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Das Syndrom des Feststeckens

Vollkommene Meditation schafft Vertrauen, dass das Bewusstsein sich um Ihr Leben kü mmern wird. Aber wenn Vertrauen das Ziel ist, was ist dann mit der Existenz des Bösen? Jahrhundertelang wurde das menschliche Drama als Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt und damit jede Theorie untergraben, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Gleichzeitig hat die Existenz des Bösen die Vorstellung eines rein gü tigen Gotts untergraben. Kein Gott, der es wert wäre, angebetet zu werden, so wird ein Atheist behaupten, wü rde die Schrecken von Krieg und Völkermord zulassen, die in unserer kollektiven Geschichte tiefe Wunden geschlagen haben. Wunden, die bis heute noch nicht verheilt sind.

Dass wir immer noch mit den schlimmsten Aspekten menschlichen Verhaltens zu kämpfen haben, macht uns ratlos. Es gibt reichlich Beweise dafü r, dass auf jeder Ebene unserer Existenz, von häuslicher Gewalt bis zum Bü rgerkrieg, von Kleinkriminalität bis zu Massenmord, aus dem Bösen nichts Gutes entsteht. Warum also geben wir es nicht auf, zu unserem eigenen Wohl? Diese Frage richtet unseren Blick auf die ganze Problematik des »Feststeckens«. Damit ist die hartnäckige Beständigkeit des Negativen gemeint, das sich trotz unserer besten Bemü hungen und höchsten Ideale weiterhin durchsetzt. Die Wurzeln bösen Verhaltens liegen in uns allen. Wir allein sind die Quelle von Krieg, Verbrechen und Gewalt. Vielleicht leben wir die dunkle Seite der menschlichen Natur in der Regel nicht aus, aber wenn wir uns in einer explosiven Situation befinden, hat jeder von uns eine Belastungsgrenze, jenseits derer Vernunft und Gü te irrationalen Verhaltensweisen weichen, die von Wut, Groll, Neid, Rache, Intoleranz, Angst und sogar dem Kitzel der Gewalt befeuert werden.

Wenn es wahr ist, dass wir selbst die Quelle des Bösen sind, dann lautet die praktische Lösung, dass wir uns davon befreien mü ssen. Erfahrungen kommen und gehen; Gedanken entstehen und verschwinden schnell; Emotionen halten länger an, verblassen aber irgendwann auch wieder. Wut und Angst, die beiden mächtigsten negativen Emotionen, werden kein böses Verhalten schü ren, wenn sie im gleichen Rhythmus wie normale Erfahrungen anschwellen und sich wieder beruhigen. Der Fluss des Bewusstseins kü mmert sich darum, bis wir uns einmischen. Wir sind die Ursache und gleichzeitig das Opfer dessen, was ich das »Syndrom des Feststeckens« nenne. Dieses Syndrom war schon immer die Falle des Bösen – dass der Geist genau der Aktivität frönt, die ihm am meisten wehtut.

Wenn das Ziel darin besteht, sich zu befreien, kann man fast alles zum Thema des theoretischen Bösen beiseitelassen. Es ist lediglich eine Theorie, dass Gott und Satan miteinander im Krieg stehen oder dass ein unsichtbarer Archetyp des Krieges Einfluss auf uns nimmt. Ebenso theoretisch sind alle psychologischen Erklärungen ü ber das Unbewusste, in dem angeblich unsere schlimmsten Impulse verborgen liegen oder der »Schatten« wie ein böswilliger Diktator herrscht. Zahllose Menschen glauben an solche Vorstellungen, aber keine hat bisher zu einer Lösung gefü hrt. Legen wir alle Erklärungen des Bösen beiseite und konzentrieren wir uns stattdessen darauf, freizukommen. Das Höchste, was Sie tun können, ist, sich von schlechtem Verhalten zu befreien. Wenn Wut und Angst bei Ihnen zu vorbeiziehenden Schatten werden, die sich so schnell wieder auflösen, wie sie entstanden sind, haben Sie etwas Großes erreicht. Sie haben sich Ihres Anteils am Bösen in der Welt entledigt.

