Epilog

Atlantis
Ein Jahr später

Es war eng, aber die sieben Schwestern passten gerade noch alle in Christians kleines Motorboot, das sie zum und vom Festland übersetzte.

»Sind Sie sicher, dass Sie mit der Bedienung klarkommen, Ally?«, fragte er.

»Ja, danke«, antwortete sie und stellte sich ans Steuer.

»Also, Ma, wir sind so weit«, sagte Maia, drehte sich zum Anlegesteg und streckte beide Arme aus.

»O ui, chérie .« Ma reichte ihr die kunstvolle Messingurne, die Atlas’ Asche enthielt. Dann trat sie zwei Schritte zurück, und Georg legte ihr liebevoll die Hände auf die Schultern.

»Seid ihr beiden sicher, dass ihr nicht doch mitkommen wollt? Christian könnte bestimmt ganz schnell ein zweites Boot besorgen«, schlug Elektra vor.

»Danke, chérie , aber nein. Es ist schon richtig so, dass ihr sieben ihn auf seinem letzten Weg begleitet«, erwiderte Ma.

»Wir warten hier auf euch«, versicherte Georg.

Ally nickte Christian zu, und der löste die Leinen vom Steg, dann legte sie den Gang ein und fuhr langsam mitten in den See hinaus. Es war ein strahlender Junitag, die Sonne glitzerte warm auf dem spiegelglatten Wasser. Ally vergewisserte sich, dass die gewählte Stelle tatsächlich abgelegen war, und stellte den Motor aus, dann ließen die Frauen die Stille des Sees und der Berge auf sich wirken.

Erstaunlicherweise empfand keine von ihnen Trauer, im Gegenteil, jede von ihnen war erfüllt von einem Gefühl der Ruhe, weil sie ihrem Vater schließlich den Abschied bereiten konnten, der ihnen anfänglich verwehrt worden war. Eine Weile schaukelte das Boot sacht auf dem Wasser.

»Ally, könntest du …?«, fragte Maia schließlich.

Ihre Schwester nickte und holte ihren Flötenkoffer hervor, den sie unter der Sitzbank verstaut hatte. Sie nahm das Instrument heraus, steckte es zusammen und setzte die Metallplatte an die Lippen. Dann begann sie zu spielen. Die jungen Frauen hatten sich für »Jupiter« aus Gustav Holsts Die Planeten entschieden, eines von Pas Lieblingsstücken.

Ally spielte so anmutig wie immer, die Musik trieb über den See hinweg nach Atlantis. Alle Schwestern schlossen die Augen und sprachen in Gedanken mit ihrem Vater. Sie dankten ihm, dass er sie vor dem Leben bewahrt hatte, das ihnen womöglich bevorgestanden hätte, und für seine bedingungslose Liebe.

»Danke, Ally«, sagte Star, als ihre Schwester die Flöte sinken ließ.

»Also dann.« Vorsichtig hob Maia den Deckel von der Urne, nahm eine Handvoll Asche heraus und streute sie aufs Wasser. »Auf Wiedersehen, Pa«, sagte sie gefasst.

Die Urne wurde von einer Schwester zur nächsten gereicht. Einige sprachen ein paar Worte, andere schwiegen.

Schließlich gelangte die Urne zu Merry. »Danke.« Lächelnd holte sie tief Luft. »Pa, obwohl ich dich kaum kannte, bin ich sehr stolz, deine Tochter zu sein.« Damit verteilte sie die letzte Asche auf der Wasseroberfläche.

Eine Weile später ließ Ally den Bootsmotor wieder an und steuerte ihre Schwestern an Land zurück. Auf dem Rasen jenseits des Anlegestegs hatte sich eine große Schar eingefunden, Familienangehörige, Freundinnen und Freunde wollten auf das außergewöhnliche Leben Atlas Tanits anstoßen. Nachdem Christian das Boot wieder vertäut hatte, reichte er Maia die Hand, und sie trat auf den hölzernen Steg. Valentina kam herbeigeeilt und schlang die Arme um sie, gefolgt von Floriano, der Bel im Arm hielt, ihre drei Monate alte Tochter. Die Kleine gluckste fröhlich, als sie ihrer Mutter in den Arm gelegt wurde.

»Hallo, meine Süße«, flüsterte sie. »Jetzt schauen wir mal zu, dass wir Platz machen, damit alle anderen auch aussteigen können.«

Nacheinander kamen die Schwestern an Land und wurden von liebenden Armen empfangen. Es war in der Tat ein großer Tag, Familien lernten andere Familien kennen, Menschen aus aller Herren Länder fanden sich in Atlantis zusammen.

»Komm her, Al«, sagte Jack und schloss seine Partnerin in die muskulösen Arme.

Nach dem nun tatsächlichen Tod ihres Vaters war Jack für Ally eine große Stütze gewesen. Selten hatte sie sich derart umsorgt gefühlt. Als sich nun nach dem Tag auf Delos alle in Atlantis einfanden, brachte Merry einen Trinkspruch auf das Paar aus.

»Da wir alle gerade ein Glas Champagner in der Hand halten, würde ich gern auf Jacks und Allys Wohl trinken! In den letzten Tagen habt ihr euch, nun ja, offenbart, und es ist wunderbar, euch so glücklich zu sehen.«

»Hört, hört!«, rief Mary-Kate fröhlich, woraufhin die Schwestern in Jubel ausbrachen und Ally vor Verlegenheit ganz rot wurde.

