Am Montag, dem ersten Ferientag, stand Moritz um fünf Uhr früh auf und fuhr mit dem Rad in die Fabrik, wo er sich um halb sechs in der Gesenkschmiede beim Meister meldete. Der wusste Bescheid. Du bleibst, sagte er, auf jeden Fall zwei Wochen bei uns. Du hast immer Frühschicht. Wenn du willst, kannst du auch Samstag und Sonntag arbeiten. Auf jeden Fall, erwiderte Moritz. Gut, sagte der Meister, ging mit Moritz zu einem Arbeiter und sagte: Hier ist unser Ferialpraktikant, der Moritz. Er ist übrigens der Sohn vom Zaunschirm. Ach, rief der Arbeiter, ich hab gar nicht gewusst, dass der einen Sohn hat! Er schüttelte Moritz die Hand. Ich bin der Franz Fasching, sagte er, wir werden uns gut verstehen.
Und jetzt, fuhr der Arbeiter fort, zeige ich dir, was in der Gesenkschmiede zu tun ist. Fangen wir bei diesem Ofen an. Hier werden wir beide arbeiten. Der Kollege, mit dem ich sonst zusammen bin, ist seit heute auf Urlaub. Du siehst auf dem Boden einen Haufen Stahlblöcke, Edelstahl. Wir ziehen mit diesem kleinen Kran einen Block in die Höhe, öffnen den Deckel und versenken den Block im Ofen. Den schalten wir ein, der Block wird auf 1.200 Grad erhitzt.
Komm näher, sagte der Arbeiter. Hier, an den Außenwänden des Ofens, siehst du eine Reihe von Knöpfen und Reglern. Damit stellen wir die sogenannten Sägen ein, von denen der glühende Block zerschnitten wird. Nur so kann er weiterverarbeitet werden. Ich stehe auf der einen Seite und schneide den Block der Länge nach, du stehst auf der anderen Seite und zerteilst ihn der Breite nach. Aus einem Block machen wir zehn Teile. Wenn wir damit fertig sind, öffnen wir die Vorderseite des Ofens. Dann beginnt unsere eigentliche Arbeit. Jeder von uns nimmt eine von den langen Zangen, die hier auf dem Boden liegen. Ich packe das glühende Stahlstück vorne, du hinten. So ziehen wir es aus dem Ofen, legen es auf den Wagen, der hier steht, und fahren hinüber, wo das Gesenkschmieden passiert.
Schauen wir uns das an, sagte der Arbeiter und ging voran. Hier siehst du die Vorrichtung, in die wir das Stahlstück hineinlegen. Zurzeit produzieren wir Kurbelwellen für Autos. Eine Kurbelwelle überträgt die Kraft des Motors auf die Räder, sie wird besonders beansprucht und muss aus Edelstahl sein. Wir legen also das vierkantige Stahlstück hinein. Du siehst oben das sogenannte Obergesenk, unten das Untergesenk. Ein schwerer Hammer drischt drauf, Oberund Untergesenk drücken das Stahlstück zusammen und formen es zu einer Kurbelwelle.
Der Meister hat gesagt, fuhr der Arbeiter fort, das ist ein Großauftrag, wir werden bis zum Herbst mit Kurbelwellen beschäftigt sein. Wie lange bleibst du bei uns?, fragte er Moritz. Der antwortete: Sechs Wochen. Was, rief der Arbeiter, die ganzen Ferien! So schlimm ist es nicht, erwiderte Moritz, die Ferien dauern zwei Monate. Viel Zeit zur Erholung, sagte der Arbeiter, bleibt dir jedenfalls nicht. Ich brauche das Geld, antwortete Moritz. Meine Eltern bauen ein Haus, sie müssen jeden Groschen zweimal umdrehen, und ich möchte mir im Herbst neue Kleider kaufen, deshalb arbeite ich so lange. Ich werde mit dem Meister reden, sagte der Arbeiter, damit du die ganze Zeit bei mir bleiben kannst. Das lässt sich sicher machen. Und jetzt an die Arbeit!