Die Gewohnheit des Bösen

Das Böse zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es zur Gewohnheit wird. Es wiederholt sich immer und immer wieder, bis es zu einer automatischen Reaktion wird. In dieser Hinsicht ist das Böse ziemlich banal. Es hat keine besondere Macht, uns zu verfü hren, sondern gehört eher in den lästigen Bereich anderer schlechter Gewohnheiten. Fast alle von uns zeigen täglich selbstzerstörerische, irrationale Verhaltensweisen, die so weit gehen, dass sie zur Routine und zur Gewohnheit werden. Anstatt alles zu tun, was wir können, um uns zum Besseren zu verändern, klammern wir uns unbewusst an genau die Verhaltensweisen, die uns auf Schritt und Tritt blockieren. Sigmund Freud, der Begrü nder der Psychoanalyse, untersuchte diese Art von »pathologischem«, selbstzerstörerischem Verhalten in seinem 1901 erschienenen Buch Zur Psychopathologie des Alltagslebens , ein Titel, der fü r unseren Blick auf das Böse in Bezug auf das Feststecken relevant zu sein scheint.

Die Psychopathologie des Alltagslebens nimmt viele Formen an. Böses, Leiden und Verletzungen ü berschneiden sich und halten sich nicht an die sauber getrennten Kategorien, die wir fü r sie geschaffen haben. Dennoch gibt es verschiedene Arten von Erfahrungen, die zur Alltagspsychopathologie gehören, wie zum Beispiel

Kein vernü nftiger Mensch glaubt, dass eine dieser Erfahrungen psychisch gesund ist. Sie alle erzeugen enormen Kummer und können sehr einschränkend wirken und andere Probleme verursachen. Gleichzeitig wird keiner dieser Zustände dadurch besser, indem man ihn hasst, sich selbst die Schuld gibt, anderen die Schuld zuschiebt oder sich nicht mehr damit befasst. Wenn man ein schlechtes Gewissen hat, verschlimmern sich die meisten dieser Probleme sogar, und gute Ratschläge von anderen verbessern die Situation kaum.

Was wir als böse bezeichnen, ist nicht ein einziger Impuls oder ein einziges Verhalten. Es ist eine Mischung aus dunklen Zutaten, von denen keine kosmisch böse oder gar von Natur aus böse ist. Die monströsen Massenmörder in der Geschichte haben ihre alltäglichen Impulse in einem katastrophalen Ausmaß verstärkt. Zu solchen alltäglichen »negativen« Impulsen gehören:

Nehmen wir eine alltägliche Situation wie Mobbing in der Schule. Es gibt keinen Tyrannen ohne ein Opfer. Niemand meldet sich freiwillig als Opfer, aber Kinder und Jugendliche haben ein begrenztes Repertoire an Möglichkeiten, mit solchen Situationen umzugehen. Dabei ist es fast egal, welche Rolle sie spielen. Tyrannen und ihre Opfer handeln aus den gleichen Impulsen heraus. Beide geben jemand anderem die Schuld, nutzen Angriff und Verteidigung als ihre einzigen Optionen, fü hlen sich hilflos oder lassen jemand anderen sich hilflos fü hlen. Die Monster der Menschheitsgeschichte machen es im Grunde genauso; sie setzen einfach ihre Psychopathologie (»Geistesstörung«) im großen Stil um, weil die Millionen von Menschen, die sie unterdrü cken, an ihrer Stelle das Gleiche tun wü rden.

Ich meine damit nicht, dass wir alle potenzielle Massenmörder sind, sondern vielmehr, dass wir in den gleichen Mustern von Angriff und Abwehr gefangen sind, verletzen oder verletzt werden, nach Rache streben und darü ber fantasieren. Wenn Ihre Situation Sie zu Extremen der Wut, des Grolls, der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit treibt, sind Sie reif, das auszuleben, was wir als böse bezeichnen, oder sein Opfer zu werden. Beide Rollen sind eine Form der Erstarrung, des Feststeckens.

Der Ausweg besteht darin, mehr Optionen in Ihrem Verhalten zu entwickeln, was Sie erreichen können, indem Sie bewusster werden. Die meisten Menschen begegnen schwierigen Situationen durch eine von vier grundlegenden Verhaltensweisen:

Wenn Sie in diesem begrenzten Spektrum von Verhaltensweisen feststecken, werden Sie viele Situationen erleben, insbesondere in persönlichen Beziehungen und bei der Arbeit, die nicht zu produktiven Ergebnissen fü hren. In der vollkommenen Meditation kann das Erzielen eines wü nschenswerten Ergebnisses dem Bewusstsein ü berlassen werden.