Jack gab ihr einen zärtlichen Kuss. »Wir konnten dich von hier spielen hören. Es war wunderschön.«

»Das musst du ja sagen«, wehrte Ally mit einem kleinen Lachen ab.

»Nein, das ist wahr. Du hast großartig gespielt. Notenperfekt«, bestätigte Allys Zwillingsbruder Thom, der als Nächster dastand, um sie zu umarmen.

»Das meint er wirklich«, bestätigte Felix, der Orangensaft und keinen Champagner im Glas hatte. »Mir reibt Thom es immer sofort unter die Nase, wenn ich patze.« Er lachte. »Das hast du wirklich gut gemacht. Dein Pa Salt wäre sehr stolz.«

»Danke, Felix.«

»Mama!«, rief Bär, der in Hochgeschwindigkeit auf Ally zu wackelte und auf der einen Seite Mas Hand, auf der anderen Georgs umklammerte.

»Du bist zu schnell für deine Oma, chéri !«, protestierte sie.

»Und für deinen Opa, wie’s aussieht, offenbar auch«, sagte Ally und lächelte Georg zu. »Hallo, Bär.« Sie nahm ihren Sohn in die Arme.

»Er versucht, mit seinem neuen Freund Rory mitzuhalten«, meinte Jack lachend. »Der rast ja wie ein Irrer hier rum!«

»Darf ich dir ein Glas Champagner bringen, Ally?«, erbot sich Thom.

Sie zögerte und warf Jack einen Blick zu. »Ich glaube, ich halte mich einstweilen wie Felix lieber an Orangensaft.«

»Kommt gleich«, versprach Thom und verschwand Richtung Haus.

Etwas weiter den rasenbewachsenen Abhang hinauf bestaunte Orlando Forbes die bemerkenswerte Bauweise von Atlantis. »Das Haus ist hinreißend!«, schwärmte er. »Einfach hinreißend! Und du sagst, ihr hättet festgestellt, dass es erst in den Sechzigerjahren gebaut wurde? Ich kann es gar nicht glauben, Star. Ich habe ein Auge für derlei und hätte geschätzt, dass es eindeutig achtzehntes Jahrhundert ist.« Er stemmte die Hände in die Hüften. »Ein wahres Meisterwerk der Architektur.«

»Es würde ihn sehr freuen, dass du es zu würdigen weißt, Orlando«, erwiderte Star. »Aber ohne deine Großeltern hätte er das alles nie im Leben geschafft.«

»Der gute alte Opa Rupert, was?«, meinte Orlando.

»Tapferkeit und Anstand liegen den Forbes eindeutig im Blut«, warf Maus ein.

»Ja. Wie schade, dass die Eigenschaften bei euch beiden offenbar eine Generation übersprungen haben«, gab Star lachend zurück.

»Oh, das versetzt mir einen tödlichen Stich ins Herz, Madam!«, rief Orlando theatralisch und fasste sich an die Brust.

»Wenn du dich anständig aufführst, erlaube ich dir vielleicht sogar, in Pas Bibliotheken zu schmökern«, bot Star an.

»Untersteh dich anzudeuten, ich könnte mich jemals unanständig benehmen«, entgegnete Orlando.

»Im Zusammenhang mit dir sind Andeutungen völlig überflüssig, lieber Bruder.« Maus trank einen Schluck Champagner.

Star warf über seine Schulter einen Blick zu ihrer endlich gefundenen Schwester. »Mir ist gerade eingefallen, Orlando – bist du Merry eigentlich schon offiziell vorgestellt worden?«

Bei der Erwähnung ihres Namens drehte Merry sich um. »Sprecht ihr etwa über mich?«, fragte sie und kam auf das Grüppchen zu. »Sieh mal an«, sagte sie schmunzelnd. »Wenn das nicht der Viscount höchstpersönlich ist! Was macht dieser Tage der Weinjournalismus?«

Fast schien Orlando um mehrere Zentimeter zu schrumpfen. »Ähm, Merry, ich bitte aufrichtig um Entschuldigung wegen meiner kleinen List. Aber Sie stimmen mir sicher zu, dass ich das Beste aller im Sinn hatte …« Er schüttelte Merry die Hand.

Mary-Kate gesellte sich zu ihnen. »O mein Gott, du bist Orlando? Der Typ, der sich als Viscount ausgegeben hat? Du bist in unserer Familie quasi eine Legende!«

»Ach, tatsächlich?«, fragte Orlando erfreut.

»Ja! Wir machen die ganze Zeit Witze drüber. Wenn jemand flunkert, dann sagen wir, dass derjenige ›den Orlando macht‹!«

Beim Anblick, wie sein Bruder merklich zusammenzuckte, brach Maus in Gelächter aus.

»Entschuldigt, wenn ich unterbreche«, mischte Georg sich ein. »Mir ist gerade eingefallen, Merry, dass ich auf einigen Erbschaftsunterlagen eine Unterschrift von dir brauche. Darf ich dich kurz entführen?«, fragte er.

»Georg, ich folge dir!« Sie winkte der Gruppe zu und verschwand mit dem Anwalt im Haus.

