Coober Pedy
1951
Die Wüste rings um Coober Pedy ist der trockenste und verdorrteste Flecken Erde, den ich jemals zu Gesicht bekommen habe. Doch diese Erde bringt die schönsten Opale der Welt hervor. Erstaunlicherweise entstehen sie durch Regenwasser. Wenn es regnet – was ausgesprochen selten der Fall ist –, sickert das Wasser in das uralte Felsgestein, wo eine Mischung aus Sauerstoff und Silizium angelagert ist. In den langen Trockenperioden verdunstet das Wasser, und in den Rissen zwischen den Sedimentschichten bleibt Silizium zurück. Durch diese Ablagerungen entstehen die Regenbogenfarben in den Opalen. Dafür bezahlen Menschen viel Geld. Die Männer, die ich einstelle, fragen mich oft, mit welcher Art von Magie diese Edelsteine erzeugt werden. Ich versuche ihnen, den wissenschaftlichen Hintergrund zu erklären, aber häufig ziehen sie es dennoch vor, an den Mythos der Aborigines zu glauben.
Darin gibt es ein fantastisches schmetterlingsähnliches Wesen namens Pallah-Pallah mit wunderschönen schillernden Flügeln. Eines Tages flog Pallah-Pallah auf den Gipfel des höchsten Berges. Doch bald begann es dort zu schneien, und sie wurde unter dem Schnee begraben. Als er schließlich schmolz, nahm er Pallah-Pallahs wundervolle Farben mit sich, und sie sickerten tief in die Erde.
Ich glaube, in früherer Zeit hätte ich auch lieber an diese Geschichte geglaubt. Doch wenn ich jetzt die Funde aus den Minen begutachte, sehe ich nur submikroskopische Substanzen, die Licht reflektieren. Das ist nichts als nüchterne, logisch erklärbare Wissenschaft. Auch die funkelnden Sterne am Firmament betrachte ich nun nicht mehr als mystische, Hoffnung verheißende Himmelskörper, sondern nur als brennende Gasgebilde, die durch die Schwerkraft zusammengehalten werden. Diese Sichtweise ist gewiss besser, als zu glauben, dass meine Sieben Schwestern – meine einstigen Beschützerinnen – mich so grausam im Stich gelassen haben.
Deshalb kommt es mir auch sehr gelegen, unter der Erde zu wohnen. Die »Häuser« – wenn man sie so nennen kann, denn sie sind wie Höhlen – entstehen durch Sprengungen im Fels und werden dann mit Spitzhacken vergrößert. Wir müssen darauf achten, dass die Decke vier Meter dick bleibt, um der Einsturzgefahr vorzubeugen. Einige Männer haben Lichtschächte angelegt, aber darauf lege ich keinen Wert. Ich bin der Dunkelheit jetzt sehr zugetan.
Erfahrene Männer haben ihre Unterkünfte so gestaltet, dass sie überirdischen Behausungen gleichen, indem sie Bögen, Regale, Türen und sogar Kunstwerke erschaffen. Ich habe festgestellt, dass mir solcherlei Verschönerungen gleichgültig sind. Ich schlafe auf einer staubigen Matratze und bewahre meine Kleidung in meinem alten Koffer am Boden auf. Nicht einmal einen Tisch habe ich mir gegönnt. In diesen letzten beiden Jahren habe ich nicht den Wunsch verspürt, in mein Tagebuch zu schreiben.
Als ich in Coober Pedy eintraf, war der Betrieb noch klein. Ich warb fünf Minenarbeiter an, die damals für ein anderes Unternehmen tätig waren. Mit den üppigen Finanzmitteln des Mercer-Imperiums konnte ich den erfahrenen Arbeitern mehr Geld bieten und sie für unser Projekt gewinnen. Die Anfangszeit war schwer. Vor uns lag das endlose Land, und wir kamen nur mühsam voran.
Im Winter 1949 hatte ich dann die zündende Idee.
Um die Minen so auszubauen, wie Ralph Mackenzie sich das wünschte, brauchten wir mehr Männer, die es gewohnt waren, unter schwierigen Bedingungen unter Tage zu arbeiten. Ich schickte einen meiner Arbeiter zum Hafen von Adelaide, um dort junge Männer aus Europa zu finden, die im letzten Krieg gekämpft hatten und in diesem Land ein neues Leben beginnen wollten. Mein Mitarbeiter bot den entsprechenden Kandidaten dann eine sofortige Beschäftigung mit fairem Lohn an.
Der Plan funktionierte. Ein Jahr später waren über hundert Arbeiter in Coober Pedy beim Opalabbau tätig.
