Wer muss den Maibaum wegbringen? Der Schenkende oder die Beschenkte?

 

Sechsunddreißig

Wo ich wohne, gibt es den Brauch, in der Nacht zum ersten Mai dem Menschen, den man liebt, ein kleines Birkenbäumchen vors Fenster zu stellen. Meistens hängen an den Bäumen bunte Bänder aus Krepppapier.

Nach dem 1. Mai zähle ich immer, wie viele geschmückte Liebesbeweise es in unserer Gegend gibt.

Schon nach einigen Tagen sehen die bunten Bänder meistens ziemlich zerfetzt aus. Auch die Bäume machen nach spätestens vier Wochen einen trostlosen Eindruck. Und wenn ich im September immer noch Baumleichen an Fenstern lehnen sehe, frage ich mich: Wer muss die eigentlich auf den Müll bringen? So ein Baum ist ja ein Geschenk. Wenn ich etwas geschenkt bekomme, dann bekomme ich ja auch Verantwortung für das Geschenk übertragen. Allerdings schlafen die meisten Baumbeschenkten ja, während die Bäume aufgestellt werden, und können das Geschenk gar nicht richtig annehmen. Vielleicht wollen viele gar keinen Maibaum. Und dann sollen sie sich auch noch darum kümmern, dass die Bäume in die richtige Mülltonne kommen?

Wo ich wohne, gibt es eine klare Regelung: Derjenige, der den Baum aufgestellt hat, sollte ihn spätestens Ende Mai wieder abbauen, abschmücken und wie Grünschnitt entsorgen. Wenn das nicht gemacht wird und der Baum auf einem Privatgrundstück vor sich hinrottet, dann muss die Beschenkte den Baum selbst in den Müll bringen. Steht der Baum dagegen auf der Straße, rückt die Müllabfuhr an und kümmert sich um ihn.

Etwas zu verschenken, das auf jeden Fall weggeworfen wird, ist ein seltsamer Brauch und ein eigenartiger Liebesbeweis. Da muss es doch bessere Geschenke geben, oder?