»Es freut mich, dass du schließlich doch noch deine Weltreise unternommen hast, Merry.«

Sie lachte. »Ich freue mich auch, Georg. Obwohl es nicht ganz die Route war, die ich anfangs geplant hatte. Ich bin erst gestern Abend von Granada hier angekommen!«

»Das habe ich schon gehört. Ich finde es großartig, dass du beschlossen hast, alle Orte aufzusuchen, an denen dein Vater im Lauf der Jahrzehnte gewesen ist.«

Merry nickte. »Ich wollte sie alle mit eigenen Augen sehen. Seine Lebensgeschichte ist das Verblüffendste, was ich je gelesen habe.«

»Und du bist wirklich an allen Orten gewesen?«

»Aber ja«, antwortete Merry stolz. »Ich habe den Bahnhof in Tjumen gesehen, Landowskis früheres Atelier, den Hafen von Bergen, Coober Pedy … die Liste ist schier endlos. Jetzt fühle ich mich ihm sehr nah.«

Georg legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ich bin mir sicher, dass er bei dir ist. Apropos … Ally und Jack haben erzählt, dass Monsieur Peter, dein alter Freund aus Irland, dich zu einigen deiner europäischen Ziele begleitet hat?« Er hob fragend die Augenbrauen, und Merry lachte.

»Gleich werde ich rot, Georg.«

»Entschuldige. Aber es freut mich, das zu hören«, erwiderte er aufrichtig.

»Und ich freue mich, von dir und Marina zu hören!«

Ein Lächeln zog über Georgs Gesicht. »Wir lieben uns seit über dreißig Jahren. In all den Jahren habe ich ihre Anmut bewundert, ihre Schönheit, ihre Geduld … aber ich habe nie den Mut gefunden, etwas zu sagen. Wie sich herausstellte, ging es ihr genauso.«

Georg führte Merry in Atlas’ Büro. Sie hatte es erst ein Mal betreten und eine Gänsehaut bekommen, als sie die Präsenz ihres Vaters gespürt hatte. Und so beeindruckend die Batterie der Computer und Videobildschirme auch gewesen war, ihr Blick hatte vor allem den persönlichen Gegenständen gegolten, die hier und da auf den Regalen hinter dem Schreibtisch standen. Sie lächelte angesichts mehrerer Exemplare von Griegs Glücksfrosch, einer alten Geige und eines Opalklumpens, noch eingebettet im umgebenden Gestein.

Merry folgte Georg zum Schreibtisch, wo er ihr ein Dokument vorlegte. »Wenn du bitte hier unterschreiben könntest. Damit hast du offiziell genauso wie deine Schwestern Anrecht auf das Familientreuhandvermögen, ganz so, wie Atlas es sich gewünscht hat.«

»Es ist sehr nett von den anderen, dem zuzustimmen. Ich habe nie erwartet …«

Georg unterbrach sie. »Du weißt ja, deine sechs Schwestern haben darauf bestanden, dass du gleichberechtigt wirst.« Merry nickte und zog die Kappe vom Füller. »Musst du uns heute Abend wirklich verlassen, Merry? Du wirst uns allen fehlen.«

Sie seufzte. »Tut mir leid, aber ich muss wirklich weg. Allerdings fahre nur ich, Mary-Kate bleibt, genauso wie Jack und Ally. Ich habe versprochen, nach Dublin zu fliegen und Ambrose zu besuchen.« Merrys Miene wurde bekümmert. »Seine Gesundheit lässt sehr nach. Er hat im Lauf der Jahre so viel für mich getan, da möchte ich jetzt gern für ihn da sein.«

Georg nickte mitfühlend. »Das können die anderen bestimmt verstehen.«

»Außerdem …« Merry hatte das Dokument unterschrieben und setzte sich nun in Atlas’ Ledersessel am Fenster.

»Ja, Merry?«

»Erinnerst du dich, dass mein Vater in seinem Tagebuch Elles Bruder erwähnt – meinen Onkel? Er schrieb, dass er als Neugeborener adoptiert und irgendwohin innerhalb Europas gebracht wurde.«

»Doch, ich erinnere mich«, antwortete Georg und lehnte sich an den Schreibtisch.

»Ich versuche herauszufinden, was aus ihm geworden ist. Ich wühle ein bisschen in der Vergangenheit.«

Ein Lächeln umspielte Georgs Mundwinkel. »Und? Hast du schon etwas herausgefunden?«

Merry machte eine vage Geste. »Hier und da ein paar Brocken. Ich habe gemeinsam mit Ambrose erste Nachforschungen angestellt, vor allem, um ihm etwas zu tun zu geben. Aber mittlerweile hat es mich gepackt, jetzt möchte ich wirklich erfahren, was aus dem Bruder geworden ist. Es ist natürlich unwahrscheinlich, aber …« Merrys Augen funkelten. »Mit etwas Glück könnte er noch am Leben sein.«

Georg nickte. »Ich sehe schon, Merry, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und es versteht sich sicher von selbst, aber wenn du je meine Unterstützung brauchst, wäre es mir eine Freude.« Er sah zu der Ansammlung von Menschen hinaus, die sie vor wenigen Minuten verlassen hatten. »Ich glaube auch, dass Orlando Forbes bei derlei Dingen ziemlich nützlich sein kann.«

Merry lachte. »Ach, wirklich?«

Georg nickte. Ihr Gespräch wurde unterbrochen von den Stimmen CeCes und Chrissies, die sich der geöffneten Bürotür näherten.

»He, ich will alles über die Geheimtunnel erfahren, die es hier gibt!«, rief Chrissie.

