EINLEITUNG

Ein Aufruf zum Erwachen

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt viele gute Grü nde zu meditieren, Grü nde, die Tausende von Jahren zurü ckreichen. Dieses Buch aber wurde nicht mit einem Blick zurü ck, sondern mit dem Blick nach vorn geschrieben. Es geht um das erwachte Leben; das bedeutet, im Licht zu sein, Gnade zu finden und von Schmerz und Leid befreit zu werden. Es ist die Verkörperung des wahren Glü cks. Vollkommene Meditation ist der Schlü ssel zu diesem Leben.

Wenn ich Sie davon ü berzeugen kann, dass dies das richtige Leben fü r Sie ist, dann ist das, was Sie erwartet, buchstäblich unvorstellbar. Die Dinge, die Ihnen heute, morgen und fü r den Rest Ihres Lebens widerfahren werden, entsprechen dann nicht mehr den alten, vorhersehbaren Mustern. Jeder Tag wird sich vollkommen neu anfü hlen und Ihre Kreativität wecken – Sie mü ssen nur zulassen, dass sich das Glü ck entfalten kann.

Zunächst gilt es jedoch, die grundlegendste Frage zu stellen: Was macht einen Menschen wirklich glü cklich? Eine liebevolle Beziehung, ein geregeltes Familienleben, eine erfolgreiche Karriere? Es gibt wahrscheinlich ebenso viele Antworten wie es Menschen auf der Welt gibt. Aber ungeachtet all unserer altbewährten Wege zum Glü ck ist da etwas Großes im Gange. Etwas Neues, Dringliches und Aufregendes geschieht. Teil der Veränderung zu werden bedingt indessen, hinter die Kulissen des Alltags zu blicken.

Jeder strukturiert sein Glü ck im Rahmen seiner Lebensweise. Täglich treffen wir individuelle Entscheidungen ü ber Dinge, die wir gerne tun wü rden. Wollen Sie sich zum Beispiel zum Abendessen eine Pizza bestellen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Haben Sie Ihre E-Mails gecheckt? Noch nicht, aber das werden Sie noch. Rund um diese kleinen täglichen Entscheidungen geht es um etwas Wichtigeres: die großen Entscheidungen, die wir ü ber unsere individuelle Lebensfü hrung getroffen haben. Erst in den letzten Jahrzehnten hat die Gesellschaft begonnen, der Tatsache Beachtung zu schenken, dass persönliches Wohlbefinden entscheidend von der Lebensweise abhängt.

Sie haben die Freiheit, sich fü r einen ungesunden Lebensstil zu entscheiden – zu rauchen, Alkohol zu trinken, sich wenig zu bewegen und sich hauptsächlich von industriell verarbeiteten Lebensmitteln zu ernähren. Aber wollen Sie wirklich so leben? Es stehen genü gend Informationen zur Verfü gung, um stattdessen bessere Entscheidungen zu treffen, wie zum Beispiel naturbelassene Nahrung zu sich zu nehmen, auf wohltuende Weise körperlich aktiv zu sein und sich umweltschonend zu verhalten. Sie könnten sich sogar fragen, was die absolut beste Lebensweise ist. Das kann eine lebensverändernde Frage sein, und wenn man sie ernst nimmt, verändert sie die Vorstellung davon, was es bedeutet, glü cklich zu sein.

Immer mehr Menschen treffen gute Entscheidungen ü ber ihren Lebensstil hinsichtlich Ernährung, Bewegung, Nichtrauchen und so weiter. Aber der Schlü ssel zur besten Lebensweise ist noch nicht gefunden worden. Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben – in der modernen säkularen Gesellschaft gibt es einige Tendenzen, die einem echten, dauerhaften Wohlbefinden entgegenwirken. Fast alle Menschen haben mit Ängsten zu kämpfen und leiden an Stress. Zu den gesellschaftlichen Entwicklungen, die Stress begü nstigen, gehören:

Eine immer schnellere Lebensweise

Eine Flut von Ablenkungen, darunter das Internet und Videospiele

Steigende Raten von Demenz und anderen Alterskrankheiten

Zügelloses Konsumverhalten, das sich auf immer mehr Länder ausbreitet

Auseinanderreißen und Zerrüttung traditioneller Familienstrukturen

Eine Epidemie von Angstzuständen und Depressionen

Globale Probleme wie Klimawandel, Terrorismus, Pandemien und Flüchtlingsbewegungen

Zusammenbruch des Vertrauens in öffentliche Institutionen und die Politik

Zunehmendes Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich sowie Rassendiskriminierung und Gerechtigkeitslücken

Diese Herausforderungen sind hartnäckig und nehmen zu. Man hört von ihnen oder erlebt sie täglich am eigenen Leib. Man kann sich den Tatsachen nicht entziehen, und der Einzelne ist machtlos dagegen. Jedes Problem auf der Liste scheint ü berwältigend, wenn man sich nur ein wenig damit befasst. Ob Malaria in Afrika, Opiatabhängigkeit in den USA oder die Alzheimerkrankheit, die wie ein Damoklesschwert ü ber der Babyboomer-Generation hängt – keines dieser Probleme konnte bisher gelöst werden. Es gibt Menschen, die ihr Leben solchen Fragen widmen, und in vielen Bereichen wurden ja auch schon große Fortschritte erzielt, aber im Kern bestehen die Probleme weiter.

Fü r den Durchschnittsmenschen bilden diese Bedrohungen ein beunruhigend chaotisches Hintergrundszenario fü r sein Leben. Man kann den Kopf nicht tief genug in den Sand stecken, um nicht betroffen zu sein. Auch eine noch so gesunde Ernährung, viel Bewegung, Meditation und Yoga bieten keine Lösung.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich auf die Suche nach der bestmöglichen Lebensweise begeben, die trotz des chaotischen Zustands der modernen Welt fü r Wohlbefinden sorgt. Die beste Lebensweise lässt sich mit einem einzigen Begriff beschreiben: Erwachen. Oder, mit anderen Worten, unserer Umgebung vollkommen gewahr zu werden. Erwachen bedeutet, ü ber unsere Alltagsroutinen, die Ü berzeugungen und Meinungen aus zweiter Hand, die Erwartungen, an die wir uns klammern, und die Absichten des Egos hinauszugehen. Beim Erwachen geht es um ein höheres Bewusstsein oder, mit anderen Worten, ein tieferes Gewahrsein. Erwachen ist kein weit entferntes Ziel – es kann Ihre tägliche Realität sein, beginnend im Hier und Jetzt.

Den allermeisten Menschen ist immer noch nicht klar, wie wichtig Gewahrsein ist. Einer Sache gewahr zu werden bedeutet, etwas zu bemerken, was einem vorher entgangen ist: Man wird gewahr, dass es im Zimmer zu warm ist, also dreht man den Thermostat herunter. Man wird gewahr, dass ein Freund sich nicht mehr so oft meldet wie frü her, also ruft man ihn an, um zu fragen, wie es ihm geht. Diese einfachen Beispiele veranschaulichen einen wichtigen Punkt: Nichts kann sich in Ihrem Leben ändern, ohne dass es Ihnen vorher bewusst wird. Dies scheint etwas ganz Offensichtliches zu sein, und doch steckt das Gewahrsein voll lauter Möglichkeiten, welche den Menschen selten bewusst sind. Was Sie im Geiste des Gewahrseins tun, wird buchstäblich jeden Teil Ihres Lebens verändern.