Das ist keine Strategie, die viele Menschen anwenden, obwohl es im Zeitalter des Glaubens ganz ähnlich praktiziert wurde, indem die Dinge Gott einfach ü berlassen wurden. Das Problem dabei war, dass Gott wie ein ü bermenschliches Wesen behandelt wurde, das im Himmel lebt. Diese Trennung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen ließ die Gläubigen in hilfloser Passivität verharren und auf Gottes Entscheidung warten. Langfristig konnte eine solche Position nicht aufrechterhalten werden, und die menschliche Natur ü bernahm wieder die Oberhand. Das Zeitalter des Glaubens war nicht immun gegen Gewalt und Krieg, und die sieben Todsü nden wurden allü berall begangen.

Das vollkommene Bewusstsein ist nicht von Ihnen getrennt. Es ist Ihre Quelle und Ihr wahres Selbst. Wenn sich das Gewahrsein erweitert, entdecken Sie neue Quellen, die ein breiteres Spektrum von Verhaltensweisen in schwierigen Situationen ermöglichen. Es gibt Zeiten, in denen eine Konfrontation schwer zu vermeiden ist; sie in ein Nullsummenspiel zu verwandeln, bei dem jemand verlieren muss, damit ein anderer gewinnen kann, ist selten das richtige Vorgehen. Die Saat der Feindseligkeit wird ausgestreut, und nagende Ressentiments fü hren zum Syndrom des Feststeckens, das das Böse begü nstigt.

Die Alternative zu einem Nullsummenspiel ist in der Regel ein Kompromiss, der eine Eskalation der Konfrontation verhindert. In jeder schwierigen Situation, ob es sich nun um eine innenpolitische Spaltung oder um zwei Länder handelt, die sich am Rande eines bewaffneten Konflikts befinden, eröffnet das Bewusstsein die Möglichkeit fü r einen friedlichen Ausgang. Geben Sie dem Frieden eine Chance, indem Sie folgende Verhaltensweisen beherzigen:

Es gibt nichts Magisches an dieser erweiterten Palette von Verhaltensweisen, sie waren schon immer verfü gbar. Einige katastrophale Kriege wären vermieden und unzählige Scheidungen abgewendet worden, wenn dieses Verhalten an den Tag gelegt worden wäre. Es zeugt vom Dämmerschlaf der Menschen, dass so wenige von uns wissen, wie man Konflikte verhindern kann, indem man sie frü hzeitig entschärft.

Das Bewusstsein entfaltet diese Reaktionen auf natü rliche Weise im Prozess des Erwachens. Sie entstehen bei vielen Menschen, die sich noch nie groß mit dem Thema Bewusstsein oder mit Meditation beschäftigt haben, einfach im Laufe des Erwachsenwerdens. Der Prozess kann jedoch erheblich beschleunigt werden, wenn man sich bewusst fü r ein erwachtes Verhalten entscheidet. Der beste Weg, im Jetzt zu leben, ist, so zu leben, als ob man erwacht wäre.

Wir können nicht erwarten, dass ein erweitertes Bewusstsein bei Mobbing an der Schule etwas bewirkt. Kinder und Jugendliche befinden sich noch in einem unreifen und oft verwirrenden Stadium ihrer psychosozialen Entwicklung. Wir machen sie nicht in vollem Umfang fü r ihr Verhalten verantwortlich. Wenn die Wunden der Kindheit jedoch fortbestehen, ist auch der reife Erwachsene noch verwundet. Der größte Teil der Psychopathologie im Alltagsleben geht von dem verletzten Kind im Inneren aus. (Die weitverbreitete Vorstellung vom inneren Kind als irgendwie unschuldig und engelsgleich ignoriert die psychologische Realität, dass jedes Kind neben der Unschuld auch die negativen Impulse in sich trägt, die letztendlich zum Feststecken fü hren.)

Wenn Sie erwacht sind, werden Sie von der Psychopathologie im Alltagsleben weniger behelligt, einfach dadurch, dass Sie Ihre Ego-Persönlichkeit nicht mehr verteidigen mü ssen. »Ich« ist das Problem und kann deshalb nie die Lösung sein. Es braucht nicht viel Selbstgewahrsein, um zu erkennen, dass das Ego unsicher, egoistisch, fordernd und von Impulsen getrieben ist, die es nur schwer kontrollieren kann. Schwieriger zu erkennen jedoch ist etwas viel Grundlegenderes. »Ich« ist klebrig. Eine Stubenfliege landet auf einem Blatt Papier und fliegt fast augenblicklich wieder weg, es sei denn, sie hat das Pech, auf Fliegenpapier zu landen. Genauso bleiben Erfahrungen nicht an uns haften, es sei denn, wir sind klebrig. Andererseits kann man nicht erwarten, dass sich das Ego von seiner eigenen Klebrigkeit befreit. Was immer nötig ist, um sich zu befreien, »Ich« wird es nicht schaffen.