Am Nachmittag wartete schon der Esel in Großmutters Garten. Moritz musste ihm genau erzählen, was er in der Gesenkschmiede zu tun hatte. Ich habe eine Frage, sagte der Esel. Wenn ihr mit Zangen glühenden Stahl in das Untergesenk legt und wenn dann das Obergesenk mit einem Hammer draufgepresst wird, dann müssen doch die beiden Gesenke aus einem Material sein, das noch mehr Hitze verträgt, sonst würden sie mit dem glühenden Stahl verschmelzen. Was ist das für ein Material? Moritz dachte nach. Du hast recht, erwiderte er. Ich werde den Herrn Fasching fragen.
Moritz, sagte der Esel, du arbeitest jeden Vormittag, aber nachmittags hast du frei. Diese Zeit sollten wir nutzen. Du hast einige sehr gute Artikel über Musik geschrieben. Nun gehen wir einen Schritt weiter. Wir versuchen, eine Erzählung zu schreiben. Wenn du Schriftsteller werden willst, musst du erzählen können. Wer sagt, wandte Moritz ein, dass ich Schriftsteller werden will? Ich sage das, antwortete der Esel. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Begabung, die in dir steckt, sich entfaltet. Und meine Aufgabe, erwiderte Moritz, ist, dir zu folgen. Nein, deine Aufgabe, sagte der Esel, ist, mir zuzuhören.
Du erinnerst dich, fuhr er fort, dass ich dich gebeten habe, dir Notizen zu machen über alles, was Maroni sagt und tut. Moritz nickte. Ich habe, sagte er, ein ganzes Heft vollgeschrieben. Was hältst du davon, fragte der Esel, wenn wir den Sommer mit dem Versuch verbringen, eine Erzählung zu schreiben mit dem Titel »Michelangelo Maroni«? Versuchen können wir es, antwortete Moritz. Und nach einer Weile: Eine Geschichte erzählen, das würde ich gern tun. Noch dazu eine Geschichte über Maroni. Der ist ein Mann, den gibt es, und doch gibt es ihn nicht. Wie meinst du das?, fragte der Esel. Wenn ich erzähle, erwiderte Moritz, dass ein Mann keine Wohnung haben will und im Stahlwerk wohnt, dass er sich Michelangelo nennt nach seinem Vorbild, einem Künstler, der vor mehreren Jahrhunderten eine Kapelle der Päpste mit Fliesen ausgelegt hat, so gibt es diesen Mann zwar, doch was er tut, ist so außergewöhnlich, als wäre er eine Person in einem Märchen.
Der Esel nickte zustimmend. Märchen, sagte er. Dann dachte er nach. Erinnerst du dich, fuhr er schließlich fort, wie Gretel auf dem Frauenberg beim Wunderbaum die Geschichte von Schneewittchen und den sieben Zwergen erzählt hat? Alles völlig unglaubwürdig, und doch habe ich Gretel jedes Wort geglaubt. Erzählen ist Märchenerzählen. So ist es, erwiderte Moritz.
Gut, sagte der Esel, beginnen wir in Turin. Dort hat Maroni mit einer Frau zusammengelebt. Wie hat sie geheißen? Wir haben, erwiderte Moritz, im Englischunterricht ein Theaterstück von William Shakespeare gelesen, es heißt »Romeo und Julia«. Wir nennen sie Julia. Sie arbeitet im Turiner Stahlwerk in der Buchhaltung als Chefin. Sie ärgert sich, dass Maroni in Stahlöfen Schamottziegel legt. Er verdient zwar mehr als sie, die höhere Angestellte, doch seine Arbeit scheint ihr primitiv zu sein. Sie behauptet, Einfluss genug zu haben, um ihm zu einer anderen Position in der Fabrik, vielleicht sogar als Angestellter, verhelfen zu können.
