch er selbst lief auf und ab, während er noch einmal durchdachte, was er ihr vorschlagen wollte. Es war die perfekte Lösung. Er blieb stehen und sah sie an.
„Wie wäre es, wenn Sie für mich arbeiten?“
Helena sah ihn verblüfft an, nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. „Ich dachte, das tue ich schon.“
Nikos dachte nach. Es war schwerer, als er dachte, sein Angebot richtig zu formulieren. „Sie reparieren den Motor, ich weiß, aber ich meinte eigentlich, dass ich gerne möchte, dass Sie auch danach noch bei mir bleiben.“
„Wieso?“ Sie schien verwirrt. „Haben Sie denn noch mehr reparaturbedürftige Boote?“
Er schüttelte den Kopf. Außer der Sofia besaß er zwar noch zwei deutlich größere Jachten, die er für Feste oder kleinere Reisen mit Geschäftsfreunden benutzte, aber mit denen war alles in Ordnung. „Nein, auf den anderen beiden kümmert sich die Mannschaft um alles Nötige.“
Helena ließ sich nicht anmerken, dass sie beeindruckt war. Drei Jachten, puh. Das erklärte auch, warum die Sofia im Verhältnis zu den Booten, die sie bei Reparaturen schon gesehen hatte, eher klein war und nicht so recht zu dem extremen Reichtum zu passen schien, der dem erfolgreichen Nikos Pandakis nachgesagt wurde. Offensichtlich war er auch gerne mal allein unterwegs und gönnte sich für diese Auszeiten eine kompakte schwimmende Luxuswohnung der Extraklasse, die er fast ohne Hilfe steuern konnte. Aber sein Angebot war dadurch umso rätselhafter. Wenn sich schon jemand um seine anderen Schiffe kümmerte, was genau wollte er dann von ihr?
„Wenn das so ist, wozu brauchen Sie mich dann?“
„Ich brauche Sie als …“ Er suchte nach den richtigen Worten, die sie nicht sofort gegen ihn aufbringen würden. „Als Begleitung.“
„Begleitung?“ Jetzt verstand Helena gar nichts mehr. „Ich soll Sie begleiten? Wohin denn?“
„Auf den Termin, zu dem ich morgen Abend gehen muss. Es ist die Geburtstagsfeier eines alten Freundes, und es wäre aus diversen Gründen besser, wenn ich dort nicht allein auftauche. Und weil Sie doch gerade nichts anderes vorhaben, dachte ich …“
Helena sprang auf und funkelte ihn wütend an. „Da dachten Sie, dass ich bestimmt gerne bereit bin, Ihnen ein bisschen die Zeit zu versüßen, ja? Dass ich nichts Besseres vorhabe, als mit Ihnen …“ Sie konnte es nicht aussprechen. „Ich fasse es nicht!“
„Nein, nein“, versuchte er sie zu beschwichtigen und verfluchte sich innerlich dafür, dass er bei dieser Frau offensichtlich immer genau das Falsche sagte. „Ich möchte wirklich nur, dass Sie mich auf die Party begleiten.“
Helena schnaubte verächtlich. „Wieso fragen Sie dann nicht die hübsche Brünette, die eben noch da war? Es klang, als wäre sie ganz versessen darauf. Und für alles andere wäre sie sicher auch die Richtige.“
„Das ist ja das Problem“, sagte er und hob die Hand, als sie erneut etwas sagen wollte. „Jenna würde mir die Zeit gerne versüßen, wie Sie es so treffend ausdrückten. Aber Sie haben kein Interesse daran. Und genau deshalb möchte ich Sie mitnehmen und niemanden sonst.“
Das brachte Helena, die ihm eigentlich weiter die Meinung sagen wollte, effektiv zum Schweigen. Sie starrte ihn an, endgültig zu verwirrt, um ihm noch zu folgen. „Das verstehe ich nicht.“
Nikos seufzte. Das war auch schwer zu verstehen, aber aus seiner Sicht nur logisch. Helena Medeus schien nicht daran interessiert, eine Rolle in seinem Leben zu spielen. Sie schien ihn nicht mal besonders zu mögen. Und genau das machte sie zur idealen Begleitung zu Panaiotis’ Geburtstagsfeier. Denn mit ihrer Hilfe konnte er Athina und die anderen Frauen, die es auf ihn abgesehen hatten, in Schach halten, ohne sich der Gefahr auszusetzen, nach Jenna gleich den nächsten Klotz am Bein zu haben. Und wenn er ihr im Gegenzug finanziell unter die Arme griff, war es ein Deal, von dem sie beide nur profitieren konnten.