»Aber die lassen wir jetzt zumauern«, erwiderte CeCe. »Mit solchen Sachen ist jetzt Schluss.« Da bemerkte sie Georg und Merry. »Hi, ihr beiden. Ihr wisst wohl auch nicht, wo sich Opa Francis rumtreibt, oder?«

Georg deutete mit dem Kopf Richtung Fenster. »Er sitzt auf der Terrasse, CeCe.«

»Super, danke!« Sie und Chrissie gingen weiter zur Küche und traten durch die Glasschiebetür auf die Terrasse. Dort entdeckten sie Francis Abraham, der am antiken bronzenen Gartentisch saß, und zogen zwei Stühle für sich heraus.

»Ah, Mädchen!«, rief er. »Ich habe mich schon gefragt, wo ihr wohl seid. Ich wollte euch noch mal für die Einladung danken. Ich fühle mich geehrt, dein Zuhause zu sehen und das Leben deines Vaters zu würdigen, CeCe.«

»Danke, dass du die Reise auf dich genommen hast, Francis! Es freut mich riesig, dass du mit dabei bist.« CeCe nahm die Hand ihres Großvaters und drückte sie fest.

»Ich würde gern den See malen. Meinst du, dass das möglich ist?«, fragte er.

»Klar! Ich habe oben in meinem Zimmer Leinwände und Paletten, da können wir dir später was zusammensuchen.«

Am anderen Ende des Tisches erging sich Zara, Charlies Tochter, in Schwärmereien über Atlantis. »Können wir nicht einfach hier leben? Es ist irre!« Sie setzte sich, ebenso wie Charlie und Tiggy.

»Ach, ich weiß nicht, ob dir das so gut gefallen würde«, gab Tiggy zu bedenken. »Wann immer du auf eine Party möchtest, müsstest du ins Boot steigen.«

Zara lachte. »Tja, dann müssten wir die Partys einfach hier veranstalten!«

»Ich weiß ja nicht, ob die arme Claudia mit einer deiner berühmten Gelage zurechtkommen würde«, meinte Charlie und fuhr seiner Tochter durchs Haar.

»Lass das, Dad!«, empörte sich Zara.

»Ja, lass das, Charlie«, stimmte Tiggy zu und zauste Charlie heftig die kastanienbraunen Locken.

»Schon gut, schon gut, Botschaft angekommen.« Ihm fiel etwas ein. »Würdet ihr mich für zehn Minuten entschuldigen? Ich habe Ally versprochen, mich kurz mit ihr zu unterhalten. Weißt du noch, wo ich meine große Tasche hingestellt habe, Tigs?«

»In die Küche, glaube ich.«

»Alles klar. Bin bald wieder bei euch.« Damit stand Charlie auf und ging ins Haus.

Fragend blickte Zara zu Tiggy, aber die zuckte lediglich lächelnd mit den Achseln.

Anderswo zeigte Elektra Stella Jackson auf deren Bitte hin Pas ummauerte Gärten. Miles begleitete sie und lauschte ihr. »Ich weiß noch, dass er von seinen Pflanzen erzählte, als wir uns zum Essen trafen«, erinnerte sich Stella. »Er war so stolz darauf. Jetzt weiß ich, warum!«

»Er hatte so viele Talente«, sagte Elektra.

»In der Tat. Diese vielen Menschen, die ein einziger Mann zusammengeführt hat«, meinte Stella lächelnd. »Eine wunderbare Würdigung.«

»Das stimmt«, erwiderte Elektra. »Aber das Erstaunliche ist, dass die meisten Gäste, die heute hier sind, ihn nie persönlich kennengelernt haben.«

Stella legte sich die Hand aufs Herz. »Es war mir wirklich eine Freude. Er war so warmherzig und hatte eine unbeschreibliche … Art von Anstand an sich. Es ist schwer zu erklären.«

»Trotzdem weiß ich genau, was du meinst.« Elektra nickte.

»Was glaubst du, was mit alldem passieren wird?«, fragte Miles und deutete auf das Haus.

»Mit Atlantis? Wir wollen es behalten. Wann immer einer von uns das Leben zu viel wird, haben wir hier einen sicheren Ort, an den wir zurückkehren können.«

»Ein schöner Gedanke«, sagte Stella. »Sicher genau das, was er sich gewünscht hätte.«

Miles, stets der Pragmatiker, hatte noch andere Fragen. »Was wird aus Marina, Claudia und Christian? Wie geht’s für sie weiter?«

»Ally und Maia haben sich mit ihnen unterhalten. Sie möchten alle hierbleiben. Atlantis ist ebenso ihr Zuhause wie unseres. Und da Ma und Georg jetzt ja ein … was immer sie sind … mache ich mir keine Sorgen, dass sie sich einsam fühlen wird, wenn wir nicht hier sind.«

***

Innen im Haus hörten Georg und Merry ein Klopfen an der Bürotür. »Herein!«, rief der Anwalt. Maia streckte den Kopf um die Ecke. »Entschuldigung, störe ich?«

»Nein, gar nicht, meine Liebe«, sagte Merry.