Erschöpft hielt Moritz inne. Maroni, sagte der Esel, lehnt dieses Angebot ab. Wie wir wissen, verlässt er seine Julia. Aber nicht gleich. Wir lassen sie noch eine Zeit lang zusammen sein. Gute Idee, erwiderte Moritz. Wo wohnen sie?, fragte der Esel. Moritz dachte nach. Dann sagte er: Die beiden verdienen gut. Das Stahlwerk liegt in der Ebene. Die Stadt ist umgeben von Hügeln. Der Esel unterbrach ihn. Wir sind in Italien, sagte er, die Hügel sind Weinberge. Umso besser, erwiderte Moritz. Zwischen den Weingärten gibt es Streifen, auf denen zweistöckige Häuser gebaut worden sind. In einem dieser Häuser haben die beiden eine Wohnung mit Terrasse. Dort sitzen sie am Abend, schauen hinunter auf die Stadt, trinken Wein, essen Schinken, und Maroni erzählt Julia, dass im Stahlwerk einige Franzosen arbeiten, dass er sich bemüht, von ihnen Französisch zu lernen und dass er sich mit dem Gedanken trägt, eines Tages nach Frankreich zu gehen, um dort zu arbeiten.
Wäre ich die Julia, erwiderte der Esel, würd ich sagen: Geh doch gleich nach Frankreich, von dem Stahlwerk hier in ein Stahlwerk dort. Für etwas anderes ist in deinem Kopf ohnehin kein Platz. Moritz war nicht dieser Ansicht. Nein, sagte er nach einer Weile, das tut sie nicht. Wegen der Ziehharmonika. Ach ja, die Ziehharmonika, erwiderte der Esel und dachte nach. Leider, fuhr er fort, fällt mir dazu keine Geschichte ein. Wir wissen, sagte Moritz, dass Maroni nach der Arbeit mit einigen Kollegen in ein Gasthaus geht. Dort wird gegessen, dann nimmt Maroni die Ziehharmonika, er spielt und singt, die anderen stimmen ein. Julia kommt dorthin, wann immer ihre Arbeit es erlaubt. Sie setzt sich neben Maroni, es freut sie, dass er der Mittelpunkt in diesem Lokal ist, sie ist entzückt von den Liedern, die er spielt, und singt mit. Die Leute mögen sie, und sie mag die Leute. Diese Nachmittage in dem Lokal, fuhr Moritz fort, sind der Grund, warum die beiden es eine Zeit lang miteinander aushalten. Das leuchtet mir ein, erwiderte der Esel und schaute nachdenklich zu Boden.
Die Frage ist, fuhr er fort, wie du das zu Papier bringst. Das kann ich dir nicht sagen, antwortete Moritz. Ich weiß auch nicht, ob ich mich morgen noch an alles erinnern kann. Heute jedenfalls mache ich mich nicht mehr an die Arbeit. Vielleicht spiele ich noch ein bisschen auf der Geige. Die Frühlingssonate, rief der Esel. Ach, erwiderte Moritz, ich kann das Wort nicht mehr hören. Du wirst es noch oft hören, sagte der Esel. Es wird Zeit, dass du dich mit dieser Sonate beschäftigst. Vielleicht kannst du mir in den nächsten Tagen den Anfang vorspielen. Moritz stand auf. Ich bin müde, erwiderte er. Morgen muss ich wieder um fünf aus dem Bett. Ich verstehe nicht, sagte der Esel, warum man um sechs Uhr zu arbeiten beginnt. Ich auch nicht, antwortete Moritz.
Am nächsten Tag setzte Moritz sich hungrig zu Tisch. Heute gibt es Gulasch mit Nockerln, sagte die Großmutter. Nun, da du so schwer arbeitest, koche ich für dich nur das Beste. Zufrieden beobachtete sie, wie Moritz das Essen verschlang. Wie ist es in der Fabrik?, fragte sie. Moritz stand auf und öffnete das Fenster. Hörst du?, fragte er. Das sind die Hammerschläge aus der Fabrik. Die Großmutter nickte. Ich arbeite in der Gesenkschmiede, fuhr Moritz fort, wir legen glühende Stahlteile in ein Gesenk, der Hammer schlägt drauf, und es entsteht eine Kurbelwelle, die sieht aus wie ein Stab und wird für die Herstellung von Autos gebraucht.