Vollkommene Meditation

Lektion 11: Gewohnheiten

Vollkommene Meditation ersetzt unbewusste Reaktionen durch bewusste. Das lässt sich auf sehr nützliche Weise anwenden, um Gewohnheiten zu verändern. Gewohnheiten sind eine wiederkehrende Falle. Der Impuls hinter einer Gewohnheit wiederholt sich ständig. Wenn der Impuls aufkommt, kämpfen die meisten Menschen kurz dagegen an und geben dann aber nach. Die Gewohnheit hat gewonnen, und sie wird auch beim nächsten Mal gewinnen, es sei denn, Sie können den Kreislauf durchbrechen.

Es gilt immer das gleiche Modell, unabhängig von der Art der Gewohnheit. Übermäßig viel zu essen oder sich zu viele Sorgen zu machen scheinen oberflächlich betrachtet ganz verschiedene Dinge zu sein, aber beide sind wiederkehrend und beide haben ihre Wurzeln im Unbewussten (das heißt es gibt keine offensichtliche Ursache auf der Ebene des Denkens, und der Versuch, sich aus der Gewohnheit herauszudenken, löst das Problem nicht). Je erwachter Sie sind, desto leichter ist es, das Schlüsselelement anzugehen, das eine Gewohnheit am Laufen hält, nämlich die Wiederholung. Lassen Sie uns dieses Thema im Hinblick darauf behandeln, wie der Geist in sich wiederholende Muster verfällt, denn das ist der Kern des Problems.

Das Bewusstsein vollbringt alles in Stille, aber im Geist herrscht Lärm. Viel davon hat wenig mit nützlichen oder rationalen Gedanken zu tun. Es gibt zum Beispiel keinen vernünftigen Grund dafür, dass sich eine Melodie in Ihrem Kopf festsetzt, nachdem Sie das Radio schon längst wieder abgeschaltet haben. Die Psychopathologie des Alltags ist voll von weiteren, teilweise weniger harmlosen Beispielen. Manche Menschen machen sich immerzu Sorgen und sind nicht in der Lage, dem Teufelskreis von Befürchtungen zu entkommen, auch wenn diese gar keine reale Möglichkeit haben, wahr zu werden. Am klinischen Ende des Spektrums führt eine Zwangsstörung zum Beispiel zu Kontrollzwängen (ob der Herd ausgeschaltet, die Tür wirklich abgeschlossen ist) oder Zählzwängen (der Betroffene muss ständig irgendetwas in seiner Umwelt abzählen, wie die Platten auf dem Bürgersteig oder die Stufen einer Treppe).

Was all diese Zustände gemeinsam haben, ist die Wiederholung. Lässt man die klinischen Etiketten weg, so stellt sich heraus, dass wohl jeder Mensch mit wiederkehrenden Gedanken, Erinnerungen und Impulsen zu kämpfen hat. Alte, abgenutzte Erinnerungen an Schuld und Scham, Erniedrigung und Niederlage, Kränkungen und verlorene Auseinandersetzungen umkreisen den Verstand wie auf einem giftigen Karussell, an dem wir festhängen. Niemand weiß genau, warum der Geist immer wieder zu Gedanken zurückkehrt, die nichts Gutes bringen – solche Erinnerungen sind nutzlos und unwillkommen. Sie dienen nur dazu, zu ärgern und zu quälen. Etwas, das man lieber vergessen würde, weigert sich, vergessen zu werden.

Schlechte Gewohnheiten passen ebenfalls in dieses Schema. Nur wenige Menschen suchen professionelle Hilfe bei sich wiederholenden Gedanken oder schlechten Gewohnheiten, aber gleichzeitig fühlen wir uns hilflos und ausgeliefert. Hier sind Beispiele aus dem täglichen Leben:

Sie haben sich fest vorgenommen, nicht mehr zwischen den Mahlzeiten zu essen, doch abends beim Fernsehen ist der Impuls, Knabberzeug zu holen, dann doch wieder zu stark.

Sie haben sich wegen einer Kleinigkeit geärgert, wie zum Beispiel, dass sich jemand in der Warteschlange am Postschalter vorgedrängt hat. Sie wissen, dass Sie souverän genug sein sollten, um den Vorfall zu vergessen, aber spielen ihn doch immer wieder gedanklich durch.

Sie kaufen einen alltäglichen Haushaltsgegenstand oder ein Kleidungsstück, und als Sie nach Hause kommen, sehen Sie online, dass ein anderer Verkäufer den gleichen Artikel zum halben Preis anbietet. Der Unterschied ist für Sie nicht bedeutsam, aber Sie ärgern sich trotzdem über sich selbst, vor dem Kauf keine Preise verglichen zu haben.

