Star ließ das Blatt sinken und wandte sich CeCe zu, der Tränen in den Augen standen. Das war für Star ein ungewöhnlicher Anblick, da sie ihre Schwester immer als so stark und temperamentvoll erlebte.
»He, komm her, CeCe«, sagte Star und nahm sie in die Arme. »Es ist so aufwühlend, die Geschichte unserer Familie zu erfahren, oder?«
»Ja«, schniefte CeCe. »Und übrigens, falls du’s noch nicht kapiert hast: Sarah, das Waisenmädchen vom Schiff, ist meine Großmutter. Ich wusste gar nicht, dass Pa und sie sich kannten.«
»Und nicht nur das, CeCe – sie hat ihm das Leben gerettet. Wäre Sarah nicht gewesen, hätte Pa sich womöglich wirklich ins Meer gestürzt. Ohne unsere Großmutter wäre Pas Leben damals schon zu Ende gewesen. Und wir alle wären heute nicht hier.« Star drückte die Hand ihrer Schwester. »Das ist so überwältigend.«
CeCe lächelte unter Tränen. »Stimmt. Das ist echt cool. Aber die Vaughans haben auch eine wichtige Rolle gespielt. Hört sich doch so an, als sei Pa in High Weald richtig glücklich gewesen.«
Star lachte leise. »Ja, stimmt. Vor allem Flora muss wundervoll gewesen sein. Aber Großvater Teddy hätte beinahe Pas Ende bedeutet! So ein …« Star erwog ihre Worte sorgfältig. »… verdammter Dreckskerl!«, rief sie dann aus, sehr zu CeCes Erstaunen.
»Ja, tut mir leid, Star«, sagte sie. »Aber wir können schließlich nicht alle Helden als Vorfahren haben, oder?« Sie stand auf und rieb sich die Augen, ging dann zum Minikühlschrank und nahm eine Flasche Wasser heraus. »Möchtest du auch eine? Du hast locker ein paar Stunden vorgelesen.« Als Star nickte, warf CeCe ihr eine Flasche zu. »Also. Was meinst du denn nun, was damals mit Elle passiert ist?«
Star schraubte die Flasche auf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Das Ganze ist so seltsam. Die beiden waren doch eindeutig wahnsinnig verliebt ineinander.«
CeCe ließ sich auf dem Rand des Schreibtischs nieder. »Es sei denn, Pa hat sich geirrt.«
»Was meinst du damit?«, fragte Star.
»Wir sehen jetzt alles, was Pa geschrieben hat, als Tatsache an. Aber es ist nur seine Sichtweise der Geschichte. Könnte doch auch sein, dass Elles Gefühle vielleicht weniger intensiv waren, oder? Pa wurde immerhin von diesem Psycho Kreeg, der ihn umbringen wollte, durch die ganze Welt gejagt. Ich meine, auch wenn man jemanden wirklich liebt, ist das doch ziemlich heftig, findest du nicht?« CeCe trank einen großen Schluck aus ihrer Flasche.
Star überlegte. »Aber Pa und Elle hatten schon so viel zusammen durchgemacht. Ich verstehe einfach nicht, wie sie ihn dann einfach da am Hafen im Stich lassen kann. Das ist doch total sonderbar.«
CeCe lachte. »Stimmt, aber so war Pa eben auch. Ziemlich sonderbar.« Sie stand auf und streckte sich neben Star auf dem Bett aus.
Es klopfte an der Kabinentür, und Elektra kam herein. Sie trug einen orangefarbenen Kaftan. »Seid ihr beide fertig mit Lesen?«, fragte sie.
»Ja, Star hat gerade aufgehört«, antwortete CeCe.
Elektra kam hereingefegt und gesellte sich auf dem Bett zu ihren beiden Schwestern. »Das ist doch echt der Hammer, die ganzen Geschichten. Diese Frau, die Pa bei der Demonstration in New York kennengelernt hat? Das war meine Urgroßmutter! Oder zumindest indirekt. Sie hat sich meiner Oma angenommen, als die ein Kind war. Das ist doch vollkommen abgefahren, oder?«
»Wow, Elektra. Wir hatten uns schon überlegt, ob es da einen Zusammenhang zu dir gibt.« Star nahm die Hand ihrer Schwester.