Im Garten wartete schon der Esel. Ich habe den Arbeiter gefragt, sagte Moritz, aus welchem Material die Gesenke sind. Er hat es nicht gewusst. Ich habe den Meister gefragt, der hat es auch nicht gewusst. Er hat gesagt, er werde den Betriebsleiter fragen. Ich habe den Arbeiter gefragt, wer der Betriebsleiter ist. Der sitzt irgendwo in einem Büro, man sieht ihn selten hier in der Gesenkschmiede, hat der Arbeiter gesagt. Ein Betriebsleiter leitet also den Betrieb, ist aber selten in diesem Betrieb anzutreffen.
Ich werde wohl nie erfahren, meinte der Esel, aus welchem Material die Gesenke sind. Das fürchte ich auch, erwiderte Moritz. Warum willst du das überhaupt wissen? Für mich, antwortete der Esel, ist das ein interessantes Problem. Aber, wie man sieht, eines, das nicht leicht zu lösen ist. Beschränken wir uns also auf das Problem, das wir lösen können: Wie beginnen wir mit der Erzählung?
Entschuldige, sagte Moritz, ich möchte vorher noch über etwas anderes mit dir sprechen. Maroni hat uns erzählt, dass er von Stahlwerk zu Stahlwerk gezogen ist, ehe er hierherkam. Ich habe im Schulatlas nachgeschaut. Maroni könnte zuerst nach Florenz und dann nach Udine gegangen sein. Ich weiß nicht, ob es dort Stahlwerke gibt. Ich behaupte es einfach. Die Frage ist, warum er diese Städte wieder verlassen hat. Mein Vorschlag: In Florenz haben sich die Kollegen nach der Arbeit zerstreut, es gab kein Lokal, in dem man beisammensaß und sich das Essen schmecken ließ. In Udine hat es zwar ein Lokal gegeben, in dem man sich nach der Arbeit traf, der Wirt hatte sogar eine Ziehharmonika und Maroni spielte darauf und sang seine Lieder. Doch die wollte man in Udine nicht hören. Dort waren ganz andere Lieder populär, sie wurden in einem Dialekt gesungen, den Maroni kaum verstand. Und er dachte sich, da könne er ja gleich ins Ausland gehen.
Klingt nicht schlecht, sagte der Esel. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich weiß, sagte Moritz. Ich werde mich an die Arbeit machen und versuchen, jeden Tag ein paar Sätze zustande zu bringen. Die gehen wir dann Wort für Wort durch, so wie wir das tun, wenn wir einen Artikel über ein Konzert schreiben. Ich würde sagen, wandte der Esel ein, wenn du einen Artikel schreibst. Warum so bescheiden?, fragte Moritz. Also geh an die Arbeit, war die Antwort.
Am Freitag gab es schon etliche Sätze, Moritz las sie dem Esel vor, der nickte zufrieden. Maroni in Turin, sagte er, das ist der Beginn der Erzählung. Die ersten Sätze sind die wichtigsten. Wenn die nicht interessant sind, will ich die weitere Geschichte gar nicht hören. Morgen, erwiderte Moritz, würde ich gern eine Pause machen und endlich wieder auf die Baustelle gehen. Gut, antwortete der Esel. Am Samstagnachmittag, Moritz wollte sich gerade im Garten neben der Baustelle auf die Bank setzen, der Esel hatte sich schon auf den Boden gelegt, da rief Maroni aus einem Fenster des Rohbaus, Moritz solle ins Haus kommen, er wolle ihm etwas zeigen.
Schau dir das an, sagte Maroni, diese eine Wand ist fertig. Moritz stand bewundernd davor. Schau dir die Fugen an, fuhr Maroni fort, sie liegen exakt zwei Millimeter unter der Oberkante der Fliese. Und die Fliesen selbst – komm hierher und betrachte sie von der Seite –, die Fliesen sind auf einem Niveau, keine ist höher, keine tiefer. Michelangelo, erwiderte Moritz, du bist ein Künstler. Ich sehe das auch so, antwortete Maroni. Mein Vorbild jedoch, der Michelangelo, der im Vatikan gearbeitet hat, ist ein großer Künstler gewesen.