»Ich wollte fragen, ob ich wohl kurz mit Georg reden könnte?«

»Aber natürlich!«, antwortete Merry. »Mir ist jetzt sowieso nach einem zweiten Glas Champagner. Georg, wir unterhalten uns nachher weiter.« Sie ging auf Maia zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Bis später.«

»Danke, Merry«, sagte Maia und schloss die Tür hinter ihr. »Also.« Sie strich ihr Kleid glatt. »Irgendwelche Fortschritte?«

Georg nickte. »Eigentlich wollte ich erst später mit dir darüber sprechen. Ich weiß doch, dass heute ein sehr emotionaler Tag ist …«

»Ist schon in Ordnung. Was gibt es Neues?«

»Ich habe Antwort von den Eltern bekommen. Erfreulicherweise ist sie genauso ausgefallen, wie du gehofft hast. Die Mutter und der Vater haben ihrem Sohn – deinem Sohn – wirklich gesagt, dass er adoptiert ist.«

Maias Magen begann zu flattern. »Schön.«

»Aber«, fuhr Georg fort, »sie haben auch gesagt, dass sie es ihm überlassen möchten, ob er Näheres über dich erfahren möchte, und zwar an seinem achtzehnten Geburtstag oder auch später. Bis jetzt hat er sich noch nicht nach seiner leiblichen Mutter erkundigt, und verständlicherweise möchten sie ihn nicht verstören.«

Maia nickte. »Das klingt wirklich sehr vernünftig.«

Georg legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. »Du bist genauso klug und umsichtig, wie Atlas es zeit seines Lebens war. Er wäre sehr stolz auf dich.«

Maia bekam feuchte Augen. »Das hoffe ich sehr, Georg. Ich habe beschlossen, dass ich ihm, wenn er achtzehn wird, einen Brief schreibe und ihn frage, ob er von seiner Vergangenheit erfahren möchte. Genauso, wie Pa es bei uns gemacht hat.«

»Und wenn du das tust, stehe ich natürlich gern als dein vertrauenswürdiger Bote zur Verfügung.«

»Danke, Georg.« Sie umarmte ihn.

Zwei Stockwerke darüber, in Allys ehemaligem Kinderzimmer, schaute Dr. Charlie Kinnaird auf das kleine Gerät, das er auf Allys Bitte aus der Praxis mitgebracht hatte.

»Fertig«, bestätigte er.

Jack saß neben Ally auf dem Bett und drückte ihr fest die Hand. »Und? Was meinst du, Doc?«

Charlie lächelte. »Es dauert noch einen Moment, bis wir es mit Sicherheit wissen.«

Ally lehnte den Kopf an Jacks Schulter. »Wie geht’s eurem weißen Hirschen, Charlie?«, erkundigte sie sich.

»Wir sehen ihn nur selten, aber wenn … dann ist es jedes Mal ergreifend. Unser Verwalter Cal wollte ihn mit einem Peilsender versehen, aber …«, Charlie zuckte mit den Achseln, »ich fand einfach, das würde seinen Zauber zerstören.« Der Arzt bemerkte den gleichen nervösen Blick bei den beiden, den er bei Paaren in dieser Situation schon oft gesehen hatte. »Was machen die Trauben, Jack?«

»Dieses Jahr hatten wir eine ziemlich gute Ernte«, antwortete er. »In einem Monat fliegen wir wieder hin, um die neuen Knospen zu begutachten.«

Charlie lächelte. »Ein Leben zwischen Norwegen und Neuseeland – da werde ich richtig neidisch!«

»Dafür müssen wir Mary-Kate danken«, erklärte Ally. »Im Winter beaufsichtigt sie alles ganz allein, und zwar großartig.« Erwartungsvoll sah sie zu Charlie. Er nahm das Gerät in die Hand und ging ans Fenster, wo es heller war.

»Also, jetzt ist es offiziell. Herzlichen Glückwunsch euch beiden.«

Lachend fielen Jack und Ally sich in die Arme.

»Ach, Charlie, danke! Danke!« Ally ging zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

»Kein Grund, mir zu danken! Aber das ist wirklich eine großartige Nachricht. Das wird für einige Aufregung bei der anwesenden Gesellschaft sorgen.«

»Das hoffe ich. Ich frage mich …« Ally verstummte, weil von draußen der Lärm eines Außenbordmotors hereindrang.

Charlie drehte sich zum Fenster um. »Offenbar bekommen wir Besuch«, sagte er.

»Wer ist das?«, fragte Ally, als sich das kleine Boot dem Anlegesteg näherte. Jack stellte sich zu ihnen ans Fenster. Unten auf dem Rasen versammelten sich alle, um den geheimnisvollen Besucher zu empfangen. Als das Boot anlegte, war der Fahrer zu erkennen. »Bitte nicht«, flüsterte Ally.

Draußen starrte Tiggy zum Anlegesteg. »Das kann doch nicht …«, stöhnte sie.

»Sorry, Tiggy«, widersprach Elektra und trat zu ihr, »ich fürchte schon.«

Zed Eszu, in einen eng geschnittenen grauen Anzug gekleidet, mit Pilotenbrille auf der Nase und geölten, zurückgekämmten Haaren, machte sein Boot fest und schlenderte auf das Haus zu.

»Verdammt«, sagte Miles, der Eszu sofort entgegenging, gefolgt von Floriano und Maus.

»Sie bleiben, wo Sie sind«, sagte Maus.

»Wer hat Ihnen erlaubt hierherzukommen? Sie begehen Hausfriedensbruch!«, rief Marina von der Terrasse.

