Einmal nahm ich eine Kollegin im Auto mit. Wir fuhren gelassen durch eine 30er-Zone. Vor uns radelten sechs Teenager nebeneinander her. Ich konnte sie nicht sofort überholen, sondern musste warten, bis die Straße frei wurde. Meine Kollegin und ich unterhielten uns über ganz alltägliche Dinge. Dann bot sich mir die Gelegenheit und ich zog an den Teenagern vorbei. In diesem Moment lehnte sich meine Beifahrerin aus dem Fenster und brüllte – schlimmer als der Wurstverkäufer auf dem Wochenmarkt –: „Ey, fahrt gefälligst hintereinander, ihr Asselgesichter!“ (Das letzte Wort war ein anderes mit den gleichen Anfangs- und Endbuchstaben. Ich habe es meiner Lektorin zuliebe ausgetauscht.) Was für ein Schreck! Mit so viel Wut, wegen einer Kleinigkeit, hatte ich nicht gerechnet.
Wir alle hatten mal eine Zeit, in der wir sehr wütend werden konnten. Als du so zwischen zwei und vier Jahre alt warst, gab es bestimmt die ein oder andere Gelegenheit, in der du zum Beispiel im Supermarkt nicht das bekommen hast, was du wolltest. Und dann hast du dich wütend auf dem Boden vor dem Süßigkeitenregal hin- und hergeschmissen und geschrien. Trotzphase. Alle Eltern machen das durch. Diese Zeit, die auch Autonomiephase genannt wird, ist für die Entwicklung von Kindern wichtig, weil sie beginnen, sich von ihren Eltern zu lösen und ihren eigenen Willen zu entdecken, der nicht immer berücksichtigt wird. Ich war ein sehr wütendes Kind. Wahrscheinlich habe ich alle meine Wut damals schon verbraucht.
Wobei – das stimmt nicht ganz. Es gibt eine Situation, da könnte ich komplett ausrasten: Wenn ich zu Hause an Weihnachten die Lichter am Baum befestigen soll und sich diese idiotischen, viel zu langen Kabel so verheddern, dass ich am liebsten alle Lämpchen kaputtschlagen möchte – und den Baum gleich mit. Wut hilft mir selten weiter. Dir?