Und jetzt, fuhr er fort und packte Moritz bei der Schulter, trinken wir ein Glas. Im Garten schenkte er Moritz und sich Wein in die Becher. Im Haus hörte man jemanden hämmern. Frau Zaunschirm, Herr Zaunschirm, rief Maroni, was ist mit euch, kommt zu uns! Später!, rief Moritz’ Mutter zurück. Was machen sie?, fragte Moritz. Sie legen elektrische Leitungen, war die Antwort. Maroni prostete Moritz zu, dann zündete er sich eine Zigarette an.
Moritz, sagte Maroni, schau hinauf, siehst du die Kirche dort? Ja, antwortete Moritz, das ist die Wallfahrtskirche auf dem Frauenberg. Kennst du die?, fragte Maroni. Moritz nickte und erzählte ihm, dass er vor Kriegsende mit seiner Mutter einige Monate im Pfarrhaus neben der Kirche gewohnt hatte. Ich würde gern einmal auf den Frauenberg gehen, sagte Maroni. Diesen Ausflug machst du morgen, sagte Moritz. Du sollst die schönen Dinge nicht ewig vor dir herschieben. Du hast recht, antwortete Maroni. Weißt du, fragte Moritz, wo der Weg auf den Frauenberg beginnt? Maroni nickte. Morgen um neun, fuhr Moritz fort, ich bin leider in der Fabrik, wartet hier der Esel auf dich. Du gehst mit ihm bis zum Beginn des Aufstiegs auf den Berg. Von dort aus wird er dich weiterführen. Er kennt den Weg, er bringt dich zuerst zur Kirche und geht dann mit dir weiter zu einem Bauernhof. Dort lebt die Frau Reitbauer, sie kennt den Esel sehr gut. Ich werde dir einen Brief für sie mitgeben. In einer Stunde bin ich wieder hier.
Daheim riss Moritz zwei Blätter aus einem Heft und begann zu schreiben. Zuerst erklärte er Frau Reitbauer, dass er sie nicht besuchen könne, weil er jeden Tag, also auch am Wochenende, in der Fabrik arbeitete. Dann schilderte er, wer Michelangelo Maroni war und wie er ihn kennengelernt hatte, und ging ausführlich auf die außerordentlichen Fähigkeiten Maronis ein. Schließlich faltete er die zwei Blätter zusammen, suchte in der Lade des Küchentisches, in der Großmutter allerhand Krimskrams aufbewahrte, ein Kuvert, fand aber keines.
Am nächsten Abend wartete Moritz neugierig in Großmutters Garten. Endlich kam der Esel, erschöpft warf er sich ins Gras. Ich habe drei Rüben fressen müssen, sagte er, sonst wäre Frau Reitbauer beleidigt gewesen. Sehr interessant, erwiderte Moritz. Verschnupft drehte der Esel sich weg, hatte dann aber doch Verständnis für Moritz und fuhr fort: Wir sind auf den Bauernhof gekommen, Frau Reitbauer ist aus dem Haus gelaufen, hat ihren Kopf gegen meinen gedrückt und gerufen: Ach, du lieber Esel, dass ich dich endlich wiedersehe!
Dann, sagte er, hat sie sich Maroni zugewandt, ihn verwundert betrachtet, der hat schnell den Brief aus der Umhängetasche gezogen, ihn der Bäurin gegeben, sie hat sich auf die Bank vor dem Küchenfenster gesetzt und Maroni gebeten, ebenfalls Platz zu nehmen. Dann hat sie zu lesen begonnen. Sie hat den Brief einmal, dann noch einmal gelesen, sich schließlich Maroni zugewandt und voll Respekt gesagt: Mein Herr, Sie sind ein Genie. O nein, hat Maroni erwidert, mein Vorbild, der Michelangelo, der vor vielen Jahrhunderten im Vatikan gearbeitet hat, der ist ein Genie gewesen. Ich bin ein gewöhnlicher Künstler. Ich würde sagen, hat Frau Reitbauer entgegnet, dass Sie ein bescheidenes Genie sind. Maroni hat sich sehr geschmeichelt gefühlt.