Wir prü fen die Realität mit dem Geist. Wenn Ihr Geist wirklich offen und frei von Ablenkungen und Konflikten ist, werden Sie die Realität als ein Feld unbegrenzter Möglichkeiten wahrnehmen. Vielleicht klingt das ü bertrieben, aber das ist es nicht – wir haben einfach nur gelernt, mit radikal gesenkten Erwartungen zu leben. Wir sind auf einer Bewusstseinsebene gefangen, die fü r Chaos und Verwirrung sorgt, auch wenn wir meinen, dass unser Leben ganz gut läuft. Durch die allmähliche Entwicklung schlechter körperlicher, seelischer und geistiger Gewohnheiten im Laufe der Jahre haben wir uns selbst eingemauert. Die Mauern, die wir durch unseren Verstand geschaffen haben, sind unsichtbar, aber massiv, manchmal uneinnehmbar.

Stellen wir uns zur Veranschaulichung vor, ein Fremder, ein hellsichtiger Beobachter der menschlichen Natur, wü rde Sie, von Ihnen unbemerkt, ein paar Tage im Alltag begleiten und könnte Ihre Gedanken lesen. Seine Notizen könnten in etwa so aussehen:

7:30 Uhr: Person wacht auf, steht auf und beginnt nachzudenken und zu planen. Geistige Aktivität 90 %, wie gestern.

8:30 Uhr: Konversation am Fr ü hst ü ckstisch, typischer Austausch. Person verlässt das Haus zur Arbeit, geistige Aktivität im Leerlauf.

9:00 Uhr: Person trifft bei der Arbeit ein. Geistige Aktivität in den vertrauten Bahnen. Person hofft, dass der heutige Tag spannender verläuft als der gestrige.

11:00 Uhr: Person ist in die Arbeit vertieft, sp ü rt Stressbelastung, die von Kollegen, dem Chef und dem allgemeinen Umfeld verursacht wird.

12:00 Uhr: Person geht dankbar zum Mittagessen. Geistige Aktivität entspannt sich, während Person eine angenehme Stunde verbringt.

14:00 Uhr: Die angenehmen Empfindungen vom Mittagessen ha ben sich aufgelöst. Person ist wieder bei der Arbeit. Geistige Aktivität 80 %, so wie an jedem anderen Arbeitstag.

Und so geht es weiter. Nach Einzelheiten gefragt, wü rde unser hellsichtiger Beobachter beschreiben, wie oft Sie die gleichen Worte und Gedanken wiederholen, die gleichen Meinungen austauschen, die gleichen Unannehmlichkeiten vermeiden usw., und zwar nach einem festen Schema, von dem Sie kaum abweichen. Wir selbst nehmen solche festen Muster im Großen und Ganzen nicht wahr, aber ein Beobachter wü rde glasklar erkennen, dass wir einen beträchtlichen Teil unseres Tages wie ein Roboter abspulen.

Wollen Sie wirklich so leben?

Was Sie tun müssen

Der Prozess des Erwachens muss kontinuierlich vorangetrieben werden und wir mü ssen uns stets unserer Verhaltensmuster bewusst sein und neue Dinge ausprobieren. Dies muss zu unserer Lebensweise werden, weil jeder Mensch voller unbewusster Angewohnheiten steckt, auch wenn sich dem Anschein nach alles zu unseren Gunsten entwickelt.

Es hat mich im Laufe der Jahre immer wieder verblü fft, dass die Menschen nicht wirklich an ihrem Gewahrseinszustand interessiert sind, aber ich weiß jetzt, warum. Ob wir es merken oder nicht, jeder von uns ist fasziniert von der Aktivität des Geistes, das heißt dem ständigen Strom von Wü nschen, Ängsten, Begierden, Hoffnungen, Träumen, Plänen, Erwartungen und – fü r die Glü cklichen – Einsichten, Intuition und kreativen Ideen. Mit anderen Worten, wir werden von unseren Gedanken verfü hrt. Das kann verlockend, verwirrend und manchmal gefährlich sein. Im Vergleich dazu ist das Gewahrsein leise und still. Es beinhaltet nicht die Art des Denkens, die fü r die meisten von uns alltäglich ist. Man kann nicht beobachten, wie es sich bewegt, oder sich an der nächsten Sache festklammert. Das Bewusstsein wird, da es einheitlich und konstant ist, von allen als selbstverständlich vorausgesetzt. Infolgedessen schenken wir dem Gewahrsein wenig Aufmerksamkeit, was wiederum in einen Teufelskreis mü ndet: Je weniger wir gewahr sind, desto weniger setzen wir unsere Kraft zur Gestaltung unserer persönlichen Realität ein.