Sie sind im Urlaub und freuen sich auf ein Abendessen in einem berühmten Restaurant, das Sie schon immer einmal besuchen wollten. Sie haben extra schon vor der Anreise einen Tisch reserviert. Als Sie am Restaurant ankommen, wird Ihnen jedoch mitgeteilt, dass es keine Reservierung unter Ihrem Namen gibt und das Restaurant leider ausgebucht ist. Noch lange nach der Rückkehr aus dem Urlaub überlegen Sie sich immer wieder, was bei der Reservierung wohl schiefgegangen ist, und ärgern sich über die verpasste Gelegenheit.

Obwohl es sinnlos ist, stellt der Geist den Wiederholungsmodus nicht ein.

Wenn Sie lernen können, solche sich wiederholenden Gedanken und Impulse ganz loszuwerden, werden diese nicht mehr zurückkehren. Sie werden das Gefühl gewinnen, mehr Kontrolle zu haben, und der Bildschirm Ihres Geistes wird frei von Störungen sein.

Hier hilft ein wenig tieferes Verständnis. Die repetitiven Gedanken und Impulse sind Fragmente des Egos, und weil »Ich« klebrig ist, sind auch seine Fragmente klebrig. Die Ego-Persönlichkeit ist vollständig aus vergangenen Erfahrungen aufgebaut, sodass sie gar nicht anders kann, als sie immer wieder erneut zu durchleben, aus welchem Grund auch immer.

Sie müssen den Grund nicht herausfinden. Sie sind mehr als Ihr Ego. Wenn es auf seinem Standpunkt beharrt, steht es Ihnen frei, eine andere Perspektive anzubieten, eine, die bewusster ist. Dies ist relativ leicht möglich. Versuchen Sie es mit den folgenden Methoden:

Wenn Sie eine harmlose Wiederholung wie eine Melodie, die Ihnen durch den Kopf geht, stört, halten Sie inne und zählen Sie in Dreierschritten von Hundert zurück (100, 97, …). Diese einfache Konzentrationsaufgabe bringt den Geist zurück in den gegenwärtigen Moment.

Wenn ein Gedanke negativ ist und Sie an etwas erinnert, mit dem Sie sich nicht befassen wollen, sagen Sie ihm: »Ich brauche dich jetzt nicht.« Das ist eine Art Verhandlung mit einem Ego-Fragment; Sie kämpfen nicht dagegen an und geben auch nicht nach. Halten Sie sich jeweils nicht zu lange mit dieser Maßnahme auf, aber wenn der Gedanke zurückkommt, wiederholen Sie sanft: »Ich brauche dich jetzt nicht.«

Wenn ein wiederkehrender Gedanke besonders aufdringlich ist, wie zum Beispiel der Impuls, sich eine Tüte Chips aus dem Schrank zu holen, sammeln Sie sich, atmen Sie ein paar Mal tief durch und gehen Sie in den Meditationsmodus.

Wenn der wiederkehrende Gedanke eine Sorge ist, nehmen Sie einen Stift und Papier und schreiben Sie auf, wie Sie sich fühlen. Schreiben Sie möglichst ohne Pause, es geht nicht darum, sich schön auszudrücken, schreiben Sie auf, was Ihnen gerade einfällt. Sorgen sind irrational, und indem Sie sie zu Wort kommen lassen, wie kindisch oder quengelig sie auch sind, entschärfen Sie die emotionale Energie, die die Sorge nährt.

Wann immer Sie das Gefühl haben, dass Ihr Geist voller Lärm ist, verlassen Sie den Denkmodus. Scheinbar willkürlicher mentaler Lärm ist oft in Verbindung mit Schlaflosigkeit zu beobachten. Der Motor des Geistes läuft weiter, auch wenn man keinen Grund hat, noch über etwas nachzudenken. Die in einem früheren Kapitel erwähnte Vagusatmung ist hier ein sehr nützliches Gegenmittel. Eine andere Möglichkeit, aus dem Denkmodus herauszukommen, ist die Visualisierung eines Farbflecks. Halten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Farbe gerichtet, und wenn Gedanken Sie ablenken, kehren Sie einfach wieder zur Farbe zurück.