Und dann?, fragte der Esel sich selbst. Ach ja, dann hat Frau Reitbauer gesagt: Es ist Mittagszeit, ich mache uns etwas zu essen. Wenn ich gewusst hätte, dass ich so hohen Besuch bekomme, hätte ich einen Schweinsbraten zubereitet. So aber gibt es nur Faschiertes und Erdäpfelpüree. Und selbstverständlich frischen Endiviensalat, der ist heuer besonders gut. Vorher aber bekommt der Esel eine Rübe. Als sie aus dem Stall zurückgekommen ist, hat Maroni gesagt: Ich helfe Ihnen in der Küche, und die Bäurin hat geantwortet: Wir decken den Tisch hier im Garten, damit der Esel nicht allein ist.
Nach der Hauptspeise, fuhr der Esel fort, doch er unterbrach sich: Stell dir vor, als sie bei Tisch gesessen sind, waren die beiden per du. Sie hat ihn Michelangelo genannt, er hat sie liebevoll mit Hanna angesprochen. Nach der Hauptspeise hat es Kaffee und Marillenkuchen gegeben und für mich wieder eine Rübe. Frau Reitbauer hat von Gretel erzählt: Meine Tochter, hat sie gesagt, studiert in Wien. Ein Jahr lang hat sie – ich kann mir das Wort nicht merken: Astrophysik? Gibt’s das? Maroni hat genickt. Astro, hat er gesagt, das kann etwas mit Sternen zu tun haben. Ja, hat Frau Reitbauer erwidert, etwas mit Sternen, das hat die Gretel ein Jahr lang studiert, dann hat sie damit aufgehört. Mit diesem Studium, hat sie gesagt, kann man beruflich nichts anfangen. Ich könnte an der Hochschule bleiben, Assistentin und später Professorin werden. Nun studiert die Gretel Statik, hat Frau Reitbauer gesagt.
Statik!, hat Maroni gerufen, das ist gut und wichtig. Der Architekt entwirft ein Gebäude, dann kommt der Statiker und prüft, ob es richtig konstruiert ist, damit es nicht zusammenbricht. So gesehen ist der Statiker wichtiger als der Architekt. Nun weiß ich endlich, hat Frau Reitbauer erwidert, was die Gretel tut. Und in den Ferien arbeitet sie in einem großen Büro als Statikerin. Meine Eltern, hat Maroni gesagt, hätten gerne gehabt, dass ich studiere. Doch das ist nichts für mich gewesen. Weißt du, Hanna, ich bin ein durch und durch fauler Mensch. Er hat sich eine Zigarette angezündet, berichtete der Esel, aus seiner Umhängtasche eine Flasche Wein und zwei Becher geholt und eingeschenkt. Nicht so viel, hat Frau Reitbauer gerufen, ich bin Wein nicht gewohnt. Du wirst dich daran gewöhnen, hat Maroni geantwortet. Bevor ich betrunken bin, hat Frau Reitbauer gesagt, hole ich für den Esel noch eine Rübe. Wenig später, sagte der Esel, ist Maroni aufgebrochen, nachdem er Frau Reitbauer versichert hatte, bald wiederzukommen. Der Esel wirkte erschöpft. Was sagst du jetzt?, fragte er. Nichts, war die Antwort.
Die beiden kamen mit der Erzählung so gut voran, dass der Esel vorschlug, Moritz solle beginnen, die Frühlingssonate einzustudieren. Am Tag darauf trafen sie sich im Garten der Großmutter, Moritz hockte sich neben den Esel. Hier, sagte er, sind die Noten nur für die Geige und hier die Noten für Klavier und Geige. Die schauen wir uns jetzt an. Du siehst, das Klavier beginnt. Moritz stand auf, legte den Geigenpart auf den Notenständer und spielte das Hauptmotiv, am Anfang etwas ungelenk, deshalb spielte er die paar Takte einige Male. Ist das schön!, rief er, der Frühling klingt aus jeder Note. Wunderschön, sagte der Esel. Moritz setzte sich mit den Noten in der Hand wieder zum Esel. Bevor die Geige einsetzt, sagte er, beginnt das Klavier. Das ist in der ganzen Sonate so, stets gibt das Klavier den Ton an, die Geige antwortet. Dann wieder begleitet die Geige nur, das sieht technisch sehr schwierig aus, ist aber kein Vergleich zu den äußerst schwierigen Läufen des Klaviers. Ich vermute, dass Beethoven ein sehr guter Pianist war, aber nicht Geige spielen konnte.