»Aber hoppla! Und können wir bitte mal über Georg und Claudia reden? Das gibt’s doch gar nicht, oder? Ich wäre nie draufgekommen, dass die beiden Geschwister sind. Die haben sich sogar die ganzen Jahre über immer gesiezt.«
Star schüttelte staunend den Kopf. »Ja, unglaubliche Enthüllung. Kein Wunder, dass Georg Pa gegenüber immer so treu ergeben war. Er hat die beiden als Kinder gerettet.«
»Dank seiner superreichen Großmutter«, bemerkte Elektra. »Irrer Glücksfall.«
»Also, ich finde aber, das hatte Pa mehr als verdient, Elektra«, erwiderte Star etwas mahnend. »Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, dem so viel Schlimmes widerfahren ist.«
»Ja, stimmt schon«, räumte Elektra ein. »Weiß ja nicht, wie’s euch geht, aber ich bin wahnsinnig neugierig darauf, was er über Russland schreibt.«
Star klatschte aufgeregt in die Hände. »Ich auch! Ein bisschen haben wir darüber schon gelesen. Pas Vater hat für den Zaren gearbeitet, Nikolaus II. Wartet nur ab, bis Orlando das mitbekommt. Der wird sich gar nicht mehr einkriegen.«
Elektra seufzte. »Wenn ich ehrlich bin, Star, ich weiß absolut nichts über diese Zeit. Worum ging’s da?«
»Viel Ahnung habe ich auch nicht, aber ich erinnere mich noch an ein paar Sachen aus der Schule. Zar Nikolaus II. war der letzte Kaiser von Russland. Er musste 1917 abdanken.«
»Warum?«, fragte CeCe.
»Wegen der Revolution«, antwortete Star. »Der russische Zar war extrem mächtig, die höchste Macht im Staat, und der Wohlstand des Volkes hing einzig und allein von ihm ab.«
»Also war der so was wie ein Diktator?«, fragte Elektra. »Ein Schurke?«
Star zuckte mit den Achseln. »Wohl schon, ja. Es war jedenfalls eine Autokratie. Dem russischen Volk ging es schlecht, es gab Hungersnöte in einem bitterkalten Winter. Und nicht zu vergessen waren die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs. Nach den Entbehrungen und katastrophalen Verlusten sehnten sich die Menschen nach Frieden. Deshalb wurde er gestürzt.«
CeCe und Elektra brauchten einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. »Was passierte dann mit dem Zaren?«, fragte Elektra schließlich.
»Er und seine Familie wurden ermordet. Wladimir Lenin und die Revolutionäre, die Bolschewiken, übernahmen die Regierung.«
»Warum haben sie den Zaren so sehr gehasst?«, wollte CeCe wissen.
»Die Bolschewiken fanden, die Monarchie sei ein Geschwür, das den Aufstieg der Arbeiterklasse verhindere. Und was macht man mit einem Geschwür?«
»Man schneidet es raus«, antwortete Elektra. Star nickte.
***
Maia streckte sich in ihrem Sessel. »Oh, Pa«, flüsterte sie vor sich hin. »Wie schrecklich muss das alles gewesen sein.« Sie stand auf, durchquerte den Salon und trat zu dem großen Panoramafenster. Der Wellengang schien stärker zu werden, während die Titan Richtung Delos fuhr.
»Hallo? Maia?«, sagte jemand von der Tür.
»Hi, Merry. Wie geht’s dir?«
Merry trat zu ihrer jüngst gefundenen Schwester und legte ihr die Hand auf den Rücken. »Ach, nicht schlecht. Aber ich kann nicht glauben, dass Atlas Elle so urplötzlich verloren hat. Das widerspricht doch jeder Logik.«
Maia dachte einen Moment nach. »Ja, das empfinde ich auch so. Es schien doch, als wären die beiden so glücklich zusammen.« Dann merkte sie, dass Merry den Blick zu Boden gewandt hatte. »Ach, herrje, entschuldige bitte, Merry, ich habe gerade gar nicht daran gedacht … Es ist ja deine Mutter, von der du das erfährst. Für dich muss es besonders schlimm sein.«
Merry machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, für dich aber auch. Ich habe meine Mutter schließlich gar nicht gekannt. Aber um dich muss man sich Sorgen machen, Maia. Ich weiß, dass der Sohn dieses scheußlichen Kreeg Eszu dich schrecklich behandelt hat.« Sie nahm Maia in die Arme. »Ich kann mir kaum vorstellen, was du jetzt durchmachen musst.«
Maia legte den Kopf an Merrys Schulter. »Danke, Merry. Das habe ich jetzt gebraucht.«
»Ich weiß, Liebes«, sagte Merry lächelnd. Dann ließ sie Maia los und stützte die Hände in die Hüften. »Ich wollte dir etwas erzählen.«
»Nur zu.«
»Wie du ja weißt, weisen meine Koordinaten auf der Armillarsphäre zu diesem Haus in West Cork, das anscheinend der Familie Eszu gehörte.«
»Ja«, bestätigte Maia.