»Das nenne ich einen herzlichen Empfang!«, erwiderte Zed mit einem aalglatten Lächeln. »Ich schaue nur vorbei, um meine Lieblingsschwestern zu besuchen und ihrem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr heute die Asche eines gemeinsamen Freundes verstreut.«

Unerschrocken bahnte sich Maia einen Weg durch die Menge, bis sie vor Zed Eszu stand. In ihrer Stimme war keinerlei Furcht zu hören, als sie sagte: »Du kannst wieder verschwinden, Zed. Hier gibt es nichts für dich zu holen. Du bist hierhergekommen, um uns Angst einzujagen, aber das funktioniert nicht mehr.«

»Euch Angst einjagen? Meine Wenigkeit? Wie könnte ein Ex-Liebhaber so was jemals tun, mein Schatz?« Floriano ballte die Fäuste. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dir nach dieser … traumatischen Zeit auch gut geht.«

»Wir haben schon damit gerechnet, von dir zu hören«, zischte Elektra. »Aber seltsamerweise hast du dich ziemlich bedeckt gehalten, seitdem dein Atlas-Projekt gescheitert ist. Als Letztes hab ich in der Zeitung gelesen, dass Lightning Communications demnächst Insolvenz anmeldet.«

Zed holte hörbar Luft. »Es stimmt wohl, dass die Neuerfindung der globalen Internet-Infrastruktur während der Finanzkrise nicht gerade meine Glanzleistung war.« Er schürzte leicht die Lippen. »Zumal wir finanziert wurden von der … Berners Bank.«

»Die untergegangen ist«, rief Star ihm genüsslich in Erinnerung.

»Ja. Ich besitze eindeutig nicht den gleichen Geschäftssinn wie mein Vater.«

»Wir haben keine Angst mehr vor dir«, sagte Tiggy und nahm Maias Hand.

»Ach nein?«, fragte Zed und starrte sie eindringlich an.

»Nein. Du hast keine Macht über uns, Zed«, sagte Maia. »Jetzt verlass Atlantis und lass dich nie wieder blicken.«

»Wie du wünschst, meine Liebe.« Zed wandte sich zum Gehen, machte dann jedoch noch einmal kehrt. »Ach, vielleicht sollte ich euch etwas erzählen, was ihr nicht in der Zeitung lesen konntet«, sagte er mit einem hinterhältigen Grinsen. »Ihr müsst wissen, als mein Geschäftspartner David Rutter starb, war das für mich ein richtiger Glücksfall.«

»Ein Tod als Glücksfall?« Merry schüttelte den Kopf.

»Genau. Ihr sollt euch doch keine Sorgen machen müssen, dass Zed Eszu vor dem Ruin steht, das ist alles.«

CeCe runzelte die Stirn. »David Rutter … Ich könnte schwören, dass ich den Namen kenne.«

Zed lachte verächtlich. »Sicher, jeder hat von ihm gehört. Er war der CEO von Berners.«

»O mein Gott, natürlich …«, flüsterte CeCe. »Er ist gestorben?«

Zed nickte. »Ja. Er hatte vor gar nicht so langer Zeit einen tödlichen Schlaganfall. Höchst merkwürdige Umstände. Der Mann war kerngesund. Er hatte einen Personal Trainer, eine Diätassistentin, und dann eines Tages – baff. Weg vom Fenster.«

»Wie das Eszu-Reich«, ergänzte Ally, die aus dem Haus dazugetreten war.

»Nicht ganz, mein Schatz. Denn der gute alte David hat mir in seinem Testament etwas vermacht.« Zed griff in seine Tasche.

CeCe ahnte, was er gleich herumzeigen würde.

Zed hielt in der Hand die größte Perle, die die Schwestern je gesehen hatten, das blasse Rosa schimmerte in der Sonne.

»Wisst ihr, wie viel dieses hübsche Teilchen wert ist?«, fragte er.

CeCe schluckte heftig. »Weit über ’ne Million Euro«, sagte sie und bemühte sich, ihre Fassungslosigkeit zu verbergen.

»Vielleicht bist du gar nicht so dumm, wie ich dachte, CeCe! Du hast recht. Dies ist nämlich nicht irgendeine beliebige Perle, es ist die berühmte Roseate Pearl.« Bei der Erwähnung dieses Namens sahen sich einige der Schwestern mit großen Augen an. »Sie war jahrelang in Australien verschollen, aber Davids Team hat sie gefunden. Und bei seinem Tod hat er sie mir hinterlassen! Könnt ihr euch das vorstellen? Ich dachte immer, dass der alte Schuft mich nicht leiden kann. Er hat dem Atlas-Projekt die Schuld am Zusammenbruch der Bank gegeben.«

»Wow. Das nenn ich einen wahren Freund«, murmelte CeCe.

»Nicht wahr? Also bin ich alles andere als pleite, sondern nach wie vor Millionär!« Liebevoll betrachtete er die Perle. »Ich schwöre euch, ich werde alles wiederaufbauen. Das Atlas-Projekt wird weiterlaufen, zu Ehren meines Vaters.«

»Zeit zu gehen, Zed«, sagte Maia und trat auf ihn zu.

Zed verzog traurig das Gesicht. »Darf ich wirklich nicht auf ein Gläschen Schampus bleiben, Maia? So wie früher?«, sagte er zwinkernd.

Keine Sekunde später landete Florianos Faust in seinem Gesicht. »Sie haben gehört, was sie gesagt hat. Verschwinden Sie!«, schrie er.