In den Violinsonaten von Mozart ist das anders, fuhr Moritz fort. Die Geige beginnt, das Klavier antwortet. Von Mozart weiß ich, dass er ein ausgezeichneter Pianist war, vermutlich konnte er aber auch Geige spielen. Interessant, erwiderte der Esel. Ich versuche nun, sagte Moritz, die erste Seite einzustudieren. Wenn wir in diesem Sommer mit dem ersten Satz einigermaßen zurechtkommen, wäre das gut. Wenn die Schule wieder beginnt, habe ich ohnedies wenig Zeit zu üben. Im nächsten Sommer studiere ich den zweiten und den dritten Satz ein. Und im darauffolgenden Frühjahr, wahrscheinlich im Mai, erwiderte der Esel, findet das Abschlusskonzert statt. Das wird das Ende meiner Karriere als Geiger sein, sagte Moritz. Erinnerst du dich, wie alles begonnen hat, in der Baracke bei der Frau Markel? Der Esel nickte. – Ich erinnere mich sehr gut.
Nach sechs Wochen endete für Moritz die Arbeit in der Fabrik. Woche für Woche hatte er in einem Büro des Verwaltungsgebäudes das Papiersäckchen mit seinem Lohn abgeholt und das Geld in der Lade von Großmutters Küchentisch aufbewahrt. Nun konnte er es ausgeben. Gleich an seinem ersten freien Tag, einem Montag, setzte er sich in Großmutters Garten mit dem Esel zusammen und weihte diesen in seinen Plan ein. Noch vor den Ferien, sagte er, bin ich auf dem Weg in die Redaktion vom »Obersteirer« gewesen. Da habe ich in einem Schaufenster des Modegeschäfts Lenhart ein Sakko gesehen, das mir sofort gefallen hat.
Wie du weißt, fuhr Moritz fort, trage ich, wenn es Herbst wird, einen der beiden Pullover, die die Großmutter gestrickt hat. Bei den Vorspielstunden trete ich im Hemd auf, die anderen Geigenschüler tragen ein Sakko. Als ich das beim Lenhart gesehen habe, ist mir durch den Kopf gegangen, dass es nicht schlecht wäre, ein Sakko zu haben, hin und wieder für die Schule, aber auf jeden Fall zum Vorspielen der Frühlingssonate. Wenn ein Sakko, dann dieses.
Der Stoff ist außergewöhnlich, sagte Moritz, dunkelrot mit schwarzen Einsprengseln, dadurch ist die Oberfläche nicht ganz glatt. Ich bin ins Geschäft gegangen und habe das Sakko probiert. Wie angegossen, hat der Verkäufer gesagt. Ich habe ihm meine Lage geschildert: dass ich Gymnasiast bin, sechs Wochen in der Fabrik arbeiten werde und dann erst das Geld habe, um das Sakko zu kaufen. Ich habe ihn gebeten, es für mich wegzulegen. Meinetwegen, hat er gesagt.
Also fahr nach Bruck, erwiderte der Esel, und kauf das Sakko. So einfach ist das nicht, antwortete Moritz. Ich habe dir gesagt, dass das Sakko außergewöhnlich ist. Ich möchte aber nicht, dass es extravagant wirkt. Das kann ich allein nicht beurteilen, dazu brauche ich deinen Rat. Nun gut, sagte der Esel, den Weg sind wir schon einmal gegangen, über den Emberg, dann hinunter ins Tal und über den Kreker nach Bruck. Die Wanderung hat mir gut gefallen, damals haben uns die Krähen geleitet, diesmal kommen wir allein zurecht.