»Ich habe meinem Freund Ambrose davon erzählt, und er hat versprochen, ein paar Nachforschungen anzustellen. Er hat sich durch halb West Cork telefoniert und wurde von einem zum Nächsten vermittelt. Schließlich landete er bei einer Familie in Ballinascarthy.«
Maia sah ihre Schwester etwas ratlos an. »Entschuldige, aber ich habe keine Ahnung, wo das ist.«
»Ah.« Merry schnalzte mit der Zunge und grinste. »Natürlich, wie denn auch. Es ist ein kleines Dorf ganz in der Nähe von Argideen House.«
»Okay, ich kann dir folgen.« Maia nickte.
»Es hat sich herausgestellt, dass der Großvater der Familie, Sonny, in den Fünfzigerjahren in Argideen House als Gärtner tätig war. Der alte Knabe ist fast hundert, hat aber munter über seine Zeit dort erzählt.«
Maia sah Merry mit großen Augen an. »Und was hat er erzählt?«
Merry zuckte mit den Achseln. »Na ja, nicht allzu viel. Nur, dass er den Besitzer selten gesehen hat, weil der ständig auf Reisen war. Es gab offenbar noch zwei weitere Gärtner, und allen war der Zutritt zum Haus strengstens untersagt. Er hat sich aber an eine Haushälterin erinnert.«
Maia zog eine Augenbraue hoch. »Hast du ihren Namen erfahren?«
»Sonny konnte sich leider nicht daran erinnern. Er sagte, sie habe das Haus so gut wie nie verlassen und mit niemandem jemals auch nur ein Wort gesprochen. Und eines Tages war sie wohl dann einfach verschwunden. Danach bekamen sie den Besitzer monatelang nicht zu Gesicht, erhielten aber weiterhin ihr Geld und erledigten die Gartenarbeit.«
Maia versuchte angestrengt, die einzelnen Fäden zu verknüpfen, doch es wollte ihr nicht gelingen. »Aber was um alles in der Welt soll das mit dir zu tun haben, Merry? Warum weisen deine Koordinaten zum Haus von Kreeg Eszu? Das kann ich mir beim besten Willen nicht erklären.«
»Ich auch nicht, Maia«, sagte Merry seufzend.
Die beiden Frauen blickten in Gedanken versunken aufs Meer hinaus.
Plötzlich hörten sie vor der Salontür ein lautes Krachen und eilten hinaus, um nachzusehen, was da vor sich ging. Zu ihrem Schrecken sahen sie, wie Ally Georg im Gang in eine Ecke drängte und ihm mit dem Zeigefinger fast ins Gesicht stach.
»Ich meine es ernst, Georg. Wir gehen. Und zwar sofort. Es ist mir vollkommen egal, welche Anweisungen es da gibt. Ist Ihnen überhaupt klar, dass auf diesem Schiff Menschen sind, die …«
Jetzt entdeckte Georg Maia und Merry. »Hallo, meine Damen«, sagte er ruhig. Ally fuhr herum.
»Ally? Alles in Ordnung? Was ist denn hier los?«, fragte Maia.