Zed taumelte rückwärts und fasste sich an die blutende Nase. »Ich bring dich wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht!«

»Als Anwalt kann ich Ihnen versichern, Hausfriedensbruch und Ihre Weigerung zu gehen bedeuten, dass mein Freund in Notwehr gehandelt hat. Und jetzt schauen Sie zu, dass Sie abhauen«, sagte Miles.

Wütend kehrte Zed über den Rasen zur Anlegestelle zurück und stieg ins Boot. Mit aufheulendem Motor raste er über den See davon.

»Geht es allen gut?«, fragte Ally. »Maia?«

»Alles in bester Ordnung«, antwortete sie aufrichtig und lief zu Floriano. »Mein Held!«

»Meine Faust fühlt sich an, als würde sie gleich explodieren«, gab er lachend zu. »Ich habe noch nie jemanden geschlagen.«

»Floriano, danke, dass du getan hast, wovon wir alle seit Jahren träumen«, sagte Elektra. »Nicht zu fassen, dass er einfach so hier aufgetaucht ist.«

»Die Perle …«, brachte CeCe hervor. »Er hat die Perle …«

Tiggy legte ihrer Schwester eine Hand auf den Rücken. »Was ist denn, CeCe?«

»Auf der liegt ein Fluch, Tigs. Es gibt da ein Gerücht … Einige von euch erinnern sich vielleicht …«

»O mein Gott«, wisperte Star. »Die verfluchte Perle, von der du uns erzählt hast? Aus Australien? Das war die?«

»Ja. Ich kann es gar nicht glauben …«, stotterte CeCe.

»Wenn er das Unternehmen wirklich wiederaufbaut … gleichgültig, wie er uns schikanieren möchte … Wir werden damit fertig, oder?«, fragte Maia.

»Natürlich«, bestätigte Ally. »Ganz bestimmt.«

»Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen, dass ihr ihn wiederseht …«, flüsterte CeCe.

Tiggys Blick ging über den See. »Ja, CeCe, du hast recht. Das brauchen wir wirklich nicht.«

»Hört mal«, sagte Ally. »Wenn wir schon alle hier zusammen sind …« – sie sah zu Jack, der ihr zunickte – »könnten wir euch etwas erzählen.« Sie reichte ihrem Gefährten die Hand.

»Vielleicht solltest du dich wappnen, Mum«, sagte Jack zu Merry.

Ally schaute in die erwartungsvollen Gesichter. »Jack und ich haben vorhin mit Charlie gesprochen, und er hat bestätigt, dass ich wieder ein Kind erwarte.«

Jubel und Bravorufe stiegen auf, und Ally und Jack wurden von allen umarmt, zuallererst von einer überglücklichen Merry.

»Herzlichen Glückwunsch! O mein Gott, ich werde Großmutter«, sagte sie gerührt. »Wenn nur dein Vater das noch erlebt hätte. Er würde sich so für euch freuen.« Sie sah Ally in die Augen. »Beide würden sich freuen.«

»O h, mon Dieu, chérie!« , rief Ma. »Ihr wisst schon, was das bedeutet, oder?«

Ally nickte. »Ja, Ma.«

»Pa und Elles leiblicher Stammbaum geht weiter«, sagte Maia und lächelte freudestrahlend.

»Da muss ich gleich noch mehr Champagner öffnen!«, rief Claudia. »Nicht, dass Ally ein Glas bekommt …« Eilig ging sie zum Haus.

»Das ist eine wunderbare Nachricht, einfach großartig!«, sagte Georg. »Und ich glaube, der perfekte Moment, um eine letzte Sache zu regeln … Darf ich die sieben Schwestern für einen Moment entführen?«

Die Frauen tauschten einen kurzen Blick und folgten dann Georg, der bereits den Rasen überquerte. Sie gingen am Haus vorbei und gelangten schließlich zu der Gruppe perfekt geschnittener Eiben, die den Eingang zu Pas verborgenem Garten bildete. Als die Schwestern ihn betraten, stieg ihnen der süße Lavendelduft in die Nase, der aus den Blumenbeeten aufstieg, und sie dachten an ihre Kindheit zurück. Ihr Blick wanderte zu den Stufen, die zu einer Kiesbucht führten, dort waren sie im Sommer immer im kühlen, klaren Wasser geschwommen.

An diesem Tag wirkte der Garten besonders prächtig. Er ging direkt auf den See hinaus und bot einen ungestörten Blick auf den Himmel und die Sonne, die sich zwischen den Bergen langsam dem Horizont zuneigte. Kein Wunder, dass dies Pas liebster Aufenthaltsort gewesen war.

»Tja«, sagte Georg, »und jetzt sind wir zwei Jahre später wieder hier.«

Vor ihnen stand leuchtend die Armillarsphäre. Die kunstvollen schmalen Reifen überlagerten sich und verbargen halb die kleine Goldkugel in der Mitte des Objekts; im Grunde handelte es sich um einen Globus, der von einem dünnen Metallstab mit einem Pfeil an einem Ende durchbohrt wurde.