Doch sie ließ das, was er für eine wirklich geniale Idee gehalten hatte, so klingen, als wäre es nichts weiter als ein schmieriger Trick, um sie ins Bett zu kriegen. Er musste zugeben, dass er es zwar durchaus reizvoll gefunden hätte herauszufinden, ob sie dort genauso temperamentvoll war, aber wenn der Preis für ihre Begleitung das Versprechen war, sie nicht anzurühren, dann würde er es ihr schwören. Keine Frau hatte ihn je dazu gebracht, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Aber bevor er ihr das beweisen konnte, musste er sie erst mal dazu bringen, diesen Handel überhaupt einzugehen.
„Es ist eigentlich ganz einfach. Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass ich mit meiner Exfreundin Jenna – der Brünetten von eben – Schluss gemacht habe. Eine der Frauen, die auf dem Fest anwesend sein werden, ist die Tochter eines Geschäftsfreundes, und sie ist, nun ja, an einer Beziehung mit mir interessiert. Was aber nicht auf Gegenseitigkeit beruht.“
„Warum sagen Sie ihr das dann nicht einfach?“, fragte Helena.
„Weil ich es mir nicht leisten kann, sie vor den Kopf zu stoßen. Ich stehe gerade mit ihrem Vater in geschäftlichen Verhandlungen, und ich möchte deshalb weder sie noch ihn verärgern. Das würde ich aber, wenn ich ihr klarmachen muss, dass ich weder jetzt noch in Zukunft Interesse an einer festen Bindung habe, zu ihr nicht und auch zu niemandem sonst. Deshalb wäre es das Einfachste, wenn ich eine weibliche Begleitung hätte, sodass diese Frage gar nicht erst aufkommt. Sie wären für diese Rolle absolut ideal geeignet, denn je weniger emotionale Verwicklungen ich befürchten muss, desto besser. Es ist ein ganz einfacher Deal: Sie begleiten mich nach Santorios und gehen mit mir auf das Fest, und dafür zahle ich Ihnen eine gewisse Summe, sagen wir … fünftausend Euro. Das Geld gehört Ihnen, Sie können damit machen, was Sie wollen. Und Sie sind mir zu nichts verpflichtet – abgesehen davon, dass Sie einen Abend lang neben mir stehen und lächeln müssen. Das ist alles.“ Erwartungsvoll sah er sie an. „Und, was sagen Sie?“
Helena schwieg lange, während sie über das nachdachte, was er ihr da anbot. Ein Escort-Service ohne irgendwelche Zusatzleistungen, und das für ein Honorar, das sie ganz schwindelig machte? Konnte sie ihm das wirklich glauben? Vielleicht. Es klang so absurd, dass es vermutlich die Wahrheit war. Aber wieso musste sich jemand, der so gut aussah wie Nikos Pandakis, eine Begleiterin kaufen? Nur, damit er sie anschließend auch ganz sicher wieder loswurde?
Die berechnende Kälte, die hinter diesem Angebot stand, schockierte sie. Menschen waren doch keine Schachfiguren, die man in möglichst geschickten Zügen hin und her schob und dann einfach wieder aus dem Spiel nahm. Und wer sagte ihr, dass es nicht doch nur eine Masche war und er auf diese – zugegeben unnötig komplizierte – Art Frauen abschleppte?
Plötzlich musste sie daran denken, was ihr Vater wohl dazu gesagt hätte. Er war immer ein grundehrlicher Mann gewesen und hatte sie nach diesen Werten erzogen. Ganz sicher wäre er mit einem solchen Handel nicht einverstanden gewesen, denn es klang, als würde sie sich dabei an Nikos Pandakis verkaufen.
Doch sie gehörte niemandem, und sie brauchte auch niemanden. Vielleicht besaß sie nicht viel, aber jetzt, wo sie nur noch für sich selbst sorgen musste, würde sie zurechtkommen. Und nachdem sie die Werft nun endgültig hatte aufgeben müssen, gab es außerdem etwas, das sie nicht länger aufschieben konnte und wollte. Etwas, das ihr schon seit Langem keine Ruhe ließ. Das war eindeutig wichtiger als das Problem eines reichen Mannes zu lösen, mit dem sie gar nichts zu tun hatte und das ihr nur Ärger bringen konnte.
„Nein, danke“, erklärte sie ihm deshalb. „Bezahlen Sie mich für die Reparatur, so wie Sie es zugesagt haben. Aber danach gehe ich. Sie werden sicher eine andere finden, die Sie zu dieser Feier begleiten kann.“