In der Vergangenheit brauchten die Menschen so viel Hilfe, um zu ü berleben, dass sie das Gewahrsein wie eine Rettungsweste in stü rmischer See einsetzten. Schmerz und Leid waren die Norm; genug Nahrung zu bekommen war ein täglicher Kampf; die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Krankheiten, Unfällen und Gewalt zu werden, war extrem hoch. In diesem Umfeld sind die spirituellen Traditionen entstanden, angefangen von der vedischen Kultur Indiens, gefolgt von Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam. Der Alltag war von allen Seiten so voller Bedrohungen, dass Priester, Gurus, Heilige und Weise eine erwartungsvolle und bereitwillige Zuhörerschaft vorfanden, die hoffte, ihre gefährdete Existenz transzendieren zu können.

Das Streben danach, der Welt zu entfliehen, um gewahr zu werden, hat heute deutlich abgenommen, aber der Wunsch nach Transzendenz steckt immer noch in uns. Die grundlegenden spirituellen Praktiken sind beliebig geworden, und wir stellen unsere persönliche Praxis aus einem ü ppigen Angebot zusammen, so wie unser Menü von einer Speisekarte. Menschen beten oder meditieren oft, um weltlichen Sorgen zu entfliehen und etwas »Höheres« zu finden. Mich hat jedoch ein Kommentar des bekannten vietnamesischen buddhistischen Mönchs Thích Nhat Hanh beeindruckt: »Meditation ist keine Flucht, sondern eine heitere Begegnung mit der Realität.« Das ist es, was moderne Menschen hören mü ssen. Sie mü ssen erkennen, dass Meditation mehr ist als eine beliebige Beilage auf einer Speisekarte.

Um jemanden dazu zu bringen, das erwachte Leben anzunehmen, ist ein Gangwechsel erforderlich, den viele als drastisch empfinden könnten, was auch Thích Nhat Hanh gut versteht:

Wir tun so viel, wir rennen herum, die Situation ist schwierig, und viele Menschen sagen: »Sitz nicht nur einfach da, sondern tu etwas.« Aber immer noch mehr zu tun, kann die Situation auch verschlimmern. Richtig wäre also: »Tu nicht immer etwas, sondern sitz einfach mal nur da.« Sitzen Sie da, halten Sie inne, seien Sie zuerst Sie selbst und beginnen Sie von dort aus.

Es steckt eine schöne Einfachheit in diesen Worten, die mich dazu inspiriert hat, auch dieses Buch in möglichst einfachen Worten zu schreiben und zu Ihnen von Mensch zu Mensch zu sprechen. Ich bitte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, davon auszugehen, dass diese Seiten fü r Sie persönlich bestimmt sind, denn das sind sie auch. In diesem Buch möchte ich hervorheben, dass es so etwas wie die beste Lebensweise gibt – die erwachte Lebensweise nämlich. Nichts, was in Ihrem gegenwärtigen Leben gut ist, muss geopfert werden – im Gegenteil, das Erwachen wird alle Aspekte eines guten Lebens noch fördern. Worum es wirklich geht, ist die Entscheidung zu erwachen, hier und jetzt. Das ist der erste Schritt in Richtung einer Zukunft, die wirklich funktioniert, statt in einer Gegenwart zu verharren, die uns zu ü berwältigen droht. Was fü r die Meditation gilt, gilt auch fü r die Transformation: Bleiben Sie sitzen, halten Sie inne, seien Sie zuerst Sie selbst.

In Liebe, Deepak