»Eine letzte Sache muss ich euch zeigen.« Georg ging langsam zur Armillarsphäre. »Euer Vater hat mir genaue Anweisungen gegeben, was die Gestaltung dieses Objekts betrifft.« Er griff durch die Reifen hindurch zur Goldkugel und drehte so fest an ihr, dass sein Handgelenk zu zittern begann. Verwirrt verfolgten die sieben Frauen, wie sich die obere Hälfte der Kugel langsam löste. Doch Georg drehte unbeirrt weiter, bis er sie in der Hand hielt.

Und dort, in der Sphäre, lag ein riesiger Diamant, dessen funkelnde Lichtstrahlen durch den Garten tanzten. Die Schwestern standen still da, sie wussten genau, was sie da vor sich sahen.

»Wow …«, hauchte Maia schließlich.

»Das ist ja unglaublich«, brachte Ally hervor.

»Wie ihr jetzt wisst«, sagte Georg, »hat euer Pa diesen Diamanten jahrelang bei sich getragen. Selbst als er am Verhungern war. Er hätte ihn verkaufen können, aber das hat er nie.«

»Wir haben uns schon gefragt, was aus ihm geworden sein könnte«, meinte Tiggy lachend. »Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass er nach Pas letzter Begegnung mit Kreeg am Grund der Ägäis liegt.«

»Ich auch«, sagte Star und nickte.

»Dabei war er die ganze Zeit hier …«, flüsterte Maia.

»Das stimmt«, bestätigte Georg. »Als ich zum vorletzten Mal bei Atlas war, hat er ihn mir gegeben und mich gebeten, ihn in die Armillarsphäre zu legen. Und er hat mich beauftragt, ihn euch zur geeigneten Zeit anzuvertrauen. Und meiner Ansicht nach ist heute dieser Zeitpunkt.«

»Ein letzter Tusch …«, sagte Maia.

»Und was sollen wir damit machen?«, fragte Ally.

Georg dachte kurz nach. »Das hat euer Vater euch überlassen. Er hat auf eure Integrität gebaut.«

»Was ist er denn wert, Georg?«, fragte CeCe.

»Ein verschollener Diamant der letzten Zarin von Russland?«, fragte er mit einem Lachen. »Ich bin kein Fachmann, aber wenn er geschätzt wird – und das wird er natürlich –, würde ich sagen, mindestens zehn Millionen Euro.«

»Mit dem Geld könnten wir viele Leben verändern …«, überlegte Maia.

Ally sah zu ihrer ältesten Schwester. »Sehr viele Leben«, bestätigte sie.

»Vielleicht ist das ja eine dumme Idee«, sagte Star. »Aber früher haben CeCe und ich uns immer überlegt, dass wir später mal eine Wohltätigkeitsorganisation gründen würden. Weißt du noch, CeCe?«

Ihre Schwester grinste. »Du meinst, die Sieben-Schwestern-Stiftung?«

»Genau!« Star lachte. »Wir … wir wollten dazu beitragen, dass jedes Waisenkind eine Familie findet, die so perfekt ist wie unsere, unabhängig davon, wo es auf der Welt lebt!«

Die sieben Frauen dachten schweigend über den Vorschlag nach, wobei insgeheim alle bereits wussten, dass sie genau das tun wollten.

»Die Sieben-Schwestern-Stiftung. Das finde ich wunderbar«, sagte Maia. »Hier.« Sie nahm Allys Hand, die Stars ergriff, die wiederum nach CeCes griff, bis die Frauen einen Kreis um die Sphäre bildeten. Leise zog Georg sich zurück.

Eine ganze Weile standen die Schwestern einträchtig um die Sphäre. Dann setzte sich der Schwesternkreis langsam in Bewegung, bis er immer schneller wirbelte und Lachen durch den Garten hallte.

***

Merry griff nach Christians Hand und trat aufs Boot.

»Bis bald, ihr alle!«, rief sie, als sie vom Steg ablegten, wo sich ihre neu gefundene Familie versammelt hatte. Sie erwiderte das heftige Winken und warf allen Kusshände zu. Schließlich steuerte Christian das Boot auf den See hinaus und um die Halbinsel auf den Genfer Hafen zu, und allmählich verschwanden Merrys Schwestern und Atlantis außer Sichtweite.

Sie lehnte sich in die weichen Lederpolster des Schnellboots zurück, schloss die Augen und spürte die warme Brise auf der Haut. Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr Blick auf einen Felsvorsprung, und sie sah deutlich, wie eine große Gestalt in einem weißen Hemd ihr zuwinkte. Ohne nachzudenken, winkte sie zurück und lächelte. Ihr Blick ruhte weiter auf dem Mann, und da wurde ihr klar, dass sie das Gesicht erkannte.

Dann trat eine wunderschöne Frau mit blonden Haaren zu ihm und nahm seine Hand.

»Mum …«, flüsterte Merry benommen und rief dann: »Christian! Christian! Halten Sie das Boot an! Bleiben Sie stehen!«

Ohne zu zögern, drosselte Christian den Motor. »Alles in Ordnung, Merry?«

»Bitte, fahren Sie uns dorthin …« Merry deutete zu dem Paar, das ihr immer noch zuwinkte.

»Natürlich«, erwiderte Christian und näherte sich langsam dem Felsvorsprung.

»Ich liebe dich!«, rief der Mann.

»Ich dich auch«, flüsterte Merry.

Christian lenkte das Boot ganz nah an den Felsen heran. Merry hielt den Blick so lang wie möglich auf ihre Eltern gerichtet, bis das Bild allmählich verblasste.

Und sie wusste, die beiden waren fort.