Keine dieser Methoden soll aufwendig sein. Im alltäglichen Leben verblassen die wiederkehrenden Gedanken irgendwann. Wenn Sie bereits wissen, wie Sie sich zentrieren können, kennen Sie den Unterschied zwischen Wachsein und Schlafen. Gewohnheiten und sich wiederholende Gedanken bleiben nicht haften, wenn Sie erwacht sind.

Dennoch lohnt es sich zu wissen, dass lästige Gedanken, Erinnerungen, Impulse und Gewohnheiten Ego-Fragmente sind. Sie bleiben bei uns, weil »Ich« klebrig ist. Sie haben lange mit »Ich« gelebt, und jeden Tag haben Sie im Großen und im Kleinen seine Sichtweise übernommen. Der Wechsel zu einem anderen Standpunkt erfor dert es, so oft in den Meditationsmodus zu gehen, dass er zur neuen Perspektive des Geistes wird. Jede kleine Seinserfahrung im Meditationsmodus – zentriert, entspannt und im Gleichgewicht zu sein – lehrt das Gehirn, dort zu verweilen, und mit der Zeit wird es dauerhaft dortbleiben.

Absicht und Widerstand

Das Erwachen schenkt uns eine umfassendere Perspektive als die der isolierten Ego-Persönlichkeit. Wenn Sie wach sind, ist Ihr Gewahrsein nicht von den Dingen getrü bt, die täglich auf das »Ich« einwirken. Im Einklang mit der unendlichen Kraft des Bewusstseins werden Wü nsche reibungslos erfü llt, so als ob der Weg vorher geebnet worden wäre. Ihre Absicht erreicht das gewü nschte Ziel in einer geraden Linie, wie im folgenden Diagramm dargestellt.

Absicht Durchführung

Eine bewusste Absicht zu haben, ist die Art und Weise, wie das Bewusstsein etwas zu einem erfolgreichen Ausgang bringt, ohne Fehltritte auf dem Weg. Bei einfachen Vorhaben – den Arm heben, Auto fahren, telefonieren – ist der Weg zum Erfolg so automatisch, dass wir nur selten darü ber nachdenken. Doch eine Störung auf dem Weg kann den gesamten Prozess blockieren. Ich kenne eine Frau, die sich eines Abends nach einem Restaurantbesuch mit dem Auto auf den Heimweg machte. Nach einem Glas Wein und einem guten Essen fü hlte sie sich entspannt. Auch ihr Mann war dabei und hatte sich auf die Rü ckbank gesetzt. Sie fuhr auf der Landstraße bis zu einer T-Kreuzung, an der sie links abbog. Zwar hatte sie an der Kreuzung kurz angehalten, aber nur flü chtig nach rechts geschaut. Einen Augenblick später krachte ein Sattelzug in das Auto, und sie entkam dem Tod nur ganz knapp.

Nach diesem Unfall traute sich nicht mehr ans Steuer eines Autos und ü berließ das Fahren ganz ihrem Mann, der bei dem Aufprall glü cklicherweise nur leichte Halsverletzungen erlitten hatte. Doch das Trauma hinterließ auch bei ihm seine Spuren. Er hatte kaum noch Appetit und verlor innerhalb weniger Monate zehn Kilo Körpergewicht. Ich schreibe dieses Buch drei Jahre nach dem beschriebenen Unfall, und noch immer ist die Frau psychisch nicht in der Lage, sich hinter das Lenkrad eines Autos zu setzen, nicht einmal auf einer fast kaum befahrenen kleinen Straße in ihrem Wohnviertel. Derselbe Verstand, der das Autofahren gelernt hat – eine Fähigkeit, die einige Psychologen als die komplexeste erachten, die die meisten Menschen im Alltag beherrschen – ist jetzt wie gelähmt. Es spielt keine Rolle, dass die Frau fahren will. Ihr Wunsch ist blockiert worden.

Es gibt unzählige Wege, auf denen ein unerwü nschtes Ergebnis eintritt, aber ein allgemeines Muster lässt sich wie folgt skizzieren:

Absicht Widerstand

Jede Situation, in der Sie durch innere oder äußere Einflü sse blockiert sind, passt in dieses Diagramm. Sie wollen etwas tun (Absicht), stoßen aber auf Widerstand. Halten Sie einen Moment inne und ü berlegen Sie, was Ihnen besonders schwerfällt, an sich zu ändern. Fü r den einen Menschen mag es das Gewicht und das Körperbild sein, fü r den anderen der Mangel an Liebe, fü r wieder einen anderen das Gefü hl der Frustration in einer Beziehung. Wenn Sie so ein Beispiel fü r das Feststecken bei sich gefunden haben, werden die folgenden Punkte mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffen.