Und so spazierten die beiden los. Im Modegeschäft Lenhart brachte der Verkäufer das Sakko. Probier es noch einmal, sagte er. Moritz zog es an. Der Verkäufer führte ihn zu einer Koje, in der zwei Spiegel hingen. Hier siehst du, sagte er, wie du von hinten aussiehst: elegant. Ich muss Sie um einen Augenblick Geduld bitten, erwiderte Moritz, ich habe einen guten Freund, einen Esel, er wartet draußen auf mich. Ich möchte ihm das Sakko zeigen. Wenn es ihm gefällt, was ich sehr hoffe, dann nickt er. Gleich bin ich wieder hier. Der Verkäufer griff sich an den Kopf und setzte sich nieder, Moritz ging hinaus. Ohne zu zögern sagte der Esel: Das ist sehr schön. Du brauchst zu dem Sakko aber auch eine ordentliche Hose. Hier im Schaufenster, die hellgraue, siehst du sie? Die wäre ideal zu dem Sakko.
Moritz ging ins Geschäft, probierte die Hose, sie passte. Der Verkäufer packte alles ein, Moritz zahlte und machte sich mit dem Esel auf den Heimweg. Der Esel bestand darauf, durch die Mittergasse zum Hautplatz zu gehen, er wollte den eisernen Brunnen und das Kornmesserhaus wiedersehen, Moritz hatte keine andere Wahl, als seinem Freund zu folgen. Der Esel schaute sich alles genau an, dann ging er Richtung Kreker. In Kapfenberg beschloss er, der Baustelle einen Besuch abzustatten. Moritz musste vorher in Großmutters Wohnung, wo er Sakko und Hose in den Kasten hängte. Dann ging auch er auf die Baustelle.
Maroni eilte ihm entgegen und umarmte ihn. Hilfe, schrie Moritz, du erdrückst mich ja! Moritz!, rief Maroni, so laut, dass die Nachbarin, die im Gemüsebeet Unkraut jätete, aufstand und erschrocken herüberschaute, Moritz, ohne dich hätte ich Frau Reitbauer nicht kennengelernt. Komm, setzen wir uns und trinken wir ein Glas Wein. Er schenkte ein und zündete sich eine Zigarette an. Erzähl, sagte Moritz, wie war es? Nun ja, erwiderte Maroni, ich habe mir alles genau angeschaut. Das Bauernhaus ist in einem einigermaßen guten Zustand. Hier und da gehört der Außenputz erneuert. Ich würde den gesamten Außenputz abschlagen, neu auftragen und dann die Mauern weiß streichen. Das Bauernhaus würde weiß leuchten inmitten der grünen Wälder.
Aber der Stall, fuhr Maroni fort, ist in einem sehr schlechten Zustand. Die Dachziegel zerbröckeln, der Dachstuhl ist morsch. Das ganze Dach muss noch vor dem Winter erneuert werden, es würde, wenn viel Schnee fällt, einstürzen. Wer soll das machen?, fragte Moritz. Ich, antwortete Maroni, wer sonst? Hat Frau Reitbauer, fragte Moritz weiter, genug Geld, um das zu bezahlen? Keine Sorge, erwiderte Maroni, darum kümmere ich mich. Ich kaufe beim Baustoffhändler seit Jahren die Schamottziegel, die ich im Stahlwerk brauche. Der wird mir für die Dachziegel und das Holz einen guten Preis machen. Außerdem wird er das Zeug mit seinem Lastwagen auf den Frauenberg liefern.
Maroni trank den Becher Wein leer und zündete sich die nächste Zigarette an. Der Besuch bei Frau Reitbauer, sagte Moritz, hat beachtliche Folgen für dich. Weißt du, erwiderte Maroni, ich habe mich noch nie mit einem Menschen so gut verstanden wie mit Hanna. Wenn mein Gefühl mich nicht trügt, beruht das auf Gegenseitigkeit. Und was den Stall betrifft: Der wird kaum genutzt. Zwei Kühe, zwei Schweine. Platz ist dort für mindestens zwanzig Tiere. Und hinter dem Stall könnte man viel mehr Gemüse, Rüben und Erdäpfel anbauen. Könnte man, könnte man. Hanna allein kann das natürlich nicht. Das wirst du in die Hand nehmen, sagte Moritz. Maroni schüttelte den Kopf.