Ally war sichtlich verlegen. »Ja, alles gut. Alles ist in Ordnung, nicht wahr, Georg?«
»Aber sicher«, antwortete der Anwalt rasch. »Ally und ich hatten uns nur gerade … über die Zukunft der Titan unterhalten. Das war alles.«
»Genau«, bekräftigte Ally, die sich wieder gefasst hatte. »Georg meint, wir sollten sie im Winter vielleicht vermieten, weil wir sie da nicht benutzen.«
Maia wusste, dass ihre Schwester log. »Ich hätte aber nicht gedacht, dass du dich darüber so aufregst, Ally.«
Ally lief rot an. »Ja, tut mir leid. Du weißt ja, wie leidenschaftlich ich bin, wenn es um Boote geht, Maia. Da kann ich mich manchmal nicht beherrschen.«
Maia warf ihrer Schwester einen skeptischen Blick zu und wandte sich dann an Georg. »Kommen Sie.« Sie trat zu ihm und umarmte ihn. »Warum haben Sie uns nie von Claudia und Ihnen erzählt?«
Georg schien zu dämmern, was sie damit meinte. »Oh, das Tagebuch. Sie sind bei der Stelle angekommen, als Ihr Pa uns begegnet ist?«
»Ganz genau«, bestätigte Maia.
»Sie sind gerade bei den Leuten einquartiert worden, die sich um Agathas Haus gekümmert haben«, fügte Merry hinzu.
Georg lächelte bei der Erinnerung daran. »Die Hoffmans waren sehr liebe Menschen.«
»Kein Wunder, dass Sie und Pa sich so nahestanden«, fuhr Maia fort. »Sie kannten ihn ja praktisch schon Ihr ganzes Leben. Ist das nicht verrückt, Ally?«
Ally sah vollkommen verwirrt aus. »Ja, ähm … doch«, stammelte sie.
»Du hast die hundert Seiten aber gelesen, oder nicht?«, hakte Maia nach. »Das hatten wir für alle verabredet.«
»Tut mir leid, Maia, nein.« Ally seufzte. »Georg und ich hatten dieses Gespräch über … die Titan .«
»Oh.«
»Na, schätze, du hast ein bisschen was nachzuholen, Ally«, warf jetzt Merry ein. »Dann lassen wir dich am besten in Ruhe, oder? Komm, Maia, lass uns mal sehen, ob wir irgendwo einen Kaffee auftreiben können.« Sie nahm Maia bei der Hand und ging mit ihr den Korridor entlang. »Was war da denn los?«
»Ja, seltsam, oder?«, erwiderte Maia. »Da ist irgendetwas im Argen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nichts mit der Vermietung der Titan zu tun hat.«
***
»Es ist so schrecklich, was mit Elle passiert ist, Ma.« Tiggy wischte sich eine Träne aus dem Auge, während sie mit Marina auf den Samtbänken im Bug des Oberdecks saß.
Marina rückte Bär zurecht, der in ihren Armen schlummerte. »Ich weiß, chérie , ich weiß. Aber ich versuche daran zu denken, dass Pa dich ohne diese Ereignisse niemals gefunden hätte. Und mich auch nicht!«
Tiggy stützte den Kopf in die Hände. »Wusstest du das von Georg und Claudia? Dass er sie als Kinder entdeckt hat?«
Marina nickte. »O ui , natürlich.«
»Und diese ganze Geschichte mit Kreeg Eszu?« Tiggy sah traurig aus.
»Ja«, antwortete Marina mit gedämpfter Stimme. »Ich brauche sicher nicht zu erklären, warum ich nie ein Wort über ihn verloren habe. Und warum wir euch nie erzählt haben, dass Georg und Claudia Geschwister sind. Euer Pa meinte, aus Sicherheitsgründen wäre es besser, die familiären Zusammenhänge zu verschleiern. Du weißt ja jetzt, wie gefährlich Kreeg Eszu war. Und nach allem, was dann mit Zed passiert ist …«
»Ich weiß, Ma.« Tiggy seufzte. »In seinem Tagebuch bin ich bis zu der Stelle gekommen, als Pa Australien verlassen hat, um nach Elle zu suchen. Wann begegnet er dir?«
Marina blickte auf ihr schlafendes Quasi-Enkelkind. »Bald, chérie , schon bald. Ich hoffe nur, dass ihr nicht zu hart über mich urteilen werdet. Wie ihr auf dieser Reise schon erfahren habt, gibt es vieles, was ihr bisher nicht wusstet.«
Tiggy rückte näher und legte Marina den Arm um die Schultern. »Ach, Ma, was wir da auch erfahren, es wird nichts verändern. Niemals. Ich habe dich sehr lieb.« Tiggy küsste Marina sachte auf die weiche Wange.
»Danke, Tiggy. Ich habe dich auch sehr lieb.«
Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen. Dann sagte Tiggy: »Kann ich dich etwas fragen?«
»Natürlich, du kannst mich immer alles fragen.«
»Du hast so viele Jahre mit Pa zusammengelebt. Hast du jemals … du weißt schon …?«
»Was denn, chérie ?«, fragte Marina verwirrt.