Das ist kurz und bü ndig wie der Widerstand die Oberhand gewinnt. Jeder ist mit Einschränkungen belastet, die durch Widerstände entstehen. »Ich« ist Teil dieses Prozesses, denn das Ego ist geprägt von Enttäuschungen in der Vergangenheit, wann immer Dinge nicht nach Wunsch liefen. Die ganze Frage des Feststeckens hängt von einer einfachen Tatsache ab: Erfahrungen kommen und gehen, aber manche hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Diese Eindrü cke fallen in ein Spektrum von sehr oberflächlich bis sehr tief. Der erste Eindruck, den man von einer anderen Person bekommt, kann zu dauerhafter Feindseligkeit oder lebenslanger Liebe fü hren, aber in der Regel liegt es irgendwo dazwischen. Ihre Erziehung hat Sie nachhaltig geprägt, obwohl Sie damals keine Ahnung hatten, dass dies so sein wü rde. Tiefe Eindrü cke verweilen; oberflächliche verflü chtigen sich schnell wieder – der Film, der Sie zum Weinen brachte, bleibt Ihnen vielleicht ein paar Stunden oder länger im Gedächtnis haften, aber nur wenige Filme bleiben Ihnen in nachhaltiger Erinnerung. Es gibt keine Möglichkeit, die guten und schlechten Eindrü cke zu quantifizieren, die in den frü hen Erfahrungen eines Kindes entstanden sind. Ohne Zweifel sind wir von diesen Erfahrungen geprägt. Gleichzeitig kompensieren wir aber auch die schlechten Erfahrungen und machen mit unserem Leben weiter.

Dieses Reaktionsmuster negiert nicht die Tatsache, dass die gegenwärtigen Lösungen, um sich zu befreien, im Allgemeinen wirkungslos sind. Die Weitergabe von Informationen allein reicht nicht aus. Das zeigt sich zum Beispiel an der Tatsache, dass fast ein Viertel der amerikanischen Erwachsenen immer noch raucht – mehr als fü nfzig Jahre nachdem der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs von der Gesundheitsbehörde einwandfrei bestätigt wurde. Und Nährwertkennzeichnungen auf verpackten Lebensmitteln haben fast nichts dazu beigetragen, die Adipositas-Epidemie im Land aufzuhalten. Die traditionelle Psychotherapie hat bei den häufigsten Formen psychischer Leiden eine ebenso schlechte Erfolgsbilanz. Der Multimilliarden-Dollar-Markt fü r Antidepressiva und Beruhigungsmittel zeugt vom Scheitern der Schulmedizin, wobei diese Medikamente lediglich bei einem bestimmten Prozentsatz der Patienten die Symptome verbessern. Bis heute hat die medizinische Wissenschaft noch keine wirklichen Heilmittel fü r Depressionen und Angststörungen gefunden.

Je mehr wir auf Widerstand stoßen, desto eher definieren wir uns selbst auf einschränkende Weise. »Ich bin deprimiert« oder »Ich habe Angst« wird zum Teil des Selbstbildes eines Menschen, wenn der Zustand lange genug anhält. Manchmal geben wir uns selbst die Schuld fü r enttäuschende Ergebnisse; ein anderes Mal schieben wir die Schuld auf die äußeren Umstände. Wir scheinen unweigerlich unsere Erwartungen zu senken, wenn unsere Träume nicht in Erfü llung gehen.

Eine der Hauptursachen fü r Unzufriedenheit sind gesenkte Erwartungen. Aus der Sicht des Bewusstseins sollten die Erwartungen uneingeschränkt sein. Indem wir uns befreien, verbessern sich die Aussichten auf höhere Erwartungen stetig. Und doch muss täglich die Erfahrung, auf Widerstand zu stoßen, bewältigt werden, bevor höhere Erwartungen Wirklichkeit werden können.

Vollkommene Meditation

Lektion 12: Widerstand

Wenn das Leben Ihnen Widerstand leistet, müssen Sie etwas tun. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Reisen und stellen am Flughafen fest, dass Ihr Flug Verspätung hat. Es ist sehr wichtig für Sie, dass Sie den Anschlussflug bekommen, was durch die Verspätung nun aber zweifelhaft erscheint. Das Leben durchkreuzt Ihre Pläne, was tun Sie also? Die meisten Menschen entscheiden sich in der beschriebenen Situation für eine der folgenden Möglichkeiten:

Einfach sitzen und warten und innerlich brodeln.

Herumlaufen oder ein Buch lesen, um sich von der Situation abzulenken.