Ralph Mackenzie konnte die Zahlen, die ich ihm zukommen ließ, nicht glauben und stattete den Minen deshalb selbst einen Besuch ab. Ich erinnere mich an wenige freudige Momente aus dieser Zeit, aber zu sehen, wie Ralph angesichts der zahlreichen tiefen Schächte die Kinnlade herunterklappte, war ein Hochgenuss.
»Herr im Himmel, Atlas! Kaum zu glauben, was ich hier sehe! Ich hatte wirklich vermutet, es handle sich um einen Fehler in der Buchhaltung. Oder vielleicht …« Er zögerte.
»Dass ich Sie betrügen wollte«, sagte ich kühl.
Mir wurde bewusst, dass ich ein anderer Mann geworden war. Dieses Jahr ohne Elle in dieser höllischen Wüstenlandschaft hatte mich hart gemacht.
Ralph lachte nervös. »Nun … ja.« Er sah beschämt zu Boden. »Aber jetzt bin ich hier, und dieser Anblick ist überwältigend.« Er streckte mir die Hand hin. »Sie sind ein Titan des Fleißes, Atlas Tanit.«
»Danke, Ralph.«
»Hören Sie, ich weiß, wie hart das Leben hier draußen ist. Was würden Sie von ein paar Wochen Urlaub in Alicia Hall halten? Bei voller Bezahlung natürlich. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Hier gibt es viel Arbeit zu erledigen, und ich mache sie gern.«
»Das ist natürlich ehrenwert. Aber manchmal ist es auch wichtig, einen Schritt zurückzutreten und seine Leistungen zu würdigen.«
»Nein«, erwiderte ich schroff, wobei mir nicht entging, dass Ralph etwas bestürzt wirkte. »Danke.«
Er zuckte mit den Achseln. »Wie Sie wollen. Ich bin nicht so ein Experte wie Sie, aber aus meiner Laiensicht sieht unser Gelände schon sehr voll aus.«
»Das sehen Sie richtig. Es ist kaum noch Platz für neue Schächte vorhanden. Wir würden von weiteren Landkäufen profitieren.«
»Ich habe verstanden, Atlas, und werde mich darum kümmern. Mit den Summen, die Sie dem Unternehmen eingebracht haben, kann ich eine doppelt, vielleicht sogar eine dreimal so große Fläche erwerben wie anfänglich.« Er stupste mich an. »Dann sind Sie mit Ihren zehn Prozent bald Millionär, was halten Sie davon?«
Ich sah Ralph unbeirrt an. »Ich mag diese Arbeit und würde sie auch für weniger Geld machen.«
Er seufzte. »Meine Güte, ich kann Sie aber auch gar nicht aufheitern, wie? Als wir uns vor über einem Jahr kennengelernt haben, sah ich einen Mann vor mir, der bedrückt und hoffnungslos wirkte. Jetzt jedoch erlebe ich einen Mann, der … verhärtet ist. Sie haben hier großartige Arbeit geleistet, Atlas. Aber Sie würden gut daran tun, sich daran zu erinnern, dass das Leben oberirdisch stattfindet, nicht unter der Erde.«
»Wie gesagt – ich schätze diesen Lebensstil«, erwiderte ich ungerührt.
Ralph ließ nicht locker. »Verzeihen Sie mir meine Unverblümtheit, Atlas, aber das hier ist eine ausgesprochen männliche Umgebung. Hier hat man kaum Möglichkeiten, dem weiblichen Geschlecht zu begegnen. In Adelaide dagegen gibt es zahlreiche ungebundene junge Damen, die Sie nur zu gern in Alicia Hall kennenlernen würden.«
Ich sah ihn mit starrem Blick an. »Bitte schlagen Sie mir dergleichen nie wieder vor, Ralph. Daran habe ich nicht das geringste Interesse.«
»Wie Sie wollen.«
Nach seiner Abreise erwarb Ralph Mackenzie innerhalb eines Monats zehn Hektar Land zusätzlich. Ich schickte mehrere meiner Männer zum Hafen von Adelaide, um Arbeitskräfte anzuwerben, und binnen Kurzem waren die Mercer-Opalminen in Coober Pedy in Wirtschaftskreisen das Gesprächsthema.
Ich denke an nichts anderes mehr als an die Minen. Wenn ich morgens erwache, konzentriere ich mich auf die anliegenden Aufgaben. In meinem Kopf gibt es nur noch Schaufeln und Spitzhacken und Holzbalken und Dunkelheit. Deshalb besteht keine Gefahr, dass meine Gedanken sich in Gebiete verirren, die sie auf keinen Fall betreten sollen.