Berlin, 26. Juli 1944

Liebe Mama!

Besten Dank für Deinen lieben Brief, den ich gleich beantworten möchte, da ich morgen bis Mittag arbeiten muss. Danach darf ich für ein paar Stunden in die Wohnbaracke fahren, bevor ich abends wieder zur Brandwache draußen bin. So vergeht mein freier Tag ziemlich schnell, und wer weiß, was am Freitagabend wieder los sein wird.

Wir haben fast täglich einen oder zwei Fliegeralarme. Von vorgestern auf gestern hat es in der Nähe ordentlich gekracht. Zwischen der Bergmann- und der Gneisenaustraße sind zwei, drei gekoppelte Minen niedergegangen. Es gab viel Schutt und leider auch viele Tote. Im Luftschutzkeller unter der Schule sollen 60 Tote begraben sein. Mit einem Bagger mussten sie aus den Trümmern geborgen werden. Und im weiteren Umkreis gingen viele Fenster kaputt.

Und ich hatte wieder einmal sehr gut geschlafen und bin erst dann wach geworden, als die Sirenen zu heulen begannen. Gleich darauf bombte es so gewaltig, dass ich dachte, die Fensterscheiben samt -stöcken würden auf mich stürzen. Ich habe den Kopf unter die Tuchent gesteckt und gehofft, dass das meiste schon vorüber war. Irgendwann bin ich wieder eingeschlafen und habe auch keine Entwarnung mehr gehört. Ich war so müde, dass mir alles egal war.

Aber keine Angst. Meistens stehe ich bei Alarm auf und gehe in den Luftschutzkeller. Unsere Jäger sind schon in der Luft, es wird also nicht mehr lange dauern und sie sind wieder da.

Es gibt auch an den Fronten wieder schwere Kämpfe. In der heutigen Zeitung steht schon wieder etwas von der Verstärkung des totalen Einsatzes. Ja, die härteste Zeit kommt noch. Der Mandl Sepp hat mir geschrieben. Er steht an der Ostfront. Aber Alois hat schon lange nicht geschrieben. Weißt Du etwas von ihm?

Hier ist ziemlich schönes Wetter. Jedenfalls ist schon fast das ganze Korn geschnitten.

Ich glaube auch, dass Du, wenn es so weit ist, zu mir kommen kannst. Aber es kann auch sein, dass ich im August auf Urlaub nach Hause komme. Sende mir eine Bestätigung mit dem genauen Datum, seit wann Du aus Berlin evakuiert und in Fischbach wohnhaft bist.

Ansonsten geht es mir leidlich gut. Morgen möchte ich mir Schuhe kaufen gehen, wenn es sich zeitlich ausgeht. Meine Armbanduhr habe ich in die Reparatur gebracht. Sie hat kein Glas und keine Zeiger mehr.

Ich grüße und küsse Euch und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen.

Papa