Sich am Check-in-Schalter beschweren.

Verhandeln, um einen anderen Flug nehmen zu können.

Den Termin auf den nächsten Tag verlegen und nach Hause gehen.

Wer sehr reich ist, kann sich kurzfristig ein Privatflugzeug organisieren. Und wenn alle Flüge aufgrund der Wetterbedingungen ausfallen, gibt es noch die Option, mit dem Zug zu fahren. Die Bandbreite der Reaktionsmöglichkeiten ist so groß, dass wir uns manchmal kaum entscheiden können. Wir sind dann unruhig und innerlich zerrissen. Ein verspäteter Flug ist ein einfaches Problem. Aber in anderen Situationen, etwa am Arbeitsplatz oder in persönlichen Beziehungen, kann es schon komplizierter werden.

Feststecken ist das Ergebnis, wenn der Widerstand siegt . Vorwärtsbewegung ist das Ergebnis, wenn Ihre Absicht siegt. Es liegt an Ihnen, wie es ausgeht.

Wenn der Widerstand siegt, liegt das daran, dass Sie sich gewöhnlich für eine oder mehrere der folgenden Reaktionen entscheiden, sobald Sie auf Widerstand stoßen:

Sie geben der Wut, Verbitterung oder Angst nach.

Sie verlieren die Übersicht über Ihre Optionen.

Sie greifen auf frühere Reaktionen zurück, die wahrscheinlich nicht funktionieren werden.

Sie schwanken, weil Sie Zweifel haben.

Sie suchen einen Schuldigen.

Sie geben auf, weil »es« zu stark ist, um dagegen anzukämpfen.

Sie werden zum Opfer.

Sie bahnen sich rücksichtslos den Weg durch das Hindernis hindurch.

Sie lassen die Sache auf sich beruhen, ohne eine Lösung gefunden zu haben.

Sie bitten jemand anderen, das Problem für Sie zu lösen.

Die obige Auflistung ist die Anatomie der Frustration. Keine der Reaktionen holt Sie aus dem Zustand des Feststeckens heraus. Selbst wenn sich die Taktik kurzfristig als erfolgreich erweist, werden Sie, wenn Sie das nächste Mal auf Widerstand stoßen, erneut in einen Zustand innerer Unruhe geraten und in irgendeiner Form um sich schlagen, um den Widerstand zu überwinden. Manche Menschen entscheiden sich jedes Mal für die gleiche Reaktion. Sie geben zum Beispiel immer nach und tun nichts oder versuchen prinzipiell, mit Gewalt ans Ziel zu kommen. Solche Menschen stecken fest, und dieses Problem wollen wir zu lösen versuchen.

Wenn dagegen Sie den Widerstand besiegen , haben Sie sich für eine oder mehrere der folgenden Optionen entschieden:

Sie geben der Wut, Verbitterung oder Angst nicht nach.

Sie können Ihre möglichen Optionen klar erkennen.

Sie greifen nicht auf frühere Reaktionen zurück, die wahrscheinlich nicht funktionieren.

Sie treffen im Zweifelsfall keine Entscheidungen.

Sie geben niemandem die Schuld, auch nicht sich selbst.

Sie kämpfen nicht mit sich selbst oder anderen.

Sie vertrauen auf ein gutes Ergebnis.

Sie bahnen sich nicht rücksichtslos den Weg durch das Hindernis hindurch.

Sie bleiben offen für unerwartete Lösungen.

Wie Sie sehen können, sind eine ganze Reihe von Faktoren im Spiel, wenn Sie in Ihrem Leben auf Widerstand stoßen, aber die meisten Menschen begreifen die Komplexität der Dinge nicht wirklich und reagieren immer mit dem gleichen Reflex auf Widerstand. Viele eheliche Auseinandersetzungen zum Beispiel wiederholen sich immer wieder nach demselben Muster. Aber es wäre sinnlos zu versuchen, jeden Punkt auf der Liste der Dinge anzugehen, die zusammenwirken, wenn der Widerstand siegt.

Das Fazit ist klarer: Entweder der Widerstand gewinnt oder Sie gewinnen. Das ist keine übermäßige Vereinfachung, sondern geht zurück auf die Grundannahme, dass, wenn wir im Gleichgewicht sind, der geistige Körper mit dem vollkommenen Bewusstsein in Einklang gebracht wird. Nur ein vollkommenes Bewusstsein kann alle verschiedenen Elemente, die im Spiel sind, kontrollieren. Dies gilt für das Leben einer Zelle ebenso wie für unser Leben als Mensch.