»Ich meine, warst du nicht in ihn verliebt?«
»Ooh! Du hattest nicht gesagt, dass die Frage indiskret sein würde!«
»Hihi, entschuldige, Ma. Aber du weißt doch, dass ich Dinge spüren kann. Und ich habe eben immer schon gespürt, dass du eine große Sehnsucht in deinem Herzen trägst.«
Marina sah sie erstaunt an. »Ach so, hast du das, mein kleiner Igel?« Als Tiggy langsam nickte, seufzte Ma. »Euer Vater war ein sehr attraktiver Mann und in vielerlei Hinsicht vollkommen. Er sah gut aus, war liebenswürdig und intelligent … rundum ein angenehmer und warmherziger Mensch. Aber ich kann dir versichern, dass ich in meinem ganzen Leben nicht auch nur eine Sekunde lang auf diese Art an ihn gedacht habe.«
Tiggy war ein wenig verwirrt. »Wirklich nicht?«
»So wahr mir Gott helfe«, antwortete Marina feierlich.
»Normalerweise irre ich mich bei so etwas nicht«, sagte Tiggy stirnrunzelnd.
Marina errötete. »Nun hör auf, chérie , du bringst eine alte Frau in Verlegenheit.«
»Nun sei nicht albern, Ma, du darfst dich doch nicht als alt bezeichnen! Aber ich muss es einfach wissen – wer ist denn dann der geheimnisvolle Mann, nach dem du dich sehnst?«, raunte Tiggy.
Marina schnalzte mit der Zunge. In dem Moment, in dem es den Anschein hatte, als wolle sie antworten, erschien Charlie auf Deck.
»Da bist du ja, Liebling.« Er strahlte Tiggy an.
»Hallo, Charlie. Ist alles in Ordnung bei dir?«
»Ja, danke, alles bestens. Hört mal, ich bin von Ally auf eine Mission geschickt worden. Ihr sollt nämlich alle das Tagebuch bis heute Abend vor dem Essen zu Ende gelesen haben, sagt sie.«
»Ach so? Aber es dauert doch noch ziemlich lange, bis wir Delos erreichen«, wandte Tiggy ein.
»He, ich gebe nur weiter, was man mir aufgetragen hat!« Charlie hielt scherzhaft die Hände hoch. »Aber ganz im Ernst, ihr scheint viel daran zu liegen, dass alle auf dem gleichen Stand sind …«
»Danke, Charlie. Dann werde ich mal fleißig sein. Sind es die anderen auch?«
»Gab bislang keine Klagen.« Charlie beugte sich über den kleinen Bär. »Das Kerlchen wächst ja schon mächtig, wie?« Er strich dem Baby sanft über den Kopf. »Gut, dann gehe ich mal wieder. Bis später.« Charlie verschwand nach drinnen.
Tiggy runzelte die Stirn. »Ally muss aus einem bestimmten Grund wollen, dass wir alle das Tagebuch so schnell wie möglich zu Ende lesen. Weißt du etwas darüber?«
Marina errötete erneut. »Nein.«
Tiggy stupste sie an. »Du würdest mir aber schon sagen, wenn hier irgendwas … Komisches abläuft, oder, Ma? Es fühlt sich ganz scheußlich an, nicht eingeweiht zu werden.«
»Ich würde dich nicht belügen, chérie «, antwortete Marina ausweichend.
»Na, dann.« Tiggy schlug sich auf die Knie und erhob sich. »Weißt du, ich habe so ein quirliges, blubberndes Gefühl in mir. Ich spüre irgendetwas, aber ich weiß noch nicht, was es sein könnte …«
»Vielleicht hat es mit Merry zu tun?«, schlug Marina vor. »Pas leibliche Tochter ist hier auf dem Schiff. Das würde doch passen, oder nicht?«
Tiggy zuckte mit den Achseln. »Kann schon sein. Na, ich gehe am besten mal wieder in meine Kabine und lese das Tagebuch zu Ende.«
»Gut, chérie . Wir sehen uns später.«
Sobald Tiggy außer Sichtweite war, legte Marina den kleinen Bär auf die Samtkissen und schrieb eilig eine SMS an Georg Hoffman.